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Der Flüchtling: Roman
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eBook134 Seiten1 Stunde

Der Flüchtling: Roman

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Über dieses E-Book

Stationen einer Lebensflucht, in die die Unerträglichkeit einer kapitalistisch geregelten Gesellschaft den ernsthaften Menschen hetzt, sind in dieser Prosadichtung gestaltet. Pamphlet und Idylle, Andacht und Empörung vereinen sich in der Harmonie der musikalischen Abtönung, und das Ganze ist eingerahmt von dem gleichbleibenden Refrain des stumpfsinnigen täglichen Lebens. Was George Grosz gezeichnet hat - Herrmann-Neiße hat es geschrieben. Lorearts Lesehupferl präsentiert wiederentdeckte Texte heute fast vergessener, mehr oder weniger (un)bekannter oder unterschätzter Schriftsteller und ist eine Einladung an Leser auch mit diesen Schriftstellern bei Gelegenheit (am besten jetzt!) eine gute Lesestunde zu verbringen. Es sind noch viele Entdeckungen zu machen. Steigen Sie mit ein. Von 1905 bis 1909 studierte Max Herrmann-Neiße in München und Breslau Literatur- und Kunstgeschichte. In München kam er mit der dortigen Bohème in Kontakt und besuchte häufig Varietés und Kabaretts. 1909 verließ er die Universität ohne Abschluss und ging zurück nach Neiße, um als freier Schriftsteller zu leben. In den späten zwanziger Jahren war Herrmann-Neiße einer der bekanntesten Berliner Literaten, wozu neben seinen Texten auch die auffällige Gestalt und Erscheinung beitrugen. Zahlreiche Künstler, darunter George Grosz und Otto Dix, porträtierten ihn zu dieser Zeit. Kurz nach dem Reichstagsbrand 1933 floh Herrmann-Neiße gemeinsam mit seiner Frau zunächst in die Schweiz, dann über die Niederlande und Frankreich nach London, wo er sich im September 1933 niederließ. Im April 1941 starb er in London an den Folgen eines Herzinfarkts und wurde auf dem East Finchley Cemetery in London beigesetzt.
SpracheDeutsch
HerausgeberEdition Loreart
Erscheinungsdatum12. März 2015
ISBN9783958492547
Der Flüchtling: Roman

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    Buchvorschau

    Der Flüchtling - Max Herrmann-Neiße

    Inhaltsverzeichnis

    Titelseite

    Der Flüchtling

    Kapitel I

    Kapitel II

    Kapitel III

    Kapitel IV

    Kapitel V

    Kapitel VI

    Kapitel VII

    Kapitel VIII

    Kapitel IX

    Kapitel X

    Das Land, in dem ich leben möchte

    Über den Autor

    Impressum

    Hinweise und Rechtliches

    E-Books Edition Loreart:

    Max Herrmann-Neiße

    Der Flüchtling

    Roman

    Edition Loreart

    Lorearts Lesehupferl Nr. 4

    Der Flüchtling

    Meiner Trostgefährtin: Leni Herrmann

    I

    Die Turmuhr schlägt sechsmal.

    Der Breslauer Abendzug muß grad gekommen sein.

    »Wenn er nicht wieder Verspätung hat«, meint der Stadtrat Vollert und nimmt eine neue Zigarre.

    Der Zigarrenkaufmann Schmidt reicht ihm den Abschneider.

    »Danke! Ich sammle selber! Für die Kriegerwaisen.«

    Der Rentier Koch hat sich den Stuhl näher an die Glastür gerückt.

    »Gestern kam mit demselben Zuge die neue Perle fürs ›Weiße Roß‹. Ein tolles Mädel!«

    »Wieso?«

    »Ich hab’ sie gleich als sowas erkannt ...«

    »Wieso?«

    »Ich dacht’ mir doch, das müßte sie sein. Mutter Schürmänneken hat sie doch schon erwartet.«

    »Warum ging denn die vorige eigentlich fort? War doch ganz brauchbares Mädel, die Bertha!«

    »Gott, sie hatte sich überlebt. War ja auch schon allzu lange da. Abwechslung ...«

    »Ich war an sie gewöhnt! Weiß man doch, was man hat ...«

    »Ist sie jung?«

    »Wer?«

    »Die neue?«

    »Danke! Es geht. Kommen Sie heute doch selber sehn! Ich dachte Sie gestern schon dort zu treffen.«

    »Wir hatten Vorstandssitzung im ›Löwen‹.«

    »Concordia?«

    »Nee, vom Kriegerverein.«

    »Wie heißt sie?«

    »Sie wird wieder Bertha gerufen — im ›Weißen Roß‹ heißen alle Bertha — wer weiß, wie ihr richtiger Name ist ...«

    »Gestern war auch der Poppe gleich da!«

    »Vom Bankverein?«

    »Wie steht’s mit der Scheidung?«

    »Hat er nichts mehr mit der Gaswerksinspektern?«

    »Daß sich der Mann das so ruhig mit ansieht!«

    »Der wird wohl auch wissen, wo er bleibt! Ich traf ihn gestern erst mit der Tochter vom Tanzmeister Albrecht ...«

