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Der Schwedenstein: Heimatroman aus dem Dreißigjährigen Krieg
Der Schwedenstein: Heimatroman aus dem Dreißigjährigen Krieg
Der Schwedenstein: Heimatroman aus dem Dreißigjährigen Krieg
eBook445 Seiten5 Stunden

Der Schwedenstein: Heimatroman aus dem Dreißigjährigen Krieg

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Über dieses E-Book

"Das gräuliche Schießen, das Geklapper der Harnische, das Geschrei der Verwundeten und Angreifenden machten neben den Trompeten, Trommeln und Pfeifen eine erschreckende Musik. Bald sah man im Festungsgürtel und vor den Mauern nichts anderes als einen dicken Rauch und Staub. ...immer neues Verderben spien die Kanonen in die Stadt, und Tod und Verderben wartete derer, die gegen sie anstürmten. Es waren immer neue Regimenter, die von den Schweden und Hessen ins Treffen geführt wurden.
Schon war der Mut auch der tapfersten Verteidiger gesunken, da eine Aussicht, den Kampf zu gewinnen, wegen der großen Masse der andringenden Feinde und wegen des drohenden Zerfalls im Inneren der Stadt wohl nicht mehr bestand - da schickte der Himmel unerwartete Hilfe..."

Rudolf Gödde lässt die historischen Ereignisse des Dreißigjährigen Krieges rund um die alte Festung Marsberg in diesem detailreichen Roman aufleben.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum1. Juli 2020
ISBN9783751941334
Der Schwedenstein: Heimatroman aus dem Dreißigjährigen Krieg
Autor

Rudolf Gödde

Rudolf Gödde (1903 - 1979) war ein Marsberger Bürger, der regelmäßig für die Lokalzeitungen der Gegend berichtete. Neben dem vorliegenden Roman erschien von ihm "Wildschütz Klostermann - Ein westfälischer Wilddieb- Roman von 1935 aus dem Diemeltal".

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    Buchvorschau

    Der Schwedenstein - Rudolf Gödde

    Abbildungsverzeichnis

    1. Zeitenwende - Schicksalswende

    I.

    „Wisset, ehrenfeste Freunde: ein altes Reiterlied, das ungezählte Male von unseren Lippen geklungen, da wir hoch zu Roß und fiebernden Herzens ins Feld gerückt - just in den kommenden Monaten solls im besten Sinne gelten:

    Aufgesessen, die Zügel gerafft,

    Wie ein Aar über Berge und Täler gefegt,

    In dämmernde, lockende Weiten!

    Zerwürfelt die Sorgenlast, Pfund um Pfund, -

    Und reitest du auch das Roß in den Grund,

    Und stürzest in gähnenden, felsigen Schlund,

    So ist es doch selig zu reiten! . ."

    Heiß und rot, wie siedende Flammenbrunst leuchtete es aus den Augen und Wangen des Sprechers, der jetzt das Glas hob mit dem purpur leuchtenden Wein hoch empor.

    „Wir trinken auf das neue Jahr, meine Teuren! Komme, was kommen mag! Prost!"

    Als habe er sinnlose Hast, so stürzte er das Rebenblut hinab, - schleuderte dann den Pokal mit Wucht gegen die Wand, daß er klirrend zerschmetterte.

    „Mögen diese Scherben - ließ er sich wieder mit tiefer Stimme vernehmen – „uns ein gutes Zeichen sein, daß das Jahr des Heils 1629 Glück bringt, - 7 -wir´s uns wünschen.

    „Prost! Prost auf 1629!" tönte es dem kaiserlichen Kommandanten Peter Janson im Rathaussaale zu Marsberg entgegen. Schnell ergriff er ein zweites bereitgestelltes Glas und leerte es mit hastigen Zügen.

    Einer von den Kriegsleuten aus der frohen Runde stimmte rauh ein Kriegslied an, die anderen sangen es mit.

    „In ritterlichen Kriegeszüg´n

    Das Herz im Leib mir lacht.

    Ha! Wenn die Fah´n im Feld herflieg´n

    Und manch´ Kartaune kracht;

    Dann streit ich stark mit meinem Gott

    Für mein lieb Vaterland,

    Der mich verläßt in keiner Not,

    Frisch brauch ich meine Hand,

    Frisch brauch ich meine Hand.

    Dann schließ ich meinen Helmen zu,

    Leg ein den scharfen Speer,

    Mein´ Gegenpart erwarten tu´,

    Wenn er rennt auf mich her.

    Mein Schwert ist blank, mein Büchs´ gelöst,

    Das Roß steigt frisch hinan;

    Mein Speer den Feind zur Erde stößt,

    Gut´ Sache stärkt den Mann.

    Gut´ Sache stärkt den Mann.

    Herr Christ, stärk´ alle Reitersleut´,

    Die mit Gewissen gut

    Dein Wort zu ehren sind bereit,

    Zu sterb´n aus freiem Mut.

    Unrechten Krieg gewaltig wehr´,

    Der Eigennutz und Macht mehr sucht

    Als deines Namens Ehr;

    Drauf sei es frisch gewagt!

    Drauf sei es frisch gewagt!"

    Der kaiserliche Kommandant hatte es gern, wenn seine Leute sangen. Freilich - im Kampfe ihren Mann stellen, das konnten sie besser.

