Handbuch Zeichnen: Grundlagen,Techniken, Motive
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Buchvorschau
Handbuch Zeichnen - Christophorus Verlag
EINFÜHRUNG
Bevor es an konkrete Motive geht, erfahren Sie hier Wissenswertes über das Zeichnen, die Grundelemente und verschiedene Arten einer Zeichnung. Ebenso wichtig ist, sich die Absicht einer Zeichnung bewusst zu machen und den Blick zu schulen. Denn wer die Welt mit aufmerksamen Augen beobachtet und betrachtet, hat schon einen wichtigen Schritt auf dem Weg zu einer interessanten Zeichnung getan.
Die Geschichte des Zeichnens
Heute finden sich historische Zeichnungen häufiger in Grafikarchiven als in Ausstellungen, da sie mit wenig lichtbeständigen Tusche- und Temperafarben gezeichnet wurden und daher sehr empfindlich sind. Trotzdem ist es interessant, die Geschichte der Zeichnung zu beleuchten.
In der Vergangenheit war die Zeichnung für die meisten Maler und Bildhauer kein eigenständiges Darstellungsmittel, sondern ein Medium, um Notizen festzuhalten und Bildideen in Entwürfen auszuprobieren. Selbstverständlich gab es vor allem im Rahmen der Buchillustration auch Spezialisten, die in erster Linie zeichneten und kolorierten. Sie sind aber selten als individuelle Künstlerpersönlichkeiten überliefert. Erst mit Albrecht Dürer wird die Zeichnung um 1500 zu einem eigenständigen Medium, bekannt ist beispielsweise seine Darstellung der betenden Hände. Diese Entwicklung steht u. a. im Zusammenhang mit der Druckgrafik, denn jedem Druck liegt die Zeichnung, beispielsweise mit einer Kaltnadel, zugrunde. Die zeichnerischen Elemente, wie Linie und Schraffur, bleiben in den Drucken sichtbar. Somit sind sie eher Zeichnung als Gemälde, selbst wenn sie farbig gestaltet wurden.
Die Studien dienten der Schulung der Beobachtungsfähigkeit und des proportionalen Sehens. Die klassische Ausbildung bei einem Meister und seit Mitte des 16. Jahrhunderts an den Akademien begann mit jahrelangem Zeichnen, bevor man das erste Mal auf Leinwänden arbeitete. Man studierte die klassischen Kunstwerke der Antike in Italien sowie die großen internationalen Meister der eigenen Zeit.
„Erasmus von Rotterdam". Zeichnung, 1520. Albrecht Dürer (1471–1528). Kohle, 373 x 271 mm.
Viele historische Zeichnungen werden heute oft als eigenständige Werke betrachtet, beispielsweise von Rembrandt, allerdings dienten sie in der Regel als Skizzenblätter oder Entwurfzeichnungen für Gemälde. Die Skizzenblätter wurden genutzt, um interessante Physiognomien oder Details, wie Hand- oder Kleiderstudien, für eine spätere Verwendung im Bild festzuhalten. Sie stellen ein Archiv dar, auf das im Bedarfsfall zurückgegriffen werden konnte, um ohne das Modell an einem Gemälde zu arbeiten.
Die Aufwertung der Zeichnung als ein legitimes und ausschließlich künstlerisches Medium ist das Ergebnis der letzten Jahrhunderte und geht einher mit einer Auflösung der einheitlichen Fläche der realistischen Malerei in einen immer strichbetonteren Gestus in der Malerei. Hier sei an Henri de Toulouse-Lautrec erinnert, der ein in erster Linie zeichnender Maler war. Er zeigt, welche Möglichkeiten sich aus einer Beherrschung der Zeichentechnik ergeben: Nur wer den Strich sicher beherrscht, kann ihn in einem Bild prägnant und interessant einsetzen.
Gerade bei Künstlern, die in ihren Bildern einen deutlichen Strichduktus einsetzen, wird deutlich, wie bedeutend die Beherrschung der Zeichnung ist. Sie zwingt zum Erfassen des Wesentlichen und führt so zu einer prägnanten Darstellung. Bei historischen Werken, beispielsweise aus der Zeit des Barocks, mag das oft hinter der glatten Malerei nicht augenscheinlich sein, achten Sie allerdings einmal auf die Faltenwürfe: Ein geschlängelter und geformter Strich mit dem Pinsel, und die Struktur entsteht – das ist Zeichnung!
„Ganymed in den Fängen des Adlers". (Studie zum Gemälde in der Gemäldegalerie Dresden) um 1635. Harmensz van Rijn Rembrandt (1606–1669). Feder und Pinsel, 18,3 x 16 cm.
