Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Eisern fallen die Würfel: Roman aus dem Weltkriege 1914
Eisern fallen die Würfel: Roman aus dem Weltkriege 1914
Eisern fallen die Würfel: Roman aus dem Weltkriege 1914
eBook324 Seiten

Eisern fallen die Würfel: Roman aus dem Weltkriege 1914

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Etwas Ungeheuerliches lag in der Luft. In unsagbarer Spannung, die nun schon seit Wochen über der ganzen Welt lastete. Deutschland harrte seiner Schicksalsstunde entgegen.
"Rußland hat heute Nacht an zwei Stellen deutsches Reichsgebiet angegriffen und damit den Krieg gegen uns eröffnet. Frankreich hat die volle Mobilisierung der französischen Streitkräfte angeordnet!
Mit seinen Massenheeren kamen die Söhne des heiligen Rußland, um das kleine Deutschland, das sich nach allen Himmelsrichtungen zu wehren hatte, einfach zu zermalmen. Eine Vorahnung naher Schrecknisse. Ernsten und entschlossenen Mutes geht das deutsche Volk dem Sturm entgegen.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum19. Juli 2018
ISBN9783746744049
Eisern fallen die Würfel: Roman aus dem Weltkriege 1914

Ähnlich wie Eisern fallen die Würfel

Darstellende Künste für Sie

Mehr anzeigen

Rezensionen für Eisern fallen die Würfel

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Eisern fallen die Würfel - Victor Heling

    Eisern fallen die Würfel . . .

    Roman aus dem Weltkriege 1914

    von

    Victor Helling

    _______

    Erstmals erschienen im:

    Verlag von Heinrich Minden,

    Dresden und Leipzig, 1915

    __________

    Vollständig überarbeitete Ausgabe.

    Ungekürzte Fassung.

    © 2018 Klarwelt-Verlag

    ISBN: 978-3-96559-111-0

    www.klarweltverlag.de

    Inhaltsverzeichnis

    Titel

    I.

    II.

    III.

    IV.

    V.

    VI.

    VII.

    VIII.

    IX.

    X.

    XI.

    XII.

    XIII.

    XIV.

    XV.

    I.

    „Eisern fallen die Würfel."

    Schiller,

    Etwas Ungeheuerliches lag in der Luft. In unsagbarer Spannung, die nun schon seit Wochen über der ganzen Welt lastete, harrte Deutschland seiner Schicksalsstunde entgegen. In fieberhafter Erregung drängte und wogte die Menge „Unter den Linden", über die die Sonne des ersten August ihr goldenes Füllhorn ausgegossen hatte.

    Das war nicht mehr der gewohnte Pulsschlag des großstädtischen Verkehrs, nicht mehr die Luft, die vom Weltleben der Großstadt bebt, waren nicht mehr die Menschen, die hier im gewohnten Gleis gehen und hasten und dahinfluten, nicht mehr Arbeit und Vergnügen, Streben und Müßiggang, Hass und Liebe, die den Strom der Hunderte und Tausende dahingleiten ließ: — ein Meer der Erregung und der Bewegung brauste durch die Gassen . . .

    Seit gestern Mittag hatte der Kaiser, jäh seine Nordlandsfahrt unterbrechend, und nach Potsdam eilend, den Kriegszustand in Deutschland erklärt. Trommelschlag und Trompetenschall hatten es der atemlos harrenden Menge an der Zeughaus-Wache verkündet, und anfangs schien es, als hätte sich damit die elektrische Stimmung lösen wollen, die seit zehn Tagen über der Reichshauptstadt gelegen hatte. Wie eine Lawine hatte sich die Nachricht donnernd durch die sonnenbeschienene Stadt gewälzt, bis dann, nach der ersten wallenden Aufregung der Ernst der Stunde über die Hunderttausende gekommen war, vor denen her durch alle Adern der Riesenstadt die Kunde lief: „Krieg! Kriegszustand!"

