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Der Enkel der Barrings
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eBook338 Seiten3 Stunden

Der Enkel der Barrings

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Über dieses E-Book

Archibald von Barring, der "Enkel", kann den Verlust des großväterlichen Erbes nicht vergessen. Er ist froh, dass er Gisela Bancroft, die Schwester seiner Mutter, in England besuchen darf. Bei ihr lernt er eine andere, freiere Welt kennen und Menschen, die ihn fördern. Nach seiner Rückkehr aus England geht Archibald als Gehilfe auf das Rittergut Leschen. Er lernt dort viel und der Eigentümer wird sein verständnisvoller Freund. Jetzt zeigt sich, dass er mit seinem Großvater nicht nur den Vornamen, sondern auch die Tatkraft teilt. Mit Hilfe des Freundes gelingt es ihm nach einigen Schwierigkeiten, den früheren Familienbesitz Bladupönen zurückzukaufen. Und in Irmi, der jüngsten Tochter auf Leschen, findet er die Frau seines Lebens. Es scheint der der Neuanfang der Barrings zu sein, doch da bricht der Erste Weltkrieg aus.-
SpracheDeutsch
HerausgeberSAGA Egmont
Erscheinungsdatum1. Jan. 2017
ISBN9788711488577
Der Enkel der Barrings

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    Buchvorschau

    Der Enkel der Barrings - William von Simpson

    www.egmont.com

    Erstes Buch Zwischen gestern und heute

    Erstes Kapitel

    Archi war es, als sei er erst gestern über die Wiesen, weit um Kallenberg herum, nach Waldheide gegangen, und doch lagen schon zehn Monate zwischen dem Heute und jenem unseligen Augusttag, an dem er sich von dem Stück Erde heruntergestohlen hatte, über das die Barrings an die hundert Jahre in Sorge und Hoffnung, Sicherheit und Dankbarkeit gegangen waren, das der Pflug seiner Väter umgebrochen, auf dem sie gesät und von dem sie geerntet hatten.

    Den neunten Monat vertrauerte er nun schon in diesem trübseligen Drangwitz, wo er am 1. Oktober 1899 ohne allzu große Erwartungen sein erstes Lehrjahr angetreten hatte. Die Skepsis, mit der er seine Tätigkeit auf dem Gut begann, schien durch die mehr als fragwürdigen Bodenverhältnisse gerechtfertigt. Ganz Drangwitz bestand aus armem Sandboden, der allenfalls für Kartoffeln und Roggen reichte, und das auch nur in nassen Jahren, in denen es Tag für Tag wie aus Mulden vom Himmel pladderte.

    Hinter im dehnte sich bis drüben zum fernen Waldrand hin flaches Ackerland. Nur hier und da unterbrachen ein paar halbmorsche Kopfweiden, eine windzerzauste Pappel die Eintönigkeit der tristen Landschaft. Sand, nichts als Sand, so weit das Auge reichte. Ganz Drangwitz mit seinen zweitausendsechshundert Morgen Acker war unterwegs, sobald der Wind mal etwas schärfer pfiff. Eine böse Klitsche!

    Bei Hofrat Herbst, für Archis Mutter nach wie vor das unfehlbare Orakel in allen geschäftlichen und landwirtschaftlichen Fragen, konnte der Junge sich dafür bedanken, daß er in diese Sandwüste verschlagen worden war. Nachdem er im vorigen Herbst das Reifezeugnis für Prima bekommen und gleich in die praktische Landwirtschaft hineingewollt hatte, war von dem Hofrat der Rittergutsbesitzer Lüdemann auf Drangwitz als geeigneter Lehrherr empfohlen worden, und nach ein paar belanglosen Fragen, geringfügigen, rasch beiseite geschobenen Bedenken hatte Archis Mutter diesem Vorschlag zugestimmt.

    Nach ihrer Auffassung konnte man dem Hofrat ja nur beipflichten, wenn er die Meinung vertrat, in Wiesenburg habe Archibald allein die angenehmen Seiten des Landlebens kennengelernt, dort aber keine Gelegenheit gehabt, auch nur den leisesten Begriff von den Schwierigkeiten zu bekommen, mit denen die Landwirtschaft häufig zu kämpfen habe und die oft zum Ruin selbst tüchtiger Landwirte führten. Mein Himmel, elftausend Morgen Weizenboden in alter, hoher Kultur, seit einem Jahrhundert im Besitz derselben Familie, bei der das Geld niemals knapp gewesen war – daraus ergab sich wohl eine Situation, in der irgendwelche ernstlichen Sorgen nicht aufkommen konnten. Ein behagliches Leben aus dem vollen hatten die Wiesenburger Barrings geführt, und nun war es nur wünschenswert, daß Archibald, der fünfte Barring der Wiesenburger Linie, einmal die Kehrseite der Medaille kennenlernte. Mochte er nur erfahren, daß ein Gut auch zum ewigen Sorgenquell werden konnte!

