Heilige Sprachen?: Zur Debatte um die Sprachen der Bibel im Studium der Theologie
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Über dieses E-Book
Der Band bringt interdisziplinäre Erwägungen zu einer verantworteten Neufassung der alten Sprachen für das Studium der Theologie ins Gespräch.
Mit Beiträgern von Martin Arneth, Christfried Böttrich, Bernhard Dressler, Dietrich Korsch, Ulrike Rosin und Johannes Schilling.
[Sacred Languages? The Discussion about the Role of the Languages of the Bible in the Study of Theology]
The old languages, Hebrew, Greek, and Latin, still hold their place at the beginning of the study of theology. But the modularization of study now calls for a revision. This requires a careful consideration of arguments, in which the question of the theological relevance of language plays an important role. Because in regard to the "question of languages" nothing less is decided as the position of theology within the context of the other sciences and the church.
The volume contributes with interdisciplinary considerations to the discussion about an accountable new role of the old languages in the study of theology.
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Buchvorschau
Heilige Sprachen? - Evangelische Verlagsanstalt
Dietrich Korsch / Johannes Schilling (Hrsg.)
Heilige Sprachen?
Zur Debatte um die Sprachen der Bibel im Studium der Theologie
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.dnb.de› abrufbar.
© 2019 by Evangelische Verlagsanstalt GmbH, Leipzig
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Umschlag: makena plangrafik, Leipzig
Satz: Evangelische Verlagsanstalt GmbH, Leipzig
E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2019
ISBN 978-3-374-05964-5
www.eva-leipzig.de
VORWORT
THEOLOGIE STUDIEREN UND SPRACHE LIEBEN LERNEN
Das Studium der evangelischen Theologie hat sich in den letzten fünfzig Jahren gründlich verändert. Die seitdem andauernde Studienreform war in den 1970er Jahren vom Leitwort „Öffnung für die Praxis und in den 1980er und 1990er Jahren durch das Stichwort „theologische Kompetenz
geprägt. Schließlich hat die vom allgemeinen Trend erzwungene Modularisierung das Studium einschneidender deformiert als alle früheren Umstellungen.
Eigentümlicherweise ist in allen diesen Veränderungen die Anforderung gleichgeblieben, vor Beginn des Fachstudiums im engeren Sinne die antiken Sprachen Latein, Griechisch und Hebräisch zu erlernen. Zugespitzt könnte man sagen: Die Sprachen sind das einzig „Heilige" im Studium der Theologie und darum von Studienreformen verschont geblieben.
Das Heilige fasziniert und erschüttert, wie Rudolf Otto wusste, es erweckt Liebe und versetzt in Schrecken. Wer heute mit dem Studium der evangelischen Theologie beginnt, wird zumeist darüber erschrecken, mindestens zwei Jahre mit dem Erlernen der alten Sprachen zubringen und dafür den überwiegenden Anteil studentischer Arbeitszeit opfern zu müssen. Denn fast niemand bringt Hebräisch-, die wenigsten bringen Griechisch-, sehr viele nicht einmal mehr Lateinkenntnisse aus der Schule mit. Dem Gebot des Heiligen muss man sich fügen, wenn man in der Kirche Dienst tun will.
Dabei gälte es, das Heilige auch zu lieben, und manchen mag es auch immer wieder gelingen, diese Seite an den Sprachen zu entdecken. Das geschieht besonders bei denen, die ohnehin sprachbegabt sind und darum auch weniger Enttäuschungen im Unterricht der Sprachen erleben müssen. Doch darf die Zuneigung zu den Sprachen nicht nur von philologischem Talent abhängen. Um das Studium von dieser habituellen Voraussetzung zu befreien, ist darum Einsicht in den inneren Zusammenhang von Sprache und Theologie vonnöten. Dieser Schritt wird nur selten getan, soweit wir sehen können, und auch die aktuellen Debatten über das Erlernen der klassischen Sprachen im Studium der Theologie beziehen sich kaum auf diese Dimension.