    Und wie einst, als auch ein Julihimmel über den Linden der deutschen Kaiserstadt blaute, durchzuckte es die Menge. „Wie 70! Genau wie 70!"

    Jawohl, er mochte recht haben, der Graubart mit den funkelnden Augen. Es war wie 70, wie an jenem Todestage der unvergesslichen Königin Luise, wo auch das Ungeheuerliche heranrollte, und auch in dem grauen Schloss an der Spree das letzte Wort gesprochen wurde. Und, wie damals, senkte sich die Schwere der Zeit auf alle denkenden und fühlenden Menschen und der laut lärmende Rausch und der Sang verstummte, der die Tage zuvor aus tausend und abertausend Kehlen zum Himmel gedrungen war.

    Ernst und schwer hatte man die gewaltige Kunde nach Hause getragen. Und dann war es herausgeströmt aus den Häusern und Höfen, gestern Abend, gestern Nacht, in breiten Zügen nach der alten Berliner Prachtstraße. Und wie gestern, standen sie heute, an des schicksalsschweren Mondes erstem Tage, wieder dichtgekeilt, harrend und bangend unter diesen Linden, wo jeder Stein eine Geschichte hat, wo des Deutschen Reiches Freuden und Leiden sich abgespielt hatten, wo der Gatte, der Vater, der Sohn, der Ernährer hinausgezogen war, wo dereinst helljubelnde Menschen die Heimkehr des greisen Heldenkaisers und seine sieggewohnten Scharen gefeiert hatten, unter diesen Linden, wo Frauen gebetet und Greise und Kinder geweint hatten. Nie ernster als heute hatte der Flügelschlag der Zeit herübergerauscht und sich lastend herniedergesenkt.

    „Kronrat im Schlosse!" Man wusste es. Immer aufs Neue kamen Extrablätter, immer neue Nachrichten brachten die Tausende, die sich heranwälzten. Die Tragödie, die damit begonnen hatte, dass hinten fern im Balkanland ein verschlagenes Slawenvolk unseren treuen österreichischen Bundesgenossen das Schwert in die Hand gezwungen hatte, entwickelte sich mit Blitzesschnelle.

    Kronrat im Schlosse! An das insgeheim fieberhaft rüstende und dabei Frieden heuchelnde Russland ein Ultimatum! Die Frist lief ab, war schon abgelaufen. Vor einer Stunde war der Reichskanzler im Auto von der Wilhelmstraße ins Schloss gefahren. Alle Diplomaten und Würdenträger, alle Prinzen sollten im Schlosse versammelt sein. Von Mund zu Mund war’s gegangen. Nun wussten’s alle. Eine Kette von berittenen Schutzleuten schob sich nach dem Lustgarten vor, Offiziere standen vor der Rampe des Schlosses, wo die steinernen Rossebändiger auf hohem Sockel neben dem Standbild des Großen Kurfürsten stehen. Studenten und Knaben klettern über die trennenden Schranken. Aber auch ernste Männer drängen sich vor. Der Kaiser wird sich zeigen — sie wissen’s alle — er wird den Balkon betreten und zu seinem Volke reden!

    Der eine junge Offizier in der Uniform des Alexander-Regiments, der dicht neben dem Wachtposten steht, fährt herum: Rief ihn da nicht jemand? Ja, richtig, da hört er’s wieder: „Werner, ich bin’s! Hallo, alter Junge!"

    „Onkel Fritz, Du?!"

    Der alte Herr mit dem grauen Schnurrbart im Reiseanzug hat den weißen Hut in der Hand und wischt sich die Stirn. „Ja, Werner! Ich seh’ Dich schon ‘ne kleine Ewigkeit. Hab’ Dich sofort erkannt. Aber bis ich ‘rankam, bis ich mich hier durcharbeiten konnte, das war ‘n Kunststück, das gemacht sein will!" Mit gebräuntem Gesicht steht er nun vor dem Oberleutnant.