    „Glückauf dann in dem neuen Jahr zum blutigen Festestanz!" schmetterte der Kommandant wieder in den Saal hinein mit seiner ungebärdigen Stimme, und seine klobigen Fäuste, die besser einen Säbelknauf als ein zierliches Weinglas zu fassen vermochten, schwangen ein zweites Glas gegen die Wand. . .

    Seine Leute kannten ihn so im Festesrausch, im lohenden Überschwang jugendlichen Feuers, obschon ein grauer Schimmer sein üppiges Haar durchwirkte. Aber die Gäste aus der Stadt und Nachbarschaft überfiel ein peinlich- schreckhaftes Schweigen, eisig und starr wie der kalte Ostwind, der gerade an den Fenstern rüttelte, einige Augenblicke sah man sich an: Schoß der Kaiserliche doch an Wildheit weit über seine sonstige Art hinaus. War´s Galgenhumor, war´s angehende Verzweiflung - zerstörende Wirrnis?

    Jetzt erhob sich, einige Sitze entfernt vom Kommandanten, ein würdiger älterer Mann. Seine Worte: „Soldaten des Kaisers, Bürger und Freunde! gingen im Stimmengewirr unter. „Ruhe für den Bürgermeister! brüllten zwei- - vier - sechs Mann im bürgerlichen Kleid.

    „Freunde! Ich erhebe mein Glas auf unser Wohlergehen. Der Kaiser soll leben! Auch stimmt ein ins Hoch auf unsere unüberwindliche Feste Marsberg, die wir gegen jeden anrückenden Feind halten werden, wir Bürger und Kriegsleute zusammen. Aber wenn es Gott will, so hält er uns die fremden Horden vom Leibe. Vielleicht auch schenkt uns der Himmel im Jahre des Heils 1629 das Morgenrot des Friedens - zum Wohle für Stadt und Volk! Ein Vivat dem Kaiser, ein Hoch auf Marsberg!"

    Bürgermeister Kleinsorge von Marsberg trank dem Kommandanten zu. Der Schein der hundert Kerzen im Rathaussaal gleißte in seinem Glase.

    „Frieden, daran glaub ich nicht, wetterte gereizt der Stadtkommandant. „Wir brauchen Kampf und Krieg, damit wir die ganze feindliche Brut vernichten. Nieder mit dem Mansfeld, weg mit dem Christian von Braunschweig. Nicht eher ist Frieden, als sie mit ihrem Söldnerheer aus aller Welt zugrunde gerichtet sind. - Auf, Spielleute einen Tanz! Noch immer ist unser Blut steif und schwer wie gefrorener Sirup; soll schäumen und mussieren wie funkelnder Wein. Auf, Spielleute, zum Tanz!

    Ehern schmetterten die Posaunen, süß mischte sich darein das Spiel der Geigen und Gymbeln – und mit der Musik quirlte und wirbelte jauchzendes Leben – wie rauschendes, tosendes Funkensprühen ins neue Jahr hinein.

    Rauh ging´s bei den Kriegsknechten zu. Der Wein, auf einem Beutezuge von fremden Söldnern erobert und vom Kommandanten eigens für diese Feier reserviert, floß in Strömen und berauschte die Sinne der kaiserlichen Besatzung, die schon seit Jahren im festen Marsberg lag. Schon drei - viermal hatten die meisten Leute der Besatzung hier den Übergang zum neuen Jahre miterlebt. Viele waren des Nichtstuns überdrüssig geworden und hatten sich zu Wallensteins oder Tillys siegreich vordringenden Truppenteilen versetzen lassen. „Kampf wollen wir haben! Ran an den Feind!" lallten betrunkene Kaiserliche in dieser Neujahrsnacht und verprügelten sich aus Übermut gegenseitig, daß es blutige Köpfe gab. Die Gäste im Bürgerrock hielten es für ratsam, einer nach dem anderen den Rathaussaal zu verlassen, um nicht die Zielscheibe derber Soldatenfäuste zu sein; denn wie leicht wird im Banne des Teufels Alkohol ein Streit vom Zaun gebrochen, der böse Folgen nach sich ziehen kann.

    Zeitig verabschiedete sich auch Bürgermeister Kleinsorge vom Stadtkommandanten, der etwas pikiert war über den frühen Aufbruch und in seinen struppigen Bart knurrte, ob es den Bürgern und ihrem Oberhaupt nicht wohl bei dem Soldatenvolk gefiele.

    In der Tat, der Bürgermeister war froh, aus diesem Kreise fort zu sein. Nur ungern ja hatte Marsberg fremdes Kriegsvolk aufgenommen. Vor einigen Jahren, zu Beginn des Krieges, war eine kaiserliche Besatzung in die Stadt gelegt worden, und das hatten die Bürger schmerzlich empfunden. Sie hätten sich lieber wie die Bürger der Nachbarstadt Brilon ganz neutral gehalten und gar keine Garnison aufgenommen. Wie oft schon hatten er, der zeitige Bürgermeister, und alle seine Vorgänger im Amte sich an die Regierung gewandt, die Stadt mit einer ständigen Einquartierung zu verschonen. Aber alle ihre Bitten und Vorstellungen wurden abschlägig beschieden. Wie gerne würden die Marsberger, statt die Einquartierung zu haben, hohe Kriegssteuern zahlen. Nun sie eine kaiserliche Besatzung hatten, wirkte die Feste Marsberg auf die benachbarten protestantischen Hessen und Waldecker wie ein rotes Tuch, und sie mußten jeden Tag des Angriffs der kriegerischen Nachbaren gewärtig sein.

