Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Momente im Frauenknast: Einblicke in eine verborgene Welt
Momente im Frauenknast: Einblicke in eine verborgene Welt
Momente im Frauenknast: Einblicke in eine verborgene Welt
eBook260 Seiten3 Stunden

Momente im Frauenknast: Einblicke in eine verborgene Welt

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Das Buch gibt anhand von Erlebnissen von inhaftierten Frauen Einblicke in eine Welt, die den meisten Menschen verschlossen ist, dem Alltag in einer Frauenhaftanstalt. Dabei geht es nicht um die begangenen Taten, sondern um das Leben hinter Gittern.
Die Filze der Zellen, der monatliche Einkauf - was draußen so einfach ist, muss hinter Gittern immer wieder neu organisiert werden. Die einen versuchen an Drogen heranzukommen, die anderen wollen sich eine Perspektive nach der Haft aufbauen und tragen schwer an ihrer Schuld. So verschieden sie auch sind, das Verhältnis der Frauen untereinander ist oft von Wärme und gegenseitigem Verständnis getragen, auch wenn der Umgangston oft rau ist. Allen gemeinsam ist eine schwierige Vergangenheit.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum19. Aug. 2015
ISBN9783739292564
Momente im Frauenknast: Einblicke in eine verborgene Welt
Autor

Sabine Bomeier

Sabine Bomeier, Jahrgang 1957 schreibt über Frauen, ihr Leben, ihren Alltag. Das ist meist ein Blick in Lebenswelten, die nicht immer einfach sind, in denen Frauen um ihre Existenz und Selbstbestimmung ringen und manchmal auch den Weg zu sich selbst finden. Sabine Bomeier war Journalistin, Redakteurin und Pressesprecherin, bevor sie sich ganz für das kreative Schreiben entschied.

Mehr von Sabine Bomeier lesen

Ähnlich wie Momente im Frauenknast

Ähnliche E-Books

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Momente im Frauenknast

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Momente im Frauenknast - Sabine Bomeier

    Vollzug

    Vorwort

    Mit diesem Buch möchte ich einen Einblick geben in eine Welt, die den meisten Menschen im Allgemeinen nicht zugänglich ist, in die Welt hinter Gittern, in der ich selbst fünf Jahre lang als Gefangene gelebt habe. Dabei geht es nicht um die Schilderung der Taten, auch nicht meiner eigenen, denn es soll kein rein voyeuristisches Interesse bedient werden. Es sind vielmehr Momentaufnahmen vom Alltag im Knast, die hier beschrieben werden, basierend vorwiegend auf meinen Tagebuchaufzeichnungen, die ich während der Haft gemacht habe. Dabei bleiben sicher viele Aspekte unberücksichtigt, denn das Leben hinter Gittern ist so vielschichtig wie das vor den Gittern. Ein Buch ist nicht genug, um alles zu schildern. Aber diese Momentaufnahmen sollen zeigen, dass auch in den Gefängnissen Menschen leben, die sicher Schuld auf sich geladen haben, die aber größtenteils ihr Heil nicht im Selbstmitleid suchen, sondern einen Weg zurück in die Normalität finden möchten. Das bedeutet immer auch, sich der Verantwortung für die begangene Tat zu stellen und sich mit den Hintergründen, die zu der Tat geführt haben, auseinanderzusetzen, ohne diese als Entschuldigung zu benutzen.

    Mein Ziel ist es nicht, Statistiken zu liefern, sondern den gelebten Alltag zu schildern, das kann manchmal sehr subjektiv sein, denn wir Gefangene stehen den Geschehnissen nicht immer objektiv gegenüber, sondern haben manchmal unsere ganz eigene Sichtweise auf die Dinge, auch weil wir zu sehr in unserer eigenen Welt leben und manchmal vergessen, dass es noch eine andere Welt und auch andere Sichtweisen gibt auf die Dinge, die unser Leben hinter Gittern bestimmen.

    Geschildert wird der Alltag in einem kleinen Frauenknast. Dabei unterscheiden sich Frauen- und Männerknäste sicher sehr voneinander. Der Umgangston unter Frauen ist rau aber auch getragen von gegenseitigem Verständnis, zudem liegt der Hintergrund weiblicher Kriminalität oft in Beziehungskonflikten. Überdies versuchen Frauen, auch aus der Haft heraus, sich weiter um ihre Familien zu kümmern und sehen sich in der Verantwortung für diese. So ist denn dieses Buch auch „nur" eine Schilderung der Lebensweise inhaftierter Frauen.