    Und dann – dieser Lüdemann schien ganz der Mann danach, Archi sehr bald zu zeigen, daß Lehrjahre keine Herrenjahre sind. Der Drangwitzer hatte sich nur unter bestimmten Bedingungen bereit erklärt, Archibald als Eleven einzustellen. Während der einjährigen Lehrzeit hatte er jede Arbeit mit zu verrichten.

    Wenn nun auch jeder, der das Leben kannte, in dieser »Vonder-Pike-auf-Dienen«-Methode, Vernunft und Weitsicht erkennen mußte, so war es doch seltsam genug, daß gerade Gerda Barring, für die das Leben immer nur ein mehr oder weniger unterhaltsames Spiel gewesen war, plötzlich Sinn und Segen ernster Arbeit entdeckte. Dem guten Archi, der ja schließlich noch von seiner Mutter abhing, war aber nichts anderes übriggeblieben, als sich ihren Wünschen zu fügen und sich mit Drangwitz abzufinden.

    Die Stimme des Vorschnitters Kraszinski – eines wenig sympathischen Mannes von knapp mittelgroßer, untersetzter Gestalt mit breitem, rotblauem Schnapsgesicht und listigen Schweinsaugen – unterbrach Archi in seinen Gedanken. Die kurz bemessene Frühstückspause war abgelaufen, jetzt hieß es wieder an die Arbeit gehen.

    Den vierten oder fünften Tag mähte Archi nun schon mit in der Reihe, aber so recht wollte die Arbeit ihm immer noch nicht schmecken. Die Muskeln schmerzten nach wie vor, und beim Ausholen und Einschwingen stach es ihn wie mit Messern ins Kreuz.

    Mit zu lang geschnallten Bügelriemen und schlapp hängenden Zügeln kam Lüdemann auf seinem struppierten Braunen, der mit dem dicken Heubauch und den melancholischen Bammelohren einer tragenden Stute glich, den Weg heruntergezockelt; er bog auf die Wiese ab und hielt gleich darauf neben Kraszinski, den er mit mißvergnügten Blicken maß. Er zögerte denn auch nicht, seinem Mißvergnügen über den schleppenden Gang der Arbeit Ausdruck zu geben.

    »Nicht aus der Stell kommen die Kerls! Zum Schockschwerenot noch mal! Rein ’n Schlag an’n Hals kannst dir über die faule Bande ärgern!«

    Er kramte die Zigarrentasche hervor, brannte sich ’n Tobak an und ritt auf Archi zu.

    »Fluscht nich, die Arbeit, Herr von Barring, fluscht ganz und gar nich. Is ’ne Affenschande, wie die Bande faulenzt! Woll’n Sie die Kerls nich mal auf’n Schwung bringen? Wie is denn, wenn Se mal möchten vorhauen?«

    »Ob ich das wohl schon riskieren kann, Herr Lüdemann?«

    »Nanu! Warum nich? Was is da viel zu riskieren?«

    »Ja – ich weiß nich, aber die Kreuzmuskeln – da zieht es noch höllisch beim Bücken. Und dann – so richtig in der Hand liegen tut mir die Sense auch noch nich.«

    »Erbarm’n Se sich, Barring« – Lüdemann lächelte mit überlegener Nachsicht –, »und reden Se nich! Sehn Se, das mit dem Muskelziehen, das gibt sich. Bloß nich nach fragen darf man. Und die Sens’ soll Ihnen noch nich so recht liegen, meinen Se? Man immer den Arm lang, Barring, immer lang den Arm und denn de Sens’ sozusagen aus der Schulter ’rausfliegen lassen. Passen Se auf, denn haut se mit mal ganz von selbst. Machen Se keine Zatzken! Probieren Se man mal ruhig das Vorhauen.«

    Er wendete sich im Sattel: »Herr von Barring übernimmt das Vorhauen«, rief er dem Vorschnitter zu, bedachte Archi mit einem Nicken und stukerte auf seinem betagten Leidgenossen zu den Gespannen, die drüben auf dem Waldschlag Kartoffeln eggten.


