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30 Jahre Krieg: Amerikas Griff nach der Weltherrschaft 1990 – 2020
30 Jahre Krieg: Amerikas Griff nach der Weltherrschaft 1990 – 2020
30 Jahre Krieg: Amerikas Griff nach der Weltherrschaft 1990 – 2020
eBook930 Seiten11 Stunden

30 Jahre Krieg: Amerikas Griff nach der Weltherrschaft 1990 – 2020

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Über dieses E-Book

Seit dem ersten Golfkrieg der Jahre 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Die Ziele ihrer Interventionen im Nahen Osten, Zentralasien und Afrika und ihrer Konfrontation mit Russland und China verschleierten sie lange mithilfe von Schlagworten wie „Verteidigung der Menschenrechte“ und „Krieg gegen den Terror“. In Wirklichkeit streben die USA nach der Weltherrschaft. Um ihrer wirtschaftlichen Schwäche und den extremen sozialen Spannungen im Innern entgegenzuwirken, riskiert die amerikanische herrschende Klasse einen Weltkrieg zwischen Atommächten.
Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus werden die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre in diesem Band nicht als Abfolge isolierter Vorfälle, sondern als Entfaltung eines umfassenderen historischen Prozesses analysiert.
SpracheDeutsch
HerausgeberMEHRING Verlag
Erscheinungsdatum1. Dez. 2020
ISBN9783886348428
30 Jahre Krieg: Amerikas Griff nach der Weltherrschaft 1990 – 2020
Autor

David North

David North nimmt seit 45 Jahren eine führende Stellung in der internationalen sozialistischen Bewegung ein. Derzeit ist der Vorsitzender der internationalen Redaktion der „World Socialist Web Site“ und der Socialist Equality Party in den USA. Er hat zahlreiche andere Bücher veröffentlicht, darunter „Das Erbe, das wir verteidigen“, „Amerikas Demokratie in der Krise“, „Verteidigung Leo Trotzkis“, „Die Russische Revolution und das unvollendete Zwanzigste Jahrhundert“ und „Die Frankfurter Schule, die Postmoderne und die Politik der Pseudolinken“.

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    Buchvorschau

    30 Jahre Krieg - David North

    Verlag

    Zum Autor

    David North nimmt seit 45 Jahren eine führende Stellung in der internationalen sozialistischen Bewegung ein. Derzeit ist er Vorsitzender der internationalen Redaktion der »World Socialist Web Site« und der Socialist Equality Party in den USA. Er hat zahlreiche Bücher veröffentlicht, darunter »Das Erbe, das wir verteidigen«, »Amerikas Demokratie in der Krise«, »Verteidigung Leo Trotzkis«, »Die Russische Revolution und das unvollendete Zwanzigste Jahrhundert« und »Die Frankfurter Schule, die Postmoderne und die Politik der Pseudolinken«.

    Inhalt

    Zum Autor

    Vorwort zur deutschen Ausgabe

    Vorwort

    Zur Gliederung dieses Bands

    Teil 1: Der Erste Irakkrieg 1990–1991

    August 1990: Am Vorabend des Ersten Irakkriegs der USA

    Warum die USA auf den Irakkrieg setzen

    Eine Einschätzung des Ersten Irakkriegs

    Gegen imperialistischen Krieg und Kolonialismus!

    Teil 2: Der Kosovokrieg 1999

    Hinter der Propaganda: Warum bombardieren die USA Serbien?

    Heuchlerische »Menschenrechtspolitik«

    Die USA und die ethnischen Säuberungen: Der Fall Kroatien

    Brief an einen Unterstützer der Bombardierung Serbiens

    Menschenrechte oder imperialistische Bestrebungen: Ein Briefwechsel mit Professor William Keylor

    Weltmacht, Öl und Gold

    Historische, politische und wirtschaftliche Hintergründe des Kriegs auf dem Balkan

    Nach dem Blutbad: Politische Lehren aus dem Balkankrieg

    Teil 3: Die Anschläge vom 11. September 2001 und die Kriege der Bush-Regierung in Afghanistan und Irak

    Die politischen Wurzeln von 9 / 11

    Anti-Amerikanismus: Der »Anti-Imperialismus« von Dummköpfen

    Politische Reaktion und theoretischer Bluff: Eine Antwort an sechzig Akademiker

    Der Mord an Daniel Pearl

    Vom Präventivkrieg zur Weltherrschaft

    Wie soll man sich gegenüber Amerika verhalten? Das Dilemma Europas

    Ein kriminelles Unterfangen: Der Zweite Irakkrieg beginnt

    Blind ins Verderben

    Krieg, Oligarchie und politische Lügen

    Der Irak und die US-Wahlen 2004

    Die Vereinigten Staaten, Kriegsverbrechen und der Nürnberger Präzedenzfall

    Der Marxismus und die Wissenschaft der politischen Perspektive

    Erster Mai 2005: 60 Jahre seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs

    Bush verurteilt das Jalta-Abkommen von 1945

    Der vergessliche Thomas Friedman

    Gipfel oder Abgrund?

    Fünf Jahre seit dem 11. September 2001: Eine politische Bilanz

    Teil 4: Obamas Kriege 2009–2016

    Apologeten der Vergewaltigung Libyens: Der Fall des Professors Juan Cole

    Die International Socialist Organization und die imperialistische Kriegstreiberei gegen Syrien

    Warum die USA Krieg gegen Syrien führen

    Der Stellvertreterkrieg in Syrien

    Erneuert die revolutionären Traditionen des Maifeiertags!

    Die Krise des Kapitalismus und der Kampf für sozialistischen Internationalismus

    1914–2014: 100 Jahre seit dem Attentat von Sarajevo

    Sozialismus und der Kampf gegen Krieg

    Eine moderne Antikriegsstrategie

    Teil 5: US-Militarismus im Zeitalter Trumps

    Philosophie und Politik in Zeiten von Krieg und Revolution

    Der Maifeiertag 2018 und der 200. Geburtstag von Karl Marx

    80 Jahre Vierte Internationale: Die Lehren aus der Geschichte und der Kampf für den Sozialismus heute

    Die Strategie des internationalen Klassenkampfs und der politische Kampf gegen die kapitalistische Reaktion im Jahr 2019

    Das Jahrzehnt der sozialistischen Revolution ist angebrochen

    US-Propaganda-Maschine rechtfertigt Mord an Qassim Soleimani

    Trump spielt auf Zeit, aber die Kriegsvorbereitungen gegen den Iran gehen weiter

    Die Covid-19-Pandemie: Auslöser welthistorischer Veränderungen

    Anhang: Sozialismus und der Kampf gegen Krieg

    Impressum

    Ebenfalls im Mehring Verlag erschienen

    Vorwort zur deutschen Ausgabe

    Die Aktualität und Dringlichkeit des vorliegenden Buchs ergeben sich bereits aus seinem Titel. Nach drei Jahrzehnten US-geführter Kriege ist ein dritter, diesmal mit Atomwaffen ausgefochtener Weltkrieg eine unmittelbare und konkrete Gefahr. Unter der Präsidentschaft Donald Trumps haben sich die Kriegsvorbereitungen der USA gegen den Iran, Russland und China dramatisch zugespitzt. Die Covid-19-Pandemie hat diese Entwicklung zusätzlich beschleunigt. Auch alle anderen imperialistischen Mächte, allen voran Deutschland, rüsten massiv auf und bereiten sich auf eine kriegerische Neuaufteilung der Welt vor.

    Das Internationale Komitee der Vierten Internationale (IKVI), in dem David North seit über vier Jahrzehnten eine führende Rolle spielt, hat diese Entwicklung vorhergesehen. Die Auflösung der Sowjetunion durch die stalinistische Bürokratie läutete nicht das »Ende der Geschichte« ein, sondern eine neue Periode von militärischen Konflikten. Wer nach den Katastrophen des 20. Jahrhunderts einen Rückfall in Weltkrieg und Barbarei verhindern will, wird in diesem Buch die notwendige Orientierung finden. Gestützt auf ein klares Verständnis der Kriege der vergangenen drei Jahrzehnte und der ihnen zugrundeliegenden sozioökonomischen und politischen Prozesse entwickelt es eine sozialistische Perspektive für den Kampf gegen Krieg.

    Schon vor der offiziellen Auflösung der Sowjetunion durch die stalinistische Bürokratie hatten die USA im Winter 1990 / 1991 den ersten Einmarsch in den Irak organisiert. In einem nächsten Schritt trieben sie – mit der tatkräftigen Unterstützung Deutschlands – die Aufspaltung Jugoslawiens voran. Das Ergebnis war der blutige Bürgerkrieg auf dem Balkan, der 1999 im NATO-Krieg gegen Serbien gipfelte. Die Anschläge vom 11. September 2001 lieferten dann den Vorwand für den sogenannten »Krieg gegen den Terror« und die völkerrechtswidrigen Überfälle auf Afghanistan und den Irak. Unter der Präsidentschaft von Barack Obama folgten das NATO-Bombardement Libyens und der brutale Regimewechselkrieg in Syrien, die weitere Hunderttausende Menschenleben gekostet haben.

    Mittlerweile ist klar, dass »Krieg gegen den Terror«, »Vernichtung von Massenvernichtungswaffen«, »humanitäre Interventionen« und ähnliche Phrasen Propagandalügen waren, mit denen der US-Imperialismus neokoloniale Eroberungsfeldzüge und den Griff nach der Weltherrschaft rechtfertigte. Die aktuelle National Defense Strategy der USA aus dem Jahr 2018 erklärt die fast zwei Jahrzehnte währende Konzentration des US-Militärs auf den »globalen Krieg gegen den Terrorismus« für beendet. An seine Stelle tritt die strategische Ausrichtung auf die »Konkurrenz zwischen den Großmächten«. Die neue Doktrin spricht den eigentlichen Zweck der US-Kriegspolitik offen aus: die Verteidigung der Vormachtstellung des amerikanischen Imperialismus.

    Die deutsche Ausgabe dieses Buchs ergänzt die 2016 unter dem Titel »A Quarter Century of War« erschienene amerikanische Ausgabe um das Kapitel »US-Militarismus im Zeitalter Trumps«. David North geht darin nicht nur auf die Provokationen und Kriegsvorbereitungen des US-Imperialismus gegen China, Russland und Iran ein, er zeigt auch auf, dass der Gangster im Weißen Haus nicht einfach wie das sprichwörtliche Böse in den paradiesischen Garten Eden der USA eingedrungen ist. Er ist vielmehr die Verkörperung einer heruntergekommenen und brutalisierten herrschenden Klasse, die symptomatisch für die historische Krise des kapitalistischen Systems steht. Trumps Politik ist weniger ein Bruch mit, als die Fortführung der Politik seiner Republikanischen und Demokratischen Vorgänger.

