Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Tod am Turm
Tod am Turm
Tod am Turm
eBook333 Seiten4 Stunden

Tod am Turm

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Der Turm, Rest einer alten Landesburg, ist nur noch eine Ruine. Leicht baufällig, nicht mehr zugänglich. Außer für eine Gruppe professioneller Killer, die zwischen den Zinnen ihre Opfer deponieren. Die Killer gehören zu einem Finanz- und Immobilienjongleur, der es bestens versteht, sich im Hintergrund zu halten. Und neben seinen Finanzgeschäften auch noch ein großes Wachunternehmen betreibt.Seine Marionetten mit besten Kontakten in die Politik und die "kölsche" Gesellschaft scheinen ihn unantastbar zu machen. Bis Kriminaloberrat Alexander Westphal seine Spur aufnimmt. Gelingt es ihm, den Boss zu überführen? Er setzt alles daran. Schließlich hat der erfahrene Mordermittler den gewaltsamen Tod von zehn Menschen aufzuklären.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum12. Okt. 2016
ISBN9783741273414
Tod am Turm
Autor

Jürgen Kleikamp

Jürgen Kleikamp, Jahrgang 1953, ist von Hause aus Journalist. Tageszeitung, Boulevard-Blatt, Radio und Fernsehen haben seinen beruflichen Weg geprägt. Begonnen hat er vor 44 Jahren in seiner Geburtsstadt in Westfalen, er war im Ausland tätig und auch im Ruhrgebiet. Die meiste Zeit aber hat er im Rheinland verbracht. Hier hat er tiefe Einblicke in politische, wirtschaftliche, gesellschaftliche und kriminelle Ereignisse gewonnen. So könnte sich vieles, was er in seinem Krimi beschreibt, auch tatsächlich genau so ereignet haben. Hat es aber nicht. Alles ist rein fiktiv. Und spielt keineswegs nur in Köln, denn auch die Umgebung der Klüngel-Hauptstadt hat für ihn ihre Reize. In jeder Beziehung.

Ähnlich wie Tod am Turm

Ähnliche E-Books

Thriller für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Verwandte Kategorien

Rezensionen für Tod am Turm

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Tod am Turm - Jürgen Kleikamp

    Inhalt

    Die Landesburg und ihre Leichen

    Das Tattoo und die Soko Rossoneri

    Der Rossoneri und seine Jobs

    Die Witwe und der Mann aus Kalabrien

    Der Reporter und seine Tricks

    Der Mann aus dem Rathaus und seine Machenschaften

    Die Kendo-Kämpferin und ihre Ermittlungen

    Der Boss und seine „Burg"

    Der Oberrat und seine Crew

    Der Anwalt und der Lippenleser

    Der Zeuge und der Angriff

    Die Killer und der Auftraggeber

    Impressum

    Die Landesburg und ihre Leichen

    Fünf Blackberrys und fünf Rotweingläser, mehr oder minder gefüllt mit sizilianischem Regaleali, auf dem Tisch, etliche Flaschen desselben in der Küche. So war es immer, wenn sie zusammen saßen. Später gabs dann noch Käsehäppchen und Mini-Frikadellen. Davon ganz viele. Aber die Rotweinrunde hatte gerade erst angefangen zu „tagen". Fünf Herren, in Köln und Umgebung recht bekannt, in nicht unwichtigen Funktionen, alle so um die 50 Jahre alt, privat gesettelt und alle ziemlich unbequem, deutlich in ihren Aussagen und von ihrer Umgebung entsprechend argwöhnisch betrachtet. Ja, fast unbeliebt. Unbequem auf jeden Fall. Alle.