    „Ich hatte ja keine Ahnung, dass Du — dass Ihr schon zurück seid, Onkel! Mutter schrieb doch noch gestern aus Westerland —"

    „Na ja doch! Waren wir auch noch vorgestern. Aber seit vier Stunden sind wir in Berlin. Die Reise vergess’ ich mein Lebtag nicht. Na, ich erzähl’ Dir das später! Jetzt gibt’s Wichtigeres. Du kannst Dir wohl denken, warum ich mich schnurstracks bis hierher durchgewunden hab’. Kronrat, nicht wahr?"

    Oberleutnant v. Babenberg nickte. Über das junge, hübsche Gesicht mit dem kleinen, blonden Bartanflug flog ein Schatten. Auch er besann sich, dass jetzt keine Zeit war zu alltäglichem Geplauder. Hier nicht und vor allem in dieser Stunde nicht.

    „Gewiss, sagte er. „Majestät hält Kronrat. Die Russen sollen das Ultimatum gar nicht beantwortet haben.

    „Dacht’ ich mir fast. Na, warte! Er machte eine Faust. „Sieht den Kriegshetzern an der Newa ähnlich. Ehrliche Art kennt man da nicht. O über unsere verfluchte Langmut — nimm’s mir nicht übel, aber ich hab’ schon lang’ daran geschluckt, dass wir mit den Kerls so viel Federlesen machen. Und die Franzosen blasen natürlich in dieselbe Trompete. Jetzt lohnen sie unsere Geduld auf ihre Art. Na. sei’s drum! Wann marschiert Ihr los, mein Junge, gegen die „Ehrenmänner und Ruhestörer? Oder haste heut’ Abend noch ‘n Sprung Zeit für uns?"

    Nun lächelte der andere doch. „Ich glaube — ja, sagte er, „obwohl ich nicht der einzige bin, der am liebsten gleich direktemang von hier aus loszöge — einerlei, ob gegen die Kosaken oder übern Rhein!

    „Bravo! scholl’s als Antwort. Aber es war nicht Onkel Fritz Schmellin, der es rief. Es war einer der Umstehenden, ein Mann im Werktagskleid, grau den Bart und das Haar, aber klare Augen sahen aus den von den Jahren verwitterten Zügen. „Bravo! sag’ ich, und das sollen mir der Herr Oberleutnant nicht übel nehmen. ‘s kommt von Herzen, und jlooben müssen se dran, die Wortbrecher! Un von mir, das sag’ ick Sie, müssen jleich dreie mit, wenn’s nu ans Losschlagen jetzt!

    „Was? Drei Söhne? Herr v. Schmellin hatte sich herumgedreht. Jetzt sah er, dass der Berliner im Knopfloch ein buntes Bändchen hatte — gelb zum Teil, zum Teil schwarz-weiß-rot. Also war’s ein alter Kämpfer. Das waren ja die Schnallen von der Kriegsdenkmünze von 70 und von der Hundertjahrfeier des alten Heldenkaisers. Gleich dreie, Mann?

    „Ja, det soll so sein un nich anders, un ich kann’s Ihnen sagen, dass die Jungens ihre Sache jut machen werden. Un der Jüngste — denn ick habe noch ein’ — wo bei Siemens-Schuckert noch lernt, — fuhr er redselig fort, „der fragt mich ooch schon alle Zeit, ob ich ihm nich ins Feld lassen will. Det is ja wie verhext mit die Leute, — ooch in die Fabrik auf einmal, so hat det jezündet, wat in der Luft liegt. Nischt mehr von Partei, meine Herren, nischt —

    Ein Hurrarufen, das von der Menge am anderen Teil des Schlosses kam, unterbrach ihn. Das Hurraschreien schwoll an, man schwenkte die Hüte, man hob sich auf die Zehenspitzen, aber nur wenige sahen überhaupt, wem die Kundgebung galt. Man war an derartige Huldigungen zu sehr gewöhnt. Spontan pflegten sie bald hier, bald dort auszubrechen. Wo die Luft so geschwellt war mit Ereignissen, war jedes Hurra, das aufbrauste, wie ein großes befreiendes Atmen, das durch die Reihen ging. Die Stimmung, aber auch die Spannung dieser großen Tage war keiner Steigerung mehr fähig.