Das hat mit der immer noch überwiegend historischphilologischen Ausrichtung der Theologie an der Universität nach dem Muster der Geisteswissenschaften zu tun. Das Bewusstsein der historischen Fächer – vom Alten Testament über das Neue Testament zur Kirchengeschichte – prägt die Zugänge zur Theologie überhaupt. Die Dogmatik sieht sich dann vor die Alternative gestellt, sich auch theologiegeschichtlich darzustellen – oder in abstrakter Weise unhistorisch-konstruktivistisch zu verfahren. Dass die Praktische Theologie schließlich unmittelbarer Empirie anhängt oder vom Theorieimport anderer Disziplinen abhängt, ist die kaum vermeidbare Folge.
Man muss den Zusammenhang der Fächer einmal so scharf formulieren, um die Reichweite der „Sprachenfrage" zu erfassen. Es steht nichts weniger zur Debatte als der historische Charakter der Theologie als Wissenschaft. Anders gesagt: Nur wenn es gelingt, den Zugang zur Theologie von den Einschränkungen eines historisch verengten Studiums der alten Sprachen zu befreien, kann die Theologie überhaupt zu einem geschichtlich nötigen Bewusstsein ihrer selbst kommen. Genau das aber ist erforderlich, wenn die Theologie ihrer eigenen Aufgabe nachkommen will, die religiöse Kommunikation in der Gegenwart zu begreifen und eine konstruktiv-kritische Funktion für die Kirchen wahrzunehmen. Es bedarf dafür auch einer Revision des Umgangs mit den alten Sprachen im Studium der evangelischen Theologie. Die Norm dieser Revision ist weder der allgemeine Zustand der gymnasialen Schulbildung noch das Ideal des neuhumanistischen Zeitalters. Sie ist vielmehr der Sache und der Aufgabe der Theologie selbst zu entnehmen.
Der Zusammenhang von Theologie und Sprache verdankt sich eben nicht nur historischen Grundlagen und Voraussetzungen; er wurzelt vielmehr in der Zentralmetapher vom Wort Gottes als einem geschichtlichen Ereignis in Vergangenheit und Gegenwart. Sprache und Geschichte gehören unter dem Aspekt der Genese wie der gegenwärtigen Verantwortung des Christentums zusammen. Darum ist einerseits das Sprachenlernen im Theologiestudium unerlässlich; andererseits lässt es sich nur zielgerecht durchführen, wenn die Sachorientierung auf das religiöse Zentrum stets und von Anfang an vorgenommen wird. Wir sehen mit Freude, dass dieser Impuls auch dem neuen Buch von Ingolf U. Dalferth „Wirkendes Wort. Bibel, Schrift und Evangelium im Leben der Kirche und im Denken der Theologie", Leipzig 2018, zugrundeliegt.
Das Augenmerk auf diesen Zusammenhang von Theologie und Sprache zu richten, ist die Absicht dieses Bändchens. Es möchte damit in die gegenwärtig neu aufflammende Debatte über die alten Sprachen im Studium der evangelischen Theologie eingreifen und dabei den Gesichtspunkt der theologischen Verantwortung für das Spracherlernen als ceterum censeo einschärfen.
Die Texte dieser Veröffentlichung sind einem informellen Kreis entsprungen, in dem sich Kolleginnen und Kollegen aus allen klassischen Disziplinen der evangelischen Theologie an den Universitäten mit Vertretern von Kirchenleitungen zusammengefunden haben und der sich im Frühjahr 2017 und 2018 in Leipzig getroffen hat. In unseren Gesprächen über das Verhältnis zwischen modularisiertem Studium, seiner theologischen Konzentration und seinen kirchlichen Praxisanforderungen sind wir alsbald auf die Schlüsselfunktion der „Sprachenfrage" gestoßen. Darum haben wir uns zunächst hierauf besonnen und legen unsere Erwägungen und Vorschläge an dieser Stelle vor. Wir hoffen, dass sie aufgrund ihrer interdisziplinären Anlage ebenso wie durch ihre fachspezifischen Argumentationen die Debatte in theologischen Fakultäten und Landeskirchen sowie in den zwischen beiden vermittelnden Gremien, auch im Verbund mit Universitätsplanern, bereichern können.
Mit einer vernünftigen und sachgerechten Einrichtung des Spracherwerbs wird ein entscheidender Schritt zum Gesamtverständnis der evangelischen Theologie in der Gegenwart getan. Wenn er gelingt, wird daraus auch eine Liebe zur Sprache, nicht nur in Gestalt der klassischen antiken Sprachen, erwachsen, die ein Spiegel der Liebe zu Gott ist.