    Durch die kalte Neujahrsnacht schritt der Bürgermeister seinem Hause zu, das sich unweit der Mauer befand.

    Am Mittag des Neujahrstages nahm er als Stadtoberhaupt alter Sitte gemäß die Glückwünsche der Bürgerschaft der festen Stadt auf dem Berge im Rathaussaal entgegen. In ihrer Amtstracht erschienen die Ratsherren und die Führer der Zünfte, an der Spitze die Dekane der Kaufleute mit den Senioren, den Markt- und Kornherren. In Bergmannsanzug traten mehrere Bergleute an, die zwar ohne feste Organisation und geschriebene Statuten, aber doch durch ungeschriebene Rechte den Gewohnheiten miteinander verbunden waren. Mit ihren Amtszeichen erschienen die städtischen Beamten, die „Diener. Auch der katholische Stiftsprobst und der Pfarrer hatten sich eingefunden, aber es fehlten diesmal die Vertreter der Protestanten. Seit Jahresfrist waren die früheren Protestanten wieder zur katholischen Kirche zurückgekehrt oder meist aus Marsberg ausgewandert. Der Schützenhauptmann mit den Rottenmeistern standen in Wehr und Waffen. Die Dekane der „Altenstadt wünschten ebenfalls der „Hauptstadt" Glück und Segen im neuen Jahr.

    Wie es seine Amtsvorgänger schon seit Jahrhunderten machten, so dankte Bürgermeister Kleinsorge für die dargebrachten Glückwünsche und fügte hinzu: „Bürger der ehrenwerten Stadt Marsberg! Wir wollen auch im kommenden Jahre unsere Stadt gegen jeden andrängenden Feind verteidigen. Wie halten stand im Wetterbraus der Kriegsnöte wie ehedem unsere Urväter auf der Eresburg."

    Die wetterharten Gesichter der kampferprobten Bürger und Schützen nickten Zustimmung. 500 Mann standen in Marsberg als waffenfähige Mannschaft, aus der Bürgerschaft der Festung und Bürgern der Altenstadt und Erlinghausen gebildet. Daneben lag eine kleine kaiserliche Mannschaft in der Stadt. Beide unterstanden dem Befehl des kaiserlichen Stadtkommandanten Janson, der aus Norddeutschland stammte.

    An den Empfang im Rathaussaale schloß sich die übliche Besichtigung der Festungswerke unter der Führung des Bürgermeisters an. Mit berechtigtem Stolz schritten die Zunftmeister und Ratsherren und Bürger und Schützen die Festungsmauern ab. In diesen kriegerischen Zeitläufen gaben sie ihrer Stadt den Ruf der Sicherheit; zudem war die Stadt Marsberg durch ihre natürliche Lage außerordentlich geschützt. Die starken Mauern, die den Ort umzogen, folgten dem Rande des Bergplateaus. An einigen Stellen erhob sich die Mauer bis zu einer Höhe von drei Metern.

    Obermarsberg (Illustration: Marie-Luise Runte)

    Als der Bürgermeister mit seinen Getreuen zum Buttenturm kam, der auf der nördlichen Kante des Berges liegt, trat der Posten heraus und meldete: „Hier sind ein Wachtmann und vier Gefangene!" Ein Blick in das dunkle Verließ des Turmes überzeugte den Bürgermeister von dem Vorhandensein vier menschlicher Gestalten, die auf dem Boden kauerten.

    An den Stellen, wo der Berg sich durch einen fast senkrechten Abhang selber schützte, wies die Mauer große Lücken auf. Der Bürgermeister gab Anweisung, hier den brüchigen Holzzaun durch einen starken Zaun und Palisaden zu ersetzen. Da der Abhang des Berges an der Südwestecke von oben nach unten eingedrückt ist, und wenn irgendwo an der Westseite, so hier in dieser Mulde ein Ersteigen des Berges vom Westen her möglich war, legte der Bürgermeister besondere Aufmerksamkeit auf die Besichtigung der hier gebauten drei Schanzen, deren mittlere eine Doppelanlage war. Er ordnete hier eine durchgreifende Reparatur an.

    In Windungen innerhalb der Schanzanlagen ging der Weg nach Süden weiter. Hier ist der sonst frei aufragende Berg durch einen nur schmalen Riegel mit der Hochebene verbunden. Er fällt hier etwas weniger steil ab als auf den anderen Seiten. Von Süden her führte die bequemste Straße in die Stadt. Die Südseite war am meisten gefährdet. Besonders gut mußten deshalb hier die Befestigungswerke sein, hier wo das große und starke Stadttor, Steintor genannt, lag. Bis zu diesem Steintor reichten von der Südwestkante des Berges her die Vorwerke, Hornwerke genannt, die sehr stark waren und mit der den Vorwerken außerdem noch vorgelagerten gewaltigen doppelten Schanzanlage das nahe Steintor und die Straße vollständig sicherten. Im Vorwerk traten die Männer durch das kleine, enge und leicht zu verteidigende Tor aus dem Festungswerk hinaus, das die Wachtmannschaft gehorsamst öffnete.