    „Hast Du was gesehen, Werner? Onkel Fritz hatte vergeblich den Hals gereckt. Trotz seiner Körpergröße, die bei den Schmellins erb- und eigentümlich war, hatte er nichts erspähen können. Der Leutnant stand etwas höher. „Ein Auto! antwortete er. „Es saß ein Generalstäbler drin, wenn ich richtig sah. Er richtete sich im Wagen auf —" Wieder klangen von ferne die Hochrufe. Aber auf dem Platz vor dem grauen Hohenzollernschloß ward es jetzt still, feierlich hallten vom nahen Dome die mächtigen Glockenklänge. Andere Glocken fielen ein. Wie ein Zittern und Beben lief es durch die schweigenden Hunderttausende.

    War das der Krieg? Läuteten die Glocken schon den großen Krieg ein? War das die Entscheidungsstunde für das Ringen einer Welt? „Kriegsgottesdienst!" sagte Fritz Schmellin leise. „Muttchen und Grete und die anderen sind drin. Ja, Junge, es ist eine Glückseligkeit so eine Stunde als Deutscher zu erleben. . Und lauter, mitten hinein in den Glockenklang kam, gedämpft erst, und dann näher und näher, wie eine unaufhaltsame Woge heranbrausend und anschwellend, das Rufen, das Unter den Linden angefangen hatte. Und in atemraubender Spannung hingen aller Augen an den Fenstern des unheimlich stillen Schlosses . . .

    „Und noch eins, Werner! Falls Du Dich frei machen kannst — wir sind im „Kaiserhof abgestiegen. Notquartier. Ich werde Muttchen und Grete sagen, dass ich Dich getroffen hab’ — Er kam nicht weiter. Eine ungeheure Aufregung warf ihre Wogen über den Platz. Deutlich erscholl das Schicksalswort: „Unser Kaiser ruft sein Volk zu den Waffen! Die Mobilmachung ist angeordnet!"

    Wer es zuerst gerufen hat? Woher es kommt, das große Schicksalswort, das den Bann endlich bricht — keiner vermag’s zu sagen. Aber es ist Tatsache. Alle fühlen es! Und da sprengt auch schon ein berittener Schutzmann heran und bestätigt es. Aus dem Schlosstor waren Automobile gekommen, im vordersten hatte ein Generalstabsoffizier gesessen, aber noch ehe er das Denkmal des großen Friedrich und das historische Eckfenster erreicht hatte, war er aufgesprungen und hatte seinen blitzenden Degen geschwungen. „Mobil! Mobil! Und die Offiziere im nächsten Auto schwenkten die Mützen. Eine geballte Faust hielt einer empor — das sagte dasselbe. Im Nu hatten’s Hunderte, im nächsten Augenblick hatten’s Tausende erfahren, und orkanartig erfüllten die brausenden Hurrarufe die Luft. „Hoch unser Kaiser! Hoch Deutschland! Es gab kein Halten mehr. Wie elektrisiert rannte das Volk durcheinander. Und tausendstimmig schallte die Nationalhymne über Platz und Straßen:

    „Heil Dir im Siegerkranz,

    Herrscher des Vaterlands!

    Heil, Kaiser, Dir . .!"

    Und wahrhaft wie Donnerhall brauste von Tausenden dagegen das hohe Lied von der Wacht am Rhein!

    Mit elementarster Gewalt drängte der Eindruck der weltgeschichtlichen Stunde der Seele sich ein.