    Der abschließende Text des fünften Teils, ein Beitrag zur Online-Maikundgebung des IKVIs, befasst sich mit den welthistorischen Auswirkungen der Covid-19-Pandemie. Der Autor bezeichnet sie als »auslösendes Ereignis« und vergleicht sie mit der Ermordung des österreichischen Thronfolgers Franz Ferdinand am Vorabend des Ersten Weltkriegs:

    Das Attentat beschleunigte den historischen Prozess, aber es entfaltete seine Wirkung aufgrund bereits bestehender, höchst explosiver sozioökonomischer und politischer Gegebenheiten. Dasselbe gilt für die Pandemie.¹

    Die herrschende Klasse hat auf die Pandemie mit einer Verschärfung der sozialen Konterrevolution und der inneren und äußeren Aufrüstung reagiert, die sie schon während der vergangenen drei Jahrzehnte verfolgte. Unter dem Deckmantel sogenannter »Corona-Rettungspakete« hat sie die größte Umverteilung von unten nach oben in der Geschichte organisiert. Quasi über Nacht wurden Billionen auf die Konten der Banken, Großkonzerne und Superreichen transferiert, die nun wieder aus der Arbeiterklasse herausgepresst werden. Das ist der Grund für die rücksichtslose »Zurück an die Arbeit«-Offensive und die tödliche Strategie der Herdenimmunität, die weltweit bereits zu über einer Million Corona-Toten geführt hat, davon mehr als 200 000 in den USA.

    Auf die wachsende Opposition gegen die tödliche Öffnungspolitik, die soziale Ungleichheit und den Militarismus reagiert die herrschende Klasse wie in den 1930er Jahren auf der ganzen Welt mit einer Hinwendung zu Autoritarismus und Faschismus. Anders als damals Hitler verfügt sie über keine faschistische Massenbewegung, aber sie versucht systematisch, eine solche aufzubauen. Am deutlichsten zeigt sich das in den USA. Trump mobilisiert gezielt faschistische Milizen und droht im Fall seiner Wahlniederlage mit einem Staatsstreich.

    Seine historisch-marxistische Herangehensweise macht die Stärke dieses Buchs aus. Es fasst»die Ereignisse nicht als Abfolge isolierter Vorfälle, sondern als Entfaltung eines umfassenderen historischen Prozesses auf«, wie der Autor im Vorwort schreibt:

    Die Kriege, die im letzten Vierteljahrhundert von den USA angezettelt wurden, müssen als Kette zusammenhängender Ereignisse aufgefasst werden. Die strategische Logik des Weltmachtstrebens der USA geht über neokoloniale Operationen im Nahen Osten und Afrika hinaus. Die laufenden regionalen Kriege sind zusammengehörige Elemente einer rasch eskalierenden Konfrontation der USA mit Russland und China.²

    Die in diesem Buch gesammelten Analysen, Kommentare, Erklärungen und Vorträge sind nicht vom Standpunkt des passiven Beobachters geschrieben. Sie sind das Ergebnis des aktiven Kampfs der trotzkistischen Bewegung gegen Imperialismus und Krieg während der letzten drei Jahrzehnte. Vor allem der Beitrag »Der Marxismus und die Wissenschaft der politischen Perspektive« erklärt und entwickelt die marxistische Methode, die diesem Buch zugrunde liegt und auf die sich alle großen Marxisten des 20. Jahrhunderts – allen voran Lenin und Trotzki – in ihrem Kampf gegen Kapitalismus und Krieg gestützt haben. Der Autor betont, dass die Tätigkeit der revolutionären Partei nicht einfach vom subjektiven Willen, sondern »von einer korrekten Einschätzung der grundlegenden sozioökonomischen Entwicklungstendenzen im Weltmaßstab« ausgehen muss.

    Die politische Perspektive unserer Partei geht nicht von subjektiv motivierten Hoffnungen und Wünschen aus. Marxisten stellen sich die Revolution weder als Strafe für die Übeltaten der Kapitalisten noch als Belohnung für ihre eigenen, selbstlosen Bemühungen zur Überwindung der Armut vor. Die Perspektiven der revolutionären Partei müssen aus einer Analyse der realen, objektiven Widersprüche der kapitalistischen Produktionsweise abgeleitet werden.³

    Auf dieser Grundlage war das IKVI die einzige Tendenz, die vor 30 Jahren eine korrekte Einschätzung des damaligen politischen Umbruchs hatte. Besonders beeindruckend ist in dieser Hinsicht das Manifest »Gegen imperialistischen Krieg und Kolonialismus!«, das am 1. Mai 1991 – und damit nur wenige Monate vor der offiziellen Auflösung der Sowjetunion – erschien. Es betont, dass der Zusammenbruch der stalinistischen Regime »nicht das Scheitern des Marxismus, sondern seine größte Bestätigung« bedeute. Die Kollaboration des Kreml beim Überfall auf den Irak sei der »historische Höhepunkt der konterrevolutionären Rolle, die der Stalinismus seit mehr als einem halben Jahrhundert in der Sowjetunion und international spielt«.

    Das Manifest fasst zusammen, wie sich die Sowjetbürokratie, ausgehend von Stalins reaktionärer Theorie vom »Sozialismus in einem Land«, immer offener in eine Agentur des Imperialismus verwandelte, die der Arbeiterklasse zunächst – wie in Deutschland 1933 – fatale Niederlagen beibrachte und dann in den Moskauer Prozessen zu offenem Terror gegen sie überging und ihre sozialistische Vorhut sowie nahezu die gesamte marxistische Intelligenz liquidierte. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte der Kreml unter dem Deckmantel der »friedlichen Koexistenz« und später von Gorbatschows Perestroika und Glasnost seinen konterrevolutionären Kurs fort und führte schließlich den Kapitalismus wieder ein. Damit bestätigte sich die Warnung, die Trotzki bereits Mitte der 1930er Jahre geäußert hatte, dass die Arbeiterklasse entweder die stalinistische Bürokratie stürzen oder diese die Sowjetunion zerstören werde.

    Das Manifest nahm die Entwicklungen der letzten drei Jahrzehnte vorweg. Es sagt voraus, dass die Einführung der »Marktwirtschaft« nicht nur einen dramatischen Niedergang des sozialen und kulturellen Niveaus zur Folge haben, sondern auch zur Ausbeutung und Zerstückelung des riesigen Landes durch den Imperialismus führen werde.

    Gestützt auf die Komplizenschaft des Kreml fordert der Imperialismus immer dreister das Recht, die Kontrolle über weite Gebiete der UdSSR zu übernehmen. Die Imperialisten können unmöglich die wirtschaftliche Bedeutung der Rohstoffe, der gewaltigen Produktionsmöglichkeiten und der riesigen Märkte der Sowjetunion ignorieren. Die Zukunft der UdSSR spielt, ebenso wie die Osteuropas, schon jetzt eine wachsende Rolle in den Kalkulationen und Rivalitäten der imperialistischen Mächte.

    Bereits damals brach der historische Konflikt zwischen Deutschland und den USA wieder auf, die sich im vergangenen Jahrhundert in zwei Weltkriegen gegenübergestanden hatten.

    Die europäischen … Imperialisten haben nicht die Absicht, ihr Schicksal in den Händen der Vereinigten Staaten zu belassen. Nach dem Krieg [gegen den Irak] begannen die Europäer, ihre eigene »schnelle Eingreiftruppe« aufzubauen, und zwar unabhängig von der NATO-Struktur, in der die Vereinigten Staaten nach wie vor die führende Rolle spielen. Die deutsche herrschende Klasse machte klar, dass sie im 21. Jahrhundert ihre Weltposition nicht länger von ihrer militärischen Niederlage in der Mitte des 20. Jahrhunderts bestimmen lassen will.

    30 Jahre nach der Wiedervereinigung auf kapitalistischer Grundlage ist die Propaganda von einem neuen, demokratischen und friedlichen Deutschland verflogen. Vor dem Hintergrund der tiefsten wirtschaftlichen und sozialen Krise seit den 1930er Jahren und wachsenden Spannungen zwischen den Großmächten setzt die herrschende Klasse wie am Vorabend des Ersten und Zweiten Weltkriegs wieder offen auf Militarismus und Krieg. Mit der AfD hat sie eine faschistische Partei aufgebaut, um ihre reaktionäre Politik gegen den wachsenden Widerstand der Bevölkerung durchzusetzen.

    Die Pläne der Großen Koalition, Europa zur außenpolitischen Militär- und Großmacht zu entwickeln, erinnern an die Hybris der Nazis. Im September veröffentlichte das Auswärtige Amt offizielle »Leitlinien zum Indo-Pazifik«, in denen es heißt: »Der Himalaya und die Straße von Malakka mögen weit entfernt scheinen. Aber unser Wohlstand und unser geopolitischer Einfluss in den kommenden Jahrzehnten beruhen gerade auch darauf, wie wir mit den Staaten des Indo-Pazifiks zusammenarbeiten.« Als global agierende Handelsnation dürfe Deutschland sich dort auch in militärischer Hinsicht »nicht mit einer Zuschauerrolle begnügen«.

    Die deutschen Weltmachtpläne, die sich nicht nur gegen Russland und China, sondern auch zunehmend gegen die USA richten, werden von allen Bundestagsparteien unterstützt – auch von den nominell linken. »Die EU muss weltpolitikfähig werden«, heißt es im neuen Grundsatzprogrammentwurf der Grünen. Auch die Linkspartei agitiert für eine deutsch-europäische Großmachtpolitik. »Die USA werden sich dann daran gewöhnen müssen, dass die kleineren bis mittelgroßen Staaten in Europa durch die EU ein weltpolitischer Faktor werden«, erklärte ihr außenpolitischer Sprecher Gregor Gysi. »Das Neue an der künftigen Weltordnung« sei: »Europa wird selbständiger agieren. Und Washington wird das akzeptieren müssen.«

    Ein wichtiger Bestandteil des Buchs sind die scharfen Polemiken gegen kleinbürgerliche Akademiker, Politiker und Organisationen, die sich einst an antiimperialistischen Protesten beteiligt hatten und heute eine führende Rolle in der Kriegspolitik spielen. Der Text »Nach dem Blutbad: Politische Lehren aus dem Balkankrieg«erklärt den sozialen Hintergrund dieser Entwicklung:

    Seit dem Börsenboom, der Anfang der 1980er Jahre einsetzte, haben sich die gesellschaftlichen Strukturen und Klassenbeziehungen in den kapitalistischen Ländern stark verändert. Ständig steigende Aktienkurse und insbesondere deren Explosion seit 1995 haben einem bedeutenden Teil der Mittelschicht, vor allem im akademischen Milieu, einen Reichtum beschert, den sie sich zu Beginn ihrer Karriere nie hätten träumen lassen.

