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Baustatik: Grundlagen, Stabtragwerke, Flächentragwerke
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eBook1.572 Seiten10 Stunden

Baustatik: Grundlagen, Stabtragwerke, Flächentragwerke

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Über dieses E-Book

Das Werk liefert eine einheitliche Darstellung der Baustatik auf der Grundlage der Technischen Mechanik. Es behandelt Stab- und Flächentragwerke nach der Elastizitäts- und Plastizitätstheorie.
Es betont den geschichtlichen Hintergrund und den Bezug zur praktischen Ingenieurtätigkeit und dokumentiert erstmals in umfassender Weise die spezielle Schule, die sich in den letzten 50 Jahren an der ETH in Zürich herausgebildet hat.

Als Lehrbuch enthält das Werk viele durchgearbeitete Beispiele und Aufgaben zum vertieften Studium. Die einzelnen Kapitel werden durch Zusammenfassungen abgeschlossen, welche die wichtigsten Lehrinhalte in prägnanter Form hervorheben. Die verwendeten Fachausdrücke sind in einem Anhang definiert.

Als Nachschlagewerk enthält das Buch ein umfassendes Stichwortverzeichnis. Die Gliederung des Inhalts und Hervorhebungen im Text erleichtern die Übersicht. Bezeichnungen, Werkstoff- und Querschnittswerte sowie Abrisse der Matrizenalgebra, der Tensorrechnung und der Variationsrechnung sind in Anhängen zusammengefasst. Insgesamt richtet sich das Buch als Grundlagenwerk an Studierende und Lehrende ebenso wie an Bauingenieure in der Praxis. Es bezweckt, seine Leser zu einer sinnvollen Modellierung
und Behandlung von Tragwerken zu befähigen und sie bei den unter ihrer Verantwortung vorgenommenen Projektierungs-und Überprüfungsarbeiten von Tragwerken zu unterstützen.

Die 1. Auflage war erfreulicherweise nach kurzer Zeit vergriffen, so dass diese 2., korrigierte Auflage vorgelegt werden kann.
SpracheDeutsch
HerausgeberWiley
Erscheinungsdatum11. März 2014
ISBN9783433604359
Baustatik: Grundlagen, Stabtragwerke, Flächentragwerke

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    Buchvorschau

    Baustatik - Peter Marti

    Marti

    I

    EINFÜHRUNG

    1

    Aufgabe und Abgrenzung der Baustatik

    Gewiss herrscht vielfach die Ansicht, es solle die Berechnung eindeutig und endgültig die Abmessungen bestimmen. Indes kann angesichts der Unmöglichkeit der Berücksichtigung aller Nebenumstände jede Berechnung nur eine Grundlage für den Konstrukteur bilden, der sich darauf mit den Nebenumständen auseinanderzusetzen hat…

    Eine ganz einfache Berechnungsweise ist also einzig möglich und genügend.

    Robert MAILLART (1938)

    1.1 Allgemeines

    Die Baustatik ist ein nach den Bedürfnissen der Bauingenieure ausgestaltetes Teilgebiet der technischen Mechanik. Ihre Aufgabe ist es, das Wissen über das Verhalten von Tragwerken im Ruhezustand systematisch darzustellen, zu erweitern und für die praktische Anwendung aufzubereiten. Sie ist Grundlage jeder Projektierung neuer und jeder Überprüfung bestehender Tragwerke.

    Die in der Baustatik verwendeten Begriffe und Verfahren ermöglichen ein von der jeweiligen Bauweise (Beton-, Stahl-, Verbund-, Holz- oder Mauerwerksbau) unabhängiges, einheitliches Denken. Mit dem Aufkommen der Computer im dritten Viertel des 20. Jahrhunderts mündete dieses Denken in der Strukturmechanik, deren Teil die Baustatik heute ist.

    Im Zentrum jeder baustatischen Betrachtung steht ein durch Abgrenzung und Idealisierung gewonnenes Tragwerksmodell, das die Tragwerksgeometrie, die Baustoffeigenschaften und die möglichen Einwirkungen berücksichtigt. Die Ermittlung von Auswirkungen, d. h. Antworten des Tragwerks auf die Einwirkungen, erfolgt anhand von Berechnungsmodellen, welche die massgebenden Kraft- und Verformungsgrössen über Gleichgewichts- und Kompatibilitätsbedingungen sowie Stoffgleichungen verknüpfen.