    »Dann schickt man sie einfach einmal ein paar Monat in Sommerfrische.«

    »Sommerfrische ist gut!«

    »Da sehn Sie die Hackaufs! Schon wieder im Gange. Daß die so immer rumflackern dürfen ...«

    »Die Alte denkt halt, es bleibt mal was hängen.«

    »Und er, er säuft doch!«

    »Ja, aber warum? Die Alte, die soll vor zwanzig Jahren auch nicht ganz koscher gewesen sein.«

    »Pst! Koscher! Keine Anzüglichkeiten! Es kommt was Koschres!«

    Die Vier verstummen, mit einem Schlage, wie abgehackt. Der Zigarrenkaufmann stützt beide Hände auf den Ladentisch, biegt sich devot vor und verzerrt sein Gesicht zu willigem Grinsen.

    Die zwei Neuen grüßen nach allen Seiten.

    Der Gegengruß fliegt mehr zur Weiblichkeit.

    »Haben Sie Damenzigaretten?«

    »Bitte sehr, hier ... sehr leicht ... parfümiert; wieviel darf ich geben?«

    »Fünf Stück ...«

    Sie lächelt.

    Die Männer schnuppern. Vollert wagt ein Züngeln sanft anzudeuten.

    Der Schwarze tritt vor. »Du legst wohl aus?«

    Der Stadtrat klimpert.

    Sie wühlt im Täschchen, »Turf« verdunstet, ein Schlüssel fällt, drei Schmerbäuche knicken. Vollert fischt mit dem Stock, überreicht den Schlüssel und kriegt ein gepudertes Lächeln zurück.

    Der Dunkle mit Schmalz: »Vielen Dank, meine Herren!« Und zaubert mit seinem Blicke schon die günstige Antwort ins Antlitz des andern. »Darf ich Sie mit einer Bitte belästigen: die Dame hat nächsten Freitag, am Achten, ihr Benefiz, »Husarenfieber«. Würden Sie die Freundlichkeit haben, ein Plakat hier auszuhängen, mit ein paar Photographien vielleicht?«

    Sie entschält verschämt ein Papierpaket.

    Die Männer rücken näher zusammen.

    »Dürfen wir sehen?«

    »Bitte sehr!«

    »Reizend, als Preziosa das hier!«

    Die Dame mit feuchtem Augenaufschlag zum Stadtrat Vollert: »Ich weiß nicht recht, ob man das hier wird ausstellen dürfen. Vielleicht ein bißchen zu frei für hiesige Verhältnisse ... Damals war ich in Wien ...«

    Man reckt die Hälse. Die Lippen speicheln.

    »Das ist was für Kenner!«

    »Man trug damals dort dies Dekolleté!«

    Dem Rentier Koch platzt es hemmungslos heraus: »Wie wir hier gewachsen sind ... wir, unter uns Pastorentöchtern ... wir können schon einen Puff vertragen!« Und in einer Gedankenverbindung hinströmend mit ergebenem Seufzer: »Das liebe Wien! ...«

    Der Stadtrat tritt ihm auf den Fuß, versucht mit vorwurfsvollem Zwinkern zur Ordnung zu rufen.

    »Fräulein sind Wienerin?«

    »Gewissermaßen ...«

    »Wir sind ja auch sozusagen halbe Österreicher hier. Man fährt oft übern Sonntag hinüber ... nach Troppau, nach Olmütz, nach Jägerndorf ...«

    »Sie kleiner Schäker!«

    Ein Rippenstoß, dem Rentier Koch verschlägt es den Atem. »Ja also, wir dürfen den Zettel hier lassen?«

    »Mit dem größten Vergnügen!«

    »Ich danke vielmals.«

    »Kein Grund zu danken!«

    »Es ist doch ein Lustspiel?«

    »Versteht sich!«

    »Die Herren beehren mich vielleicht auch ...«

    »Mit Vergnügen!«

    »Servus!«

    »Guten Abend!« Der Dunkle schlürft, halb tragisch, halb spöttisch.

    Der Zigarrenhändler tänzelt hinterm Ladentisch hervor, bis zur Tür mit.

    »Bitte, beehren Sie mich wieder!«

    Der Rentier pfeift, als man an ihm vorbeikommt.

    Die Tür fällt zu; sie prusten sich an.

    »Du hast dich ja mächtig ins Zeug gelegt!«

    »Der Adolf, der ging auch nicht schlecht ins Feuer!«

    »Ist das die Soubrette?«

    »Die erste Naive.«

    »Was hat sie bloß mit dem Kerl zu schaffen?«

    »Der machte in der ›Schlacht bei Mollwitz‹ den alten Fritzen vergangenen Mittwoch. Ich mußte mit meinem Filius hin.«

    »Die leben alle in bunter Reihe und techteln ein bissel untereinander. Das hat bei denen nicht viel zu besagen.«

    »Auf unserm Flur bei der Witwe Depta, da hat auch mal eine vom Schauspiel gewohnt. Ich glaube, die erste Heldin war’s. Ich kam mal nachmittags um viere vorbei, da stand die Tür zu der Stube offen, da waren noch nicht mal die Betten gemacht!«

    »Wer ist denn jetzt Dezernent fürs Theater?«

    »Der Stadtrat Knappe.«

    »Da kann er lachen!«

    Die Turmuhr schlägt sieben.