    Die fünf, Messechef Joachim Hagen, WDR-Chefreporter Georg Landfeld, Flughafenchef Manfred Martens, Polizeipräsident Karl Stufenhausen und Stadtwerke- Vorstand Hans-Heinrich Zirkelhock. Die Rotweinrunde traf sich unregelmäßig, immer reihum bei einem der fünf zuhause, diesmal in der 25 000 Seelengemeinde Alfter im Rhein-Sieg-Kreis. Hier wohnte Stadtwerker Zirkelhock mit Frau Sabine Zirkelhock und drei Kindern in einer fast schon akribisch gepflegten Doppelhaushälfte in leichter Höhenlage auf dem Görreshof. An dieser Stelle  im Vorgebirge konnte man bei guter Sicht den Kölner Dom sehen. Sie trafen sich in dieser Runde ganz bewusst privat und eben nicht in einer Kneipe. Wahrlich nicht nur wegen des Regaleali. Sollte ja nicht jeder wissen, wer da so zusammen hockte und möglicherweise Unangenehmes für die kölsche Seele ausheckte. Außer der Freude am gelegentlichen Rotweintrinken und außer der prächtig entwickelten Bereitschaft, mal so richtig auf den Tisch zu klopfen und Unbequemes so deutlich zu sagen, dass es auch der letzte Ungläubige versteht, hatten sie noch zweierlei gemeinsam: Keiner war in Köln geboren, und es gab keine gemeinsamen Leichen in irgendwelchen Kellern in Köln oder Umgebung. Und keiner hatte einen Beratervertrag bei der Sparkasse Köln-Bonn. Eher ungewöhnlich für die kölsche Klüngel-Metropole. Darum verstanden sie sich auch so gut.

    Lieblingsthemen: die Landesregierung und Kölns Stadtvorstand, allen voran Oberbürgermeister Franz Marscha. Während die Landesregierung wegen ihrer eher kaberettistischen Verteidgungsspiel wegen der silvesternacht in Köln vor allem müde belächelt wurde, wurde über das Kölner Stadtoberhaupt nur so hergezogen, dass es krachte. Flughafenchef Martens, Knoten der knallgelben Armani-Krawatte in Höhe des dritten Hemdknopfes, das Hemd von Boss, der Anzug ebenfalls, rechtes Bein im rechten Winkel auf dem linken Bein, hob gerade an, um das nächste lustige Anekdötchen über den nie anwesenden, aber immer präsenten Franz Marscha zum Besten zu geben.

    Das Kölner Stadtoberhaupt hatte bei Grundstücksverhandlungen über den Köln/Bonner Flughafen mal wieder seine besondere Fähigkeit unter Beweis gestellt: eine Meinung haben, aber diese nicht durchsetzen zu können. Der Kompromiss, den er in den Himmel gehoben hatte, war schlicht geplatzt. Nun war dieses Thema aber in den Hintergrund getreten, weil zwei führende Parteifreunde des Oberbürgermeisters durch äußerst umstrittene Beraterverträge eben mit der Sparkasse Köln/Bonn ihren Rückzug antreten mussten. Franz Marscha allein im Rathaus. Und mit der heftigen Frage konfrontiert, was er denn alles so davon gewusst habe. Schließlich war er auch mal Verwaltungsratsvorsitzender der Sparkasse Köln/Bonn.

    Dennoch warteten alle zunächst darauf, dass der Flughafenchef nun die Details von Marschas Unschicklichkeiten beim Poker zwischen Bund, Land und Stadt um die Airport-Areale präsentieren würde. Was er ohnehin nur tat, weil er genau wusste, dass es von seinen vier Rotweinbrüdern alle für sich behalten würden. Es diente ausschließlich der persönlichen Belustigung. Alle - auch das gönnten sich die Herren - kicherten schon in heller Vorfreude wie eine pubertierende Mädchenhorde, als plötzlich atemberaubend laut der Ton eines Porsche-Motors ertönte, und einer der fünf Blackberrys über den massiven Esstisch der Familie Zirkelhock hoppelte. So ein Mist fluchte Landfeld, der natürlich sofort den Klingelton des Porsche richtig zugeordnet hatte: „Ich hab nicht mal Bereitschaft, das muss was ganz Dickes sein", murmelte er vor sich hin.

    Automatisch blickte er auf die Uhr: 20.17 Uhr, Dienstag, 27. September. Lokalzeit vorbei, Tagesschau auch, nächste erreichbare Sendung im WDR Fernsehen 21.45 Uhr, WDR-aktuell, Radio nicht vergessen, schoss es Landfeld in den Kopf. Das würde eng, supereng, fürs Fernsehen noch etwas auf die Antenne zu bringen. Kennwort im Blackberry eingeben, Trackwheel auf mail drehen und lesen waren eins. Das ging fließend. Landfeld, hart gesotten, und schon mit vielen Schattenseiten des wirklichen Lebens konfrontiert, konnte so schnell nichts umwerfen. Doch er musste sich setzen, kreidebleich. Totenstille in der trauten Rotweinrunde. Nur Polizeipräsident Stufenhausen schoss die Zornesröte ins Gesicht. „Diese verdammten Journalisten, „schnauzte er seinen Freund Landfeld an, „warum weißt Du eher Bescheid als ich? Schließlich bin ich der Polizeipräsident. Setz Dich, gab der WDR-Chefreporter zurück. „Dein Blackberry bimmelt auch gleich, garantiert, ruf schon mal Deinen Fahrer her."

