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Vollbracht: Eine Reise des Glaubens
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eBook367 Seiten4 Stunden

Vollbracht: Eine Reise des Glaubens

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Über dieses E-Book

Hat ein Gott, den wir nicht beweisen und dessen Wesen wir nur teilweise erkennen können, trotzdem eine Bedeutung für unser Leben? In einer einzigartigen Kombination aus Erzählung, Gedanken zum Apostolischen Glaubensbekenntnis und der Weltgeschichte begleiten Sie den Antiquitätenhändler Abid bei seinem Studium der Bibel und seiner Suche nach Wahrheit, Erkenntnis und Glauben. Ein Buch für persönliche Fragen, Diskussionen in einer Gruppe und für all diejenigen, die dem christlichen Glauben auf den Grund gehen möchten.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum6. Feb. 2019
ISBN9783742705976
Vollbracht: Eine Reise des Glaubens
Autor

Christian Geiss

Geboren wurde ich 1979 in Simmern und verbrachte meine Kindheit und Jugend im beschaulichen Hunsrück. Im Laufe meines Lebens arbeitete ich als Bankkaufmann, Tourismusbetriebswirt und als Jugendreferent. Fasziniert von der Arbeit mit Menschen und dem Erkunden ferner Länder, engagierten sich meine Frau und ich, kurz nach unserer Hochzeit, für ein Jahr, bei einer sozialdiakonischen Straßenarbeit in West Kanada.

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    Buchvorschau

    Vollbracht - Christian Geiss

    Dem Geheimnis auf der Spur …

    „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde."

    (1. Mose 1,1; Hfa)

    Einleitung Kapitel 1 bis 4

    „Wie, die Welt ist nicht so, wie sie sein sollte?" Diesen Satz hörte ich während einer Autofahrt auf dem Weg von Berlin in den Hunsrück. Aus dieser kurzen Frage ergab sich ein sehr langes und intensives Gespräch über den Glauben an Gott mit einer Frau, die sich selbst als Atheistin bezeichnete.

    Auch viele Christen haben tief greifende Fragen an den Glauben. Wie können wir an Gott glauben, wo es doch so viele Argumente aus Philosophie, Wissenschaft oder der Theologie selbst gibt, die an den Grundfesten des christlichen Glaubens rütteln?

    Für mich ist der Glaube an den Gott der Bibel seit meiner Jugend das tragende Fundament meines Lebens. Er ist meine Hoffnung, mein Halt und meine Zuversicht. Ich kann mir ein Leben ohne diesen Glauben nicht vorstellen, und dennoch fühle ich mich oft hilflos. Denn Zweifel, Fragen und Ungewissheit gehören unweigerlich zum Glauben, ansonsten wäre es kein Glaube, sondern eine Wissenschaft.

    Viele Gespräche und Impulse in den letzten Jahren haben dazu geführt, dass ich mich selbst intensiver mit meinem christlichen Glauben beschäftigt habe. Und das Ergebnis dieser eigenen „Glaubensreise" ist dieses Buch, das in vielen Punkten dem Aufbau des Apostolischen Glaubensbekenntnisses aus dem 5. Jahrhundert nach Christus entspricht. Es sind Sätze, die seit Jahrhunderten den Kern des christlichen Glaubens widerspiegeln. Und es beginnt mit folgendem zentralen Satz, der die Grundlage für alle weiteren Aussagen bildet:

    Ich glaube an Gott, den Vater,

    den Allmächtigen,

    den Schöpfer des Himmels und der Erde.

    Und dabei ist schon das erste Wort entscheidend: Ich. Denn nur jeder selbst kann und muss für sich die Antworten nach Gott, Sinn und Wahrheit entdecken. Wir selbst müssen uns auf die Suche begeben, die großen Fragen des Lebens für uns zu beantworten. In den folgenden vier Kapiteln möchte ich dich daher einladen, dich mit den grundlegenden Fragen des christlichen Glaubens zu beschäftigen: Kann es einen Gott geben? Wer ist der Mensch? Wie sollen wir über Gott denken, wenn es ihn gibt?

    Jedes Kapitel ist eine kleine Episode aus dem Leben des Antiquitätenhändlers Abid und seiner Familie. Dabei knüpfen die Kapitel inhaltlich aneinander an, aber sie bilden keine fortlaufende Geschichte. Auch der Handlungsort steht nicht im Mittelpunkt. In meiner Vorstellung war es ein kleiner Ort im Kaukasus in der Mitte des 20. Jahrhunderts.