    »Was? Wirklich schon sieben?«

    »Ja, machen Sie schon die Bude zu und kommen Sie mit rüber! Ich bleib heut nicht lange, meine Frau hat Besuch, da muß ich bald da sein.«

    »Aha, der zukünftige Schwiegersohn!«

    »Woher wissen Sie?«

    »Man hat doch Augen!«

    »Der Sohn von meinem Geschäftsfreund aus Danzig. Sie wissen, er wurde zur Bahn her versetzt, und weil er doch niemanden kannte hier ... so junge Leute haben gern Anschluß ...«

    »Eine gute Partie?«

    »Meine Else muß noch kochen lernen ... im Hotel zum ›Stern‹ ... Sie ist auch erst sechzehn ...«

    Der Zigarrenkaufmann hat abgeschlossen.

    »Gute Einnahme heut?«

    »Soso ... lala ... Grad, daß man nicht übermütig wird ...«

    »Noch eine auf den Weg gefällig?«

    »Meinetwegen. Und merken Sie sich die Kiste! Die ich’s letztemal bekam, waren anders.«

    »Genau dieselben. Bloß länger gelagert.«

    Sie pendeln über den Ring hinüber.

    Aus dem Warenhaus tropfen die Mädchen. Ein paar Jünglinge stelzen unauffällig von Schaufenster zu Schaufenster, die vier bleiben stehen und stieren hinter einer Blondine.

    »Seh’ einer, wie die sich rausgemaust hat!«

    »Ich hatte mich auch mal verleiten lassen; gleich sollte ich’s dann gewesen sein. Da muß sie sich schon einen Dümmeren suchen!«

    »Sie hat ja auch den Prozeß verloren.«

    »Das war ich meiner Reputation doch schuldig, ich habe doch Frau und Sohn. Die Sache hat mir ohnehin genug Ärger gemacht!«

    »Wo ist denn das Kind?«

    »Ich glaube, gestorben.«

    »Die haben stets Glück!«

    Sie werden gegrüßt und grüßen wieder.

    Dann schieben sie sich in den Torweg hinein und klettern die vierzehn Stufen.

    Hallo! Rauch, Licht, Klaviermusik schlägt entgegen.

    »Die drei Heiligen aus dem Morgenlande!«

    »Und der Tabakfritze! Je später der Abend, desto schöner die Gäste!«

    »Sie haben grad noch zum Dutzend gefehlt. Bertha, noch viere mehr!«

    »Ihr knobelt gleich mit, es kommt sowieso jetzt ’ne neue Runde!«

    »Hier das ist Bertha, die neue runde!«

    »Die neue runde Bertha!«

    Gequieke.

    »Darf ich mir auch noch ’nen Glühpunsch bringen?«

    »Freilich! Der neue Herr hier bezahltes. Zur Begrüßung! Er muß Sie doch willkommen heißen.«

    »Den kenn’ ich noch nicht.«

    »Sie werden mich schon noch kennen lernen, hoffe ich ...«

    »Der Zigarrenfritze ist es von vis-à-vis.«

    »Ach, bringen Sie mir mal Zigaretten mit!«

    »Sie will gleich was in die Fresse haben, daß es roocht, von Ihnen!«

    Die Würfel kollern.

    Die Schürmann-Wirtin kommt aus der Küche. »Hier ist der Gulasch! Ah, der Herr Stadtrat ... und der Herr Koch ... und der Herr Sekretär ... Guten Abend, Herr Schmidt ...«

    »Ich bestimme! Semiramis!«

    »Wie ist denn das?«

    »Semiramis mit Hängetitten, das kennen Sie nicht? Die Sechsen und Einsen!«

    »Aber Herr Stadtrat!«

    »Wenn der nicht immer so’n unschuldiges Späßchen machen kann, dann ist ihm nicht wohl!«

    »Na, Jungfer Bertha?«

    »Prost! Haben Sie nicht was zu roochen für mich!«

    »Hier, die ist aber stark! Jungfer Bertha, da möchtste dir wohl die Hosen zubinden !«

    »Sie hat ja gar keene an!«

    »Woher weißt du?«

    Ein Würfel springt vom Tische herunter. Man jagt ihm nach. »Unterm Sofa muß er doch liegen ... ich hörte ihn deutlich rollen.«

    »Hat niemand ein Streichholz?«

    Der Zigarrenhändler verirrt sich in gelbseidene Spitzen und Bändchen und Hitze und rundliches Fleisch. Er

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