    Der Bürgersmann, der vorhin Herrn v. Schmellin von seinen Jungens erzählt hatte, fuhr sich mit der gefurchten Hand über die Augen. Aber dann blitzte und wetterte es in diesen Augen auf, die Hand des Mannes tastete nach dem Geländer der Rampe, und im nächsten Augenblick stand er oben, dicht am Sockel des steinernen Rossebändigers, und weithin schallte seine Stimme: „Nu haben wir die Hand am Säbeljriff, Leute, nu hat’s unser allergnädigster Kaiser uns jesagt —’ ein Hurra antwortete ihm, aber der Alte war noch keineswegs fertig. „Nu sind wir entschlossen, dat Schwert zu zieh’n, sowie der Kaiser dat Zeichen zum Kampfe jibt. Un nu sind wir ein Volk, ein einiges Volk, und es jibt keine Parteien mehr — „Bravo! — „Und drum Hut ab, Leute, und eingestimmt: Unser Allergnädigster Kaiser Wilhelm, unser Allergnädigster Kriegsherr — Hurra!

    Noch war das Hurra nicht verklungen, da drängte schon einer der blonden Studenten an die Stelle, wo eben der Alte geredet hatte. — „Halt’ Dir feste, Vater Kräpke, rief ihm ein kräftiger Mann in den Dreißigern zu und streckte ihm die schwielige Hand entgegen. „Jut haste jesprochen nu lass det junge Deutschland reden. — „Sehr schön, lieber Freund! Sein Sie bedankt! rief nun auch Schmellin, den eine Menschenwelle von seinem Neffen getrennt hatte. Und der Gutsherr schüttelte dem alten Soldaten die Hand. So waren sie alle. Ihr Teuerstes sollten sie hergeben und dem Kaiser galt ihr erster Gedanke. Und auch damit hatte der Graukopf den Nagel auf den Kopf getroffen: in dieser heiligen Stunde hörte jede Partei auf, weggefegt und ausgelöscht waren Hader und Zank, vergessen die Kleinlichkeiten des Tages vor dem Gedanken an des Deutschen großes, herrliches Vaterland. Ein Band umschlang, ein Ruf vereinte von dieser Stunde an alle Deutschen: „Mit Gott für König und Vaterland, für Kaiser und Reich! Entblößten Hauptes stand der Reiche und der Arme, hoch und niedrig, ein einig Volk von Brüdern zusammen. Nie hat ein Volk der Erde solche Wogen edelster Begeisterung erlebt; nie loderte das deutsche Nationalgefühl in lichteren, heiligeren Flammen. Und flammende Worte waren es auch, die dem jungen Sohn der Alma mater von den Lippen flossen. Von Russlands Verräterspiel sprach er, von unseres Kaisers Friedensliebe bis zur letzten, allerletzten Sekunde, von dem entschlossenen Mut, mit dem wir uns nunmehr zu wehren gezwungen wären. Und es war kein Auge trocken, als er endete: „. . . zu Lande und zu Wasser, unter den grünen Wogen des Meeres und in Gottes blauer Luft, überall halten wir Wacht, Wacht für unsere Lieben, Wacht für deutsche Art und Wacht für Deutschlands Ehre: Dem Herrn sei Preis und Dank — wir sind bereit! Nur langsam kam Fritz Schmellin vorwärts. Jeder, der Große wie der Kleine, musste sich vom Strome tragen lassen; vom Lustgarten, vom Schloss, vom Dom bis hinunter zum Brandenburger Tor gab es nur eine große zusammenhängende Schar. An der nächsten Ecke bog der Gutsherr von Sierstädt in der Mark in eine Querstraße ein. Hier war wenigstens Luft, obwohl sich auch hier Autos und Droschken, Lastwagen und Fahrräder und Autobusse hinter den lebenden Menschenwällen in beängstigender Fülle stauten und des bekannten Schutzmannspfiffs, der ihnen die Schranken frei gab, harrten. Aber Fritz Schmellin konnte doch den Schritt beschleunigen. Erst jetzt sah man, dass der Mann mit der Kürassierfigur ein wenig hinkte. Vielleicht nicht schlimm, nicht auffällig, aber doch so, dass er den linken Fuß etwas nachzog. Und, wie so oft in seinem Leben, eben jetzt spürte er förmlich einen Schmerz in diesem Beine, das nicht mittun wollte. Das Bein, so schön auch die Schusswunde geheilt war, die er sich selbst als Knabe beim Spielen beigebracht hatte, war wieder einmal schuld daran, dass er zur Untätigkeit verdammt sein würde, wenn jetzt der König sein Volk rief. Denn unwillkürlich war sein erster Gedanke gewesen: Wenn Du bloß um alles in der Welt jetzt den Säbel in die Faust nehmen könntest! Und der Gedanke verließ ihn nicht mehr, während er in Eile die Reihe seiner Verwandten überflog, denen heute der Ruf des Königs galt. Denn daran, dass Mobilisieren und Losschlagen immerhin noch nicht ein und dasselbe ist, dachte er nicht eine Sekunde. Keiner dachte mehr daran! So’n Wunder kam nicht in der Nacht, das das Schwert wieder zurückzwang. Gegen eine derartig frevle Herausforderung, wie sie der doppelzüngige Zar sich geleistet hatte, war jetzt alles Diplomatenspiel vergebens. Die Ereignisse konnten sich jetzt nur nach den eisernen Gesetzen des Krieges abrollen!