    Gemeint sind Figuren wie Joschka Fischer. Der einstige anarchistische Straßenkämpfer führte Deutschland 1998 als grüner Außenminister in den ersten Kriegseinsatz seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Heute ist er – wie so viele andere ehemalige Pazifisten, Stalinisten und »linke« Sozialdemokraten – Multimillionär und lebt in einer Villa im Berliner Nobelviertel Dahlem. Er verdingt sich als Lobbyist an Großkonzerne und kassiert Redeentgelte im höheren fünfstelligen Bereich. Die wohlhabenden Mittelschichten, die die soziale Basis der Grünen bilden, reagieren auf die extreme soziale Polarisierung und die eskalierenden Konflikte zwischen den imperialistischen Mächten mit einem scharfen Rechtsruck und bilden die neue soziale Stütze für Militarismus und Diktatur.

    North setzt sich auch ausführlich mit den antimarxistischen Theorien auseinander, auf die sich die Grünen und zahlreiche pseudolinke Tendenzen – wie die Linkspartei, Syriza in Griechenland und Podemos in Spanien – berufen, die eine wichtige Stütze des Imperialismus bilden. Der Vortrag »Philosophie und Politik in Zeiten von Krieg und Revolution«, den David North am 22. Oktober 2016 an der Frankfurter Goethe-Universität gehalten hat, ist eine vernichtende Kritik der Theorien der Frankfurter Schule und der Postmoderne vom Standpunkt des Marxismus. Die Verteidigung des historischen Materialismus gegen alle Spielarten des subjektiven Idealismus und Irrationalismus hat das IKVI in die Lage versetzt, die politische Lage so präzise zu verstehen und vorauszusehen, wie es in diesem Buch zum Ausdruck kommt.

    Die wichtigste Veränderung im Zeitalter Trumps ist die internationale Rückkehr des Klassenkampfs. 2019 kam es in zahlreichen Ländern zu Massenprotesten und Streiks – von Mexiko, Puerto Rico, Ecuador, Kolumbien, Chile, über Frankreich, Spanien, Algerien und Großbritannien bis zum Libanon, Irak, Iran, Sudan, Kenia, Südafrika, Indien und Hongkong gingen die Menschen auf die Straße. In den USA gab es den ersten nationalen Streik der Autoarbeiter seit mehr als vierzig Jahren. 2020 fanden als Reaktion auf eine Welle von Polizeimorden die größten Massenproteste in der amerikanischen Geschichte statt. Sie kamen mit Streiks und Protesten von Arbeitern, Studenten und Schülern zusammen, die sich gegen die mörderische Kampagne der herrschenden Klasse zur Rückkehr in die Fabriken, Universitäten und Schulen zur Wehr setzen.

    Das bedeutendste Merkmal dieser Kämpfe ist ihr internationaler Charakter. Sie entwickeln sich zunehmend außerhalb und im Konflikt mit den Parteien und Gewerkschaften, die einst vorgaben, die Arbeiter zu vertreten.

    Auf diese mächtige revolutionäre Kraft muss sich der Kampf gegen Krieg stützen. Mehrere Beiträge im fünften Teil konzentrieren sich auf diese Frage und entwickeln die politischen, theoretischen und historischen Grundlagen, die eine internationale Bewegung der Arbeiterklasse gegen Krieg anleiten müssen. Sie weisen nach, dass eine solche Bewegung gegen Krieg antikapitalistisch und sozialistisch sein muss, weil man nicht ernsthaft gegen Krieg kämpfen kann, ohne seine Ursache zu beseitigen und dem kapitalistischen Wirtschaftssystem und der Diktatur des Finanzkapitals ein Ende zu setzen.

    Den Anhang der deutschen Ausgabe bildet die Erklärung »Sozialismus und der Kampf gegen Krieg«, die das Internationale Komitee der Vierten Internationale am 27. Februar 2016 veröffentlicht hat. Das IKVI und seine Sektionen – in Deutschland die Sozialistische Gleichheitspartei – kämpfen dafür, die internationale Arbeiterklasse mit einem sozialistischen Programm zu bewaffnen. Die Gefahr eines vernichtenden dritten Weltkriegs kann nur durch eine unabhängige Massenbewegung gegen das kapitalistische System und den weltweiten Kampf für Arbeiterregierungen gestoppt werden. Sie muss sich auf die historischen Prinzipien und Perspektiven der marxistischen Bewegung stützen, die in diesem Buch verteidigt und entwickelt werden.

    Johannes Stern

    25. September 2020

    Berlin

    Anmerkung zur deutschen Ausgabe:

    Die Zitate aus englischsprachigen Quellen wurden, sofern nichts anderes angegeben ist, für diese Ausgabe von der Übersetzerin ins Deutsche übertragen.

    1 Siehe »Die Covid-19-Pandemie: Auslöser welthistorischer Veränderungen« in diesem Buch, S. 697.

    2 Siehe »Vorwort« in diesem Buch, S. 33.

    3 Siehe »Der Marxismus und die Wissenschaft der politischen Perspektive« in diesem Buch, S. 413.

    4 Siehe »Gegen imperialistischen Krieg und Kolonialismus!« in diesem Buch, S. 150.

    5 Ebd., S. 141.

    6 Siehe »Nach dem Blutbad: Politische Lehren aus dem Balkankrieg« in diesem Buch, S. 262.

    Vorwort

    Während der Krise wird sich die Hegemonie der Vereinigten Staaten noch viel vollständiger, offener, schärfer und rücksichtsloser auswirken als während der Aufstiegsperiode.

    Leo Trotzki, 1928

    Der US-Kapitalismus steht vor denselben Aufgaben, die Deutschland 1914 zum Krieg getrieben haben. Die Welt ist bereits aufgeteilt? Dann muss man sie eben neu aufteilen! Deutschland ging es darum, Europa zu »organisieren«. Den Vereinigten Staaten fällt es zu, die ganze Welt zu »organisieren«. Die Geschichte treibt die Menschheit einem Vulkanausbruch des amerikanischen Imperialismus entgegen.

    Leo Trotzki, 1934

    Anhand der hier veröffentlichten politischen Berichte, Vorträge, Erklärungen, Artikel und Polemiken kann der Leser nachvollziehen, wie das Internationale Komitee der Vierten Internationale (IKVI) auf die Kriege reagiert hat, die von den USA seit 1990–1991 angezettelt wurden und das letzte Vierteljahrhundert geprägt haben. Obwohl diese Analysen unmittelbar im Augenblick des Geschehens entstanden, hatten sie Bestand. Nun erhebt das Internationale Komitee keinen Anspruch auf hellseherische Fähigkeiten. Aber es geht von einem marxistischen Verständnis der Widersprüche des amerikanischen und Weltimperialismus aus. Die marxistische Methode der Analyse fasst die Ereignisse nicht als Abfolge isolierter Vorfälle, sondern als Entfaltung eines umfassenderen historischen Prozesses auf. Dieser historische Ansatz schützt vor einer impressionistischen Reaktion auf aktuelle politische Entwicklungen. Er berücksichtigt, dass die wesentliche Ursache eines Ereignisses selten im Moment des Geschehens an die Oberfläche tritt.

    In der bürgerlichen Presse wird oftmals eine impressionistische Beschreibung mit der tieferen Ursache eines Ereignisses gleichgesetzt und als Analyse ausgegeben. Auf diese Weise erscheinen die Kriege der USA als notwendige Reaktion auf die eine oder andere Personifizierung des Bösen, sei es Saddam Hussein im Irak, der »Warlord« Farah Aidid in Somalia, Slobodan Milošević in Serbien, Osama bin Laden von al-Qaida, Mullah Omar in Afghanistan, Muammar Gaddafi in Libyen oder neuerdings Baschar al-Assad in Syrien, Kim Jong Un in Korea und Wladimir Putin in Russland. Die Namensliste der USA ist unbegrenzt und wird ständig um neue, der Vernichtung anheimfallende Ungeheuer ergänzt.

    Dieses Buch dokumentiert die Ergebnisse einer ganz anderen, wesentlich fundierteren Betrachtung der Außenpolitik der USA.

    Erstens – und das ist grundlegend – interpretierte das Internationale Komitee den Zusammenbruch der stalinistischen Regime in Osteuropa 1989–1990 und die Auflösung der Sowjetunion 1991 als Existenzkrise des gesamten globalen Nationalstaatensystems, das aus der Asche des Zweiten Weltkriegs emporgestiegen war. Zweitens sah das IKVI voraus, dass der Zusammenbruch des Nachkriegsgleichgewichts binnen Kurzem zum Wiederaufleben des imperialistischen Militarismus führen werde. Bereits im August 1990 – also vor 26 Jahren – erkannte das IKVI die langfristigen Implikationen des Irakkriegs der Bush-Administration:

    Sie kennzeichnet den Beginn einer abermaligen imperialistischen Neuaufteilung der Welt. Mit der Nachkriegszeit endet auch das postkoloniale Zeitalter. Mit dem »Scheitern des Sozialismus« verkündet die imperialistische Bourgeoisie – in Taten, wenn auch noch nicht in Worten – auch das Scheitern der nationalen Unabhängigkeit. Angesichts ihrer zunehmenden Krise sehen sich die großen imperialistischen Mächte gezwungen, sich die Kontrolle über strategische Rohstoffquellen und Märkte zu sichern. Ehemalige Kolonien, die eine gewisse politische Unabhängigkeit erlangt hatten, müssen erneut unterworfen werden. Mit seinem brutalen Überfall auf den Irak lässt der Imperialismus die Absicht erkennen, seine unbeschränkte Herrschaft über die zurückgebliebenen Länder aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg wiederherzustellen.¹

    Diese historisch fundierte Analyse bildete den wesentlichen Rahmen für das Verständnis nicht nur des Golfkriegs 1990–1991, sondern auch der später in jenem Jahrzehnt begonnenen Kriege sowie des »Kriegs gegen den Terror« im Anschluss an die Anschläge vom 11. September 2001.