    Gleich zu Anfang September setzte herrliches Wetter ein. Hoch und wolkenlos wölbte sich der türkisblaue Himmel über dem flachen Land, die Luft war klar wie Kristall, ein sanfter Wind spielte in den Blättern der Bäume, Sonnenglanz lag über der Welt.

    Auf einem Schlag nicht weit vom Hofe schälte Archi als erster von den neun Vierschälern die Stoppeln rund. Viel wert waren die Schälpflüge nicht mehr. Alte, baggrige Dinger, seit Jahren nicht mehr richtig überholt.

    Archi tat sein Bestes, um die Arbeit sauber auszuführen. An jeder Ecke hob er den Pflug rechtzeitig aus, so daß die drei Pferde nicht das schon umgebrochene Land wieder festtreten konnten, und an der nächsten Feldseite setzte er wieder neu ein. Obwohl er ein gutes Tempo eingeschlagen hatte, brauchte er auf die Pferde nicht sonderlich zu achten. Sie gingen willig und hielten Strich. Der Boden war infolge des ewigen Regens – von Mitte Juli bis Ende August hatte es fast ununterbrochen gegossen – weich wie Maibutter, und so ließ es sich nicht vermeiden, daß die Schälfurche zu tief wurde. Bei den vielen Queckennestern mußte man aufpassen. Mitunter waren sie derartig verfilzt, daß es im Boden ordentlich knirschte, wenn die Schare das Zeug faßten. Dann hieß es zupacken und den Pflug hinunterdrücken, sonst sprang er einfach heraus. Das Korn hatte miserabel gestanden. Dafür war das Unkraut um so besser geraten, und schließlich hatten die Disteln und Quecken das Getreide völlig überwuchert und den ganzen Acker versaut.

    Zum Glück war Archis Lehrjahr nun in knapp vier Wochen um. Hier durchzuhalten war ihm mehr als sauer geworden. Richtig zugepackt hatte er. Ein Blick auf seine verarbeiteten Hände bewies das; breit und rissig waren sie und in den Innenflächen schwielig.

    Archi schnickte mit der Peitsche nach dem Beipferd. Es stand wieder nicht fest im Strang.

    Er nahm die Leine ein wenig straffer und rief die Pferde an. Das Tempo war zwar gerade richtig, aber dort kam von weitem Lüdemann über das Feld gestakt. Dem konnte es nie schnell genug gehen. Wenig Futter und viel Arbeit: nach diesem Grundsatz behandelte er Pferde und Menschen. Es fehlte an Gespannkraft in Drangwitz. Vier, eigentlich sechs Pferde mehr hätten im Ackerstall stehen müssen.

    Wie ein alter Mann kam Lüdemann heran, langsam, ein wenig gebückt und ohne Elastizität. Sein uralter Filzhut, von dem kein Mensch hätte sagen können, ob er einst grün, braun oder grau gewesen war, saß ihm tief in der Stirn. Kein gutes Zeichen! Immer, wenn seine Laune unter dem Gefrierpunkt angekommen war, zog er sich den alten Filz bis auf beide Ohren. Archis Gruß erwiderte er kaum. Drei, vier Minuten ging er schweigend neben dem Pfluge her, dann gab er Archi ein Zeichen anzuhalten.

    »Sagen Se mal, ich dachte, Se schälen hier? Was Sie da machen, das is kein Schälen, das is Pflügen! Den Unterschied zwischen Pflügen und Schälen könnten Se ei’ntlich allmählich begriffen haben. Sehn Se mal, Sie versaun mir hier einfach den Acker. So was geht nich! Na, nu sagen Se mal ’n Wort! Was hat das hier ei’ntlich zu bedeuten?«

    Archi sah ihn ruhig an.

    »Der Boden ist wie Brotteig. Da sackt der Pflug einfach weg. Ich hab’ es so und so versucht, aber er faßt nun mal so tief. Daß das nich so is, wie es sein soll, weiß ich auch. Aber zu machen is dabei nichts, Herr Lüdemann.«

    Lüdemanns Blick drückte Ärger und Geringschätzung aus.