    Da war nun also erstens dieser Werner, seiner Schwester Charlotte Ältester. Na, dass dem die helle Begeisterung aus dem Gesichte geleuchtet hatte, das sah jeder winzige Schuljunge. Aber er war nicht der einzige, den seine Schwester hergeben musste. Der jüngere ‚Gottfried von Babenberg’ würde heute auch zum längsten hinter seinem „Nauticus in Mürwik gesessen haben, sicher sagte der Fähnrich z. S. der Marineschule Lebewohl und kletterte auf eines unserer stolzen, blanken Schlachtschiffe. Und dem würde auch das Herz schneller schlagen, wie allen bei des Kaisers Flotte. Wie hatte doch gleich der famose Kapitänleutnant Hermann gesagt, den er auf Westerland sofort in sein Herz geschlossen hatte? „Wir brennen darauf, uns ‘mal zu messen. Fertig sind wir! Und der Sierstädter hatte gelacht und gefragt: „Auch, um es mit der sogenannten „Musterflotte da drüben aufzunehmen? Und er hatte über die blaue See hinüber in eine ungewisse Richtung gewiesen, wo er Firth of Forth, das britische Kiel, vermutete. Und ebenso zuversichtlich hatte der junge Kapitänleutnant, während er lachend Baroness Grete in die Augen gesehen und während sich Miss Scoolfield naserümpfend abgewandt hatte, erwidert: „Auch gegen die Musterflotte, wenn’s kommt. Nicht Schiffe fechten, sondern Menschen!"