    Vor kurzem vermerkte die »New York Times« auf der Titelseite ein wichtiges Datum für Präsident Obama: »Er führt jetzt schon länger Krieg als Bush und jeder andere US-Präsident.« Da ihm noch einige Monate im Weißen Haus bleiben, dürfte ihm auch ein weiterer Rekord nicht mehr zu nehmen sein, so die »Times«:

    Kämpfen die USA noch bis zum Ende von Obamas Amtszeit in Afghanistan, im Irak und in Syrien, was nach der angekündigten Aufstockung der Spezialeinheiten in Syrien um weitere 250 Soldaten so gut wie sicher ist, dann geht er tatsächlich als bislang einziger Präsident in die Geschichte der USA ein, der zwei volle Amtszeiten hindurch an der Spitze einer kriegführenden Nation stand.²

    Auf dem Weg zu diesem Rekord hat Obama todbringende Militäreinsätze in insgesamt sieben Ländern angeordnet: im Irak, in Afghanistan, Syrien, Libyen, Pakistan, Somalia und im Jemen. Die Liste wird immer länger, da die USA zurzeit ihre militärischen Operationen in Afrika ausweiten. Um den Aufstand der Boko Haram niederzuschlagen, werden die US-Truppen in Nigeria, Kamerun, Niger und im Tschad aufgestockt.

    Ohne jeden Anflug von Ironie erinnert der Verfasser des »Times«-Artikels, Mark Landler, an die Verleihung des Friedensnobelpreises an Obama im Jahr 2009. Der Präsident habe »versucht, die Versprechen zu erfüllen, die er damals als Antikriegskandidat gab …« Obama habe »seit seinem ersten Jahr im Weißen Haus gegen diese unerbittliche Realität (des Kriegs) angekämpft«.

    Landler lässt seine Leser wissen, dass Obama »einen Spaziergang durch die Gräberreihen des Nationalfriedhofs Arlington machte, bevor er 30 000 zusätzliche Soldaten nach Afghanistan schickte«. Und er erinnert an die Rede, mit der Obama bei der Entgegennahme des Friedensnobelpreises in verzagtem Ton klagte, die Menschheit müsse »diese beiden unvereinbaren Wahrheiten miteinander in Einklang bringen – dass Krieg manchmal nötig ist und auf einer gewissen Ebene Ausdruck menschlicher Torheit«.

    Unter seiner Präsidentschaft triumphierte eindeutig die Torheit. Doch Landlers Held kann nichts dafür. Für Obama war es »irrsinnig schwierig«, seine Kriege »zu Ende zu bringen«.

    Das Bild, das die »Times« von Obama zeichnet, ist nicht nur zutiefst verlogen, es fehlt ihm auch das wesentliche Element einer echten Tragödie: die Erkenntnis der objektiven Kräfte, die das Handeln des Präsidenten bestimmen und sich doch seiner Kontrolle entziehen. Wenn Mister Landler seine Leser zu Tränen des Mitleids für diesen friedliebenden Mann rühren möchte, der sich nach seinem Amtsantritt auf Drohnenmorde spezialisierte und zum moralischen Ungeheuer mutierte, dann hätte er aufzeigen müssen, welche historischen Umstände Obamas »tragisches« Schicksal besiegelten.

    Doch dieser Herausforderung weicht die »Times« aus. Sie stellt keinen Zusammenhang zwischen Obamas Kriegsrekord und dem Gesamtverlauf der amerikanischen Außenpolitik in den letzten 25 Jahren her. Schon bevor Obama 2009 sein Amt antrat, hatten sich die USA seit dem Ersten Irakkrieg 1990–1991 fast ununterbrochen im Krieg befunden.

    Den Vorwand für den Ersten Irakkrieg lieferte die Annektierung Kuwaits durch den Irak im August 1990. Doch hinter der gewaltsamen Reaktion der USA auf Saddam Husseins Konflikt mit dem Emir von Kuwait standen gewichtigere globale Faktoren und Erwägungen. Der historische Hintergrund der US-Militäraktion war die kurz bevorstehende Auflösung der Sowjetunion, die im Dezember 1991 vollzogen wurde. Der erste Präsident Bush verkündete den Anbruch einer »Neuen Weltordnung«³. Mit dieser Wortwahl brachte Bush zum Ausdruck, dass die Vereinigten Staaten nun die Welt im Interesse der amerikanischen herrschenden Klasse nach Belieben umstrukturieren konnten, ohne die sowjetische Militärmacht oder das Gespenst der sozialistischen Revolution fürchten zu müssen. Für die Strategen des amerikanischen Imperialismus bedeutete die Auflösung der UdSSR, die Francis Fukuyama als »Ende der Geschichte« feierte, das Ende der militärischen Zurückhaltung.

    Es ist eine Ironie der Geschichte, dass die Herausbildung der USA als imperialistische Macht inmitten der Katastrophe des Ersten Weltkriegs mit dem Ausbruch der Russischen Revolution von 1917 zusammenfiel, die unter der Führung der Bolschewistischen Partei den ersten Arbeiterstaat der Geschichte hervorbrachte. Am 3. April 1917 verkündete Präsident Woodrow Wilson dem US-Kongress seine Kriegsbotschaft und führte die USA in den ersten globalen imperialistischen Krieg. Zwei Wochen später kehrte W. I. Lenin nach Russland zurück und änderte in den Anfangswirren der Revolution den Kurs der Bolschewistischen Partei auf den Sturz der bürgerlichen Provisorischen Regierung.

    Für Lenin und seinen wichtigsten politischen Verbündeten, Leo Trotzki, war der Kampf für den Sozialismus untrennbar mit dem Kampf gegen Krieg verbunden. Der Historiker R. Craig Nation erklärte dazu:

    Für Lenin bestand kein Zweifel daran, dass die Revolution aus der Krise des Imperialismus hervorgegangen war, und dass die mit ihr verbundenen Probleme nur auf internationaler Ebene gelöst werden konnten. Der Kampf für die Hegemonie des Proletariats in Russland, der Kampf gegen den Krieg und der internationale Kampf gegen den Imperialismus waren nun ein und dasselbe.

    Just als sich die USA zum Schiedsrichter über das Schicksal der Welt aufschwingen wollten, trat ihnen in Form der bolschewistischen Revolution ein Gegner entgegen, der nicht nur die Autorität des amerikanischen Imperialismus, sondern auch die wirtschaftliche, politische und nicht zuletzt moralische Legitimität der gesamten kapitalistischen Weltordnung in Frage stellte. »Die Worte und Taten der Bolschewiki«, so der Historiker Melvyn P. Leffler, »riefen in Washington Furcht, Abscheu und Verunsicherung hervor.«

    Ein weiterer kluger Historiker der US-Außenpolitik erklärte:

    Die bolschewistische Revolution bereitete den Führern Amerikas zumeist deshalb so tiefen Verdruss, weil ihnen die, um mit Präsident Wilson zu sprechen, »allgemeine aufrührerische Stimmung« gegen die bestehende Ordnung und die zunehmende Intensität dieses Unmuts großes Unbehagen bereitete. In ihrer Vorstellungswelt wurde die bolschewistische Revolution zum Symbol aller Revolutionen, zu denen diese Unzufriedenheit führte. In dieser Einsicht liegt womöglich der Schlüssel zur Tragödie der amerikanischen Diplomatie.

    Im verzweifelten Bemühen, die neue revolutionäre Regierung zu vernichten, entsandte Wilson 1918 ein Expeditionskorps nach Russland, das die konterrevolutionären Kräfte im dortigen blutigen Bürgerkrieg unterstützen sollte. Diese Intervention scheiterte kläglich.

    Erst 1933 gewährten die USA der Sowjetunion die uneingeschränkte diplomatische Anerkennung. Diese Annäherung wurde zum Teil dadurch erleichtert, dass die Sowjetunion, mittlerweile der bürokratischen Diktatur Stalins unterworfen, sich von dem revolutionären Internationalismus lossagte, der die Bolschewiki 1917 beseelt hatte. Im Namen der »kollektiven Sicherheit« ließ der Kreml die Perspektive der Weltrevolution zugunsten von Bündnissen mit imperialistischen Staaten fallen. Als es Stalin nicht gelang, ein Bündnis mit Großbritannien und Frankreich zu schließen, unterzeichnete er im August 1939 den berüchtigten Nichtangriffspakt mit Hitler. Nach Hitlers Einmarsch in die Sowjetunion im Juni 1941 und dem Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg im Dezember 1941 sah sich Präsident Franklin Delano Roosevelt im Interesse des Kampfs gegen Nazideutschland und das japanische Kaiserreich zu einem Militärbündnis mit der Sowjetunion gezwungen. Doch kaum waren Deutschland und Japan besiegt, verschlechterten sich die Beziehungen zwischen den USA und der Sowjetunion rapide. Die Truman-Regierung, die der Ausdehnung des sowjetischen Einflusses nach Osteuropa und dem Wachstum der kommunistischen Parteien in Westeuropa entgegentreten wollte, legte 1948 den Marshallplan auf und löste den Kalten Krieg aus.

    Das Kreml-Regime betrieb auf der Grundlage des stalinistischen Programms des »Sozialismus in einem Land« eine nationalistische Politik und übte Verrat an der Arbeiterklasse und an antiimperialistischen Kämpfen auf der ganzen Welt. Doch die bloße Existenz eines Staates, der aus einer sozialistischen Revolution hervorgegangen war, bewirkte auf der ganzen Welt eine politische Radikalisierung. William Appleman Williams lag sicherlich richtig mit seiner Einschätzung, dass »die Führer Amerikas viele Jahre lang vor der impliziten und indirekten Gefahr einer Revolution mehr Angst hatten als vor der tatsächlichen Macht der Sowjetunion«.

    In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg war es den USA nicht möglich, über die Existenz der Sowjetunion hinwegzugehen. In dem Maße, wie die Sowjetunion und die 1949 gegründete Volksrepublik China den antiimperialistischen Bewegungen in der »Dritten Welt« ein begrenztes Maß an politischer und materieller Unterstützung zukommen ließen, hinderten sie die herrschende Klasse der USA daran, ihre Interessen nach Belieben zu verfolgen. Diese ihr auferlegten Schranken äußerten sich, um nur die herausragendsten Beispiele zu nennen, in den Niederlagen der USA in Korea und Vietnam, der Kompromisslösung für die Kubakrise und der Hinnahme der sowjetischen Vormachtstellung auf dem Baltikum und in Osteuropa.