    »Aha! Zu machen ist dabei nichts, meinen Sie? Also Sie werden mir nu erzählen, was sich machen läßt oder nich? Wiss’n Se, da kann ich bloß sagen, machen Se sich doch ja nich lächerlich. Nee, wissen Se, da lachen denn doch die Hühner, wenn Sie mich hier werden klug machen wollen.«

    Archi blieb ruhig. Was Lüdemann da von sich gab, klang in seiner Ungerechtigkeit so albern, daß man den Mann nicht ernst nehmen konnte. Es lohnte sich wirklich nicht, darauf zu antworten. Dazu blieb übrigens auch gar keine Zeit. Lüdemann ging schon, nach einem neuen Opfer ausspähend, die Reihe der Pflüger hinunter. Nach einer kleinen halben Stunde traf er auf dem hundertzwanzig Morgen großen Schlag wieder mit Archi zusammen und hielt ihn zum zweitenmal an.

    »Alle haben viel zu tief geschält, ’ne Schweinerei is das! Wozu sind Sie ei’ntlich hier, wenn Sie nich mal die neun Pflüge in Ordnung halten können? In Grund und Boden wird mir hier der Schlag versaut. Sie soll’n die Quecken so flach fassen, daß die Egge se nachher ’rausholen kann. Aber was tun Sie? Hübsch unterpflügen tun Se mir das Zeug. So tief faßt die Egge nich, nich mal der Kultivator. Nu bleibt das Jux im Boden, bloß, daß es vom Pflug kleingeschnitten is. Jaja, Sie haben es erfaßt! Besehn Se sich man den Acker in vier Wochen. Jedes Endchen schlägt Wurzel, und wo jetzt eine Queckenpflanze is, da kommen durch Ihr verdammtes Gepflüge später zehne hoch. Warum zum Deiwel halten Sie mir die Gespanne nich in Ordnung?«

    Archi war langsam das Blut in die Wangen gestiegen.

    »Als erster pflügen und auf die Pflüger hinter mir aufpassendas kann ich nich. Die Knechte können auch nichts dafür, wenn die Schare zu tief fassen. Die Pflüge sind so flach wie möglich gestellt, aber in dem durchgeweichten Sand sacken sie einfach weg.«

    »Erbarmen Se sich und red’n Se kein Blech«, wies ihn Lüdemann laut und scharf zurecht. Alle Knechte hatten es hören müssen. »Tun Se lieber, was ich Ihnen sag’. Mit Klugreden is mir nich gedient.« Damit drehte er sich um und ging mit langen Schritten dem Hof zu.


    Gut, daß Archi nicht dazu gekommen war, Lüdemann die Antwort zu erteilen, die ihm auf den Lippen gebrannt hatte. Da wäre es wohl mit ihm durchgegangen, und dann hätte es einen Krach gegeben, der vielleicht nicht mehr hätte gutgemacht werden können. Besser war es, mit Lüdemann allein zu sprechen. Nach dem Essen auf dem Hof suchte Archi ihn auf seinem Zimmer auf.

    »Na, wo brennt’s denn?« fragte Lüdemann.

    »Ich wollte bloß sagen, Herr Lüdemann«, begann Archi zögernd, während sich die Farbe auf seinen Wangen ein wenig vertiefte, »in knapp vier Wochen is ja nu mein Jahr ’rum …«

    »Hör’n Se, das weiß ich! Na und? Möchten Se gern noch ’n Jahr länger bleiben?«

    »Das nicht, Herr Lüdemann, aber im guten hier wegkommen, das möchte ich gerne. Daran liegt mir natürlich.«

    »Na, mit’m Skandal werden Se ja nich weggehen. Das is doch selbstverständlich. Das brauchen Se doch nich erst lang und breit zu sagen.«

    »Ja, Herr Lüdemann, ich wollte Sie bloß bitten, mich nich vor allen Leuten anzufahren …«

    »Vor allen Leuten anfahren?« Lüdemann gab sich einen Ruck. Seine Brauen zogen sich dichter zusammen, ein aufmerksamer Zug trat in seine schläfrigen, wasserblauen Augen. »Nich anfahren soll ich Se vor den Leuten? Wie kommen Se ei’ntlich darauf? Wenn soll ich denn das getan haben? Das sagen Se mir doch mal erst.«

    »Heute früh, beim Schälen.«

    »Na, hören Sie mal, da hab’ ich Ihnen gesagt, wie man zu schälen hat, weiter nichts! Und nötig genug war es, daß ich Ihnen das sagte. Denken Se v’leicht, ich werd’ mit ansehn, wie Se mir den Acker versaun?«

    Archis Stimme wurde um eine Nuance entschiedener.