    Mucksmäuschenstill verfolgten die anderen drei den Wortwechsel. Dann las Landfeld die mail laut vor: Zehn tote Männer, Schlosspark Erftstadt-Lechenich, alle Kopfschuss. Den Namen, der darunter stand, um die Zuverlässigkeit der Nachricht zu dokumentieren, las der WDR-Reporter natürlich nicht vor. Informantenschutz ging ihm über alles. Auch im Kreise seiner Freunde.

    Der Polizeipräsident, der üblicherweise nichts an einem Tatort verloren hat, aber natürlich in ganz besonderen Fällen dort erscheint, würde Kriminaloberrat Alexander Westphal noch früh genug treffen. Denn der Chef aller Kölner Mordkommissionen war schon längst am Tatort. Dieses war ein ganz besonderer Fall. 10 Tote mit Kopfschuss, unvorstellbar. Der Blackberry von Stufenhausen blieb immer noch still. „Die mach ich lang, fluchte er erneut. Gar nichts machst Du, Du kannst froh sein, dass Du schon Bescheid weißt. „Kannst jetzt deine Frau anrufen und ihr sagen, dass sie dich heute nicht mehr sieht. Sabine Zirkelhock, vor den drei Kindern auch beim Stadtwerkekonzern beschäftigt, erschien auf der Bildfläche, um weiter den geselligen Teil aufrecht zu erhalten. Solche Situationen waren ihr nicht fremd. Klar war, dass die drei verbliebenen aus der nun gesprengten Rotweinrunde nicht gleich abrücken müssten.

    Nur der Abend war dahin, eine reine Männerrunde war doch etwas anderes. Sabine Zirkelhock würde nun die Gastgeberrolle übernehmen, auch die Frauen kannten sich alle untereinander, zweimal im Jahr trafen sich die Paare alle gemeinsam.

    In dem Moment machte eine Polizeisirene Riesenlärm. Der Blackberry von Stufenhausen. Er würdigte ihn keines Blickes. Am liebsten hätte er ihn an die Wand gefeuert, aber wie hätte er das den Pingelköppen von der Verwaltung erklären sollen.

    Stufenhausen beruhigte sich wieder, was nicht zuletzt seinem Fahrer zu verdanken war, denn der stand schon mit dem Dienstmercedes, kleinste Mercedes- E.- Klasse, mehr war für einen Polizeipräsidenten auch der größten NRW-Behörde nicht drin, in Alfter vor der Tür. War ja auch nur ein Katzensprung, denn er wohnte im benachbarten Bonn- Duisdorf. Soll ich dich mitnehmen, fragte Stufenhausen den WDR-Reporter, „du hast Rotwein getrunken. „Nur ein Glas, da kann ich noch locker fahren, aber danke fürs Angebot, erwiderte Landfeld. Ein knappes tschüss und der Polizeipräsident war davon gerauscht, hatte aber darauf verzichtet, das Blaulicht per Saugnapf aufs Dach zu pappen, auf die zwei Minuten kams nun auch nicht mehr an. So war er zwar nicht als erster informiert worden, aber wenigstens vor seinem Freund am Tatort. 10 Tote, alle Kopfschuss, Stufenhausen wollte es einfach nicht glauben, würde aber sicher gleich eines besseren belehrt.

    Auch Landfeld hatte sich inzwischen auf den Weg gemacht. Mit dem Präsidenten fuhr er nur in echten Notfällen gemeinsam irgendwo hin. Das enge Vertrauensverhältnis musste ja nicht jedem auch noch vorgeführt werden. Außerdem war er lieber mit seinem eigenen Auto unterwegs. Der unscheinbare schwarze Ford Focus Kombi war voll gestopft mit Technik. Zwei Telefone mit Freisprechanlage, bei deren Einbau ihn der Ford-Händler angesehen hatte, als wenn er nicht alle Latten auf dem Zaun hätte, Laptop, Bildschirm mit DVBT- Antenne, so dass er auch, wenn das Fahrzeug stand, Fernsehen gucken konnte.