Die Ausbildung zeichnerischer Fähigkeit an den Akademien verfiel seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts immer mehr, sie galt aufgrund einer zunehmenden Orientierung zur Abstraktion und Konzeptkunst als überholt und nicht mehr nützlich. Man erschwerte sich damit die schnelle, prägnante und auf Wesentliches reduzierte Ausformulierung bildnerischer Ideen, die in den aufwändigeren Gemälden umgesetzt werden können. Mit Bleistift und Radiergummi ist es einfacher, Kompositionen und Entwürfe für ein Bild auszuprobieren und sich so Klarheit für das weitere Vorgehen mit Farbe zu schaffen. Für diese Verwendung finden sich in der klassischen Malerei zahlreiche Beispiele in den erhaltenen Skizzen und Studienblättern, die Bildkompositionen und verschiedene Variationen des späteren Gemäldes vorwegnehmen. Diese konzeptionelle Vorarbeit steht natürlich im Widerspruch mit dem modernen Gedanken, dass nur im spontanen Ausdruck die „echte" künstlerische Arbeit steckt, und für den eher fließend spontanen Prozess abstrakter oder tachistischer Bilder scheint die Zeichnung so keine Rolle zu spielen. Trotzdem kann man auch hier mit zeichnerischen Skizzen eine Richtung der späteren Ausführung ausprobieren und planen.
„Die Reisende von Kabine 54". Farblithografie (zweiter Zustand), 1895. Henri de Toulouse-Lautrec (1864–1901). 61 x 44,7 cm.
Zeichnen als Schule des Sehens
Wenn wir eine Zeichnung betrachten, insbesondere eine künstlerisch gut gelungene, bewundern wir neben dem besonderen Ausdruck meist die außergewöhnliche Handfertigkeit, die dieses Werk auszeichnet. Vergleiche zwischen dargestelltem und realem Objekt werden schnell hergestellt. So bestimmt zunächst das Maß der Ähnlichkeit die Bewertung. Abweichungen davon gelten für gewöhnlich als „künstlerische Freiheit". Dass Abstraktionen häufig erst das Wesentliche eines Objekts oder bestimmte Aspekte betonen, erkennt eher der genauere Blick. Der Betrachter eines Bildes muss also hier genauer hinsehen, um zu erkennen, um was es sich handelt. Erst dann erschließt sich das Dargestellte, findet die Botschaft eine aufmerksame Annahme.
Eine häufige Auseinandersetzung mit Werken der Bildenden Kunst schult das Auge entsprechend; es sieht einfach auf Anhieb viel mehr als der „normale Blick". So ist das genaue Hinsehen für den Betrachter Voraussetzung für mehr Erkenntnis, für einen wirklichen Gewinn.
Wenn dies schon für den Betrachter gilt, um wie viel mehr muss es dann für denjenigen gelten, der dieses Bild gemalt oder gezeichnet hat? Was immer auch der Bildgegenstand sein mag, Stillleben, Landschaft, Mensch oder Tier, er lässt sich nicht darstellen ohne eine eingehende Beschäftigung mit ihm. Das gilt sowohl für die Arbeit vor dem Objekt als auch für die Darstellung aus dem, was wir Fantasie nennen. Das, was wir darstellen wollen, verlangt also eine große Aufmerksamkeit. Wir müssen es uns genauer ansehen, als wir es mit dem Alltagsblick gewohnt sind. Wie wenig der alltägliche Blick aufzunehmen vermag, erstaunt immer wieder. Jeden Tag bewegen wir uns in unserer Umgebung ganz selbstverständlich und haben auch keine Zweifel daran, dass wir sie sehen. Wie viele Bäume haben wir schon im Verlauf unseres Lebens gesehen? Wie viele Menschen? Das Vorhaben aber, sie bildlich darzustellen – und sei es in einer einfachen Zeichnung – führt oftmals zu eigenartigen und ernüchternden Ergebnissen. Die Zeichnung oder ihr Versuch verlangen also, dass man sich recht genau mit dem Objekt befasst, das gezeichnet werden soll. Es wird auf eine bestimmte Art, mit offenem Sinn, angesehen und neu erkannt. So bedeutet Zeichnen lernen immer auch ein Sehen lernen. Dabei handelt es sich aber nicht um einen Nebeneffekt, sondern um wirklichen Gewinn und um die eigentliche Voraussetzung. Ein gelungenes ästhetisches Bildergebnis ist sicherlich befriedigend und eine schöne Sache. Was aber bedeutet es, die Welt nach und nach mit aufmerksameren Augen zu betrachten?