    »Daß die Furche nich flach genug war, das weiß ich, Herr Lüdemann. Aber die Pflüge waren doch so flach gestellt, wie es irgend geht, und mehr konnte ich doch schließlich nicht tun.«

    »Erbarmen Se sich, Barring«, schnitt Lüdemann ihm unwirsch das Wort ab, »und erzählen Se mir hier nich, was man tun kann oder was man nich tun kann. Das weiß ich allein, und ich denk’, ich weiß das ’n ganz End’ besser als Sie. Wenn der Pflug stellenweis’ wirklich mal einsackt, dann packt man eben zu! Dazu hat uns der Herrgott die Fäuste gegeben.«

    »Er sackt aber nich bloß stellenweise weg, überall, auf dem ganzen Schlag sackt er ein«, stellte Archi die Auffassung seines Lehrherrn richtig.

    Lüdemann wurde gereizt – verlor die Geduld.

    »Was? Nu werden Se herkommen und mich hier belehren wollen«, sagte er mit geringschätziger Ironie. »Wissen Se, ich werd’ Ihn’n mal was sagen, Herr von Barring, wenn Se werden zehn Jahre auf Ihrem Eignen gesessen haben, denn können wir v’leicht drüber reden, ob ’ne Arbeit so oder so zu machen is. Vorläufig sind Sie noch in der Lehre bei mir und müssen sich schon annehmen, was ich sag’.«

    »Das weiß ich, und das will ich auch«, erwiderte Archi in merkbarer Erregung, »aber ich kann mir doch bloß das annehmen, was möglich is, und wenn Sie Unmögliches verlangen …«

    Lüdemann zog die Oberlippe hoch, so daß sein Schnurrbart sich sträubte.

    »Hören Sie, reden Sie hier keinen Unsinn zusammen!« wies er Archi gereizt zurecht. »Wie können Sie sich erlauben, mir zu sagen, ich hätt’ Unmögliches von Ihnen verlangt?« Er schlug auf den Tisch, fuhr sich mit den gespreizten Fingern durch das Gewirr seines Bartes. »Da hört sich denn doch verschiedenes auf! Ich verlang’ nichts Unmögliches! Verstehn Se mich? In meinem Leben habe ich das noch nicht getan, und bei Ihnen werd’ ich damit nich anfangen. So was muß ich mir schon verbitten. Ganz energisch verbitten muß ich mir das!«

    Archi verkrampfte die Hände. Das Blut war ihm in die Wangen geschossen. Es fiel ihm sehr schwer, ruhig zu bleiben, aber zum Bruch durfte es auf keinen Fall kommen. So versuchte er denn, seiner Stimme einen ruhigen Ton zu geben.

    »Herr Lüdemann, ich wollte bloß noch das sagen: Noch mal kann ich mich nich vor allen Leuten ’runtermachen lassen, sonst müßte ich Weggehen von hier.«

    Lüdemann fuhr auf. Seine große Hand knallte auf den Tisch. »Was? So woll’n Se mir kommen? Mit Weggehen drohen woll’n Se mir hier? Sie sind wohl nich ganz bei sich? Was erdreisten Sie sich? Ob Sie weggehn oder bleiben, das haben Sie nicht zu entscheiden, darüber entscheiden Ihre Mutter und ich. Danken Sie Gott, wenn ich Se hierbehalt’! Nee, wissen Se, so dürfen Se mir ja nu doch nich kommen, so nich! Damit kommen Sie bei mir an den Unrechten, das lassen Sie sich gesagt sein! Ein für allemal lassen Sie sich das gesagt sein!«

    Archis Augen verdunkelten sich. Er schob das Kinn vor, biß die Zähne zusammen, sein Gesicht bekam einen Zug trotziger Entschlossenheit.

    »Ich hab’ nicht mit Weggehen drohen wollen«, sagte er mit etwas leiserer Stimme. »Ich will mich aber nich noch mal vor den Leuten anfahren lassen, wenn ich es nich verdient hab’.«

    Lüdemann beugte sich, die riesigen geballten Fäuste auf die Tischplatte legend, weit vor.

    »Ob Sie’s verdient haben oder nich, das hab’ ich zu entscheiden und nich Sie!« schrie er los. »Vergessen Sie sich hier nich! Sonst könnt’ es passieren, daß Sie schneller wegkommen von hier, als Se sich das träumen lassen!«

    »Ich habe mich nich vergessen«, fiel ihm Archi vor Erregung bebend ins Wort. »Mein Recht will ich haben! Weiter nichts! Anschnauzen will ich mich nich lassen, wenn ich meine Arbeit mach’, so gut, wie es geht. Ich bin hier Lehrling, dafür zahle ich zweihundert Mark alle Monat Pension und Lehrgeld. Lernen will ich was, aber mich nich kujonieren lassen. Warum lassen Sie mich fortwährend Vorarbeiten, wenn ich meine Arbeit nich verstehen soll? Wozu tun Sie das denn?«

    Lüdemann sah ihn perplex an. Der Junge schien ja total kopflos, wußte wohl überhaupt nicht mehr, was er sagte. Den konnte man bloß durch überlegene Ruhe wieder zu sich bringen.