    Die Texte basieren auf Erinnerungen, zum größten Teil auf meinen eigenen, auch wenn sie hier nicht immer in der Ich-Form berichtet werden. Und sie basieren zudem auf den Erlebnissen meiner Mitgefangeninnen, die ich nach ihren Berichten aufzeichnen durfte. Die Zustände in den Knästen mögen heute anders sein, denn diese Erinnerungen und Erlebnisse sind zwischen zehn bis zwanzig Jahre alt. Der kleine Frauenknast, in denen diese Momentaufnahmen entstanden sind, ist inzwischen geschlossen, die Frauen verlegt, in bessere Unterkünfte. Aber an den grundsätzlichen Verhältnissen am Leben hinter Gittern hat sich nichts geändert. Nach wie vor werden die Filzen, das Durchsuchen der Zellen, als demütigend empfunden und die Einsamkeit während der Einschlusszeiten als bedrückend. Und auch heute werden Gefangene von ihren Partnern oder Freunden verlassen.

    Ein Teil der Schilderungen sind sehr persönliche Darstellungen, dabei habe ich immer versucht, den Charakteren der Frauen gerecht zu werden und ihre Empfindungen weiterzugeben, auch wenn ich manchmal Details verfremdet habe, um einer Wiedererkennung der Frauen vorzubeugen, die wesentlichen Aussagen sind jedoch unverändert. Die Namen der Protagonistinnen sind verändert, um diese, und auch mich selbst, zu schützen, dennoch auftretende Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig.

    Auf dem Weg ins Gefängnis

    Mit der fertig gepackten Tasche steht sie vor dem Bett. Sie lauscht auf die Schritte, die draußen auf dem Flur zu hören sind. Das werden die Beamtinnen des Frauengefängnisses sein. Die junge Frau soll heute aus dem Krankenhaus abgeholt und ins Gefängnis gebracht werden. Das dunkle Brennen in ihrem Magen wird stärker, ihre Beine werden zu weichen Gummistelzen und können sie kaum noch tragen. Sie hat Angst! Was wird sie erwarten? Gefängnis – was heißt das überhaupt?

    Gleich nach der Tat hat man sie in diese Klinik eingewiesen. Drei Wochen hätte sie hier verbracht, hat die Ärztin ihr gestern gesagt, als sie ihr mitteilte, dass sie nun aus medizinischer Sicht wieder stabil sei. Aber Zeit bedeutet ihr nichts mehr. Drei Wochen – das ist für sie eine Aussage ohne Inhalt. Ihre Tage vergehen in einem Nebel des Nichtbegreifens und Nichtwissens. Irgendwie sind diese Wochen im weißen Krankenzimmer vorübergegangen, aber sie weiß nicht, wie die einzelnen Tage ausgesehen haben: Tage, Stunden, Wochen sind zu einer milchigen Masse geworden, aus denen sie die einzelnen Momente nicht mehr herausfiltern kann. Die Ereignisse davor liegen wie hinter grauen Schleiern verborgen. Einzelne Bilder treten nur sporadisch hervor, mal mehr und mal weniger deutlich.

    Wann war es, als sie baden durfte? Sie versucht sich zu erinnern. Eine Schwester im weißen Kittel ist mit ihr in ein großes weißgekacheltes Badezimmer, mit frei stehender Badewanne gegangen. Da war so viel Blut, ihre Hände waren ebenfalls rot und auch der Rand der Wanne war rot verschmiert. Sie hatte versucht das wegzuwischen. Die Schwester saß daneben, gesagt hat sie nichts.

    Auf die Toilette darf sie bis heute nicht alleine gehen. Sie muss stets nach einem Pfleger oder einer Pflegerin klingeln, wenn der Drang zu stark wird. Die Tür zum Klo darf nicht geschlossen werden, wenn sie dort sitzt. Der Pfleger steht vor der offenen Tür, schaut diskret zur Seite, wenn sie die Hose herunterlässt und beobachtet sie doch. In diesen Momenten schämt sie sich. Ihr Zimmer hat ein Fenster zum Raum der Pfleger, was immer sie auch tut, sie sehen es. Sie müssen verhindern, dass sie sich umbringt.