    1.2 Grundlagen der Baustatik

    Das Tragwerksverhalten wird durch äussere und innere Kraft- und Verformungsgrössen (Lasten und Spannungen sowie Verschiebungen und Verzerrungen) beschrieben. Zwischen den Kraftgrössen bestehen statische Beziehungen (Gleichgewichtsbedingungen und statische Randbedingungen, siehe Kapitel 5), zwischen den Verformungsgrössen kinematische Beziehungen (kinematische Relationen und Randbedingungen, siehe Kapitel 6), und die inneren Kraft- und Verformungsgrössen sind durch Werkstoffbeziehungen (siehe Kapitel 7) miteinander verknüpft. Zu den allgemeinsten Aussagen im Rahmen der Baustatik gelangt man, wenn die äusseren und inneren Kraft- und Verformungsgrössen einander konsequent als energetisch korrespondierende Variablen (siehe Kapitel 8) gegenübergestellt werden [1].

    Die Statik beruht auf drei fundamentalen Prinzipien der Mechanik. Nach dem Prinzip der virtuellen Arbeiten leistet ein die statischen Beziehungen erfüllender (statisch zulässiger) Kräftezustand in Verbindung mit einem die kinematischen Bedingungen erfüllenden (kinematisch zulässigen) Verformungszustand insgesamt keine Arbeit. Dazu kommen noch das Reaktionsprinzip (zu jeder Kraft gehört eine entgegengesetzt gleiche Reaktion mit derselben Wirkungslinie) und das Schnittprinzip (jeder aus einem im Gleichgewicht befindlichen und kompatibel verformten System herausgeschnittene Teil ist für sich im Gleichgewicht und kompatibel verformt).

    Über ihre Einbindung in die Mechanik hinaus ist die Ausrichtung der Baustatik auf den konstruktiven Ingenieurbau hervorzuheben (siehe Kapitel 3 und 4). Sie ist ein Hilfsmittel zur Beurteilung eines bestehenden oder im Entwurf vorliegenden Tragwerks hinsichtlich Stabilität, Festigkeit und Steifigkeit. Diese Ausrichtung zeigt sich in speziellen, für die generelle Erfassung des Tragverhaltens sowie die (rechnerische) Behandlung im Einzelfall entwickelten Verfahren.

    1.3 Baustatische Verfahren

    Das Prinzip der virtuellen Arbeiten kann als Prinzip der virtuellen Verformungen bzw. als Prinzip der virtuellen Kräfte ausgedrückt werden. Die systematische Anwendung dieser beiden Prinzipien führt zu einer Reihe dualer kinematischer bzw. statischer Verfahren. Auf der kinematischen Seite sind insbesondere die Methode von LAND zur Einflusslinienermittlung (Kapitel 12.3), die Verformungsmethode zur Behandlung statisch unbestimmter Stabtragwerke (Kapitel 17 und 19.3) sowie die kinematische Methode der Traglastverfahren (Kapitel 21.3 und 21.7) zu nennen, auf der statischen Seite der Arbeitssatz zur Ermittlung von Einzelverformungen (Kapitel 14.2), die Kraftmethode zur Behandlung statisch unbestimmter Stabtragwerke (Kapitel 16 und 19.2) sowie die statische Methode der Traglastverfahren (Kapitel 21.3 und 21.7).

    Unter der Voraussetzung eines linear elastischen Verhaltens sowie kleiner Verformungen gelangt man zur linearen Statik, bei der sämtliche Kraft- und Verformungsgrössen superponiert werden dürfen. Von dieser Möglichkeit der Superposition macht man in der Baustatik ausgiebig Gebrauch, insbesondere bei der Kraftmethode und der Verformungsmethode. Durch Einführen unbekannter Kraft- bzw. Verformungsgrössen und Superposition von deren Auswirkungen mit jenen der äusseren Einwirkungen gelangt man zu linearen Gleichungssystemen für die Unbekannten.