    In der Geschichte von Abid und seiner Familie finden sich einzelne Antworten auf die oben genannten Fragen, jedoch bleibt auch vieles offen. Bei der intensiven Beschäftigung mit der Bibel und mit Gott wurde mir deutlich, wie herausfordernd es ist, den Sprung des Glaubens zu wagen, wenn man nicht auf alles eine Antwort hat. Denn bei allem Forschen und Erarbeiten müssen wir immer wieder die Aussage aus 1. Korinther 13,9 bedenken:

    Denn unser Wissen ist Stückwerk, und unser Weissagen ist Stückwerk.

    Ich wünsche dir viel Freude beim Lesen der ersten Kapitel. Vielleicht sind die Texte dir eine Hilfe, dem Geheimnis von Gott auf die Spur zu kommen. Du kannst das Buch allein durcharbeiten, mit Freunden oder in einer Gruppe. Falls du dieses Buch mit einer Gruppe liest, dann empfiehlt es sich, dass alle Teilnehmer das jeweilige Kapitel vor dem Treffen lesen und in der Gruppe die Fragen zu dem Kapitel bearbeitet werden.

    Den Abschluss der ersten Einheit bildet Kapitel 4. Es besteht aus einem Bibeltext, der sich auf die vorherigen Kapitel bezieht, und dazu passenden Fragen. Dieses Kapitel ist bewusst kurz gehalten und soll dir bzw. eurer Gruppe Raum geben, die bisherigen Gedanken und Geschichten zu reflektieren. Vielleicht könnt ihr auch ein gemeinsames Essen veranstalten, bei dem ihr euch über die Fragen austauscht, denn der Glaube, die Diskussion und das Verstehen leben von der Gemeinschaft.

    Die Kapitel 1 bis 6 findest du auch als Hörproben auf der Website

    www.christiangeiss.de oder www.seelenkrieg.com

    Kapitel 1: Der verlorene Garten

    „Hamide, Liebes, bist du hier?", rief Abid mit flattriger Stimme. Mit dem Handrücken schob er den kupfernen Behälter auf seinem Schreibtisch zur Seite und legte die Feder auf das Pult.

    „Du hast nach mir gerufen, Vater?" Hamide stand nun dicht neben ihrem Vater, denn nicht nur dessen Stimme war nicht mehr so kräftig wie einst, auch seine Ohren vernahmen nicht mehr jedes Wort.

    „Gut, dass du da bist. Bring mir doch ein neues Tintenfass, dieses ist schon wieder leer."

    „Wie weit bist du denn?" Während Hamide fragte, griff sie nach dem leeren Töpfchen, ging zum Schrank in der anderen Ecke und holte einen kleinen, mit Tinte gefüllten Behälter heraus.

    „Gott ist zu groß und zu mächtig, um ihn in einzelne Worte zu fassen. Er ist so unermesslich wie das Meer und es ist einfach unmöglich, ihn in seiner ganzen Fülle zu beschreiben", sinnierte Abid über das, was ihn beschäftigte.

    Mit einem Lächeln zog Hamide einen der hölzernen Stühle heran und setzte sich neben ihren Vater. „Wenn du nicht weißt, wo du anfangen sollst, dann starte doch mit dem, wie alles begann", schlug sie ihm vor und tätschelte ihn liebevoll am Arm.

    Unter der Lampe auf Abids Schreibtisch befand sich eine aufgeschlagene Bibel. Dieses in Leder gebundene Buch war sein Ein und Alles. Falls er jemals fliehen müsste oder sein Haus und seine Heimat verlieren würde, so würde er vieles zurücklassen, aber nicht diese Worte.

    Auf seinen Reisen hatte Abid verschiedene Denker und Philosophen kennengelernt, doch keine Sicht auf diese Welt schien ihm so plausibel, so einleuchtend, so verändernd und so persönlich wie das, was er in der Heiligen Schrift, der Bibel, las.