    Landfeld, der sich im Regierungsbezirk Köln wie kaum ein zweiter auskannte, wollte schnell von Alfter über die Dörfer nach Erftstadt-Lechenich brettern, als ihm einfiel, dass ja am Verteiler sein Kamerateam wartete. Nun hätte er das leicht zum Tatort lotsen und dort einen Treffpunkt ausmachen können. Aber zwei Autos durch die Polizeiabsperrung zu schleusen, war auch doppelt schwierig. Selbst bei seinen wirklichen guten Beziehungen zur Polizei. Außerdem war das ein freies Kamerateam, das keinen offiziellen WDR-Ausweis hatte und sowieso schon vom ersten Oberwachtmeister an der ersten Absperrstelle angehalten worden wäre. Alles Zeitverlust. Darum hatte er das Team, das aus einer Kamerafrau, Kamera, ein wenig Licht, Mikro und sonst nix bestand, zum Verteiler bestellt und nicht direkt zum Tatort.

    Kaum saß Landfeld in seinem Auto, telefonierte er auch schon. Am anderen Ende, Justus Neigel, der Produktionschef des Studios Köln, der für Landfeld Tag und Nacht, sieben Tage in der Woche zu erreichen war, die absolute Ausnahme in der Öffentlich Rechtlichen Anstalt WDR. In der war die Arbeitshaltung gerade in besonderen Fällen weitaus besser, als ihr Ruf, aber die Oberbedenkenträger gab es eben auch, wie in jedem so großen Betrieb. Die beiden mochten sich, waren beide ziemlich ehrgeizig und hassten die Bürokratie. Darum war dieser Verbund aus Chefreporter und Produktionschef auch so erfolgreich und vielen ein Dorn im Auge. Neigel hatte jetzt genau 93 Minuten Zeit bis zum Start von WDR- Aktuell. Er musste einen Satteliten-Techniker auftreiben, für die es keine geregelten Bereitschaftsdienste gab und einen Studenten, die die Produktion beschäftigte. Der eine musste aus Bocklemünd den Rüstwagen mit Stromaggregat und Zubehör abholen, der andere die SNG 05, das Satelitten-Sendefahrzeug des Studios Köln abholen. Das stand in Köln-Bocklemünd, auf dem großen WDR Gelände. Das musste wenigstens in die Nähe des Tatortes gebracht werden, der Transponder im All angesteuert, Mikro- und Kamerakabel verlegt, Licht aufgebaut werden, denn jetzt Ende September war es natürlich schon dunkel. Alles eigentlich gar nicht zu schaffen.

    Aber genau das machte für ihn den Reiz des Jobs aus. Neigel hatte Riesenglück, wie so oft, ohne das gings auch einfach nicht. Der Techniker, der im Rhein-Erft-Kreis wohnte und so relativ nah an Bocklemünd und am Tatort war, diskutierte nicht über die Arbeitszeitordnung, schob keinen privaten Termin oder eine jammernde Freundin vor. Er düste sofort los.

    Vorbei an der Akademie Eichholz, an der Abfahrt Bornheim/Alfter A 555 fuhr Landfeld auf die Autobahn, wie immer viel zu schnell. Nur gut, dass bei 172 kmh für seinen Focus Ende war. Da konnte er noch so sehr auf das Gaspedal drücken. Kaum auf der Autobahn avisierte er der am Verteiler schon wartenden Kamerafrau „bin in drei Minuten da".

    Zeitgleich ging das zweite Handy, die Nummer kannten nur ganz wenige, wirklich wenige. Natürlich aber Produktionschef Neigel. „SNG rollt", verkündete er nicht ganz ohne Stolz in der Stimme. Damit waren die Chancen, noch rechtzeitig auf den Sender zu kommen, schon mal von null auf 25 Prozent gestiegen. Gleichzeitig für ihn das Signal, die Aktuell-Redaktion in Düsseldorf zu informieren: „10 Tote mit Kopfschuss, hab Kamera und SNG organisiert, vermutliches Eintreffen am Tatort in etwa 20 Minuten, SNG in 30. Der Mercedes-Sprinter, voll gepackt bis unters Dach mit Sendetechnik, war eben nicht so schnell. Der Redakteur in Düsseldorf verzichtete angesichts dieser Themenlage auf jede Diskussion, ob das denn unbedingt noch ins Programm müsse. Auf eine Info beim Radio verzichtete Landfeld, die konnten sowieso das Ganze nur in den Nachrichten melden und würden damit sofort die Konkurrenz von ZDF, RTL, Sat 1 und Center TV auf den Plan rufen, die Zeitungskollegen sowieso. Ums Radio würde er sich in den frühen Morgenstunden kümmern, für die Frühsendungen in der Radio-Primetime.