    Die Schmellins stellten auch ihren Mann ins Feld. Da war der eigne Bruder Kurt, Generalstäbler und zurzeit Korps-Adjutant in Hannover, und Wichard, der Sohn des Majors in Lichterfelde, musste am Ende auch schon mit ‘ran. Notprüfung und so! Ja, und Onkel Theo Schmellin auf Trebnitz, der weit übers Herrenhaus hinaus bekannt war, dem er nun schon 24 Jahre angehörte, musste auch zwei Söhne ziehen lassen: Edgar und Adolf, die beiden Reiterleutnants, sein ganzer Stolz — seit der Älteste den bunten Rock hatte ausziehen und übers große Wasser gehen müssen. Und Jutta Schmellin musste den Bräutigam hergeben. Das nahm ja kein Ende, was da alles zur Fahne eilte! Ja, und so sah’s wohl in jedem deutschen Hause, in jeder Familie, bei hoch und niedrig aus. Und wo gab’s auch nur einen, der nicht freudig bereit war, das Schwert zu ziehen, dass der Halbbarbar ihm aufzwang? Vor einem akademischen Institut musste Fritz Schmellin abermals Halt machen. Ein Zug begeisterter Studenten und Hochschüler wogte hier heran; aus den Kontoren, aus den Geschäften kamen andere gelaufen, Handwerkszeug und Schreibpult und Maschinenraum im Stich lassend. Und wieder und wieder schallten die vaterländischen Weisen. Rufe dazwischen: „Nach dem Schlosse! Nach dem Schlosse!" Und heller konnten nicht die Augen jener Studenten geleuchtet haben, die vor hundert Jahren mit Friesen und Körner hoch zu Ross durchs blutende Vaterland gestürmt waren.

    Wie sie so dahineilten, barhäuptig, mit offener Brust zum großen Teil, wie es der kürzlich erst Mode gewordene Schillerkragen mit sich brachte, glichen sie wirklich den Jünglingen aus der Zeit, wo studentische Freikorps sich auf den Ruf der Schlachthörner bildeten und Lützows schwarze Gesellen wider den Korsen ritten. „Wir treten geschlossen ein! hörte Schmellin hinter sich sagen. „Alle in corpore als Kriegsfreiwillige bei den Augustanern. Schließen Sie sich uns an, Helmann? Der Angeredete, ein langaufgeschossener Jüngling, dem man unschwer den akademischen Bürger ansah, errötete, als schäme er sich seiner Antwort. „Ich fürchte, es geht nicht. Sie sehen ja, wie schmal ich bin — „Ach, Unsinn! Sie werden schon in ‘ne Uniform ‘reinwachsen. Ich bedaure natürlich jeden, der zurückbleibt. Schließlich ist jede Brust breit genug für einen Schwerthieb.

    „Nein, nein! Zurückbleiben natürlich nicht! Das auf keinen Fall! antwortete Helmann schnell. „Zum mindesten gehe ich als Krankenpfleger mit. Leider bin ich ja derartig kurzsichtig, dass ich kaum etwas treffen werde, und als Kavallerist müsste ich auch gute Augen haben — „Ja, ja, zum ‚Auge der Armee’ passen Sie nicht!"

    „Aber versuchen will ich’s gleichwohl, verlassen Sie sich drauf, Fischer! „Na, doch ein Wort! Und nun kommen Sie mit. Zum Schloss! Ganz sicher wird der Kaiser reden.

    „Hat schon geredet! rief ein anderer. „Komme ja jrade von dort. Det war der weihevollste Augenblick, meine Herren! Ich kann’s freilich nich wiederhol’n, aber es waren jenug da, die det aufjeschrieben hamm. „Donnerwetter! fuhr es Fritz Schmellin heraus. Er hatte sich zu dem Sprecher vorgebeugt. „Konnt’ ich da nich noch fünf Minuten länger warten! Aber seh’n Sie, meine Herren, solches Pech hab’ ich nu immer! Na, warten Sie ab: morgen weich’ ich nich ‘nen Zoll vom Flecke, bis ich Majestät geseh’n hab’, und wenn ich die Mauern hochklettern soll.

    Er drehte sich um, und die Studenten sahen ihm lachend nach. „Auch einer, sagte Max Fischer, „dem ich nicht unter die Hände geraten möchte — wenn ich Russe oder Franzose wäre. Solche Hünenfiguren brauchen wir zum Helm zerschroten. War ‘n Junker natürlich — „Janz egal! Als ob wir jetzt noch Zeit hätten, an irjend ‘ne Partei zu denken! rief der junge Mann, der vom Schlosse gekommen war. „So ‘ne Stunde kennt nur Brüder. Wer das nich einsieht, der hat keine Augen im Koppe! „Sie missversteh’n mich, sagte Fischer, „ich habe ganz und gar nicht an Parteigezänk gedacht. Meine Bemerkung galt nur dem Äußeren des Herrn —