    Mit immer noch ruhiger Hand griff er nach dem kleinen Etui, in dem er seine Lesebrille aufbewahrte. Leise klickend öffnete sich der Deckel und die runde Nickelbrille kam zum Vorschein. Genau wie diese Brille ihm verhalf, klar zu sehen, so betrachtete er die Welt und sein Leben seit einigen Jahren durch die Worte der Bibel. Diese Worte erklärten und erhellten die Welt. Die Sätze und Erzählungen, die darin für Generationen festgehalten waren, ergaben so viel Sinn. Nur in ihnen hatte Abid die Antworten auf die Fragen seines Lebens gefunden: Wer bin ich? Warum lebe ich? Wohin gehe ich?

    Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück, schlug seine Bibel auf und begann zu lesen: „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Langsam ließ er die Bibel wieder auf sein Schreibpult sinken und drehte den Globus, der nicht weit entfernt von ihm auf dem Tisch stand. In seinem Leben hatte er auf alle Kontinente seinen Fuß gesetzt. Afrikaner hatten ihn mit auf eine Löwenjagd genommen, in Südamerika war er bis zu den Galapagosinseln vorgedrungen und im Amazonasgebiet hatte er bei Einheimischen gewohnt. Diese Welt war schön – atemberaubend schön. Bei den ersten Sonnenstrahlen des Tages zu beobachten, wie Zebras durch die Savanne streifen, auf einer Bootsfahrt mit Delfinen zu tauchen oder am Gipfel eines Berges zu stehen und den Wind in den Haaren zu spüren – in all dem sah Abid Gottes Werk, seine Schöpfung. Sie war überwältigend, unvergleichlich, unbeschreiblich. „Liebes, kannst du mir bitte einen Tee holen?

    Ohne Widerworte stand Hamide auf und verschwand hinter dem Vorhang in der Küche.

    Abid löste seinen Blick vom Globus, der sich immer noch langsam bewegte, und schaute aus dem Fenster. Wie sollte er jemandem erklären, dass Gott die Welt geschaffen hatte? Er konnte Gott ja nicht beweisen. Gott stellte sich in der Bibel als derjenige vor, der größer ist als das Denken der Menschen. Er ist zeitlos und im Neuen Testament heißt es: „Gott ist Geist und die, die ihn anbeten wollen, müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten."

    Es konnte gar keinen endgültigen Gottesbeweis geben, denn Gott und sein ganzes Wesen gehörten zu einer anderen Dimension. Deswegen können wir auch nicht mit den gleichen Fragestellungen an sein Wesen herantreten, mit denen wir unserem Leben oder der Geschichte dieser Welt begegnen, überlegte Abid.

    Und auch wenn Gott nicht bewiesen werden konnte und er der ganz andere war, dann erblickte Abid ihn, wohin er auch schaute. Die Welt mit all ihrer Schönheit war nichts Abstraktes; sie war konkret, greifbar, die Wirklichkeit. Dahinter musste ein realer Schöpfer stecken. Es musste jemanden geben, der mehr war als nur eine Idee. Jemand, der selbst lebte und vielleicht sogar der Ursprung und die Quelle allen Lebens war – der Ursprung des Seins.

    Ganz so wie der große Chemiker Louis Pasteur im 19. Jahrhundert festgestellt hatte, dass das Leben immer nur aus Leben entsteht. Ein Experiment und eine wissenschaftliche Feststellung, die bis heute nicht widerlegt waren.

    Und hatten die Aussagen von Gregor Mendel, dem Vater der Genetik, keinen Bestand? Dieser großartige Augustinermönch hatte belegt, dass es zwar eine Mikro-, aber keine Makroevolution gibt, und Darwin in seinen Gedanken widersprochen.

    Abid brauchte allerdings nicht die Theorien von Mendel und Pasteur in ihrer ganzen Tragweite zu verstehen, er hatte sein Leben lang mit Tieren gearbeitet und diese Erde bereist. Die Welt veränderte sich, das stimmte, aber es gab keine Zwischenstufen bei den Tieren und auch keine Menschen, die sich auf seltsame Weise zu höheren Wesen entwickelten. Die Evolutionstheorie wirkte plausibel, aber sie lieferte keine Begründung, warum die Welt und die Arten entstanden waren.