    Auch den Anruf in der Kölner Tagesschau-Redaktion verschob er auf später. Denn die wollten immer schon alles ganz genau wissen, auch wenn man noch gar keinen Überblick hatte. In ihrem Tageschau-Wichtigkeits-Getue schickten die auch gerne mal ganz schnell einen eigenen Reporter los und eine eigene SNG. Außerdem wusste er ja bisher für einen ausgewachsenen Radio-Bericht und eine präzise Info noch viel zu wenig. Und er war sich sicher, dass er von der ganzen Kölner Journaille bisher als einziger von diesem schier unglaublichen Verbrechen wusste. Jede Minute Vorsprung war da unendlich wichtig. Der dann zu erwartende Massen- andrang von Journalisten würde dafür sorgen, dass unverzüglich irgendwo weit ab vom Geschehen ein Pressebus aufgestellt würde und da einer dann das erzählte, was er erzählen durfte. Meistens herzlich wenig. Bis nichts. Bei einer BAO, einer Besonderen Aufbau Organisation, so heißt das im Polizeideutsch, und das war bei 10 Toten allemal der Fall, würde über kurz oder lang sowieso eine mobile Pressestelle eingerichtet. Das Wichtige wusste man da besser vorher. Landfeld musste also unbedingt als Erster da sein.

    Trotzdem bremste Landfeld an der Aral-Tankstelle am Kölner Verteiler seinen Focus Kombi sauber ab, um die Kamerafrau nebst Gerät einzuladen. Dafür war der Kofferraum extra leer, damit genug Platz für Kamera und das ganze Zubehör war. In einer Minute war alles verpackt, alle wieder angeschnallt und ab ging es nach Lechenich.

    Schon dreimal hatte Alexander Westphal die ehemalige Landesburg Lechenich, früher Sitz von drei Erzbischöfen, umrundet. Die drei Türme, zwei quadratisch, einer rund, schienen in der Dämmerung auf ihn herabzustürzen, obwohl sie trotz der Belagerung und versuchten Sprengung durch französische Söldnertruppen noch einen recht stabilen Eindruck machten. Erst recht, nachdem es 1960 wenigstens eine grobe Restaurierung der Türme gegeben hatte. Von den  Zinnen war der eine oder andere Stein der 1306 erbauten Wasserburg abgebröckelt.

    Der Tatort war der runde Turm. Der Tatort war es denn auch in Wirklichkeit, der auf den Kriminaloberrat ungewöhnlich viel und heftigen Druck ausübte und weniger die sich scheinbar auf ihn senkenden Burgentürme. 10 Leichen hatte er zwischen den zehn Zinnen des runden Turmes aufgefunden. Alle schienen Südeuropäer zu sein. Er tippte auf Italiener, keiner hatte auch nur ein einziges Ausweispapier dabei. Alle hatten ein Loch mitten in der Stirn. Alle waren mit einem aufgesetzten Schuss getötet, ja regelrecht hingerichtet, worden. Es waren wirklich aufgesetzte Schüsse gewesen, nicht nur Nahschüsse. Das hatte der erfahrene Mordermittler ziemlich schnell an der Stanzmarke der Waffenmündung erkannt und an der Schmauchhöhle. Es waren eben nicht  nur Schmauchspuren, die auch wie Ablagerungen von Pulverkörnchen bei einem Nahschuss zu finden gewesen wäre. Was für eine Waffe das gewesen ist, davon hatte Westphal natürlich noch keinen Schimmer. Er tippte ohnehin darauf, dass für dieses brutale Verbrechen, das auch bis vor ein paar Stunden seine Vorstellungswelt bei weitem übertroffen hatte, mehr als eine Waffe eingesetzt worden war. 10 aufgesetzte Schüsse waren Zeugnis unglaublicher Brutalität und Menschenverachtung. Außerdem waren allen Opfern die Hände mit einem Hanfseil vor dem Körper gefesselt worden. Alle lagen fein säuberlich nebeneinander. Die Täter, denn das konnte auf keinen einzigen Fall nur einer gewesen sein, mussten ihre Opfer noch regelrecht wie eine Dekoration drapiert haben. Eiskalte Profis waren da jedenfalls am Werk. Allerdings hatten sie nicht alle Projektile ihrer Waffen eingesammelt. Das hatte die Spurensicherung inzwischen erledigt. Dabei konnte sich Westphal trotz des furchtbaren Anblicks eines ganz leichtes Schmunzeln nicht erwehren. Ein Frischling von der Spurensicherung wollte eins der Projektile mit einer Pinzette aufnehmen und in einen Plastikbeutel packen. Dafür gabs einen heftigen Anpfiff vom Chef. Projektile durften auf keinen Fall mit Pinzetten geborgen werden, weil damit Schartenspuren hätten verändert werden können.

