Kirchen die Menschen mögen: Die Kirche anders denken
Von Reto Nägelin
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Über dieses E-Book
Reto Nägelin
Reto Nägelin, geboren 1974, machte Karriere im CVJM. Auf dem zweiten Bildungsweg absolvierte er die Ausbildung zum reformierten Diakon an der Schule für Diakonie Greifensee. Er war in verschiedenen evangelisch-reformierten Kirchen als Jugendarbeiter tätig und war massgeblich am Aufbau der Jugendkirche „streetchurch“ in Zürich beteiligt. Reto Nägelin schrieb eine Diplomarbeit zum Thema „Religiöse Abhängigkeit – Wege zur christlichen Mündigkeit“ und studierte im Nachdiplom „Master of Advanced Studies in Social Management“ an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften. Sein Schwerpunkt im Studium war „Organisationsentwicklung“. Er schrieb seine Masterthesis zum Thema „Kirche anders denken – die kundenorientierte Kirche“. Er leitet die Beratungsstelle für den Umgang mit destruktiven Gottesbildern und die Fachstelle für die Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen der evangelisch-methodistischen Kirche der Schweiz. Reto Nägelin verfasste Artikel für einige Zeitschriften und ist regelmäßiger Autor von Beiträgen im „Mittendrin“ Bibellesebuch. Er ist freischaffender Mediator, Gottesbildberater, Glaubenscoach, Organisationsentwickler und mit Herz und Blut Bluesdiakon: www.retonaegelin.ch
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Buchvorschau
Kirchen die Menschen mögen - Reto Nägelin
Association).
1 Einleitung
Die Mitgliederzahlen der Kirchen sind rückläufig, es fehlt an finanziellen wie auch personellen Ressourcen und ihr Marktanteil nimmt ab. Dies trifft nicht auf jede Kirche zu, für die Organisationsform als Ganzes jedoch schon.
Oft haftet der Kirche auch der Ruf an, sie sei veraltet oder gar verstaubt. Bei der Begleitung diverser Organisationsentwicklungen und Strategieprozessen in kirchlichen und kirchennahen Organisationen erkannte ich, dass trotzdem in vielen Kirchen eine Reorganisation sehr schwierig, ja fast unmöglich ist.
1.1 Einleitende Gedanken
Viel wird angepasst und optimiert, ein ganzheitlicher Wandel des Wesens der Kirche findet aber nicht statt. Ich teile die Meinung von Heller und Krobath (2003, S. 24-25), dass sich die Kirche wohl modernisiert, jedoch nicht wirklich erneuert hat.
Oft höre ich die Aussage, Kirche lasse sich nicht mit anderen Organisationen vergleichen. Steht dahinter eine Angst vor wissenschaftlichen Ansätzen oder ist das wirklich so? Diese Grundannahme verhindert eine differenzierte Auseinandersetzung mit der eigenen Organisation. Heller und Korbath (2003) meinen: Der ständige Verweis darauf, dass Kirche mehr sei, dient bei innerkirchlichen Auseinandersetzungen oft als Verleugnung organisationsbedingter Realitäten
(S. 17).
Daraus ergibt sich eine Grundsatzfrage: Geht es um den Erhalt der Kirche als Organisation oder um das Fortführen des Auftrags und des Zwecks?
• Wenn es um den Erhalt der Organisation geht, ist es zwingend nötig zu fragen, wie sich die Organisation entwickeln kann, um überlebensfähig zu bleiben!
• Wenn es um das Fortführen des Auftrages geht, dann ist es wichtig zu hinterfragen und zu überprüfen, mit welchen Mitteln (Organisationsform, Methoden, etc.) der Zweck in der heutigen Zeit am besten erfüllt werden kann.
Beide Sichtweisen führen zu einer zwingenden Auseinandersetzung mit der Kirche. Der Ansatz, die Leistungen der Kirche unter dem Aspekt der Kundenorientierung zu sehen, ist eine postmoderne Form der Auseinandersetzung mit dem „Dienst am Nächsten".