    Ständig muss sie Pillen nehmen. Die Ärztin fragte vor ein paar Tagen, ob es ihr damit besser gehe? Aber wie soll sie das denn wissen? Wie würde es ihr denn ohne diese Medikamente gehen? Zu essen bringen sie ihr reichlich. Auch eine Flasche Wasser steht immer auf ihrem Tisch. Aber sie hat keinen Hunger und auch nur wenig Durst. Nur mit frischer Wäsche sieht es schlecht aus. Sie hat nur das, was sie auf dem Leib trägt, eine graue Jogginghose und einen schon etwas zerschlissenen blauen Pullover. Wäsche zum Wechseln hat sie nicht. Diese Sachen hat sie auf der Polizeiwache bekommen. Ihre eigene Kleidung haben ihr die Kripobeamten abgenommen. Wann war das eigentlich, fragt sie sich? Abends legt sie ihre Sachen zusammen, ein Pfleger nimmt den Packen mit und bringt ihn ihr morgens gewaschen zurück.

    Täglich kommt der Pastor. Früher hatte sie nie etwas mit Kirchenleuten zu tun. Dieser Pastor redet mit ihr über das, was geschehen ist. Es tut weh und sie will sich nicht erinnern. Er zwingt sie auch nicht dazu. In ihr ist dieser dicke brennende Kloß, der alles zu ersticken scheint, dann kommt wieder der Heulkrampf. Aber nichts wird dadurch besser. Nichts kann je wieder ungeschehen gemacht werden. Sie hat einen Menschen getötet.

    Von akuter Suizidgefahr haben sie gesprochen. Ja, alles hätte sie dafür gegeben, nicht mehr leben zu müssen, selbst die wenigen Bilder aus jener Nacht nicht mehr sehen zu müssen. Aber sie haben es nicht zugelassen. Nicht eine Minute durfte sie alleine sein. Aber nun halten die Ärzte sie für gefestigt genug, um der Justiz überstellt zu werden. Überstellt werden – das klingt so bürokratisch, nach einem Verwaltungsakt, der eben durchzuführen ist. Sie aber hat Angst! Auch im Gefängnis soll sie weiter unter ständiger Bewachung sein. Man will kein Risiko eingehen. Sie fragt sich, was denn so schlimm daran wäre, wenn es sie nicht mehr gäbe?

    Zwei Frauen betreten den Raum. Sie sind nicht uniformiert, wie sie es erwartet hatte. Und doch sind es Beamtinnen der Justiz. Beide sind blond, in modische Jeans und Blusen gekleidet, so sauber und adrett, ohne jeden Makel. So sehen sympathische, von allen gemochte junge Frauen aus. Ihnen gegenüber fühlt sie sich klein und schmutzig in ihrer grauen Trainingshose. Waren diese Frauen jemals verzweifelt, haben sie jemals bedingungslos geliebt? Und wenn, konnten sie sicher immer angemessen damit umgehen. Menschen wie sie werden fortan über ihr Leben bestimmen, so jedenfalls hat der Pfleger es ihr erklärt. Aber sie weiß nicht, was das bedeutet.

    Das Brennen in ihrem Innern wird noch stärker. Panik steigt wie eine Feuerwalze in ihr hoch. Eine der Frauen sagt etwas zu ihr, aber sie kann es nicht hören. Die Beamtin hält etwas silbrig Glänzendes in der Hand. Sind das Handschellen? Wollen sie ihr diese Eisen wirklich anlegen? Ihre Kehle ist wie zugeschnürt. Sie kann nichts sagen, hält nur mechanisch die Hände hin und die Bügel der metallenen Fesseln schlagen klirrend ineinander. Hände und Arme kann sie nun nicht mehr frei bewegen. Beide Hände sind mittig vor dem Bauch fixiert. Der Stahl schneidet in das Fleisch ihrer Arme, nicht so sehr, dass es wirklich weh tut aber doch genug, um es zu spüren. Beide Handgelenke aneinander gebunden, greift sie nach ihrer Tasche, hält sie vor dem Bauch fest. Anders ist es nicht möglich. Die Beamtinnen schieben sie fast sanft aus dem Zimmer und bedeuten ihr, ihnen zu folgen. Der kleine Leinenbeutel, den sie von einer Schwester bekommen hat, um ihre Habseligkeiten darin zu verstauen, schlägt bei jedem Schritt gegen ihre Beine, stolpernd versucht sie zwischen den Beamtinnen mit ihnen Schritt zu halten. Sie weiß, sie muss mit ihnen gehen. Und wo sollte sie auch sonst hin?