    Ob es aber auch wirklich alle abgefeuerten Projektile gewesen sind, das würde erst am nächsten Tag im Hellen zu erkennen sein. Dann müsste der ganze Park um das Wasserschloss noch einmal millimetergenau durchkämmt werden.

    Westphal machte sich im Kopf einen Merkzettel: Hundertschaft von der Bereitschaftspolizei in Brühl bestellen und für den Wassergraben Taucher von der Feuerwehr. Jede noch so kleine Spur konnte wichtig sein. Da war Westphal pingelig. Das hatte ihm auch schon so manchen bösen Blick von Polizeipräsident Stufenhausen eingetragen. So ein Einsatz war eben teuer und personalaufwändig. Doch das war dem Oberrat völlig egal und seinem Chef ein Dorn im Auge, obwohl sich die beiden sonst sehr gut verstanden. Westphal schätzte seinen Präsidenten wegen der Erfolge im Behördendschungel im Düsseldorfer Innenministerium, die ihm und vielen seiner Kollegen die Arbeit erleichtert und vor allem unabhängiger gemacht hatten.

    Außerdem buckelte der Chef nicht nach oben. Westphal konnte sich noch genau, detailgenau, daran erinnern, wie Stufenhausen den Minister bei einem Entführungsfall nicht ins Lagezentrum hineingelassen hatte. Der Präsident hatte dem Innenminister klipp und klar in deutlichen deutschen Hauptsätzen nachhaltig erklärt, dass er da nichts zu suchen habe und die Leute dort konzentriert ohne jede unnötige Ablenkung weiter zu arbeiten hätten. Zähneknirschend hatte sich der Minister gebeugt und Stufenhausen sich den Respekt seiner Mitarbeiter verdient. Umgekehrt schätzte Stufenhausen seinen obersten und besten – was selten im Einklang ist –  Mordermittler wegen seiner legendären Erfolge, darum ließ er ihm auch manches durchgehen und bohrte nicht zu intensiv nach, wenn die eine oder andere Maßnahme von Westphal zu aufwändig gewesen war. Vor allem mischte er sich nicht in die Arbeit ein. Das war für Westphal das allerwichtigste.

    Ein Signal waren sie auch – die aufgesetzten Schüsse. Nur wofür? Auch davon hatte Westphal noch keine blasse Ahnung. Auch keine davon, wie lange die zehn Toten da oben schon zwischen den sieben Zinnen gelegen hatten. So richtig lange konnte es noch nicht gewesen sein. Die bei den Augenlidern und Kaumuskeln beginnende, und körperabwärts fortschreitende  Leichenstarre hatte schon eingesetzt, war auch schon ziemlich weit fortgeschritten und hatte fast den ganzen Körper erreicht, bei allen, hatte sich aber auch noch nicht wieder aufgelöst.

    Bedeutete für Westphal nach einem Blick auf seine Glashütte-Uhr, die ihm 21.13 Uhr zeigte, ganz grob: Tatzeit vor maximal 16 bis 17 Stunden, also im Morgengrauen.

    Entdeckt worden waren die Toten durch puren Zufall. Der beim Jagdbombergeschwader 31 – genannt Boelcke – neben 45 Tornadomaschinen auf dem Fliegerhorst Nörvenich stationierte Rettungshubschrauber SAR 41 war dafür verantwortlich. Seine Besatzung hatte bei beginnender Dämmerung eine neue Wärmebildkamera ausprobieren wollen. Diese Probe war in Sekundenschnelle beendet. Kurz nach dem Start, beim Flug über die Ruine der Landesburg Lechenich, nur knapp 20 Kilometer vom Fliegerhorst entfernt, hatte die neue Kamera verrückt gespielt. Scheinbar. Was ist denn das für eine Mist-Kamera, hatte sich die SAR-Besatzung zuerst gedacht. Nach einem zweiten Überflug war aber sofort klar: So viel Wärme in ungefähr 30 Metern Höhe, in einer unbewohnten Ruine- so viel Quatsch kann selbst die schlechteste Kamera nicht anzeigen. Nach dem dritten Überflug, der Reduzierung der Flughöhe und dem Einschalten der Suchscheinwerfer entdeckten die Soldaten die 10 sorgfältig nebeneinander aufgereihten Körper. Über Funk informierten sie unverzüglich die Polizei. Da die Informationen vom Tatort soldatisch präzise waren, sogar die gefesselten Hände hatte die SAR-Besatzung erkannt und mitgeteilt, lief die Maschinerie deutlich zügiger an als üblich.