    „Na, denn is jutt! Der andere reckte die Schultern. „Jeben Se Obacht, wenn wir den Russen det Fell zausen! Jeder Schuß en Russ’! Man lachte. Das Wort flatterte sofort weiter. „Jeder Schuss — ein Russ’! Und schlagfertig wie der Berliner ist, klang sofort ein anderer Reim dagegen; niemand konnte sagen, wer’s zuerst gerufen, an wie viel Stellen gleichzeitig der billige und doch so jubelnd aufgenommene Reim geboren worden war: „Jeder Stoß — ein Franzos’!

    U je, die Franzosen! Die soll’n sich man schwer hüten mitzumachen. Die sollten eigentlich von 70 noch de Neese pläng haben!"

    „Wenn Russland anfängt, müssen se aber —"

    „Un schrei’n sowieso fortjesetzt nach Rewangsche. Die woll’n jerne mal wieder nach Berlin marschieren —"

    „Kenn’ se jar nich, Willi! Hamm ja keene Stiebeln nich!"

    „Keene Stiebeln? Warte man, denn besohlen wir sei"

    „Und Nikolausen woll nich? — Wichtigkeit!"

    „Nikolaus, Nikolaus! Wir schmeißen Dich aus Moskau raus! Auch der Trägste wurde heute aufgeschreckt und von dem jauchzenden Brausen der Menge mit fortgerissen. Mochte das Schreckenswort „Krieg! über den ganzen Erdball dröhnen, heut’ war nicht die Stunde zum Wehklagen. Wie ein Aufatmen ging’s durch die Millionen, die den Frieden gesät und nun den Krieg ernten sollten. In ernsten Kolonnen hatte die organisierte Arbeiterschaft der Großstadt noch vorgestern für den Frieden demonstrierend die „Linden" durchzogen. Heute sahen sie’s, dass es keinen Frieden mehr geben konnte, nicht mehr geben durfte! Der Russe stand an der Grenze, der Deutsche musste sich seiner Haut wehren. Die Kelle und den Hammer schlug uns der Feind aus der Hand — wohlan! so sollte es denn sein: Deutschland würde dafür einmütig zum Schwert greifen und zu den Gewehren! Das Blut über jene, die das Frevlerische entfacht! Ernsten und entschlossenen Mutes würde das deutsche Volk dem Sturm entgegengehen!

    Unaufhörlich, unaufhaltsam wie ein donnerndes Meer, flutete das Volk durch die Straßen. Ganze Züge mit Fahnen marschierten über die Mittelpromenade der Linden, und unaufhörlich, bis tief in die warme Sommernacht hinein, brauste das alte, kernige deutsche Lied aus hunderttausend Kehlen:

    „Lieb’ Vaterland magst ruhig sein,

    Fest steht und treu die Wacht, die Wacht am Rhein!"

    II.

    Nichts deutete darauf hin, dass dieser erste Sonntag des August ein besonderer Tag war, als Grete v. Babenberg gleichzeitig mit Miss Scoolfield das Frühstückszimmer des Kaiserhofes aufsuchte. Der strahlende Morgen schickte seinen Sonnenglanz bis auf die Tische mit den Damastdecken, wo das Geschirr zumeist noch unberührt stand. Ein Page rückte den beiden jungen Damen die Stühle zurecht, ein anderer Angestellter machte sich an den hohen Fenstern zu schaffen.

    Der Wilhelmplatz und die Nebenstraßen lagen still und friedlich: ein paar Spaziergänger im Feierstaat; ein halbes Dutzend junge Leute in der „Uniform" der Straßenkehrer, die den Platz von den letzten zerknüllten Extrablättern säuberten; ein paar Droschken und Autos weniger vorm

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1