    Sie schauten gen Süd- Westen auf das Berg- und Hügelland. Die Bergkuppen hatten Schneehüte auf, die im Wintersonnenschein glänzten. Ein friedliches Land lag vor ihnen.

    Über zehn Jahre schon toste die Kriegsfurie durch Deutschlands Gaue. Viele Gaue waren von Rosseshufen zertreten. Ein Kampf der Deutschen gegen Deutsche war es, in dem schon viele ihr Leben aushauchten, ein Kampf, den Eroberungslüste anderer Völker immer aufs Neue entfachten. - Aber in die heimischen Gaue war der Krieg noch nicht vorgedrungen. Verschiedentlich schien es, als ob die Ligisten oder Tilly oder Christian von Braunschweig ihren Marsch auf Marsberg nähmen. Aber wie durch Wunder blieb das Marsberger Land bisher verschont. Ein friedliches Land lag vor dem Bürgermeister der Stadt auf dem Berge und seinem Rate, die alle die Schrecken des großen Krieges bisher nur vom Hörensagen kannten.

    „Ein neues Jahr ist heraufgestiegen. Wer weiß, was es uns an Freuden oder Leiden bringt! sprach nachdenklich Bürgermeister Kleinsorge zum Ratsherr Gerold. „Wie kann´s uns Gutes bringen? entgegnete dieser. „Wie, habt Ihr neue Kunde von den Kriegsläuften erfahren? Erzählet! Die Umstehenden bedrängten den Ratsherrn Gerold förmlich. „Wie kann´s uns Gutes bringen, wenn Warburg, nur einige Wegstunden von uns entfernt, in Schutt und Asche liegt? Wenn des tollen Christian Horden raubend und zerstörend im Paderborner Land einherziehen? Wenn die nachbarlichen Waldecker und Hessen uns ständige Drohbriefe schicken? Wer weiß, ob sie nicht doch ihre Drohungen bald wahr machen, vor unsere Tore rücken und solange hier bleiben, bis wir die kaiserliche Besatzung ihnen ausgeliefert und uns schriftlich verpflichtet haben, keine neuen Kaiserlichen wieder aufzunehmen? – „Die soll´n nur kommen, die Landgräflichen von Hessen oder die fürstlichen Vasallen von Waldeck! Die zwingen uns nicht! Ein Rottmeister der Schützen sprach´s und stellte sich in Positur und fuchtelte mit seiner Hellebarde herum, als ob er die Feinde schon vor sich hätte. – „Ich wäre dafür, die Kaiserlichen sowieso jetzt hinauszubefördern. Was brauchen wir diese fremden Söldner hier zu verpflegen mit Frauen und Kindern, he? Hinaus mit dem Volk, von dem wir nichts Gutes lernen! Wir sind selbst Männer genug, uns in unseren Mauern zu verteidigen. Hinaus, sage ich, so schnell es geht! Der sich so in Schweiß redete, war Ratsherr Vogt, der als früherer Bürgermeister mit den Kaiserlichen schon manchen Strauß ausgefochten hatte. „Raus mit den Kaiserlichen! stimmten einige aus der Begleitung des Bürgermeisters Kleinsorge zu. Der zog die Stirn kraus und blickte ernst in die fragenden Gesichter: „Das geht nicht, Bürger. Das gebietet uns die Klugheit. Wir dürfen uns mit den Kaiserlichen nicht verfeinden. Des Kaisers Herzog Wallenstein ist überall siegreich im Vormarsch. Tilly hat Christian von Braunschweig geschlagen. Die kaiserlichen Heere sind an uns vorbeigezogen und haben uns mit Abgaben und Plünderungen verschont. Wir wollen lieber - wenn auch ungern - das kleine Opfer der Besatzung tragen, als in erhöhter Gefahr schweben, von den Heerhaufen der Kaiserlichen gebrandschatzt und ausgeplündert zu werden.

    „Raus mit den Kaiserlichen sage ich trotzdem", knurrte der Vogt, als der Bürgermeister unter der Zustimmung der meisten geendet hatte. Doch was hatte es für einen Zweck, sich hier zu streiten. So dachten beide, Bürgermeister Kleinsorge und Ratsherr Vogt, die schon in manchen Ratssitzungen und Zusammenkünften wie wilde Kampfhähne aneinandergeraten waren, wobei der jetzige Bürgermeister Kleinsorge durch seinen alle Umstände klug abwägenden Sinn immer die Oberhand behielt.

    Mit der Unterhaltung über die schwebenden städtischen Angelegenheiten beschäftigt, schritten der Bürgermeister und sein Gefolge am Neujahrstage wieder durch das Stadttor in die feste Stadt mit ihren stolzen Bürgern, mit ihren wackeren Schützen, die wie Eichbäume standen, mit ihren Türmen und Zinnen, die so manchem Sturm der Jahrhunderte getrotzt.

    Die einzelnen Männer, die an der Besichtigung teilgenommen hatten, zerstreuten sich und gingen ihre eigenen Wege, die meisten in ihre Häuser; einige wenige, unter ihnen war Ratsherr Vogt, zog es in die Stadtschenke im Rathaus. Hier hatten sich schon mehrere Bürger zusammengesetzt zu einem fröhlichen Umtrunk auf das neue Jahr. Die kaiserliche Besatzung war - Gott sei Dank - bis auf die Wachen nach Erlinghausen ausgeflogen.