    Und auch die neusten Gedanken, die die Evolutionstheorie belegen und stützen sollten, konnten Abid nicht überzeugen: Aufgrund der unvorstellbaren Zahl an Sonnensystemen im Universum war es eine logische Schlussfolgerung, dass es eine Konstellation von Sternen und Planeten geben muss, die Leben ermöglicht. Das war der neue Ansatz der Wissenschaft. Im ersten Moment war der Gedanke schlüssig, aber er widerlegte nicht die Theorien von Pasteur, Mendel oder den 2. Hauptsatz der Thermodynamik, der besagt, dass Chaos der „Normalzustand" ist.

    Doch alle diese Gedanken waren gefährlich, denn der Darwinismus und das Bestreiten eines Schöpfers bildeten die Grundlage für ganze Wirtschafts- und Weltsysteme. Nicht ohne Grund wurden unter Stalin die Erkenntnisse von Mendel verboten, und die Gedanken des Darwinismus und der daraus entwickelten Evolutionstheorie wurden in der Menschheit zum Sozialdarwinismus. Nur der Starke darf überleben und über das Schwache herrschen. Ein Gedankengut, das zur größten Katastrophe am Anfang des 20. Jahrhunderts geführt hatte. Eine Ideologie, die diese Welt verpestet und Abermillionen Menschen den Tod gebracht hatte.

    Abid schüttelte nachdenklich seinen Kopf. Das Wesen Gottes und seine Größe waren unergründlich, doch für ihn war der Gedanke einer Schöpfung schlüssiger als der Gedanke der Evolution und der Entstehung des Kosmos aus einem Urknall. Es gab zwar auch keine unwiderlegbaren Beweise für die Existenz Gottes, aber aus seiner Weltsicht und in seinem Menschenbild entdeckte Abid den Schöpfer der Welt auf vielerlei Weise. Mit Gott verhielt es sich aus Abids Sicht genau so wie mit seiner Tochter Hamide, die sich im Moment in der Küche befand.

    Gerade jetzt konnte er Hamide nicht sehen und er wusste trotzdem, dass sie ganz in seiner Nähe war. Einen Beweis dafür, dass sich Hamide gerade im Nachbarzimmer aufhielt, hatte er nicht – ebenso wenig wie er die Existenz Gottes beweisen konnte. Allerdings gab es Indizien: Geschirr klapperte, der Vorhang bewegte sich und es war ein leises Pfeifen zu hören. Abid müsste nur in die Küche gehen, und da stünde sie direkt vor ihm.

    So ähnlich verhielt es sich aus Abids Sicht mit der Existenz Gottes. Sie war nicht zu beweisen, aber aus seiner Sicht gab es genügend Indizien, die sein Dasein belegten: Die Schöpfung, das Gewissen eines Menschen und seine Sehnsucht nach dem Sinn des Lebens waren für Abid Indizien, dass Gott real war, und dennoch war ihm klar, dass er dies nur im Glauben erleben und begreifen konnte (vgl. Hebräer 11,3; ELB).

    Der Globus stand nun still und Abid griff nach seinem Stift. Nein, Gott beweisen könnte er nicht. Aber ebenso wenig konnte belegt werden, dass es ihn nicht gab.

    „Hier ist dein Tee. Hamide war hinter dem Vorhang hervorgetreten und kam nun mit einer dampfenden Tasse auf ihn zu. „Bist du vorwärtsgekommen?, fragte sie und reichte ihm den Tee.

    Wortlos schaute er sie an. Wie schön seine Tochter doch war. Sie hatte das dunkle Haar und die Augen ihrer Mutter. Ihr Anblick schmerzte ihn jedoch auch. Nie würde er den Tag vergessen, an dem seine Frau sterben musste. Eine Träne rollte über seine Wange und tropfte auf die offene Bibel.

    Hamide wusste, was in ihm vorging. Sie kannte diese Stunden, in denen er sich zurückzog oder einsam durch die Felder streifte.

    Auf seinen Reisen hatte Abid zwar Gottes Schöpfung gesehen und durfte Gottes Handeln in seinem Leben erfahren, aber er kannte auch den Schatten dieser Erde. Er hatte die Hungernden und Kranken gesehen, diejenigen, die ein Krieg zu Waisen gemacht oder verstümmelt hatte, und er musste immer wieder an den Tod seiner Frau denken. Manche Menschen klammerten sich in ihrem Leid an Gott, andere verwünschten ihn. Abid wusste, dass es beides gab.

    „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde." Immer und immer wieder murmelte er diese Worte vor sich hin.