    Das Bestehen der Sowjetunion und der antikapitalistischen Staatsmacht in China beraubte die USA des ungehinderten Zugangs zu einem Großteil der Welt, insbesondere zur eurasischen Landmasse, und hinderte sie an der Ausbeutung der dortigen Arbeitskräfte, Rohstoffe und potenziellen Märkte. Mehr als ihnen lieb war, waren die USA daher gezwungen, mit ihren wichtigsten Verbündeten in Europa und Asien und auch mit kleineren Ländern, die taktische Vorteile aus dem Kalten Krieg zwischen den USA und der Sowjetunion schlugen, über Fragen der Wirtschaft und Strategie zu verhandeln.

    Die Auflösung der Sowjetunion im Dezember 1991 und die zeitgleiche Restauration des Kapitalismus in China im Anschluss an das Massaker auf dem Tiananmen im Juni 1989 wurden von der amerikanischen herrschenden Klasse als Chance begriffen, die Kompromisse der Nachkriegszeit aufzukündigen und die globale Geopolitik neu zu ordnen, um den USA zur Hegemonie zu verhelfen.

    Die großspurige Reaktion Amerikas auf das Auseinanderbrechen der Sowjetunion war von einem gerüttelt Maß Selbsttäuschung geprägt. Hinter der Prahlerei mit dem Sieg im Kalten Krieg stand mehr Mythos als Realität. In Wirklichkeit war das gesamte außenpolitische Establishment in Washington von der plötzlichen Auflösung der Sowjetunion überrascht worden. Noch im Februar 1987 hatte der hochkarätige Thinktank »Council on Foreign Relations« eine Einschätzung der amerikanisch-sowjetischen Beziehungen veröffentlicht, die aus der Feder zweier renommierter Sowjetologen, Strobe Talbott und Michael Mandelbaum, stammte. Die beiden Experten schlossen ihre Analyse der Diskussion zwischen Reagan und Gorbatschow bei Zusammenkünften in Genf und Reykjavik 1986 mit dem Fazit:

    Egal, wie Gorbatschow die Perestroika in der Praxis definiert und wie er die offizielle Definition von Sicherheit modifiziert, die Sowjetunion wird dem Druck nach Veränderung standhalten, komme er von außen oder von innen, von oben oder von unten. Daher ist zu erwarten, dass die Grundlagen der sowjetisch-amerikanischen Beziehungen im Wesentlichen bestehen bleiben. Dies wiederum bedeutet, dass das sowjetisch-amerikanische Gipfelritual auf lange Sicht Bestand haben wird …

    Die von Talbott und Mandelbaum prognostizierte »lange Sicht« erstreckte sich nicht nur auf die Regierungszeit von »Gorbatschows Nachfolger«, sondern auch auf die des »Nachfolgers seines Nachfolgers«. Wesentliche Änderungen in den Beziehungen zwischen den USA und der Sowjetunion waren nicht zu erwarten. Die beiden Propheten der US-Außen­politik schlossen mit den Worten:

    Wer immer sie sein werden und welche Veränderungen auch eintreten mögen, die amerikanischen und sowjetischen Führer des nächsten Jahrhunderts werden mit demselben großen Problem ringen – mit ihrer Rivalität so umzugehen, dass eine nukleare Katastrophe verhindert wird –, an dem sich in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre schon Ronald Reagan und Michail Gorbatschow abarbeiteten.

    Im Gegensatz zur Blindheit der Experten aus Washington erkannte das Internationale Komitee, dass die Krise des Stalinismus mit der Gorbatschow-Regierung einen Höhepunkt erreicht hatte. »Die Krise um Gorbatschow«, so das IKVI in einer Erklärung vom 23. März 1987, »bricht zu einem Zeitpunkt auf, zu dem alle Teile des Weltstalinismus mit wirtschaftlichen Problemen und Massenunruhen konfrontiert sind. In jedem Fall – von Beijing bis Belgrad – besteht die Reaktion der stalinistischen Bürokraten in einer immer offeneren Hinwendung zu einer Politik der kapitalistischen Restauration.«¹⁰

    Unter dem Einfluss des Narrativs vom Sieg im Kalten Krieg machte sich in der herrschenden Klasse eine verheerende Überschätzung der Macht und Wirkungsfähigkeit des amerikanischen Kapitalismus breit. In ihrem Hegemoniestreben gingen sie davon aus, dass die USA in der Lage wären, die zentrifugalen Kräfte in Wirtschaft und Politik zu bändigen, die der globale Kapitalismus freisetzte. Ein so gigantisches Unterfangen hätte die USA selbst auf dem Gipfel ihrer Macht überfordert. Doch unter dem Eindruck der Euphorie, die das Ende der Sowjetunion hervorrief, verschloss die herrschende Klasse bewusst die Augen vor der tiefen und anhaltenden Krise der amerikanischen Gesellschaft. Ein objektiver Beobachter hätte sich angesichts der Situation in den USA und der Sowjetunion zwischen 1960 und 1990 durchaus fragen können, welche Staatsform in der größeren Krise steckte. In den drei Jahrzehnten vor der Auflösung der Sowjetunion wiesen die USA ein hohes Maß an politischer, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Instabilität auf.

    Man betrachte nur das Schicksal der Präsidentschaften in diesem Zeitraum: 1) Die Kennedy-Regierung fand im November 1963 ein tragisches Ende, als der Präsident inmitten zunehmender gesellschaftlicher Spannungen und internationaler Krisen ermordet wurde; 2) Lyndon B. Johnson, Kennedys Nachfolger, konnte 1968 wegen Unruhen in den Städten und Massenopposition gegen den US-Einmarsch in Vietnam nicht zur Wiederwahl antreten; 3) Richard Nixon musste im August 1974 zurücktreten, nachdem der Rechtsausschuss des Repräsentantenhauses ihn verfassungswidriger Straftaten für schuldig befunden und seine Amtsenthebung befürwortet hatte; 4) Gerald Ford, der Nixon ablöste, verlor die Wahl im November 1976 vor dem Hintergrund allgemeiner Abscheu gegenüber Nixons Verbrechen und dem Debakel der US-Armee in Vietnam; 5) Jimmy Carters einmalige Amtszeit wurde beherrscht von einer Inflationskrise, in deren Folge die Notenbank den Leitzinssatz auf 20 Prozent erhöhte, einem erbitterten dreimonatigen Streik der Bergarbeiter und den Nachwehen der iranischen Revolution, und 6) die Amtsjahre Ronald Reagans waren ungeachtet des Frohlockens über das »Wiedererwachen Amerikas« von Rezession, starken sozialen Spannungen und einer Serie außenpolitischer Katastrophen im Nahen Osten und Mittelamerika geprägt. Als ein illegales Programm zur Finanzierung paramilitärischer Operationen in Nicaragua aufflog (die Iran-Contra-Krise), drohte Reagan ein Amtsenthebungsverfahren. Gerettet wurde seine Regierung von der Führung der Demokratischen Partei, die sich nicht dazu durchringen wollte, für die Absetzung eines politisch geschwächten Präsidenten zu sorgen, der bereits Anzeichen von Demenz erkennen ließ.

    Der einzige Faktor, der sich wie ein roter Faden durch alle Regierungen von Kennedy bis Reagan zog, war der Niedergang der USA in der Weltwirtschaft. Die unangefochtene Vormachtstellung der Finanzinstitute und der Industrie Amerikas zum Ende des Zweiten Weltkriegs hatte das wirtschaftliche Rückgrat des Bretton-Woods-Systems gebildet, auf dessen Grundlage der Kapitalismus nach dem Zweiten Weltkrieg wieder wachsen und sich stabilisieren konnte. Doch schon Ende der 1950er Jahre geriet das System der Gold-Dollar-Konvertibilität zunehmend unter Druck. Während der Präsidentschaft Kennedys bot die Verschlechterung der US-Handelsbilanz erstmals Anlass zu ernster Besorgnis. Am 15. August 1971 erklärte Nixon das Bretton-Woods-System kurzerhand für abgeschafft. Unter diesem System waren alle Währungen fest an den Dollar gebunden, der seinerseits zu einem festen Kurs von 35 Dollar pro Unze gegen Gold eintauschbar war. Der sinkende Wechselkurs des Dollars in den 1970er und 1980er Jahren spiegelte den Niedergang der amerikanischen Wirtschaft wider.

    In der kriegerischen Reaktion der USA auf die Auflösung der Sowjetunion 1991 zeigte sich die Schwäche – nicht die Stärke – des amerikanischen Kapitalismus. Die nahezu einhellige Unterstützung der herrschenden Klasse für eine höchst aggressive Außenpolitik speiste sich aus der Illusion, dass die USA den langjährigen Verfall ihrer globalen wirtschaftlichen Machtposition durch den Einsatz ihrer enormen Militärmacht rückgängig machen könnten.

    In seiner Verteidigungsplanung vom Februar 1992 machte das Verteidigungsministerium die hegemonialen Bestrebungen des US-Imperialismus unzweideutig geltend:

    Es gibt Anwärter auf Nationen oder Bündnisse, die in Zukunft strategische Ziele entwickeln und regionale oder globale Vorherrschaft als Verteidigung darstellen. Unsere Strategie muss neu fokussiert werden, um der Entstehung möglicher künftiger Wettbewerber auf globaler Ebene vorzubeugen.¹¹

    In den 1990er Jahren kam die Militärmacht der USA immer wieder zum Einsatz, insbesondere im Ersten Irakkrieg und den nachfolgenden Operationen zur Zerschlagung Jugoslawiens. Die Neuaufteilung der Balkanstaaten, die einen mörderischen Bruderkrieg auslöste, gipfelte in der von den USA angeführten Bombardierung Serbiens durch die NATO, mit der die Lostrennung der Provinz Kosovo erzwungen wurde. Weitere größere Militäroperationen in diesem Jahrzehnt waren die Intervention in Somalia, die in einem Desaster endete, die militärische Besetzung Haitis, die Bombardierung des Sudans und Afghanistans und die wiederholten Bombenangriffe auf den Irak.