    Die beiden Beamtinnen reden immer noch und sie beginnt allmählich zu verstehen, was sie sagen. Sie geben Anweisungen, was sie zu tun hat. „Wir nehmen Sie in die Mitte, Sie kommen bitte mit uns." Wortlos folgt sie ihren Befehlen. Rechts und links flankiert, führen die beiden blonden Frauen sie über die langen Gänge des Krankenhauses bis hinaus auf den Parkplatz. Sie spürt die Blicke der anderen Patienten auf sich gerichtet. Da wird eine in Handschellen abgeführt! So etwas sieht man nicht alle Tage. Sie schaut nach unten. Jetzt bloß keinem in die Augen sehen müssen! Wie auf dem Präsentierteller ist sie der Neugierde der Menschen ausgesetzt und weiß noch nicht, dass das erst der Anfang ist.

    Die Beamtinnen fordern sie auf, sich in den hinteren Teil des Justizfahrzeuges, einen Kleinbus, zu setzen. Mit ihren gefesselten Händen plumpst sie auf den Rücksitz. Eine der Beamtinnen setzt sich ans Steuer, die andere zu ihr nach hinten. Der Kleinbus ist polizeigrün nur mit einem dicken Streifen bemalt, ansonsten schmutzig grau, und vergittert. „Ebenso vergittert wie mein Hirn", denkt sie. Alles erscheint ihr so unwirklich. Ist das ein Film oder ein Traum? Das kann nicht die Realität sein. Auf dem Weg ins Gefängnis – sie! Das kann nicht sein. Aber doch, es ist so.

    Die Fahrt führt über ihr bekannte Straßen, aber nie sah sie diese so wie heute, an diesem kalten Februartag. Diese Straßen sind für sie nicht mehr begehbar, sie darf dort nicht mehr sein. Ihr bleibt nur noch der Blick durch die Gitter des Transporters auf die Plätze über die sie vor ein paar Wochen noch so unbeschwert ging. Sie beginnt zu ahnen, dass die Eisengitter durch die sie blickt, die Welt in zwei Teile splitten. Für sie wird in Zukunft nur noch der eine Teil zugänglich sein.

    Die Frau mit dem lockig blond umrahmten Gesicht redet auf sie ein. Die Beamtin scheint zu wissen, dass sie noch keine Erfahrung mit dem Leben hinter Gittern hat. Die Beamtin versucht schon jetzt, ihr diese noch so fremde Welt zu erklären. Es sei alles gar nicht so schlimm, sie würde sich schon eingewöhnen – oder irgendetwas Ähnliches sagt sie. Ihre Worte dringen nicht zu ihr durch. Sie spürt nur das immer stärker werdende Brennen in sich. Die Angst wächst ins Unermessliche, für nichts anderes als diese Angst ist mehr Platz in ihr.

    Das Frauengefängnis zeigt sich zunächst in Gestalt eines großen schmutzig-grünen Eisentores, das sie passieren müssen. Die zwei Teile des Tores schieben sich wie von Geisterhand bewegt auseinander. Sie fahren hindurch. Sobald der letzte Zentimeter des Autos das Tor passiert hat, schieben sich die Tore wieder zusammen. Kein Mensch ist zu sehen. Dann erst öffnet sich ein weiteres Tor, durch das sie fahren. Sie ist im Knast! Eine Schleuse trennt die Menschen im Gefängnis von denen vor den Gittern. Immer noch erscheint ihr das alles wie ein Traum, wie ein böser Alptraum. Gleich wird sie aufwachen und wieder in ihrer Welt sein.

    Aber statt aufzuwachen, vernimmt sie die Stimme der Beamtin: „Aussteigen!" Sie nehmen ihr die Handschellen ab und bringen sie vom Hof, auf dem sie nun stehen, in ein graues flaches Gebäude. Grau scheint hier die alles beherrschende Farbe zu sein. Sie wird durch, wie es ihr scheint, zahllose Räume geführt. Jedes Mal bevor sie einen neuen Raum betreten, zieht eine der Beamtinnen ein dickes Schlüsselbund aus der kleinen schwarzen Ledertasche an ihrer Hüfte und schließt die Tür mit einem großen Schlüssel auf. Dabei klirren alle Schlüssel aneinander. Sie passieren die Tür und die Beamtin schließt hinter ihnen wieder ab. Das wiederholt sich noch unzählige Male, kommt es ihr vor. Sie verliert die Orientierung. Sie ist nicht mehr in der Lage, die Situation zu erfassen. In ihr ist nur noch diese gewaltige, ihr Innerstes einnehmende brennende Angst. Was kommt da auf sie zu?