    Offenbar wollte die Bibel überhaupt keine Antwort darauf geben, wie die Menschen den Gedanken von Gottes ewiger Existenz begreifen können, und die Bibel gab auch keine Antwort auf den Ursprung des Bösen. Es ging in diesem Buch um Gott und seine Geschichte mit den Menschen und dieser Welt.

    Noch einmal stieß Abid mit seinen Fingern an den Globus und schaute zu, wie dieser sich um die eigene Achse drehte. „Gott hat die Welt erschaffen, doch wozu?", fragte er sich und blickte auf die Kontinente, die von Menschen bevölkert und bebaut wurden.

    Abid wusste, dass Gott in der Bibel von Beginn an als der dreieinige Gott dargestellt wurde. Er brauchte die Welt nicht als Gegenüber. Doch was konnte dann das Ziel der Schöpfung sein? Alle Lösungsversuche auf diese Frage waren sehr abstrakt, aber die möglichen Antworten würden alle weiteren Gedankengänge beeinflussen.

    Der Mensch und die Erde wurden zum Lobpreis Gottes erschaffen. Wie das Sternenmeer und die Heerscharen der Himmel. Alle Schöpfung verherrlichte Gottes Größe und war ein Ausdruck seiner Allmacht und Herrlichkeit. Diese Zeilen notierte sich Abid als eine mögliche Antwort auf diese philosophische Frage (vgl. Epheser 1, 11 – 12).

    Abids Blick wanderte über die Verse der Bibel und er saugte die Worte in sich auf. „So schuf Gott den Menschen als sein Abbild, ja, als Gottes Ebenbild; und er schuf sie als Mann und Frau" (1. Mose 1,27; Hfa). Abids Gelenke knirschten und knackten, als er sich erhob, und er merkte, dass nicht nur seine Haut, sondern ebenfalls seine Knochen älter wurden. Aber auch wenn das Gehen ihm immer schwerer fiel, noch konnte er alle Dinge ohne fremde Hilfe verrichten.

    „Wohin willst du denn?" Hamide stellte sich neben ihren Vater, zog seinen Stuhl zurück und hakte sich bei ihm ein.

    „Ich muss mich ein wenig bewegen, das hilft meinem Kopf, klarer zu denken." Durch die Jahre der Wanderschaft und Reisen hatte sich der Raum mit allem Möglichen gefüllt und der Platz zum Gehen beschränkte sich nun auf einen schmalen Weg, der durch die Erinnerungen seines Lebens führte. Jeder einzelne Gegenstand erzählte eine Geschichte. Mit jeder Lampe, Vase oder gar dem großen Wandteppich neben dem Fenster verband Abid etwas ganz Besonderes. Dann hielt er auf der Reise durch seine Vergangenheit an. Das, wovor er stand, schien eigentlich nichts Besonderes zu sein. Einem Besucher wäre es zwischen all diesen Kostbarkeiten vielleicht überhaupt nicht aufgefallen. Der matte Rahmen mit dem geraden Rand stach einem nicht direkt ins Auge. Verglichen mit allem anderen machte er einen unscheinbaren Eindruck. Vorsichtig griff Abid nach dem verstaubten Teil auf dem Boden und hob den Spiegel hoch, den er einst von einer Reise nach Indien mitgebracht hatte. „Der Mensch als Ebenbild Gottes und als sein Stellvertreter auf der Erde," wiederholte Abid den letzten Gedanken, den er eben in seiner Bibel gelesen hatte (vgl. Psalm 8).

    Oberflächlich betrachtet schien der Mensch doch nicht mehr zu sein als ein Tier. Er wird geboren, wächst auf, altert und stirbt. Andererseits ist er den Tieren weit überlegen. Menschen können selbst Dinge erschaffen und sie besitzen ein Gewissen. Nur der Mensch ist unter den Geschöpfen in der Lage, die Erde zu bebauen und zu bewahren. Wer oder was ist der Mensch? Was macht ihn so einzigartig?, überlegte Abid. Einerseits reine Materie und automatisch ablaufende chemische Prozesse und andererseits auf rätselhafte Art und Weise ein Wesen mit Gewissen, Bewusstsein und Persönlichkeit: ein Ebenbild Gottes.