    Es wurde nicht erst wie üblich nur ein Streifenwagen zum vermeintlichen Tatort geschickt. Der Dienstgruppenleiter, der in der Polizeileitstelle des Rhein- Erftkreises in Bergheim saß, hatte aus seinem Sprengel sofort alles mobilisiert, was Beine hat und natürlich die Mordkommission aus dem Polizeipräsidium Köln. Die war bei Kapitalverbrechen auch für den Rhein-Erft-Kreis zuständig.

    So war die Wasserburg Lechenich mal wieder umzingelt. Diesmal von silbergrünen Streifenwagen und nicht von französischen Söldnern. Allerdings war das alles sehr weitmaschig, denn so viele Streifenwagen waren auch im knapp 400 000 Einwohner zählenden Rhein- Erftkreis im Spätdienst nicht mehr unterwegs. Da hatten die Franzosen bei ihrer Belagerung im Jahr 1642 deutlich enger gestanden.

    Außerdem war der Schlosspark um diese Zeit für Spaziergänger ohnehin verschlossen, so dass der Hauptkommissar von der Leitstelle zum Zugang auf der Frenzenstraße keinen Streifenwagen beorderte. Da kam sowieso keiner rein, durch das üblicherweise verschlossene schmiedeeiserne Tor. Dachte der Beamte.

    Genau darauf hatte WDR-Reporter Landfeld gehofft. Der war mittlerweile auch am Tatort eingetroffen und wartete wie immer ziemlich ungeduldig auf der nur noch sehr mäßig befahrenen Frenzenstrasse auf seinen Sattelitenwagen. Der musste jeden Moment eintreffen. Landfeld hatte versucht, jegliches  Aufsehen zu vermeiden, und auch die Kamerafrau hatte von ihrem Equipment noch nichts ausgepackt. Das musste ein Überraschungsangriff werden, wenn die SNG (Sattelite news gathering) da war. Denn den Mercedes-Sprinter mit der fetten WDR-Aufschrift konnte man nun nicht verstecken.

    Landfeld kannte sich im Schlosspark ziemlich gut aus, mit seinen Kindern  und einer befreundeten Familie war er schon häufiger im Schlosspark gewesen, auch schon zu einer Schnitzeljagd beim Kindergeburtstag. Der Park war öffentlich zugänglich, im Winter wurden um 18 Uhr die Tore verschlossen. Er wusste: es gab das schmiedeeiserne Tor mit spitzen Zinnen als Überkletterschutz an der Frenzenstraße. Im Moment noch unbewacht. Gut 250 Meter auf der gegenüberliegenden Seite das Tor baugleich noch einmal. Daran führte nur ein kombinierter Rad/Fußweg vorbei, der kurz vor dem Lechenicher Tor endete, dem Eingang zur mehr oder minder noch historischen Altstadt. Dieser Weg hatte einen prominenten Namen: Siegfried–von-Westerburg-Straße. Das war der ehemalige Kölner Kurfürst und Erzbischof, dem Lechenich seine Stadtrechte zu verdanken hatte, der Ort, der  nun als Tatort in die Geschichte eingehen würde. Vor diesem Tor stand eine Polizeibeamtin. Die konnte Landfeld im Schein einer Straßenlaterne gut erkennen. Und im Park selbst gab es noch einmal ein Doppeltor.