    Sie geht mit den beiden Frauen, ohne zu begreifen, wohin sie geht. Aber ihr ist klar, dass sie ihnen zu folgen hat. Nichts anderes, als den Weisungen anderer zu folgen wird mehr von ihr erwartet. Die heiße Angst in ihr wird immer größer. Der Feuerball in ihrem Bauch schiebt sich weiter nach oben, erreicht ihren Hals und droht sie zu ersticken. Das Geklirr der schweren Eisenschlüssel brennt sich in ihr Hirn. Später, sehr viel später, wird sie das gar nicht mehr wahrnehmen. Dann wird das Schlüsselgeklirr zu ihrem Alltag gehören, dann wird sie keine Angst mehr haben. Aber noch ist sie in ihr, diese entsetzliche, brennend heiße Angst vor dieser ihr so unbekannten Welt.

    Sie gehen über einen langen Flur, mit grauen Wänden und grauem Bodenbelag. Rechts und links gehen verglaste Türen ab, die in der Verglasung ein dünnes aber sicher stabiles Gitter haben. Diese Türen führen in ebenfalls graue Räume. Eine sehr junge Frau mit dunklen Locken kommt ihnen entgegen. Diese weint und ruft irgendjemandem, den sie nicht sehen kann, noch etwas zu. Die Beamtin erklärt in recht munterer Art, dass hier der Besuchertrakt und gerade Besuchszeit sei. Für die Beamtin scheint das zu den positiven Dingen im Knast zu gehören. Sie aber sieht nur die Tränen in den Augen dieser anderen Frau. Und sie hat Angst!

    Immer mehr Türen werden auf- und zugeschlossen, alles schwere Eisentüren, die in der Mitte ein großes Fenster aus dünn vergittertem Panzerglas haben. Die Zahl der Türen scheint endlos zu sein. Dann endlich betreten sie die Frauenstation. Von überall her hört sie Stimmen, mal schrill und alles übertönend, mal kreischend und mal dunkel dröhnend. Laut und hektisch geht es hier zu. In ihr wächst weiter diese brennende Angst vor dem Unbekannten.

    Die Frauenstation ist zweistöckig, sie betreten sie durch eine Tür, die den Blick auf einen langen Flur und eine hohe Decke freigibt. Am Ende des Flures scheint es weiter zu gehen, aber der Blick reicht nur bis zu einer Balustrade am Ende des Ganges. Dort stehen nun über der jungen Frau einige andere Frauen und scheinen sie erwartet zu haben. Sie mustern sie, begutachten sie mit ihren Blicken oben von der Balustrade herab. Es fallen laute Sprüche. Sie ist nicht in der Lage, wirklich zu verstehen, was da gerufen wird, glaubt aber Worte wie „Achtung! Frischfleisch!" zu hören. In ihr ist die schiere Angst. Ganz eindeutig gehört die ganze Aufmerksamkeit dieser Frauen ihr. Die Frauen stehen da oben, fast wie auf einem Theaterrang, tragen sichtbar alte Leggins an den Beinen und Hausschuhe an den Füßen, fast alle halten eine Zigarette in den Händen oder stützen sich lässig auf das Gitter und sind offensichtlich gut aufgelegt. Was sind das für Frauen, die da oben stehen und auf sie herab sehen? Was haben die mit ihr vor? Erwartet sie jetzt so eine Art Spießrutenlaufen? Bilder aus irgendwelchen Filmen tauchen vor ihren Augen auf.

    Sie weiß noch nicht, dass jede neue Frau mit großer Spannung erwartet wird, einfach deshalb, weil neue Frauen Abwechslung in den langweiligen Knastalltag bringen. Sie bringen Neuigkeiten von draußen, erzählen, wer gerade eine Therapie macht, wer mit wem ein Verhältnis angefangen hat und manchmal auch, wer gestorben ist. Die Frauen kennen sich eben fast alle auch von draußen. Später wird sie selbst auf der Balustrade stehen und beobachten, wenn eine Neue kommt, aus einer Neugierde heraus, die im Knast so selbstverständlich ist, wie sonst auch unter Nachbarn. Aber davon ahnt sie jetzt noch nichts. Noch erscheint ihr hier alles feindlich. In ihr wächst weiter diese alles verbrennende Angst. Sie hört nur die feixenden Stimmen, spürt die musternden Blicke. Es ist das reinste Spießrutenlaufen für sie.