    Als Abids Gesicht auf der Glasfläche erschien, verwandelte sich der einfache Spiegel in den wertvollsten Gegenstand des Raumes.

    Ohne weiter sein Spiegelbild zu betrachten, ging Abid zurück zu seinem Schreibpult. Diese Gedanken musste er unbedingt niederschreiben. Kratzend bewegte sich die Schreibfeder über das Papier: Gott hat den Menschen als sein Gegenüber geschaffen. Als jemanden, der etwas gemeinsam hat mit dem Schöpfer selbst. Wir sind keine Maschinen und auch keine Tiere. Wie Gott sind wir Person und können selbst Dinge erschaffen. Ja, viel mehr noch, wir dürfen tätig sein und eigene Entscheidungen treffen.

    Abid schaute auf seine Hand und die Bibel, die vor ihm auf dem Schreibpult lag. Vor seinem geistigen Auge konnte er sehen, wie Adam und Eva einst im Garten Eden lebten, hineingestellt in eine Beziehung mit Gott. Sie wussten, wer sie waren und wozu sie lebten. Ihr Leben war auf ihn, den Herrn aller Dinge, ausgerichtet. Es musste wunderbar gewesen sein und unvergleichlich, paradiesisch, denn am Anfang war alles sehr gut.

    Wie mochte wohl diese Liebe zwischen Gott und Mensch gewesen sein? Verträumt schaute Abid zu seiner Tochter, die in diesem Moment aus der Küche kam. Er liebte sie und würde alles für sie opfern. Doch gleichzeitig würde er ihr auch die Freiheit lassen, die sie brauchte. Denn Liebe bedeutet keinen Zwang. Liebe bedeutet Freiheit. Sie bedeutet, das Beste für den anderen zu wollen, ohne ihn zu einer Marionette zu machen.

    In ihrer Hand balancierte Hamide das Geschirr und steuerte damit auf den Eckschrank neben der Sitzecke zu. Diesen Weg war sie schon so oft gegangen, dass sie ihn sicher auch im Schlaf finden würde. Noch nie hatte sie sich dabei gestoßen oder war aus dem Gleichgewicht gekommen – aber diesmal passierte es. Ihr Fuß verhakte sich in dem Läufer, der auf dem Boden lag, sie stolperte und die Teller glitten ihr aus der Hand. Klirrend und laut brach das Service auseinander und die Scherben verteilten sich über den Fußboden. Was einst so gut ausgesehen hatte, lag nun in Scherben.

    Abid schaute traurig auf die zerbrochenen Teller und ging dann zu Hamide und half ihr, die Einzelteile einzusammeln. Stück für Stück legten beide die Überreste zusammen, und als die letzte Scherbe vom Boden aufgelesen war, verstand Abid, was vor langer Zeit geschehen sein musste.

    Damals im Garten Eden zerbrach viel mehr als nur Geschirr. Genau wie bei seiner Tochter hatte etwas – oder jemand – Adam und Eva zum Stolpern gebracht.

    Der Mensch hatte einen Willen, mit dem er sich für oder gegen Gott entscheiden konnte, doch von alleine hätte er sich nie von seinem Schöpfer abgewendet. Im Paradies lauerte einer, der nur darauf wartete, diese Beziehung zu zerstören. Einer, der selbst einmal in der Gegenwart Gottes gelebt und sich dann gegen Gott gestellt hatte. Mit geschickten Fragen brachte er die Menschen zum Fallen, und eine durch die Lügen des Bösen eingefädelte Entscheidung brachte Adam und Eva zum Stolpern; die Beziehung zu ihrem Schöpfer zerbrach.

    In dem Moment, als die Menschen gegen die Anweisung Gottes handelten, brach die schlimmste Tragödie über die Menschheit herein. Der Kosmos, die Welt und der Mensch wurden beschädigt. Wie ein Scherbenhaufen lag die einst perfekte Beziehung in Trümmern und der Tod betrat diese Welt (vgl. Epheser 2,1 – 3).