    Die Ereignisse vom 11. September 2001 dienten als Anlass für den »Krieg gegen den Terror«, eine Propagandaparole, mit der Militäroperationen im gesamten Nahen Osten, in Zentralasien und zunehmend auch in Afrika gerechtfertigt wurden. Sie lieferten der Bush-Regierung einen Vorwand für die Institutionalisierung des Kriegs als legitimes und normales Instrument der amerikanischen Außenpolitik.

    Im Herbst 2001 ordnete die Regierung unter Bush junior den Einmarsch in Afghanistan an. In seinen Reden nach den Anschlägen vom 11. September sprach Bush von den »Kriegen des 21. Jahrhunderts«. In dieser Hinsicht äußerte sich der Präsident, sprachlich ansonsten eher unbeholfen, sehr präzise. Der »Krieg gegen den Terror« war von vornherein als unbefristete Serie von Militäroperationen rund um die Welt konzipiert. Ein Krieg würde unweigerlich den nächsten nach sich ziehen. Afghanistan erwies sich als Generalprobe für den Einmarsch im Irak.

    Unter der neuen Doktrin des »Präventivkriegs«, die 2002 verabschiedet wurde, revidierten die USA ihre Militärstrategie. Diese völkerrechtswidrige Doktrin besagt, dass die USA jedes Land der Welt angreifen können, in dem sie eine potenzielle – nicht nur militärische, sondern auch wirtschaftliche – Gefahr für ihre Interessen sehen.

    Und so rechtfertigte die Bush-Regierung die Invasion des Irak kurzerhand als »preemptive war« (im Gegensatz zum völkerrechtswidrigen »preventive war«, also Präventivkrieg), mit dem die unmittelbare Bedrohung der nationalen Sicherheit der USA durch irakische »Massenvernichtungswaffen« abgewendet werden sollte. Eine solche Bedrohung existierte bekanntlich ebenso wenig wie Saddam Husseins Massenvernichtungswaffen. Wie dem auch sei, der konstruierte Unterschied zwischen »preemptive war« und »preventive war« wurde hinfällig, als Bush für die USA das Recht beanspruchte, unabhängig von jeglicher unmittelbaren Bedrohung ihrer nationalen Sicherheit jedes beliebige Land anzugreifen. Welche Terminologie amerikanische Präsidenten für ihre Propaganda auch verwendeten, die USA folgten der Doktrin illegaler Präventivkriege.

    Der Umfang der Militäroperationen nahm ständig zu. Neue Kriege wurden begonnen, noch bevor die alten zu Ende waren. Der Krieg gegen Libyen und der Sturz Muammar Gaddafis 2011 wurden unter zynischer Berufung auf die Menschenrechte betrieben. Derselbe heuchlerische Vorwand musste für den Stellvertreterkrieg in Syrien herhalten. Die Kosten dieser Kriege in Form von Menschenleben und Leid sind unermesslich.

    Die Kriege, die im letzten Vierteljahrhundert von den USA angezettelt wurden, müssen als Kette zusammenhängender Ereignisse aufgefasst werden. Die strategische Logik des Weltmachtstrebens der USA geht über neokoloniale Operationen im Nahen Osten und Afrika hinaus. Die laufenden regionalen Kriege sind zusammengehörige Elemente einer rasch eskalierenden Konfrontation der USA mit Russland und China.

    Im Lichte der amerikanischen Bestrebungen, die Kontrolle über die strategisch wichtige eurasische Landmasse zu gewinnen, zeigt sich die wesentliche Bedeutung der Ereignisse von 1990–1991. Dieses jüngste Stadium im Kampf um die Weltmacht, der den Kern des Konflikts mit Russland und China bildet, bringt nun allerdings auch die latenten und potenziell explosiven Spannungen zwischen den USA und ihren gegenwärtigen imperialistischen Verbündeten auf die Tagesordnung. Und der wichtigste dieser potenziellen Gegner ist Deutschland. Die beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts waren kein Missverständnis. Alles Vergangene ist Prolog. Wie das Internationale Komitee 1990–1991 vorhersah, hat das Streben Amerikas nach der Weltmacht die Rivalitäten zwischen den Imperialisten, die unter der Oberfläche der internationalen Politik geschlummert hatten, neu entfacht. In Europa wird die Unzufriedenheit über die Rolle der USA als endgültiger Schiedsrichter der Weltpolitik unverblümt geäußert. In einem provokativen Beitrag für »Foreign Affairs«, die Zeitschrift des maßgeblichen US Council on Foreign Relations, stellte der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier den Anspruch Washingtons auf eine globale Vormachtstellung der USA offen in Frage:

    Während die USA infolge des Irakkriegs ins Taumeln gerieten und sich die EU durch eine Serie von Krisen kämpfte, hat sich Deutschland behauptet …

    Heute bemühen sich sowohl die Vereinigten Staaten als auch Europa darum, globale Führung zu geben. Der Einmarsch in den Irak 2003 hat das Ansehen der USA in der Welt beschädigt. Nach der Absetzung von Saddam Hussein wurde das Land durch die Gewalt verfeindeter Gruppen zerrissen, und die USA verloren in der Region an Einfluss. Die Regierung unter George W. Bush scheiterte nicht nur mit dem Versuch, die Region gewaltsam neu zu ordnen, sondern die Kosten dieses Abenteuers auf politischer, wirtschaftlicher und Soft-Power-Ebene untergruben die Stellung der Vereinigten Staaten insgesamt. Die Illusion einer unipolaren Welt ist verblasst.¹²

    In einem Affront gegenüber den USA schreibt Steinmeier: »Unsere historische Erfahrung hat jeden Glauben an einen nationalen Exzeptionalismus zerstört – für jede Nation.«¹³

    Die Journalisten und Akademiker, die sich im Rahmen des offiziellen Narrativs von der Verteidigung der Menschenrechte und dem »Krieg gegen den Terror« bewegen, können nicht erklären, wie es zu den fortschreitenden Konflikten vom Golfkrieg 1990–1991 bis zum aktuellen NATO-Einsatz 800 Meilen ostwärts und dem amerikanischen »Pivot to Asia« gekommen ist. Die USA und ihre Verbündeten veranstalten regelmäßig Kriegsspiele in Osteuropa nahe der russischen Grenze und in strategisch wichtigen Gewässern vor der Küste Chinas. Es fällt nicht schwer, sich eine Situation vorzustellen, in der es aufgrund bewusster Berechnung oder fahrlässiger Fehlplanungen zu einem offenen Zusammenstoß zwischen Atommächten kommt. Als 2014 der einhundertste Jahrestag des Ersten Weltkriegs nahte, wiesen zahlreiche wissenschaftliche Studien auf die Parallelen zwischen den heutigen Spannungen und der Lage unmittelbar vor der Katastrophe vom August 1914 hin.

    Eine Parallele zwischen der heutigen Situation und 1914 besteht darin, dass die Vorstellung von der Unvermeidlichkeit eines Kriegs zwischen den USA und China und / oder Russland unter politischen und militärischen Strategen um sich greift. Je mehr die Einschätzungen und Handlungen der Entscheidungsträger auf staatlicher Führungsebene von dieser fatalistischen Annahme geprägt werden, desto stärker wird sie selbst zu einem treibenden Faktor, der den Kriegsausbruch wahrscheinlicher werden lässt. Wie ein Experte für internationale Geopolitik vor kurzem schrieb:

    Sobald der Krieg als unvermeidlich betrachtet wird, ändern sich die Überlegungen der Politiker und Militärs. Es geht nicht mehr darum, ob es einen Krieg geben wird oder soll, sondern darum, wie er am vorteilhaftesten geführt werden kann. Im Rahmen der Unvermeidlichkeit entscheiden sich womöglich selbst diejenigen für den Kampf, die einem Krieg weder positiv noch optimistisch gegenüberstehen.¹⁴

    Niemals seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs war die Gefahr eines Weltkriegs so groß wie heute. Die Tatsache, dass sich die Bevölkerung kaum über diese Gefahr bewusst ist, macht sie umso bedrohlicher. Wie groß ist wohl der Prozentsatz der amerikanischen Bevölkerung, der weiß, dass Präsident Barack Obama die USA formell verpflichtet hat, das kleine baltische Estland im Falle eines Konflikts mit Russland zu verteidigen? Die Medien haben es taktvoll vermieden, den Präsidenten zu fragen, wie viele Menschen im Falle eines Atomkriegs zwischen USA und China oder Russland oder beiden zugleich sterben würden.

    Am Vorabend des Zweiten Weltkriegs warnte Leo Trotzki, dass die gesamte Menschheit von einer Katastrophe bedroht sei. Er sollte recht behalten. Innerhalb von weniger als zehn Jahren kostete der Zweite Weltkrieg mehr als fünfzig Millionen Menschen das Leben. Auch heute gilt es, Alarm zu schlagen. Die Arbeiterklasse und die Jugendlichen in den USA und auf der ganzen Welt müssen die Wahrheit erfahren.

    Die fortschrittliche Weiterentwicklung der global integrierten Weltwirtschaft ist nicht mit dem Kapitalismus und dem Nationalstaatensystem vereinbar. Um Krieg zu verhindern und eine globale Katastrophe abzuwenden, muss eine neue und mächtige internationale Massenbewegung aufgebaut werden, die sich auf ein sozialistisches Programm stützt und in ihrer Strategie von den Grundsätzen des revolutionären Klassenkampfs leiten lässt. Der imperialistischen Geopolitik, bei der Nationalstaaten einen rücksichtslosen Kampf um regionale und globale Vorherrschaft führen, stellt das Internationale Komitee die Strategie der sozialistischen Weltrevolution entgegen. Dem Rat Trotzkis folgend richten wir uns nicht nach der Kriegslogik, sondern nach der Logik des Klassenkampfs.¹⁵

    In den Wochen vor dem Einmarsch im Irak 2003 gab es Massenproteste gegen die Kriegspolitik der USA und ihrer Verbündeten. Millionen gingen auf die Straße. Doch sobald der Krieg begonnen hatte, war praktisch keine Opposition mehr zu sehen. Das Ausbleiben von Protesten der Bevölkerung war nicht mit Unterstützung für den Krieg gleichzusetzen. Es spiegelte lediglich wider, dass die frühere, kleinbürgerlich geprägte Protestbewegung ihre aus der Zeit des Vietnamkriegs stammende Opposition gegen den Imperialismus aufgegeben hatte.