    Dorthin führte ein Fußweg zu den Besitztümern des Prinzen Heinrich von Preussen, dem der Park zu einem Teil gehört. Der andere Teil gehört der Stadt. Ebenso besitzt der Prinz Schloss und die dazugehörigen und noch bewohnten Nebengebäude der alten Landesburg. Das Doppeltor nebst Burg und Nebengebäuden, immer noch von einem Wassergraben umgeben, hat sogar noch einen Seitenschutz. Ein halbrunder Eisenfächer ebenfalls mit scharfen Spitzen sollte verhindern, dass Ungebetene von der Seite über ein kleines Mäuerchen auf das prinzliche Gelände gelangten. Dort war niemand, von dort war das Burggelände auch uneinnehmbar. Natürlich gabs dann noch das Haupttor in der Steinstraße, ebenfalls festungsähnlich. Der Prinz schien seine Gemächer offensichtlich für sehr wichtig zu halten. Oder sich. Das Gelände jedenfalls wirkte fast wie ein Hochsicherheitstrakt. Dort hatte der Prinz, er war wirklich einer, ließ sich auch gerne so anreden, seine Anwaltskanzlei. Vor dem Haupttor stand eine kleinere Versammlung in Grün. Beamte der Einsatzhundertschaft. Das Tor diente für alle möglichen – Spurensicherung, Mordkommission, Staatsanwaltschaft – als Zugang zum Tatort und als Versammlungsplatz von Schaulustigen. Es hatte sich natürlich längst herumgesprochen, dass sich etwas Ungewöhnliches ereignet hatte.

    In der Frenzenstraße blieb es weiter recht ruhig. Kein Anzeichen einer Polizeistreife. Landfeld hatte längst festgestellt, dass das Tor zum Schlosspark nicht verschlossen war. Ganz zufällig, weil ein Aufgabenzettel für die Geburtstags-Schnitzeljagd daran gehangen hat, hatte der Reporter bemerkt, dass das Innenleben des Schlosses am schmiedeeisernen Tor leer war. Die Schließe fehlte schlicht. Da keine Kette mit Vorhängeschloss angebracht war, musste die Tür nur angelehnt sein. Ein kleiner ganz vorsichtiger Schüttel-Test bestätigte Landfelds Vermutung. Das hatte er schon vor einigen Minuten erledigt, als erstes beim Eintreffen am Tatort und sich über sein Reporterglück gefreut.

    Danach hatte er endlos telefoniert, hatte selbst gesehen, dass der Tatort auf dem runden Burgturm sein musste, sich das Ermittlungsgeschehen der Mordkommission dort abspielte. Da war alles taghell erleuchtet, außerdem sah Schneemänner", die sich im Zeitlupentempo hin und her wegten. Die Spurensicherer in ihren weißen Schutzanzügen.

    Am Telefon hatte er mit Westphal genau anderthalb Minuten reden können, aber auch das Wichtigste erfahren und die klare Anweisung bekommen: „Dass die Schüsse aufgesetzt waren, davon erzählst du keinen Ton, auch nicht, dass die 10 Toten hier alle schön in Reih und Glied liegen. Nicht, dass mir bei einer Vernehmung hinterher einer erklärt, die Details habe er alle aus dem Fernsehen erfahren." Bis zu einer Vernehmung war es noch lange, dachte sich der WDR-Reporter, aber genauso klar war, dass er die strikte Anweisung des MK-Chefs nicht auch nur um ein Millimü missachten würde. Das hätte seine Kontakte und den Ruf seiner Integrität und absoluten Zuverlässigkeit bei Absprachen regelrecht perforiert. Aber genau von diesen Kontakten, die auf absolutem Vertrauen basierten, lebte Landfeld. Dieses Vertrauen war ihm äußerst wichtig.

    Im Park selbst war es totenduster. Immer wieder blickte er zur Uhr. 21.31 Uhr, 74 Minuten waren seit der Alarmierung vergangen. Keine SNG in Sicht. Der WDR-Reporter wurde unruhig, ungeduldig war er sowieso schon. Den ganzen Tag. Immer. Aber er beherrschte sich und musste an seinen Lieblingsspruch denken, den er vom ehemaligen Ministerpräsidenten des Landes NRW, Wolfgang Clement, adaptiert hatte: „Lieber Gott gib mir Geduld, aber bitte sofort". In dem Moment schüttelte das Handy in seiner linken Hosentasche. Das hatte er natürlich auf stumm gestellt, damit in der glücklicherweise immer noch so ruhigen Lechenicher Frenzenstraße niemand durch einen röhrenden Porsche aufgeschreckt wurde. Am anderen Ende der SNG–Techniker: „Ich bin am Kölner Ring, der Rüstwagen ist direkt hinter mir, komme gleich in die Frenzenstraße, nach links, oder nach rechts abbiegen? Völlig beglückt brüllte Landfeld in sein Handy: „Links rum, und

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1