Wenn nicht heute, vielleicht irgendwann
Von Maria S.
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Über dieses E-Book
Alle die, die sich gerne eigene Gedanken machen, die, die Dinge in Frage stellen und die, die den Mut haben eine eigene Meinung auch zu vertreten, werden sich mit dieser Geschichte wohl fühlen.
Dieses Buch fragt, was heute noch möglich ist, in einer Zeit, in der so viele Menschen angesichts der vielen Möglichkeiten in einer Lähmung verharren und sich nichts mehr trauen. Ist es ein Glück wohl situiert, gut aussehend und einflussreich zu sein oder ist es ein Unglück, gefangen in genau diesem Kreislauf zu sein, den aufrecht zu erhalten uns so viel abverlangt?
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Buchvorschau
Wenn nicht heute, vielleicht irgendwann - Maria S.
Kapitel 1
Es war der erste kalte Tag in diesem Januar. Ich war noch unentschlossen, ob ich, wie manchmal, diesen Spaziergang genießen können würde oder ob es mir nach den ersten hundert Metern lästig fallen würde. Am Feldweg angelangt, hörte ich Stimmen. Sie kamen aus Richtung des letzten Hauses, etwa hundert Meter hinter mir liegend. Ich sah hin und erkannte die vermutlichen Hausbewohner. Den Mann hatte ich noch nie gesehen, die Frau jedoch schon das ein oder andere Mal, wenn ich, wie heute, mit dem Hund unterwegs war. Etwas irritiert setzte ich meinen Weg fort. Irritiert deshalb, weil ich mir seit Anbeginn meiner aktiven Gehirnaktivität nicht vorstellen kann, weshalb Menschen spazieren gehen, einfach so. Ich hasse diese Art von Zeitvertreib, es sei denn, sie erfüllt irgendeinen Zweck, z.B. eben dem Hund die nötige Bewegung zu verschaffen. Der Weg gabelte sich nun und während ich links an dem mit Bäumen bewachsenen Stück Land vorbei ging, nahm das Ehepaar den rechten Weg. Sie passierten das kleine bewachsene Stück Land rechts und bogen dann links ab. Ich ging nach rechts, sodass sich unsere Wege kreuzten. Ich gab meinen Hund Kommandos, damit er die Leute nicht belästigen würde. Einen kurzen Moment lang, sah ich mir die beiden an. Er, in den vierzigern, stattliche Figur, eher der helle Typ mit noch vollem, blonden Haar. Sie, im selben Alter, schlank, braune Kurzhaarfrisur. Soweit ich mich erinnere grüßte nur sie, rieb sich die Hände und murmelte etwas davon, dass es kalt sei und sie ihre Handschuhe vergessen hätte. Als sie an mir vorüber waren, sah ich ihnen noch kurz hinterher und fragte mich, wohin die beiden wollten. Der Weg, dem sie nun folgten, endete in etwa fünfhundert Metern. Als Einwohner dieses Ortes mussten sie das wissen. Eine Weile sinnierte ich über diesen Umstand vor mich hin. Gingen sie den Weg bis zum Ende und dann wieder zurück zum Haus? Das wäre ein kurzer Spaziergang, kaum der Mühe wert, sich überhaupt anzuziehen. Oder gingen sie den Weg bis zum Ende und dann zurück und dann weiter woanders lang. Auch dies schien mir abwegig. Dann hätten sie ja direkt einen anderen Weg nehmen können. Wie auch immer, ich konnte dieses Rätsel nicht lösen und beschäftigte mich noch kurz mit der Frau, der ich ja schon öfter begegnet war und der Tatsache, dass sie einen merkwürdigen Eindruck auf mich hinterlassen hatte. Sie war mir aufgefallen, auch heute wieder. Eine seltsame Stimme, die Klangfarbe heiser . Außerdem Unsicherheit und eine Art Vermeidungshaltung. Ich hatte das Gefühl, sie wollte von mir lieber nicht gesehen werden. Der Moment unserer kurzen Begegnung sollte schnell vorüber sein, dies wünschte sie. Da dieser Moment nun aber stattfand, dies war nun eben nicht mehr zu vermeiden gewesen, wollte sie sehr freundlich sein, mir positiv auffallen. Ich kann nicht erklären, wie ich darauf kam, aber es war so.