    Es gibt wachsende Anzeichen für eine politische Radikalisierung unter bedeutenden Teilen der Arbeiterklasse und der Jugend. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis diese Radikalisierung zu bewusstem Widerstand gegen Krieg wird. Dieses Buch soll der neuen Antikriegsbewegung eine Perspektive und ein Programm geben, die revolutionär, sozialistisch und internationalistisch sind.

    David North

    28. Juni 2016

    Detroit

    1 Siehe »August 1990. Am Vorabend des Ersten Irakkriegs der USA« in diesem Buch, S. 60.

    2 Mark Landler, »For Obama, an Unexpected Legacy of Two Full Terms at War«, in: New York Times, 14. Mai 2016.

    3 George Bush, »Address Before a Joint Session of the Congress on the State of the Union«, in: The American Presidency Project, 29. Januar 1991, https://www.presidency.ucsb.edu/node/265956.

    4 R. Craig Nation, War on War. Lenin, the Zimmerwald Left, and the Origins of Communist Internationalism, Durham und London 1989, S. 173.

    5 Melvyn P. Leffler, The Specter of Communism. The United States and the Origins of the Cold War, 1917–1953, New York 1994, S. 6.

    6 William Appleman Williams, The Tragedy of American Diplomacy, New York und London 1972, S. 105–106.

    7 Ebd., S. 105.

    8 Michael Mandelbaum und Strobe Talbott, Reagan and Gorbachev, New York 1987, S. 189.

    9 Ebd., S. 190.

    10 Erklärung des Internationalen Komitees der Vierten Internationale, »Was geht in der Sowjetunion vor sich? Gorbatschow und die Krise des Stalinismus«, in: Vierte Internationale, Jg. 14, Nr. 2, Essen 1987, S. 46.

    11 US Department of Defense, »Defense Planning Guidance«, zitiert nach: New York Times, 8. März 1992, S. 4, http://nsarchive.gwu.edu/nukevault/ebb245/doc03_extract_nytedit.pdf. Auch bekannt als Wolfowitz-Doktrin. Das 24-seitige Memorandum vom 18. Februar 1992 gelangte am 7. März 1992 in die Hände der »New York Times«.

    12 Frank-Walter Steinmeier, »Germany’s New Global Role. Berlin Steps Up«, in: Foreign Affairs, Jg. 95, Nr. 4, Juli / August 2016, S. 106–107.

    13 Ebd., S. 110.

    14 Steven E. Miller, »The Sarajevo Century – 1914 and the Rise of China«, in: Richard N. Rosecrance, Steven E. Miller (Hrsg.), The Next Great War? The Roots of World War I and the Risk of U. S.–China Conflict, Cambridge, MA 2014, S. xi.

    15 Leo Trotzki, »Der Krieg und die IV. Internationale«, in: Schriften, Linke Opposition und IV. Internationale 1928–1934, Bd. 3.3, Köln 2001, S. 556.

    Karte: Welt

    Die Quincunx-Kartenprojektion, von Charles S. Peirce im Jahr 1879 veröffentlicht, stellt die Erde mit dem Nordpol im Zentrum dar und bietet eine genauere Dar­stellung der Proportionen der Kontinente im Vergleich zu anderen Projektionen.

    Karte: Mackinders Weltinsel

    Zur Gliederung dieses Bands

    Teil 1: Der Erste Irakkrieg 1990–1991

    Der erste Teil dieses Sammelbands konzentriert sich auf die Krise, die nach dem Einmarsch irakischer Truppen in Kuwait am 2. August 1990 ausbrach. Der Präsident des Irak, Saddam Hussein, befahl den Einsatz nach einem langjährigen Konflikt mit Kuwait, das versucht hatte, das irakische Regime im Krieg zwischen Iran und Irak 1980 bis 1988 zu schwächen. Der wirtschaftliche Wiederaufbau des Irak nach dem Krieg wurde von den Monarchien am Persischen Golf behindert, die den Irak gegen den Iran unterstützt hatten und jetzt hohe Schuldzahlungen forderten. Die Golfstaaten sorgten auch dafür, dass der Irak geringere Öleinnahmen hatte, indem sie die Produktion der OPEC-Länder auf hohem Niveau hielten und so den Ölpreis drückten. Die Spannungen nahmen weiter zu, als Kuwait durch horizontale Bohrungen direkt an der Grenze zum Irak Öl aus dem riesigen irakischen Erdölfeld Rumaila abzapfte.

    Bagdad protestierte mehrfach gegen diese Aktivitäten und drohte damit, seinen alten Herrschaftsanspruch auf Kuwait wieder zu erheben. Kuwait war Teil des Osmanischen Reichs, bis es 1899 aus dem Vilâyet von Basra (späterer Südirak) abgetrennt und unter britische Kontrolle gestellt wurde. Es gehörte seitdem zum britischen Kolonialbesitz und wurde erst 1962 ein unabhängiges Emirat. Die Invasion und Eroberung Kuwaits war ein verzweifelter Versuch von Saddam Hussein, die wachsenden wirtschaftlichen und politischen Schwierigkeiten seines Regimes zu lösen. Zugleich tappte er damit in eine Falle der Vereinigten Staaten. Am 25. Juli 1990 traf der irakische Präsident die amerikanische Botschafterin April Glaspie in Bagdad, die ihm weismachte, dass die US-Regierung »keine Meinung über Ihre innerarabischen Konflikte wie etwa den Konflikt in Kuwait« habe. Mit dieser Äußerung, die hinter verschlossenen Türen und ohne Kenntnisnahme der Öffentlichkeit fiel, verfolgte Washington die Absicht, den Irak zu einem aggressiven Vorgehen zu ermutigen. Die Eroberung Kuwaits löste dann einen internationalen Aufschrei aus.

    Alle imperialistischen Mächte verurteilten die Invasion. Die Medien verglichen Saddam Hussein mit Adolf Hitler und stellten den Führer des kleinen, ruinierten und vom Krieg zerrütteten Landes als große Gefahr für die Weltordnung dar. US-Präsident George H. W. Bush erklärte, dass die Eroberung Kuwaits »keinen Bestand haben« werde, und begann mit der größten militärischen Mobilisierung der USA seit dem Zweiten Weltkrieg. Der militärische Vorstoß war so rasant, dass er eindeutig vorbereitet worden war und nur noch der Vorwand gefehlt hatte, den der irakische Einmarsch jetzt lieferte.

    Die Vereinigten Staaten verlegten über eine halbe Million Soldaten, Hunderte Militärjets und zwei Flugzeugträgerverbände der US-Marine an den Persischen Golf. Auch Großbritannien, Frankreich und andere NATO-Länder schickten größere Kontingente, und Saudi-Arabien, die anderen Golfmonarchien, Syrien und Ägypten entsandten Truppen.

    Das einzige, was den US-Militarismus hemmte, war die noch bestehende Sowjetunion, die sich damals schon im Prozess der Auflösung durch die stalinistische Bürokratie unter Präsident Michail Gorbatschow befand. Während im Persischen Golf für den Krieg gerüstet wurde, brachen die von der Sowjetunion unterstützten Regime in Osteuropa zusammen. Die DDR wurde im November 1990 dem wiedervereinten kapitalistischen Deutschland einverleibt.

    Die UdSSR war der Hauptverbündete des Irak. Der amerikanische Außenminister James Baker und sein sowjetischer Amtskollege Eduard Schewardnadse führten monatelange diplomatische Gespräche, während zeitgleich Soldaten und Waffen in die Kriegszone geschafft wurden. Schließlich entschied die Sowjetunion, einem amerikanischen Militäreinsatz keinen Widerstand zu leisten, solange sich die Bush-Regierung auf die Rückeroberung Kuwaits beschränkte. Trotz erheblichen Drucks seitens der Falken in der Republikanischen Partei und im Pentagon befahl das Weiße Haus keinen »Marsch auf Bagdad« zum Sturz des irakischen Regimes – vor allem, um eine direkte Konfrontation mit der Sowjetunion zu vermeiden.

    Die Luftschläge gegen den Irak begannen am 17. Januar 1991, dauerten sechs Wochen an und wurden mit beispielloser Grausamkeit geführt. Die Kriegskoalition flog über 100 000 Einsätze und warf fast 90 000 Tonnen Bomben auf Ziele im Irak und Kuwait ab. Hunderttausende irakische Soldaten wurden getötet und viele bei Angriffen auf Bunker in der Wüste begraben. Die gesamte Infrastruktur wurde verwüstet – von Elektrizitäts- und Wasserwerken, Abwassersystemen bis hin zu Krankenhäusern und dem Verkehrswesen.

    Als am 25. Februar 1991 die Bodenoperation begann, leistete der Irak nur geringen Widerstand. Die meisten Armeeeinheiten waren bereits vernichtet oder während der Bombenschläge geflohen. In nur vier Tagen waren alle irakischen Divisionen zerstört, während die Angreifer geringe Verluste verzeichneten. Das waren die blutigsten vier Tage, die die Welt seit Ende des Zweiten Weltkriegs erlebt hatte. Der Sieg über den Irak konnte aber weder den Zerfall der Nachkriegsordnung aufhalten noch die Grundlage für eine »neue Weltordnung« der uneingeschränkten amerikanischen Militärmacht schaffen, wie Bush protzig verkündete. Die Vereinigten Staaten hatten nicht mehr die dominante Stellung in der Weltwirtschaft, die in der Nachkriegszeit noch eine Stabilisierung des Weltkapitalismus ermöglichte.

    Der Erste Irakkrieg offenbarte aber endgültig den Bankrott des Stalinismus und der alten Arbeiterorganisationen in den imperialistischen Ländern sowie der nationalen bürgerlichen Regime in den ehemaligen Kolonialländern. Sie alle hatten keinen Finger gerührt, um dem imperialistischen Überfall auf den Irak entgegenzutreten.

    Das Internationale Komitee fasste 1991 im Manifest zum Maifeiertag die Lehren und die historische Bedeutung des Irakkriegs zusammen.

    Teil 2: Der Kosovokrieg 1999

    Der zweite Teil behandelt den NATO-Krieg gegen Serbien im Jahr 1999. Mit dem Krieg eskalierten die jahrzehntelangen Interventionen der imperialistischen Großmächte im ehemaligen Jugoslawien. Vor dem Hintergrund des Zusammenbruchs der osteuropäischen Regime 1989–1990 und der Auflösung der Sowjetunion 1991 begann das stalinistische Regime in Jugoslawien, das von Josip Broz Tito gegründet worden war, unter dem Druck ethnischer Konflikte zu zerfallen. Die imperialistischen Mächte, vor allem Deutschland und die Vereinigten Staaten, trieben diesen Prozess voran. Als die Sowjetunion noch existierte, hatten sie ein vereintes Jugoslawien als Pufferstaat gegen die sowjetisch dominierten Länder des Warschauer Pakts befürwortet. Doch jetzt machten sie sich daran, das Land in Einflusssphären zu zerstückeln.