1.1.1 Kirchenkrise
Die Kirchen verlieren Mitglieder, dies ist unbestritten. Lischka und Siems (2000, S. 35) stellen fest, dass sich in der evangelischreformierten Kirche Basel-Stadt die Mitgliederzahlen seit Mitte der siebziger Jahre um 45% reduzierten. Bei der römisch-katholischen Kirche traten in diesem Zeitraum rund zwei Drittel der Mitglieder aus. Diese Zahlen beziehen sich nur auf die Kirchen Basel-Stadt, geben aber Hinweise über die Situation der Kirchen in der Schweiz. Dies ist gemäss Lischka kaum darauf zurückzuführen, dass Glaube, Spiritualität oder Religion nicht mehr zeitgemäss sind. Es liegt wohl eher daran, dass sich diese Inhalte und damit verbundene Bedürfnisse anderweitig besser stillen lassen. Was macht die Kirche falsch, dass sie nicht (mehr) als primäre Kompetenz für diese Themen gilt? Hat die Kirche in der heutigen Form ausgedient oder muss sie sich „nur" an den Umweltveränderungen ausrichten? Frost und Hirsch (2008, S. 35-36) finden gar, dass institutionalisiertes Christentum in der heutigen Kultur ein Auslaufmodell und auf Dauer gesehen ein gescheitertes Experiment ist.
Die Kirche steckt in der Krise (Ludwig, 2010, S. 381). Dies wird durch die Verwendung des Organisationsbegriffs erst deutlich, da er den Blick auf Mitglieder und Strukturfragen lenkt: Mitgliederkrise (Kundenbindungs-Krise), Finanzkrise und Relevanz-Krise (Markteinfluss).
1.1.2 Der Krise begegnen
Diese Krisen bringen Veränderungen. Es geht darum, diese Veränderungen nicht einfach geschehen zu lassen, sondern aktiv zu gestalten. Auch soll nicht irgendeine Strategie übernommen werden, die irgendwann, irgendwo funktioniert hat. Dieser Ansatz hat der Kirche, so finden Frost und Hirsch (2008, S. 152), ungemein geschadet. Auch Heller und Korbath (2003) finden: Organisationsentwicklung ist eine Überlebensstrategie für die Kirchen, keine Frage!
(S. 9).
Eine solche Entwicklungssichtweise und die damit verbundene Sprache ist eine Herausforderung für die Kirche: Kunden, Marketing, Ressourcen, etc. In vielen Fällen handelt es sich meiner Erfahrung nach jedoch schlicht um einen anderen Wortschatz. So könnten Ressourcen durchaus als Gaben verstanden werden, Marketing als Evangelisation und der Kunde als der Christ oder der potenzielle Christ. Dieses Organisations-Sprachspiel bietet eine Horizonterweiterung und eröffnet neue Sichtweisen und ungeahnte Problemlösungsansätze (Heller & Krobath, 2003, S. 29).
Portmann (2000, S. 212) sieht die Herausforderung darin, diese Gestaltung so zu machen, dass die Kirche ihrem Auftrag treu bleiben, aber dennoch ihr Überleben, sowohl zahlenmässig wie auch finanziell, sichern kann. Ergänzend zur Ansicht von Portmann ist festzustellen, dass die Kirche sich entwickeln muss, wenn sie ihrem Auftrag treu bleiben will.
Die Kirchen haben noch wenig Erfahrung, sich selber bewusst als Organisation zu verstehen, geschweige denn sich nach dem Markt auszurichten (Ludwig, 2010, S. 402-403). Bis vor kurzem war es der Kirche möglich, ihre Bemühungen auf den Erhalt des Bestehenden zu setzen und von der gesellschaftlichen Stellung zu leben.