    Vogts Gesicht erhellte sich, als er das vernahm; er schlug mit der Faust auf den Tisch, daß es dröhnte - vor lauter Übermut, voll Freude, die bunten Uniformen der Söldlinge heute nicht unter den Augen zu haben, die Uniformen der Kaiserlichen heute nicht ansehen zu müssen, die er haßte, wie nur ein Mann hassen kann.

    „Nun mal langsam, Freund! mahnte der Wirt, „du sollst heute noch genug haben. Laß einen Reichstaler hier, dann kannst du zechen, solange dir´s heute beliebt - meinethalben bis übermorgen. – „Ja, wenn die verdammten Kaiserlichen wegblieben für immer, dann gäb´ ich noch dazu einen Reichstaler für die Armen, lachte Vogt auf. „Was haben dir die schon wieder getan, daß du sie auf den Blocksberg wünschest, fragte der Stadtschänken- Wirt Martin neugierig. „Pst, schlagt hier nicht solche Töne an gegen die Kaiserlichen; jeden Augenblick können sie zurück sein, und dann setzt es was ab, wegen Eurer verächtlichen Reden", mahnte Peter Kleinsorge, des zeitigen Bürgermeisters Bruder. Der Wirt kniff dem Ratsherrn Vogt ein Auge zu, und Vogt tat, als ob er diesen Zwischenruf des Sicherheitskandidaten nicht gehört hätte.

    „Die Kaiserlichen müssen es in Erlinghausen heute gut vorhaben, erzählte leise der Wirt Martin seinem Gast Vogt, der manchen Silbergroschen bei ihm ließ, und der ihm deshalb lieb und wert war, wenngleich der Wirt in manchen Punkten der Politik anderer Meinung war und blieb. „Der Teufel hole dieses Volk und seinen ganzen Troß! fluchte Vogt und machte einen kräftigen Zug aus dem Kruge, den ihm der Wirt von Gerstensaftes voll eingeschenkt hatte. „Eine nette Neujahrsbescherung für unsere lieben Nachbarn! – „Was die dort wieder verzehren und zerstören heute! Was die Männer nicht mehr mögen von den reich gedeckten Tischen, das tragen die Weiber und Kinder dieser Söldlinge in Bündeln fort. Und wer nicht freiwillig gibt, dem wird es mit Gewalt genommen. An den Bettelstab können diese Söldner den reichsten Mann bringen. Drum raus mit diesem Volk, sage ich, lieber heute als morgen, daß wir wieder frei aufatmen können und wissen, wofür wir leben und schaffen. Die bürgerlichen Gäste in der Stadtschänke spitzten die Ohren, was sich Wirt Martin und Ratsherr Vogt so Wichtiges leise zu erzählen hatten.

    (Fotos: Landesmuseum Württemberg (CC BY-SA))

    Wo er ging und stand, schimpfte Vogt über die Kaiserlichen. Er wußte, daß er durch seine Hetze gegen die der Stadt Marsberg aufgezwungene Besatzung bei den besonnenen Bürgern ausgespielt hatte, während ein großer Teil der Marsberger seinen Zorn gegen die allen verhaßten Kaiserlichen geschickt zu schüren verstand und darauf abzielte, unter Vogts Führung einen offenen Aufstand gegen die Besatzung zu entzetteln, um sie mit Kind und Kegel zum Tore hinaus zu jagen

    Vogt selbst und seine Familie hatten darunter schwer zu leiden. Mit Argusaugen wachte der kaiserliche Kommandant über sein Tun und Treiben, seit ihm bekannt geworden, daß von Vogts Hause aus eine Welle der Verschwörung gegen ihn und seine Leute flutete, die, wenn sie immer neuen Zufluß erhielt, eines Tages in wilder Flut alles niederriß, was sich ihr in den Weg stellte.

    Dem mußte nach der richtigen Erkenntnis des Kommandanten ein Damm entgegengesetzt werden. Schon seit Jahren hatte Vogt mit seiner gesamten Familie gehetzt, aber erst seit einigen Monaten hatte Stadtkommandant Janson den Herd der geheimen Verschwörung in Vogts Hause entdeckt. Gleich nach dieser Feststellung hatte Janson des Ratsherrn Bruder Karl Vogt als Geisel festnehmen und ihn in das Verließ des Buttenturmes sperren lassen. Vogt und seine Sorte, so hatte er dem Hause Vogt zu verstehen gegeben, solle ja keine Gewalttaten gegen die Besatzung unternehmen, sonst würden an Karl Vogt als Geisel grausamste Martern vollzogen

    Diese Festsetzung seines Bruders hatte alles andere bewirkt, als den Ratsherren Vogt zur Besinnung zu stimmen, als klugerweise bei den Kaiserlichen um gutes Wetter anzuhalten, damit sein Bruder wieder frei gelassen würde. Im Gegenteil: Wo er ging und stand, hetzte Vogt noch mehr gegen die Kaiserlichen, während sein Bruder die harten Qualen der Gefangenschaft im unterirdischen Verließ des Buttenturmes erdulden mußte. Wenn ihm der Stadtkommandant begegnete, so spie Ratsherr Vogt offen vor ihm aus, ohne Rücksicht darauf, daß sein gefangener Bruder dafür jedesmal vom Kommandanten ein paar Fußtritte erhielt.