Ich setzte meinen Weg fort und wandte mich bald schon wieder meinen eigenen Gedanken zu: War es richtig, mein altes Auto wegzugeben und ein Neueres zu finanzieren? Die Wäsche, ich muss endlich die Wäsche zusammen nehmen und weg sortieren und dann mindestens eine weitere Maschine anstellen. Sonntag, und ich werde es wieder nicht schaffen, den ganzen Tag im Bett zu verbringen. Wann habe ich das zum letzten Mal gemacht, ich kann mich nicht erinnern. Welchen Weg gehe ich jetzt mit dem Hund weiter. Keine Option gefällt mir so richtig aber ich entscheide mich für den Waldweg. Ich fühle mich mutig genug dafür heute. Es läuft auch alles gut, sogar Stöckchen werfen gönnen wir uns heute, denn wir haben endlich mal Zeit dafür. Gringo sprintet los und schnappt sich den Stock, hält einen Moment inne. Der Moment, bevor er dann mit Stöckchen im Maul zu mir zurück sprintet. Doch das tut er nicht. Ich bin für einen kurzen Moment irritiert, dann bricht die wohl bekannte Panik in mir aus. Ich sehe mich um, dann Gringo sieht an mir vorbei, fixiert einen Punkt, der hinter mir ist. Doch da ist nichts. Ich rufe ihn, fordere ihn auf, weiter zu spielen. Es würde schon reichen, wenn er jetzt einfach nur zu mir käme. Doch er starrt einfach weiter und reagiert nicht. Die Nadel auf der Panikskala am Limit. Ich drehe mich um, und gehe in die andere Richtung, in Richtung Straße. Autos, Leben und Menschen. Seltsam ist, dass ich nie renne. Auch wenn mein Herz fast berstet und ich nur noch ein Rauschen in meinen Ohren höre. Ich renne nie, so lange ich nicht sehe, wovor genau ich überhaupt weg rennen könnte. Stattdessen mit ein paar schnellen, sicheren und zielgerichteten Bewegungen das Handy aus der Tasche und der Schutzhülle fummeln und schnell jemanden anrufen. Immerhin folgt mir jetzt wenigstens Gringo und er erschrickt, genau wie ich, als plötzlich rechte Hand hinter einem Hügel Vögel in die Luft schnellen. Ein paar Sekunden später steht meine Facetimeverbindung und das beruhigt mich sofort. Ich verlasse den Wald und werde hier so bald nicht mehr umher spazieren.
Den Rest des Tages verbrachte ich mit meiner Familie, bestehend aus meiner Tochter Alisar und meinem Mann Eliah. Gringo und zwei Katzen. Ein beschaulicher, ruhiger Sonntag. Eine glückliche Familie.
Kapitel 2
Der Frühling kam früh in diesem Jahr. Das kam mir gerade Recht: mein wetterbedingtes Stimmungstief hielt sich schon viel zu lange. Endlich wieder mehr Licht, mehr Bewegung, mehr frische Luft, mehr Grün. Ich mutierte so langsam wieder zu einem einigermaßen zufriedenem Menschen. Gut für mich und gut für meine Umwelt.
Bis Mitte Juni verlief mein Leben in gewohnten Bahnen: Arbeiten, Familie, Freunde, Einkaufen, Putzen. Mindestens einen Panikanfall im Monat. Ansonsten keine besonderen Vorkommnisse.