Durch die Kirchenkrise muss sie sich mit ihrer Organisationsform und den entsprechenden Themen auseinandersetzen (Heller & Krobath, 2003, S. 40). Dass dies bis jetzt noch nicht im grossen Rahmen geschehen ist, lässt sich wohl darauf zurückführen, dass der Leidensdruck noch zu wenig gross ist. Systeme ändern sich erst, wenn die Angst vor dem Untergang grösser ist als die Angst der Veränderung. Klar wird, dass es eigentlich nur zwei Möglichkeiten gibt, wobei die eine keine wirkliche Option ist: „Weitermachen wie bisher oder verändern." (ebd., S. 33).
1.1.3 Emerging Church und andere Ansätze
Es gibt bereits einige Ansätze zur Entwicklung der Kirche in der Postmoderne. Einige sind im Internet zu finden, so z.B. „Simple Church oder „Rethink Church
. Besonders sei hier aber auch die Emerging Church von Dan Kimball (2005) erwähnt. Alle diese Ansätze weisen in die richtige Richtung. Was ich in meinen Recherchen nicht finden konnte, war ein organisationswissenschaftlicher Ansatz. Ebenso fehlen die konkreten Umsetzungsstrategien. Ich hoffe mit diesem Buch diese Lücke zu füllen.
1.2 Aufbau
1.2.1 Zielgruppe
Selbstverständlich orientieren sich viele Kirchen, Gemeinschaften und Bewegungen bereits an Organisationsentwicklungsansätzen. Ihnen sollen die nächsten Seiten Unterstützung für ihre Entwicklungsprozesse geben. Den anderen soll sie Optionen aufzeigen, wie Kirche auch noch gedacht werden könnte und dadurch zusätzliche Optionen zur eigenen Entwicklung eröffnen.
Generell soll dieses Buch allen an der Kirche Interessierten Mut machen und motivieren die Kirche lustvoll und interessiert durch die „Organisations-Entwicklungsbrille" zu betrachten. Das Zitat von Heller trifft die Ausrichtung ziemlich genau:
Das Buch ist für alle gedacht, die ihre Hoffnung auf Veränderung in Kirchen noch nicht aufgegeben haben, die unsere Auffassung teilen, dass ohne Nachfolge Christi durch Personen und Organisationen die Gestaltung unserer Lebensbedingungen ärmer, unmenschlicher, hoffnungsleerer würde.
(Heller & Krobath, 2003, S. 12)
1.2.2 Inhalt
Ist die Kirche in der heutigen Form überholt oder braucht sie nur eine Anpassung an die Umweltveränderung? Kann eine radikale Kundenorientierung ein sinnvoller Schritt zur Lösung ihrer Krise sein?
Dieses Buch versucht „Kirche anders zu denken" und entwirft anhand der Herausforderungen der Kirche und gängiger Organisationsmodellen ein alternatives Modell von Kirche, welches sich radikal am Kunden orientiert. Sie fokussiert sich, aufgrund der Dimension der Thematik, nur auf den Aspekt der Kundenorientierung. Betriebswirtschaftliche Fragen werden nicht behandelt. Die Begrenzung des Kirchenverständnisses sowie das verwendete Organisationsverständnis werden im Kapitel 2 und 3 ausführlich beschrieben.
1.2.3 Gliederung
Dieses Buch gliedert sich in acht Hauptkapitel:
Kapitel 1 „Einleitung" beinhaltet einleitende Gedanken und Informationen zum Aufbau des Buches.
Kapitel 2 „Ist die Kirche Organisation?" setzt sich mit der Sozialgestalt der Kirche auseinander und definiert das dem Buch zu Grunde liegende Kirchenverständnis.
Kapitel 3 „Wie Organisationen funktionieren" zeigt auf, wie Organisationen funktionieren und welches Organisationsverständnis für dieses Buch verwendet wird.
Kapitel 4 „Herausforderungen der Kirche" setzt sich mit den Herausforderungen