    Vogt hatte sich in der Stadtschänke wiederum ob der Kaiserlichen Verweilen und Gebaren in Schweiß geredet. „Wir müssen sie hinaus haben, diese Lumpen, heute noch, und damit wandte er sich an die Gäste, an die Bürgersleute, von denen er wußte, daß sie zum größten Teil auf seiner Seite standen. „Endlich einmal höret, endlich einmal besinnet euch zur Tat! Geht nur diesmal nicht von der Stelle, ohne den festen Entschluß gefaßt zu haben, die unbequemen Gäste hinauszusetzen. Jeder fasse diesen Entschluß bei sich selbst und für sich selbst, gleich als ob er allein da sei und alles allein tun müsse. Wenn recht viele einzelne so denken, so wird bald ein großes Ganzes dastehen, das in eine einzige engverbundene Kraft zusammenfließt. Wenn dagegen jedweder, sich selbst ausschließend, auf die anderen hofft und den anderen die Sache überläßt, so gibt es gar keine anderen, und alle zusammen bleiben so, wie sie vorher waren. Fasset ihn auf der Stelle, diesen Entschluß! Ich bitte, ich beschwöre euch, Freunde: Heute noch raus mit den Kaiserlichen! Die Gelegenheit ist günstig. Wir überrumpeln die Wachen, befreien die Gefangenen, schließen die Tore und lassen es gegen unsere feste Stadt anrennen, dieses erbärmliche Häuflein gegen unsere tapferen Schützen- Rotten.

    Tatsächlich, dem Ungestüm der Rede des Ratsherren Vogt waren alle gefolgt, sie waren alle angesteckt von dem Fieber, das ihn gepackt hatte.

    „Los, los, zum Buttenturm zunächst! Die Wache überrannt, die Gefangenen befreit! Dann zum Altenstädter Tor! Dort die kaiserliche Wache weg! Dann zum Steintor und wo ihr sonst noch Kaiserliche in den Mauern trefft: Entwaffnet sie oder haut sie nieder, wenn sie nicht gleich parieren wollen, sperrt sie statt unserer Bürger in die Türme!" Mit Kommandostimme befahl es der ehemalige Bürgermeister den zwanzig Männern, die in der Stadtschänke zum fröhlichen Umtrunk, nicht zum Kampf und Krieg weilten.

    Und wirklich: Sie folgten, wie von einer giftigen Viper gestochen. „Piken her! Einige Hakenbüchsen dazu! An die Kaiserlichen!" tönte es wirr durcheinander. Schnell waren die Waffen zur Hand. Mitten im friedlichen Land war ein Kriegsherd entstanden. Ohne viele Mühen wurden die paar Kaiserlichen entwaffnet und die Gefangenenrollen vertauscht. Ohne daß ein Schuß fiel, ohne daß Blut floß, war in einer Viertelstunde alles geschehen, am heiligen Neujahrstag.

    Mit Windeseile hatte sich die Kunde von dem Handstreich und seinem Gelingen in der Stadt verbreitet. Das Volk rannte auf die Straße, raste vor Freude und beglückwünschte den Ratsherren Vogt zu der mutigen Tat. Aber einige besonnene Bürger, an ihrer Spitze Bürgermeister Kleinsorge, zogen die Stirne kraus voll Sorge über die Dinge, die nun kommen mußten.

    Nicht lange mehr würde es dauern, bis die Kaiserlichen mit ihrem Troß von Erlinghausen her wieder in die Stadt Marsberg einzurücken versuchten. Gewiß, ohne Verstärkung, die erst in einigen Tagen zu beschaffen wäre, könnten sie mit Gewalt die feste Stadt mit ihrer 500 Mann starken Bürgerwehr nicht um Einlaß bitten.

    Bürgermeister Kleinsorge berief sofort eine Ratssitzung, zu der auch, soweit im Rathaussaal Platz vorhanden war, Bürger und Schützen erschienen. Der Stadtbote machte die Einladung durch Gassenruf bekannt. „Bürger der ehrenwerten festen Stadt Marsberg bewahret Ruhe und Ordnung! Folgt den Anweisungen des regierenden Bürgermeisters!"

    Die Sitzung der Ratsherren brachte erhitzte Köpfe. Auf ein Haar hätte es blutige Schädel abgesetzt.

    Die besonnene, überzeugende Art des Bürgermeisters Kleinsorge rettete die Stadt vor schwerem Unheil, vor blutigem Bürgerkrieg im Innern und vor den Verderben speienden Kartaunen der Kaiserlichen, die trunken und gröhlend von Erlinghausen schon herangezogen. „Bürger, ich bitte und beschwöre euch; habt Vernunft! Es gibt nur einen Weg aus drohendem Unheil: Wir müssen die Kaiserlichen wieder in die Stadt lassen. Die Worte des Bürgermeisters wurden von den Anhängern Vogts, die sich zusehends mehrten, übertönt: „Fort mit den Kaiserlichen! „Nicht mehr hinein! „Wir brauchen diese Söldner nicht! „Sie vernichten uns! „Sie verderben unsere Frauen und Kinder! „Weg mit den Mordbrennern! „Wir nehmen´s mit ihnen auf.