    Abid wusste, dass die Erzählung aus 1. Mose 3 eine der ältesten Erzählungen der Menschheit war. Aufgeschrieben und weitergegeben, um von dem zu berichten, was einst geschehen war. Viele weise Menschen hatten über Jahrtausende über diesen Text gegrübelt und immer wieder neue Sichtweisen dargelegt. Denn wie sollten diese Geschichten nur verstanden werden? Ein Text, der von seiner Textgattung als Poesie oder poetischer Hymnus zu verstehen war, konnte ja wohl kaum historische Tatsachen wiedergeben. Jedoch sprachen sowohl die Geschlechtsregister als auch andere Stellen im Neuen Testament dafür, die Erzählungen in den ersten Kapiteln der Bibel als tatsächlich geschehene Ereignisse zu betrachten (vgl. Matthäus 24,38 und 2. Petrus 2,5). Hier könnten nie alle Fragen beantworten werden, und dennoch hatten diese Texte eine Bedeutung für das Leben, dessen war sich Abid sicher.

    Tagelang hatte Abid über die ersten Kapitel der Bibel nachgedacht und theologische Bücher studiert, denn die beiden Bäume im Garten Eden und der daraus resultierende Sündenfall wirkten für den, der den Glauben an Gott suchte, verstörend. Was war das für ein sadistischer Gott, der einen verbotenen Baum in das Paradies stellte?

    Wie so oft fand Abid in der Fülle der theologischen Aussagen nur spärliche Antworten auf das Mysterium, das ihn hier beschäftigte: Vielleicht musste es die Bäume geben, damit Adam und Eva erkannten, dass sie trotz der Krone der Schöpfung nicht die Schöpfer waren und sie sich dem ewigen Gott unterzuordnen hatten. Oder möglicherweise waren die Bäume der Weg, auf dem Gott seiner Schöpfung ermöglichte, ihm ihre Liebe und Treue zu zeigen: Indem sie das eine Gebot hielten, drückten sie ihre Liebe und Treue zu Gott aus. Durch diese Sichtweisen waren die Bäume weder als Versuchung zu sehen noch als Verführung und auf keinen Fall sadistisch.

    Abid merkte jedoch, dass er an dieser und vielen anderen theologischen Fragen zerbrechen könnte, je länger er sich mit ihnen beschäftigte. Er musste hier mit offengebliebenen Fragen leben, ihm blieb keine andere Wahl. Deswegen hielt er sich an das, was er von Gottes Wesen begriffen hatte, und klammerte sich an die spärlichen Antworten, die er im Gesamtzusammenhang der Bibel zu diesem Thema entdeckte.

    Bis zum „Sündenfall" war die Schöpfung der Welt sehr gut. Alles war perfekt und in einer absoluten Harmonie. Doch als der Mensch den Lügen des Teufels glaubte, bahnte sich das Chaos seinen Weg. Auf eine listige Weise stellte die Schlange die Aussagen Gottes infrage und suggerierte dem Menschen, dass Gott ihm etwas vorenthielt.

    Die beiden Bäume im Garten waren der Baum der Erkenntnis und der Baum des Lebens, notierte sich Abid. Erkenntnis in seiner ganzen Tiefe und das Leben in seiner vollen Fülle. Abid legte den Stift beiseite, als er allmählich begriff, was Gott dem Menschen im Garten versagte und was ihm nicht zustand zu begehren: Es war die Gottgleichheit. Das war es, was sich vielleicht hinter diesem Bild der beiden Bäume verbarg. Denn in Jesus liegen verborgen alle Schätze der Erkenntnis und der Weisheit (vgl. Kolosser 2,3), und Jesus sagte von sich, dass er das Leben ist (vgl. Johannes 14,6).

    Wegen der Verführung durch den Teufel wollte der Mensch nicht mehr, als selbst Gott zu sein. Er griff nach den Sternen und stürzte in die Tiefe. Der Teufel raubte den Glauben an Gott und versprach dabei das Leben – doch der Tod war die Konsequenz.

    Später gab es immer wieder Versuche, die Trennung zwischen Gott und dem Menschen nicht als Verlust, sondern als etwas Positives oder eine Befreiung zu deuten. Der kindliche Mensch emanzipierte sich von dem großen Gott-Vater. Und der Mensch musste sich doch von Gott befreien, denn Freiheit ist das höchste Gut. So dachten die Philosophen und Denker der Aufklärung um das Jahr 1790.

    Verstohlen schmunzelte Abid und blickte zu seiner Bibel. Die Kapitel 4 bis 11 im 1. Mosebuch beschreiben die Urgeschichte der Welt nach der Trennung von Gott. Eine Geschichte der Zerstörung, die sich

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