Die Frau und ihren Mann hatte ich seit Januar nicht wieder gesehen, obwohl ich täglich mit Gringo an ihrem Haus vorbei spazierte. Bis zu diesem Tag im Juni. Es war ein sehr heißer Tag, und ich hatte die Runde mit Gringo bewusst auf den späten Nachmittag verschoben, weil ich uns allen die beißende Mittagshitze ersparen wollte: Alisar, mir und auch dem Hund. Alisar, kurz vor ihrem 4.ten Geburtstag bestand darauf, ihr Laufrad mitzunehmen. Ich versuchte, ihr das Laufrad auszureden, weil ich aufgeschürfte Knie befürchtete. Eine lange Hose bei den Temperaturen undenkbar. Sie ließ sich selbstverständlich nicht davon abbringen das Laufrad mitzunehmen. Auf Grund der Wärme waren wir relativ langsam unterwegs und ich dachte schon, meine Sturzfantasien würden sich vielleicht doch nicht bewahrheiten. Und dann, auf Höhe genau des Hauses, die Straße leicht bergab, sodass Alisar mit viel Schwung an mir vorbei schoss, wurde meine Prophezeihung war. Alisar verlor die Kontrolle und fiel. Die Zeit nach dem Aufprall, ich lief zu ihr und zählte die Sekunden, die vergingen, bis ihr grelles Schreien erklang um abschätzen zu können, wie schwerwiegend dieser Sturz sein würde. Eins-zwei-drei-vier-fünf, schwerwiegend. Ich nahm sie in den Arm und sprach beruhigende Worte vor mich hin, von denen ich nicht wusste, wen sie eigentlich beruhigen sollten, Alisar oder mich. Gringo kam beim ersten Sopran sofort angerannt und stand unschlüssig neben uns. Es war laut, sehr laut. Und es würde lauter werden, sobald ich fordern würde, einen Blick auf die Knie zu werfen. In solchen Momenten nehme ich meine Umgebung kaum mehr wahr. Alles konzentriert sich nur auf die Situation. Es gibt keine klaren Gedanken mehr und auch keine Umgebung. Daher realisierte ich nicht, dass die Tür des Hauses, vor dem wir uns befanden, sich öffnete. Ich sah nicht die Frau, die aus der Tür heraus zu uns hinüber sah. Ich sah nicht, dass sie sich wieder ins Haus zurück zog, die Tür offen, um einen Moment später wieder dort zu erscheinen, mit einem Verbandskoffer in der Hand. Für einen Moment war die Frau noch unschlüssig, sie war nicht bemerkt worden und konnte sich lautlos wieder ins Innere des Hauses zurück ziehen. Doch sie entschied anders. Einmal entschlossen, war sie in wenigen aber beherzten Schritten bei uns. Sie schob sich an den Rand meines Tunnelblicks und fragte, ob sie helfen könne. Ich habe hier, sehen Sie her, Verbandsmaterial. Alisar unterbrach ihr Geheul, blickte neugierig die Frau mit dem Verbandskoffer an und erbat sich in aller Höflichkeit, einen Blick in den Koffer werfen zu dürfen, da sei sicher was drin, was ihr helfen würde. Vorsichtig konnte ich einen ersten Blick auf das betroffene Knie werfen. Es sah aus, wie ein aufgeschürftes Knie eben so aussieht. Die Frau öffnete den Koffer und Alisar inspizierte aufmerksam deren Inhalt. Das größte Pflaster, was der Koffer hergab, suchte sie sich aus. Es ging mir grad durch den Kopf, da hörte ich auch schon die Worte: die Wunde sollte zuvor gesäubert werden. Alisar holte nach diesem Satz tief Luft, Eins-Zwei-Drei-Vier, diesmal immerhin nur Vier und es folgte ein weiterer Sopran. Die Frau, sich bewusst werdend, dass sie diese erneute Aufruhr verschuldet hatte, versuchte es wieder gut zu machen, indem sie Alisar abzulenken versuchte. Mir wurde langsam klar, dass ich hier die Mutter war: ich musste das Ganze wieder unter Kontrolle und vor allem zu einem Ende bringen. Ich entschied, dass Alisar das Pflaster auf das Knie kleben konnte, ohne diese vorher zu reinigen. Der Frau zugewandt teilte ich im Flüsterton mit, dass ich dies zu natürlich zu Hause nachholen würde, wenn das Kind sich etwas beruhigt hätte.