    Jugoslawien war ein komplexes föderales Gebilde mit sechs Teilrepubliken – Serbien, Bosnien, Kroatien, Slowenien, Montenegro und Mazedonien – und zwei autonomen Provinzen in Serbien: Vojvodina im Norden und Kosovo im Süden, wo die Mehrheit Albanisch sprach. Die historische Entwicklung der Südslawen und später die Wirtschaftspolitik unter Tito hatten zu einer starken Vermischung der Bevölkerungsgruppen geführt. Keine der Republiken war ethnisch homogen, erst recht nicht Bosnien, wo die muslimischen Bosniaken die Mehrheit bildeten, aber auch große Minderheiten der orthodoxen Serben und katholischen Kroaten lebten. In der Hauptstadt Sarajevo wurde über ein Drittel aller Ehen zwischen Angehörigen verschiedener Bevölkerungsgruppen geschlossen.

    Mit Rückendeckung Deutschlands erklärte Slowenien, das an Österreich grenzt, im Juni 1991 seine Unabhängigkeit. Kurz darauf folgte Kroatien. Viele Serben wurden über Nacht zur Minderheit in den neu entstandenen Ländern, ohne Recht auf ihre Sprache und getrennt von ihren Angehörigen im Rest Jugoslawiens. Als Bosnien-Herzegowina mit Unterstützung der USA ebenfalls die Unabhängigkeit erklärte, wurden die Serben und Kroaten zu Minderheiten. Die regierende Partei war im muslimischen Teil der lokalen Bourgeoisie verankert.

    Es folgten mehrere blutige Bürgerkriege. Während in Slowenien und Kroatien zugunsten der dominanten ethnischen Gruppen bald eine Vereinbarung getroffen wurde, dauerte der brutale Bürgerkrieg in Bosnien-Herzegowina an. Alle ethnischen Gruppen eroberten Gebiete und vertrieben die Einwohner. Diese grausame Praxis wurde als »ethnische Säuberungen« bekannt. Das Eingreifen der USA, die mit der Bombardierung Serbiens drohten, führte 1995 zum Dayton-Abkommen, das das Land in die muslimisch-kroatisch dominierte »Föderation von Bosnien und Herzegowina« und die serbisch regierte »Republika Srpska« unter einer föderalen Regierung in Sarajevo teilte.

    In diesen komplexen und blutigen Kämpfen nahm die westliche Propaganda den serbischen Präsidenten Slobodan Milošević als Hauptfeind ins Visier und dämonisierte ihn als neuen Hitler, der einen Völkermord betreibe, während sie die ebenso reaktionäre Politik von Franjo Tudjman in Kroatien und Alija Izetbegović in Bosnien ausblendete.

    Vor diesem politischen Hintergrund brach 1999 der Kosovokrieg aus, der letzte militärische Konflikt in der Aufspaltung Jugoslawiens. Der amerikanische Geheimdienst CIA hatte Milizen der Kosovo-Albaner, die sich kosovarische Befreiungsarmee (UÇK) nannten, finanziert und bewaffnet. Die UÇK war an Terrorattentaten gegen die serbische Minderheit beteiligt und betrieb Drogenhandel und Machtpolitik in der albanischen Bevölkerung des Kosovo.

    1998 verschärfte sich der Guerillakampf zwischen der UÇK und der serbischen Armee. In den vorangegangenen Jahren hatten US-Vertreter die UÇK noch als »Terroristen« bezeichnet. 1998 machte die offizielle US-Propaganda eine Kehrtwende und stellte die UÇK als »Freiheitskämpfer« gegen die serbische Unterdrückung im Kosovo dar, wo 80 Prozent Albaner lebten. Washington konnte davon profitieren, dass Milošević seine gesamte politische Karriere auf einen reaktionären serbischen Nationalismus mit Fokus auf den Kosovo gegründet hatte. Die Region des heutigen Kosovo gehörte im Mittelalter zum serbischen Königreich, bis sie 1389 vom Osmanischen Reich erobert wurde.

    Ende 1998 fanden auf dem Schloss Rambouillet in Frankreich Verhandlungen zwischen den USA, Russland, Großbritannien, Serbien und der UÇK statt. Im Februar 1999 gerieten die Gespräche in eine Sackgasse, da die UÇK auf ihrer Forderung nach Unabhängigkeit beharrte. Schließlich unterschrieben die USA, Großbritannien und die UÇK den Vertrag von Rambouillet, der den Kosovo als Provinz Serbiens unter die Kontrolle der NATO stellte und den NATO-Truppen unbegrenzte Durchfahrt nicht nur durch den Kosovo, sondern auch durch ganz Serbien gewährte.

    Die serbische Delegation, die von Russland unterstützt wurde, lehnte es ab, den Vertrag zu unterzeichnen, der das Land faktisch in ein NATO-Protektorat verwandelt hätte. Nur einen Tag nach dem Scheitern der Gespräche am 23. März 1999 bombardierten NATO-Flugzeuge, vor allem von den USA, Ziele in ganz Serbien. Die immer brutaleren Luftangriffe wurden fortgesetzt, bis Serbien am 11. Juni 1999 kapitulierte, seine Streitkräfte aus dem Kosovo abzog und die Provinz der NATO-Verwaltung übergab.

    Teil 3: Die Anschläge vom 11. September 2001 und die Kriege der Bush-Regierung in Afghanistan und Irak

    Der Regierungsantritt von George W. Bush im Januar 2001 markierte einen bedeutenden Wendepunkt in der amerikanischen und internationalen Politik. Die neue Regierung wurde nicht mehrheitlich gewählt, sondern kam durch ein Eingreifen des rechtsdominierten Obersten Gerichtshofs an die Macht, der die manuelle Stimmenauszählung im entscheidenden Bundesstaat Florida am 11. Dezember 2000 beendete. Damit wurden die Wählerstimmen Floridas und folglich auch die Präsidentschaft dem Kandidaten der Republikaner zugesprochen, obwohl er in absoluten Zahlen weniger Stimmen hatte als der Demokrat Al Gore.

    Die Bush-Regierung begann sofort mit der Vorbereitung militärischer Interventionen im Nahen Osten. Unter Leitung einer geheimen Energy Task Force wurde eine umfassende Evaluierung der Energieressourcen in der Region vorgenommen. An der Spitze der Task Force stand Vizepräsident Dick Cheney, der bereits unter der ersten Bush-Administration und während des Irakkriegs 1991 Verteidigungsminister war. Zu den Regionen, die die Vereinigten Staaten für den Zugang zu weiteren Energiequellen ins Auge fassten, gehörte auch das Kaspische Meer, wo sich nach der Auflösung der Sowjetunion neue Möglichkeiten für große amerikanische Ölkonzerne eröffneten.

    In diesem Klima fanden die Terroranschläge vom 11. September 2001 statt, bei denen fast 3000 Menschen im World Trade Center in New York, im Pentagon und an Bord der United-Airlines-Maschine starben, die in Pennsylvania abstürzte. Obwohl 15 der 19 Selbstmordattentäter genau wie al-Qaida-Führer Osama bin Laden aus Saudi-Arabien kamen, plante die Bush-Regierung sofort Militärangriffe auf zwei andere Länder: Afghanistan und Irak.

    Nicht einmal einen Monat nach 9 / 11 waren die USA bereits im Krieg mit Afghanistan. Zusammen mit den US-unterstützten Rebellen der Nordallianz stürzten sie die Taliban-Regierung in Kabul und installierten ein Marionettenregime unter Hamid Karzai. Einige wenige al-Qaida-Führer, unter ihnen bin Laden, flohen aus dem Land, aber die Taliban verbündeten sich mit anderen islamistischen Kräften und begannen einen Guerillakrieg, der bis heute anhält.

    Noch vor dem Einmarsch der Truppen in Afghanistan brachten US-Politiker, z. B. Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, eine Invasion des Irak ins Spiel. Präsident Bush deutete öffentlich erstmals 2002 in seiner Rede zur Lage der Nation auf diese neuen Kriegspläne hin. Er bezeichnete den Irak als Teil der sogenannten »Achse des Bösen«, zu der außerdem der Iran und Nordkorea gezählt wurden. Im August 2002 läutete dann Vizepräsident Dick Cheney in einer Rede vor Veteranen die öffentliche Kampagne für eine faktische Kriegserklärung an den Irak ein. Er warb für eine Kongressresolution, die es der Bush-Regierung ermöglichen sollte, das Militär einzusetzen.

    Die Kampagne fokussierte auf zwei Behauptungen: erstens, dass Saddam Hussein »Massenvernichtungswaffen« besitze, d. h. sowohl chemische und biologische Waffen als auch einen Plan zum Bau einer Atombombe; zweitens, dass Saddam Hussein enge Verbindungen zu al-Qaida pflege und ihr Waffen liefern könne, damit die Terrorgruppen diese in den USA einsetzen.

    Beide Behauptungen waren bekanntermaßen erfunden. Der primitive Vorrat an chemischen Waffen im Irak wurde nach dem Irakkrieg vernichtet, und das Land betrieb keine ausgeprägten biologischen oder nuklearen Waffenprogramme. Das säkulare Ba’ath-Regime in Bagdad war al-Qaida ideologisch und politisch feindlich gesinnt. Vor der Invasion und der Besetzung durch die USA existierte al-Qaida im Irak nicht.

    Im Oktober 2002 verabschiedeten der von den Demokraten kontrollierte Senat und das von den Republikanern dominierte Repräsentantenhaus die Kriegsresolution gegen den Irak. Führende Demokraten wie die Senatorin Hillary Clinton und der Führer der Minderheitsfraktion im Repräsentantenhaus, Richard Gephardt, spielten eine wichtige Rolle dabei, die Resolution durchzusetzen.

    Damit war die Bühne frei für eine internationale diplomatische Kampagne gegen den Irak, begleitet von einer Medienpropaganda, um der Bevölkerung in den USA und weltweit den Krieg zu »verkaufen«. Das blieb jedoch erfolglos. Millionen Menschen wiesen die unverfrorenen Lügen Washingtons zurück

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