Herzlich danken wir den Autorinnen und Autoren der Beiträge und den Mitwirkenden an unseren Leipziger Gesprächsrunden, insbesondere Frau Dr. Annette Weidhas, ohne deren Unterstützung unser Kreis nicht zusammengefunden hätte und die nun auch für die Publikation gesorgt hat.
Kassel und Kiel, im September 2018
Dietrich Korsch und Johannes Schilling
INHALT
Cover
Titel
Impressum
Vorwort
Johannes Schilling
Sprachen – Schrein für das Kleinod des Evangeliums
Ein historischer Spaziergang
Dietrich Korsch
Das Wort Gottes und die Sprachen der Bibel
Eine systematische Besinnung
Martin Arneth
Hebräisch
Ein Semester im Studium der evangelischen Theologie
Ulrike Rosin
Klassisches Griechisch
Schlüssel zum tieferen Verständnis neutestamentlicher Texte
Christfried Böttrich
Zwischen Ideal und Wirklichkeit
Sprachen lernen im gestaffelten System
Bernhard Dressler
Die „alten Sprachen"
Welche Kenntnisse sind für evangelische Religionslehrkräfte erforderlich?
Endnoten
Mitarbeiterverzeichnis
Weitere Bücher
JOHANNES SCHILLING
SPRACHEN – SCHREIN FÜR DAS KLEINOD DES EVANGELIUMS
EIN HISTORISCHER SPAZIERGANG
Die Sprachen sind die Scheiden,
in denen das Messer des Geistes steckt.
I
Der Kirchenhistoriker sieht sich in der Debatte über Wert und Bedeutung der Sprachen für das Studium der Theologie in der Pflicht und vor der Aufgabe zu prüfen, wie es „die Alten" mit den Sprachen gehalten und welche Begründungen sie für das Erlernen des Hebräischen, Griechischen und Lateinischen für das Studium der Theologie gegeben haben. Martin Luthers emphatisches Eintreten für das Studium der Sprachen ist bekannt. Aber wie steht es mit anderen Theologen? Und welche Bedeutung haben Studienordnungen und Studienpläne früherer Zeiten den Sprachen gegeben?
Die folgenden Ausführungen sind eine Blütenlese, nicht das Ergebnis einer systematischen Durchsicht von Einführungen und Anleitungen zum Theologiestudium oder den Diskussionen zur Reform des Theologiestudiums seit den 1970er Jahren. Trotz ihrer Unvollständigkeit vermögen sie zu zeigen, dass die „Sprachenfrage" seit Jahrhunderten ein Thema der Theologie und der Theologenausbildung ist und wie frühere Theologen ihre Realitäten wahrgenommen und mit ihren Erwägungen und Argumenten beantwortet haben.
II
In den Auseinandersetzungen über die jüdischen Schriften, dem „Judenbücherstreit, der durch den jüdischen Konvertiten Johannes Pfefferkorn ausgelöst wurde und in den Jahren vor der Reformation eine breite Öffentlichkeit der damaligen Intellektuellen erreichte und beschäftigte, trat Johannes Reuchlin (1455–1522), der Humanist aus Pforzheim, nicht nur für die Erhaltung der jüdischen Schriften ein, sondern auch für das Studium der Sprachen. In seinem Gutachten an Kaiser Maximilian I. plädierte er in der aktuellen Kontroverse für das Studium der Kommentarliteratur zum Verständnis der Heiligen Schrift und erklärte, dass entsprechend dem kanonischen Recht der „Glaubensinhalt der Bücher des Alten Testaments aus dem hebräischen Text erfasst werden müsse.
Zu diesem Zweck sei auch die Kenntnis und Auswertung jüdischer Kommentarliteratur erforderlich. Denn:
„Derartige Kommentare darf und kann die christliche Kirche nicht aus der Hand geben, denn sie halten die ursprüngliche hebräische Sprache in Übung, auf die die Heilige Schrift, besonders für das Alte Testament, nicht verzichten kann; genausowenig, wie wir die griechische Sprache und ihre Grammatiken und Kommentare für das Neue Testament entbehren können und dürfen, wie der eben zitierte kanonische Rechtssatz Ut veterum erweist."
Und dann bemerkt Reuchlin, gleichsam en passant:
„Bei dieser