An dieser Stelle hätte die Situation abgeschlossen sein können. Auf Wiedersehen und den Heimweg antreten. Aber mir ist sowas natürlich nicht vergönnt. In dem Moment, in dem ich mich verabschieden wollte, mit bestem Dank für die freundliche Hilfe, das gibt es ja heut zu Tage kaum noch, erledigte Gringo sein großes Geschäft direkt auf den Grünstreifen vor dem Grundstück der Frau. Ich sah es, sie sah es. Alisar kommentierte es. Es war peinlich. Unangenehm. Einfach unendlich unangenehm. Natürlich hatte ich nichts dabei, womit ich in der Lage gewesen wäre, dieses kleine Missgeschick zu beseitigen. Ich entschuldigte mich über alle Maßen, als hätte ich gerade vor ihren Augen ihr Haus in Brand gesetzt oder dergleichen und ich versprach, dies heute noch zu beseitigen. Sie meinte, es sei alles halb so schlimm, eben nur ein Hundekackhaufen, der sich nach einiger Zeit selbst zersetzen würde. Ich beließ es dabei und erwähnte noch mal wie furchtbar unangenehm mir das Ganze sei, als Alisar plötzlich anfing zu quengeln, sie habe Durst. So ist das immer bei mir, schon seit Anbeginn meiner Zeit. Ein Fauxpas ist immer nur der Anfang. Die Frau ging sofort darauf ein und bat uns ins Haus, inklusive des hechelnden Gringo. Alisar durfte wählen und entschied sich für einen Orangensaft. Ich nahm ein Wasser, obwohl ich eigentlich gar nichts trinken wollte. Ich wollte nichts als weg, aus dieser Situation, die ich mir nicht erbeten hatte. Alles, was mir wiederfährt und was ich mir nicht ausdrücklich gewünscht habe, empfinde ich nämlich als nicht richtig. So war dieser Spaziergang nicht geplant und nicht gewünscht und das bedeutete, dass nun irgendwas nicht richtig lief. Die Frau bat uns auf die Terrasse, die man von der Küche aus, in welcher wir uns befanden, erreichen konnte. Hochwertige Holzmöbel mit sauberen Sitzpolstern, alles machte einen sehr ordentlichen, ja geordneten Eindruck. Erneut stieg Panik in mir auf: ich sah Alisar bereits mit ihren Sandalen auf den Stühlen herum klettern. Die Frau, deren Namen ich immer noch nicht kannte, bat uns, Platz zu nehmen. Beiläufig, im Weggehen begriffen, erwähnte sie, dass sie übrigens Ella hieße. Ella, dies sei ihr Name. Ich stutze, weil sie dies gleich zweifach erwähnte. Ich kam nicht mehr dazu mich vorzustellen, sie hatte die Terrasse bereits verlassen. Im nächsten Augenblick war sie aber schon wieder da, mit einem Eis für Alisar. Ich überspielte eine erneut aufwallende Unruhe (das Eis und die Gartenmöbelgarnitur!) gekonnt und stellte auch mich vor: ich bin übrigens Dana. Unangenehmes Schweigen breitete sich aus, es war alles gesagt und Ella war, genau wie ich, nicht besonders gut darin, Belanglosigkeiten auszutauschen. Gringo inspizierte derweil den Garten. Dass er sich hier erleichtern würde, brauchte ich ja immerhin nicht mehr zu befürchten. Dann ein erstes vorsichtiges Fragen: Wo im Dorf lebt ihr? Ich beschrieb es ihr, was selbst für mich nicht sehr schwierig war, bei der einfachen Geographie des Dorfes. Damit das Gespräch, was noch keines