    Die Beamtinnen bleiben mit ihr vor einer weiteren Tür stehen. Sie führen sie in einen kleinen Raum. Das sei die Kammer der Frauenstation, wird ihr erklärt. Dass mit „Kammer" die Kleiderkammer gemeint ist, weiß sie auch noch nicht. Hier werden die Gefangenen eingekleidet, sofern sie nicht über genügend eigene Sachen verfügen. Hier werden sie mit allem ausgestattet, was sie in der Haft brauchen. Und hier werden auch die Dinge aufbewahrt, die nicht mit auf die Station genommen werden dürfen. Und außerdem werden in diesem Raum die Inhaftierten untersucht, die neu ankommen oder aus irgendwelchen Gründen die Station für eine Weile verlassen haben.

    Eine der Beamtinnen streift sich Gummihandschuhe über und in ihr steigt wieder das Gefühl der Panik auf. Was hat das zu bedeuten? Die Frau, die sich die Handschuhe übergezogen hat, bedeutet ihr, dass sie sich jetzt auszuziehen habe. Sie müsse untersucht werden, das sei bei Neuzugängen so üblich. Ein Neuzugang ist sie also. Das klingt wieder so wenig menschlich. Gehorsam beginnt sie, sich zu entkleiden. Die graue Jogginghose, den alten Pullover und auch ihren inzwischen so unansehnlichen Slip soll sie auf den Hocker legen, der an der Wand steht. Sie schämt sich für die hässliche Unterwäsche. Sie spürt aber auch, dass sie keine Wahl hat und beginnt auch die inzwischen fast grau gewordene Unterhose auszuziehen, auch den BH legt sie ab. Ihre Brüste hängen bloß vor den Blicken der Beamtinnen. Sie spürt, wie ihre Wangen zu glühen beginnen und sie rot wird! Ihre Hoffnung, dass eine der Beamtinnen irgendwann sagen würde, dass es nun reiche, wird nicht Wirklichkeit. Brennende Scham erfüllt sie. Es ist so peinlich!

    Sie kennt diese Frauen nicht, aber diese haben dennoch das Recht, ihren Körper zu betrachten, sie zu befühlen. Ist denn auch alles in Ordnung mit ihr? Die Scham weicht einer noch diffusen Wut. „Wieso dürfen die das mit mir machen?", fragt sie sich. Das Recht auf Würde scheint sie verwirkt zu haben. Die Beamtinnen befehlen ihr sodann, sich zu bücken. Sie dreht sich zur Wand und muss ihnen den nackten Hintern hinhalten, indem sie sich mit dem Oberkörper nach vorne beugt. Krampfhaft starrt sie einen Fleck an der Wand an. Er mag schon vielen Frauen hier geholfen haben, nicht an das zu denken, was gerade geschieht.

    Sie drücken ihr die Pobacken auseinander. Scham und auch Wut lassen ihr erneut das Blut in den Kopf schießen. Zufrieden meint eine der beiden Beamtinnen, dass alles in Ordnung sei. Sie könne sich jetzt wieder anziehen. Den beiden Frauen ins Gesicht zu schauen, wagt sie nicht. Sie will das alles nur noch möglichst schnell hinter sich bringen und fühlt sich bis ins Mark gedemütigt. Schnell wühlt sie sich wieder in ihre Sachen, den Blick immer fest auf den Boden geheftet.

    Als sie ihre Schuhe wieder anziehen will, werden die ihr weggenommen. „Die Absätze sind zu hoch, sagt die eine der beiden blonden Schließerinnen. Im Knast seien nur ganz flache Absätze erlaubt. Man würde sie zu ihren Effekten nehmen. Sie weiß gar nicht, was „Effekte sind. „Es sind Dinge, die von der JVA einbehalten werden, die aber Eigentum der Gefangenen sind und bei der Entlassung wieder ausgehändigt werden, erklärt die Beamtin, die jetzt ihre Schuhe in den Händen hält. Sie bekommt stattdessen ein Paar Hausschuhe, die ganz offenkundig vor ihr bereits andere getragen haben. Mit einem Gefühl leichten Ekels steigt sie in die muffigen, etwas ausgetretenen Schlappen. Die mit den blonden Locken meint: „Das Schläferpäckchen finden Sie in Ihren Haftraum. Was ist ein Schläferpäckchen? Auch das ist ein Ausdruck,

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1