    Durch das Stimmengewirr konnte sich selbst Vogt, der sich heute die Herzen der meisten Bürger durch seinen Schneid erobert hatte, nur schwer Gehör verschaffen. „Bürger! Wenn wir jetzt die Kaiserlichen wieder aufnehmen, dann wehe mir und den Zwanzig, die sich gegen die Kaiserlichen auflehnten! Ein grausamer Tod mit Höllenqualen ist uns sicher - oder wir müssen sofort aus unserer Heimatstadt fliehen, Haus und Hof verlassen und Frau und Kind, - fliehen vor diesen Söldlingen ohne angestammten Sitz." So sprach Vogt.

    „Nein, wir bleiben hier - ohne die Kaiserlichen! Wir stehen wie eine Mauer gegen die Verhaßten! Hoch lebe die Festung Marsberg! Hoch im Kampf und Krieg!" Diese ermunternden Zurufe aus der Versammlung klärten jeden über die wahre Stimmung im Volke auf.

    „Bürger! Laßt mich ausreden: Wir müssen mit den Kaiserlichen vor dem Einlaß verhandeln. Wir wollen sie hineinlassen, wenn sie uns allen kein Haar jetzt und in Zukunft zu krümmen versprechen, die Gefangenen und Geiseln freilassen, unsere Frauen und Kinder nicht mehr belästigen. Der Kommandant und alle seine Leute sollen uns das feierlich versprechen und mit ihrem Eide bekräftigen." Des Bürgermeisters Vorschlag fand bei den meisten Zustimmung.

    „Wer will verhandeln? Freiwillige vor! „Wer verhandelt, spielt mit seinem Leben! – „Die draußen sind, wissen ja noch nichts von dem, was hier drinnen passiert ist. „Es ist keine Zeit zu verlieren, es muß sofort verhandelt werden. So schwirrte es nun wieder durcheinander.

    „Der Bürgermeister und der gesamte Rat begeben sich sofort zum Steintor. Wir tragen dem Kommandanten allein unseren Beschluß vor, der unabänderlich ist. Morgen sollen dann die Kaiserlichen allesamt den Eid leisten vor dem ganzen Volke auf dem Marktplatz." Der Bürgermeister sprachs und schritt mit dem Rate aus dem Saale, dem Steintor zu.

    Der wilde Haufen der Kaiserlichen war bereits vor den Toren und begehrte Einlaß. Hoch zu Roß sprengte Kommandant Janson heran. „Heda, warum wird hier nicht aufgemacht? Seid ihr schon am Schlafen, ihr faules Volk? Ich werde euch gleich verprügeln lassen! So wetterte der Kommandant vor dem Tor, das im Vorwerk vor dem mächtigen Steintor lag. „Herr Kommandant! Es sind nicht unsere, die es bewachen, es sind bürgerliche Schützen. Sie wollen uns nicht hineinlassen. Also meldete ein Musketier. „Tretet das Tor ein! Macht die Wachen nieder! Holt mir den Bürgermeister, daß ich ihn strafe!" befahl der Kommandant, der gleich die Verschwörung erkannte.

    „Der Bürgermeister und der gesamte Rat begehrt Euch zu sprechen, Herr Kommandant! schrie ein Wachtmann durch das kleine Torfenster. Ein kaiserlicher Landsknecht legte seine Hakenbüchse auf die Öffnung an, um den Wachtmann zu erschießen. Zwei, drei Landsknechte spannten ihre Büchsen, um ebenfalls zu feuern. „Laßt Bürgermeister und Rat kommen, wir wollen sie schon empfangen! brüllte der wilde Haufen. „Laßt das Schießen sein, Maul halten! befahl der Kommandant. „Laßt mich ins Tor. Ich will sehen, was los ist! Der schwere Riegel des Tores wurde innen weggeschoben, knarrend öffnete sich das Tor. Der Kommandant hatte Mühe, sich durch das nur wenig geöffnete Tor hindurchzuzwängen und sich der nachdrängenden kaiserlichen Haufen am Eingang zu erwehren.

    „Was ist hier los? brüllte er den Bürgermeister und Rat im Vorwerk an. Die trugen den Beschluß der Bürgerschaft vor. Zorndurchglühte Blicke schossen herüber und hinüber, besonders Ratsherr Vogt und der Kommandant wechselten Blicke, die Verderben drohten. Bürgerstolz und das Gefühl des guten Geborgenseins in sicheren Mauern sprachen aus Haltung und Gebärden des Rates und ihres Oberhauptes, als sie mit dem zürnenden Kommandanten verhandelten. Der wollte nicht nachgeben, der berief sich auf die Zügellosigkeit, die bei jeder Söldnertruppe im Reiche eingerissen sei. „Und wenn sie morgen einen heiligen Eid schwören, so brechen sie ihn übermorgen. So verderbt sind die Leute, so wenig Gewissen haben sie. Nur mit Mühe halte ich meine Kriegsknechte zusammen. Ich will tun was in meinen Kräften steht.

    „Herr Kommandant! Überlaßt uns das Strafgericht; wenn einer seinen Eid bricht, so soll er nach peinlicher Gerichtsverhandlung vor dem Rate zum Tode am Galgen verurteilt und das Urteil durch unsere Henker sogleich vollstreckt werden. Wir müssen Ordnung haben in unserer Stadt und Ruhe."