Für eine gute Zeichnung stellt sich nicht vorrangig die Frage nach einem perfekten Material. Auch lässt sich das Handwerkliche mit fleißiger Übung allmählich erlernen. Viel wichtiger aber ist der genaue Blick, der uns die Informationen liefert, die sich tief genug einprägen, um unser visuelles Gedächtnis zu einem unerschöpflichen Reservoir anwachsen zu lassen.
Beim Zeichnen vergewissern wir uns des Objekts, wir begreifen es auf eine bestimmte Weise und kommen zu einer Erkenntnis darüber. Bei diesem Prozess wirken Hand und Auge zusammen. So bedeutet Zeichnen immer auch eine Schule des Sehens.
Flüchtige Skizzen helfen bei der Verwirklichung einer Bildidee.
Grundelemente des Zeichnens
Nach dieser Anregung zum bewussten Wahrnehmen und genauem Sehen kommen wir nun auf die Grundelemente des Zeichnens zu sprechen. Mit was haben wir es bei der Zeichnung zu tun? Woraus besteht eine Zeichnung? Die Antwort ist einfach: Punkt und Linie sind ihre grafischen Grundelemente. Das klingt zwar bescheiden, aber sie eröffnen die ganze Bandbreite von der einfachsten Skizze bis zur hochkomplexen Zeichnung, die hohe künstlerische Fähigkeiten verlangt. Für beide Enden der Skala gibt es eine Reihe vorzüglicher Beispiele. Grundlage aller dieser Werke sind Punkt und Linie, auch wenn sie im Endresultat oft nicht mehr isoliert erkennbar sein mögen. Jede Zeichnung beginnt mit ihnen. Dabei lassen sich der Punkt zur Fläche und die Linie in unendliche Variationen erweitern (vgl. dazu ab S. 36).
Die verschiedenen Arten einer Zeichnung
Zeichnungen können sehr unterschiedlich beschaffen sein. Damit ist nicht die Ausführung oder Qualität gemeint, sondern die Absicht, in der eine Zeichnung angefertigt wird. Damit wird ausgedrückt, wie wir die dargestellten Dinge sehen und was wir an ihnen für bemerkenswert halten.
Machen Sie sich vor dem Zeichnen die verschiedenen Arten einer Zeichnung bewusst und fragen Sie sich, mit welcher Absicht Sie eine Zeichnung anlegen möchten. Die gewählte Sichtweise ist die Grundlage Ihrer Zeichnung und bestimmt Charakter und Funktion jeder Ausführung. Folgende grundlegende Arten unterscheiden sich:
Die Skizze
Sie steht für sich allein oder bereitet eine größere und kompliziertere Arbeit vor. So können z. B. Probleme der Komposition in einer oder mehreren Skizzen behandelt und gelöst werden. Skizzieren schärft den Blick für das Wesentliche ungemein und übt die Hand zusätzlich. Für den, der zeichnerisch weiterkommen möchte, ist häufiges Skizzieren unerlässlich.
Die Entwurfzeichnung
Sie kann skizzierend sein, kümmert sich aber genauer um das, was Bildaussage sein soll. So kann die Skizze die erste und manchmal noch unklare Darstellung einer Idee sein. Der Entwurf aber wird konkret.
Die Vorzeichnung
Sie ist meist das Resultat skizzierender Vorarbeit und legt mit einfachen, aber treffenden Umrisslinien die Komposition einer größeren Arbeit fest. Auf dem Mal- oder Zeichengrund wird sie möglichst sparsam aufgetragen.
Üben Sie das genaue Hinsehen in Ihrer alltäglichen Umgebung.
Die Studie
Eine Studie befasst sich mit dem Bildobjekt sehr genau. So kann z. B. ein Baumstück zeichnerisch möglichst präzise erfasst werden. Die Studie ist ein wichtiger Schritt Dinge zu verstehen, um sie besser ins Bild setzen zu können. Der genaue Blick wird hier vorausgesetzt und geschult.
Die Nachzeichnung
Sie wurde früher im akademischen Studium oft geübt und diente manchmal der Übermittlung. Ihre eigentliche Aufgabe aber bestand darin, dem Werk eines Meisters „auf die Schliche zu kommen", um von ihm zu lernen. So gesehen können Nachzeichnungen sehr nützlich sein.
Die Illustration
Sie hält sich häufig an literarische Vorlagen. Grundsätzlich können aber jede Gegebenheit und jedes Geschehnis illustriert werden. Sie werden auf diese Weise ins Bild gesetzt. Die Illustration kann versuchen, möglichst objektiv