    »Sie benehmen sich hier – na, ich will nich sagen, wie«, sagte er im überlegen-ruhigen Ton spöttischer Ironie, »Sie wissen ja gar nich mehr, was Sie reden. Wo woll’n Se denn hin, wenn Se wirklich weggehn möchten? Nach Haus? Wo is Ihr Zuhaus? Denken Sie, ich weiß nich, daß Sie sich zu Ihrer Mutter so gestellt haben, daß die keinen Platz für Sie hat? Denken Sie, daß ich das nich alles weiß? Von Rechts wegen müßte ich Ihnen jetzt den Stuhl vor die Tür setzen!« Donnernd schlug er auf den Tisch. »Ausreden lassen Se mich, sage ich Ihnen! In Dreideiwels Namen, unterbrechen Se mich hier nich!« schrie er und fiel dann wieder in den scheinbar ruhigen, spöttischen Ton zurück. »Wenn ich Sie nich an die Luft setz’, denn nich, weil ich Ihn’n das nich antun möcht’. Nein, das bilden Sie sich man ja nich ein. Wegen Ihrer Mutter tue ich es nich, die hat schon gerad genug Sorgen mit Ihnen. Umsonst wird sie mir ja nich geschrieben haben, daß Se müssen gehörig ’rangenommen werden, wenn aus Ihnen was werden soll. Und nu machen Se, daß Se an de Arbeit kommen, und denken Se dran, daß Se hier sind, damit Se was lernen. Sie woll’n sich doch mal ’n Gut kaufen, nich? Na, sehn Sie! Denn sorgen Sie man dafür, daß, wenn Sie glücklich eins haben, Sie auch oben bleiben und nich auch ’runter müssen von Grund und Boden wie Ihr …«

    Er stockte plötzlich. Was ging mit dem Jungen vor? Der machte ja auf einmal einen ganz merkwürdigen Eindruck. Einen Eindruck, als liege er auf der Lauer, nein, als stehe er auf dem Sprung!

    »Wie wer?« fragte Archi leise. Er war aufgestanden, stand ruhig da, den Kopf wie lauschend geneigt.

    Lüdemann sah zu ihm auf, als hätte er die Frage nicht verstanden. Hinter einem überlegenen Lächeln versuchte er seine innere Unsicherheit zu verbergen.

    »Wie wer?« wiederholte er Archis Frage achselzuckend, »wie Ihr Vater natürlich …«

    Das Wort blieb ihm in der Kehle stecken. Entgeistert starrte er auf Archi. Was – um Gottes willen – war das?

    Archis langer Körper hatte sich etwas zusammengeduckt. Jeder Muskel darin schien zu spielen, jede Sehne angespannt zu sein. Seine großen Hände lagen wie festgenagelt auf den Seitenteilen der Lehne seines Stuhls, die langen Finger umklammerten sie wie Zangen. Er beugte sich nach vorne über, setzte das linke Bein zurück und schwang, mit einem Ruck aufschnellend, den schweren Stuhl wie eine Feder hoch. An den Schläfen, am Halse waren ihm die Adern herausgetreten. Sein Blick ließ Lüdemann keine Sekunde los. Wut und Verachtung kochten darin.

    »Nehmen Sie das zurück«, sagte er mit rauher Stimme. »Nehmen Sie das zurück, oder – ich schlag’ zu!«

    Lüdemanns Gesichtsfarbe wechselte ins Grünlichgraue. Er wußte es, bei dem ersten Versuch, aufzuspringen, krachte der schwere Stuhl auf seinen Schädel nieder.

    »Barring, Mensch, kommen Sie zu sich!« sagte er beschwörend. Aus dem Mann sprach Angst, ganz gemeine Angst. »Sie haben mich ganz und gar falsch verstanden. So hab’ ich das nich gemeint. Gewiß nehm’ ich es zurück. Kommen Sie zu sich, Mensch! Um Gottes willen, kommen Sie zu sich!«

    Ganz langsam setzte Archi den Stuhl hin. Nicht eine Sekunde ließ sein brennender

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