    „Gut! - Morgen lasse ich meine Leute und Euren Rat - und dabei schaute der Kommandant dem Ratsherrn Vogt besonders fest ins Auge – „den Eid vor allem Volke schwören: Niemand der Kaiserlichen soll sich fürderhin an den Frauen und Kindern der Bürger vergreifen, niemand der Bürger soll den Kaiserlichen nachstellen. Niemand der Kaiserlichen soll sich über Gebühr von den Bürgersleuten holen, jeder der Bürger Übertretungen sofort dem Rate anzeigen. - Und nun laßt uns hinein und in Frieden und Freundschaft zusammen leben.

    Bei diesen Worten des Kommandanten knirschte Vogt mit den Zähnen: „Frieden - solange es geht; Freundschaft - nie!"

    Und dann strömten die Kaiserlichen und ihr Troß durch die geöffneten Tore in die Stadt, nachdem ihnen der Kommandant Ruhe und Disziplin strengstens anbefohlen hatte. - In den einzelnen Häusern aber wüteten die trunkenen Landsknechte wie schon Jahre hindurch. Nur aus Gewinnlust und Sinnlichkeit hatten sie sich dem Kriegsdienste gewidmet, waren zu einer reinen Räuber- und Diebesbande geworden, jedes Anstandsgefühles bar.

    II.

    Just zur Jahreswende stieg ein Traumbild auf. . . Im Turmzimmer der Eresburg saß die Alte Zeit schlafend am Spinnrocken. Um die Mitternachtsstunde trat die Neue Zeit zögernd ein.

    Tief war sie in Gedanken versunken. Hier ist der Ort, den jedesmal mit Zagen nur und mit geheimer Scheu ich zu betreten wage. Sonst tanz und sing und lach ich gern durch alle Räume: mit Recht bin ich die Junge Zeit der alten Burg genannt. Doch hier an diesem Ort heißt´s stille sein, ehrfürchtig schweigen, weil vor dem Alter stets die Jugend ehrfürchtig schweigen soll. - Hier schläft geheimnisvollen Schlaf der Eresburg „Uralte Zeit". Tief, traumlos ist ihr Schlaf; wie lang er währt, sie wüßt´ es selbst wohl nicht zu sagen.

    Verwittert, grau wie das Gestein der Burg, gebückt von der Zeiten schwerwiegender Last, das Antlitz durchzogen von tiefen Furchen schwer zu enträtselnder Runenzeichen: So sah ich sie zum erstenmal an jenem Tag, als ich, die Junge Zeit, einzog in die Burg. - Abweisend erst, fürchtend streng, dünkt damals mir der seltsam klare Blick der grauen Augen, der forschend mir bis in den Grund der Seele drang. Doch, wie gebannt, senkt´ ich mein Auge nicht, begegnet´ frei dem kühlen, klaren Blick! Und siehe! Langsam wich aus Aug´ und Zügen die starre Strenge, ganz gut sahn mich zuletzt die alten Augen an. Und wie von selbst sich unsre Hände ineinander fügten: die meinen wohl, wie schutz- und führungheischend, nach den ihren griffen - die ihren sich mit festem Druck, gleich Ruhe gebend, um die meinen legten. Und tief, des Klangs und Wohllauts voll wie eine alte Glocke, drang ihre Stimme an mein Ohr: „Die Alte Zeit heißt herzlich auf der Eresburg die Junge Zeit willkommen und bietet Schutz und Heimatrecht ihr an."

    Es lebt sich gut für mich in diesen Mauern, seitdem der Burg Uralte Zeit so meinen Einzug fromm gesegnet hat. Sie selbst, die Alte Zeit, zog hierher sich in ihr ureigenes Reich zurück und überließ die Herrschaft mir, der Jungen. Doch weil sie mir nun holt gewogen war, getraute ich mir, einen Wunsch zu tun, eh´ schlummertrunken sich die müden Augen schlossen. „Gewähret einmal mir in jedem Jahr Einlaß in eurer Klause stillen Frieden! Nur einer Stunde Frist laßt schöpfen mich aus eurer Ruhe, eurer Weisheit goldner Fülle; denn unschätzbar gut ist der Reichtum des Alters für die Junge Zeit, und ihre rastlosen törichten Kinder. So bat ich, und gütig nickte die Alte meiner Bitte Gewährung: „Wenn in der Neujahrsnacht die alte Turmuhr der Stiftskirche der Mitternacht verkündet, ruf dreimal meinen Namen, dann wach ich auf! Was sie versprochen mir, sie hat es oftmals schon gehalten, sie wird auch heuer in der Zeitwendnacht mich nicht vergebens rufen lassen. Horch! - Holt nicht schon die alte Turmuhr zu dumpfen Schlage aus? In der Tat - die Uhr der Stiftskirche schlug zwölf und die Junge Zeit rief dreimal: Alte Zeit - Alte Zeit - Uralte Zeit!

    Da erwachte die alte Zeit: „Wer ruft mich?"

    Und die junge Zeit schüttelte die Alte sacht, die am Spinnrocken saß: „Wacht auf! Wacht auf! Ich bin´s,

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