    Bei stofflich nichtlinearen Problemen (Kapitel 20 und 21) sowie bei geometrisch nichtlinearen Problemen (Kapitel 22) ist das Superpositionsgesetz nicht mehr gültig. Bei derartigen Problemen ist im Allgemeinen ein (inkrementell-) iteratives Vorgehen erforderlich. Durch anfängliche Vereinfachungen entstandene Fehler werden schrittweise evaluiert und durch entsprechende Korrekturen sukzessive verkleinert.

    Komplizierte Sachverhalte können oft mit Hilfe von Analogien der Anschauung zugänglich gemacht oder auf einfachere, bekannte Problemstellungen zurückgeführt werden. Beispiele dazu sind die Membrananalogie (Kapitel 13.4.2) und die Sandhügelanalogie (Kapitel 21.4.4) zur Behandlung elastischer bzw. plastischer Torsionsprobleme sowie die MOHRsche Analogie zur Ermittlung von Verformungslinien (Kapitel 15.3.2). Gemischte Wölb- und Umlauftorsionsprobleme (Kapitel 13.4.4) können analog wie kombinierte Schub- und Biegeprobleme (Kapitel 18.5.2) bzw. Biegeprobleme von Trägern mit Zugkraft (Kapitel 18.9) behandelt werden. Randstörungsprobleme bei Zylinderschalen (Kapitel 18.7.4 und 26.5) führen auf die Theorie des elastisch gebetteten Biegeträgers (Kapitel 18.4.4) zurück, und auch die Randstörungsprobleme bei Kugelschalen (Kapitel 26.7.3) und beliebigen anderen Schalen (Kapitel 26.7.4) lassen sich nöherungsweise so behandeln. Ferner können Scheiben (Kapitel 23) als ebene Fachwerke, Platten (Kapitel 24) als Trägerroste und Faltwerke (Kapitel 25) sowie Schalen (Kapitel 26) als Raumfachwerke oder räumliche Stabwerke idealisiert werden.

    Die Methoden der graphischen Statik (Kapitel 10.1) haben mit der Entwicklung leistungsfähiger rechnerischer Verfahren ihre frühere Bedeutung verloren. Graphische Hilfsmittel erlauben jedoch nach wie vor in unübertroffener Weise die Veranschaulichung des Kräftespiels in Tragwerken, beispielsweise mittels Stützlinien (Kapitel 5.3.2, Bild 17.19 und 21.7) oder Fachwerkmodellen (Kapitel 23.4.2). Sie bilden eine unerlässliche Grundlage für den Tragwerksentwurf (Kapitel 3.2) und die konstruktive Durchbildung der Bauteile und ihrer Verbindungen.

    Auch die Bedeutung der experimentellen Statik hat sich mit der Entwicklung leistungsfähiger rechnerischer Verfahren verändert. Belastungsversuche an massstäblichen Modellen aus Zelluloid, Plexiglas und anderen Werkstoffen spielten im zweiten und dritten Viertel des 20. Jahrhunderts eine wesentliche Rolle, um das elastische Tragverhalten komplexer Tragwerke erfassen zu können. Derartige Versuche haben heute keine Bedeutung mehr. Von grosser Bedeutung sind jedoch weiterhin wissenschaftlich durchgeführte Versuche zur Verifikation theoretischer Modellvorstellungen, vor allem im Zusammenhang mit nichtlinearen Phänomenen, neuartigen Werkstoffen oder Konstruktionen und aussergewöhnlichen Einwirkungen. Beim Tragwerksentwurf können physische Modelle nicht nur für die Formfindung und die Durchgestaltung einer Konstruktion, sondern auch für die qualitative Beurteilung von deren Tragverhalten sehr hilfreich sein. Bei der Bemessung kann eine Unterstützung mit Versuchen beispielsweise dann sinnvoll sein, wenn keine angemessenen Berechnungsmodelle zur Verfügung stehen oder wenn eine grosse Anzahl gleicher Bauteile verwendet werden soll. Schliesslich erlauben gezielte Messungen während und nach der Ausführung äusserst wertvolle Vergleiche mit dem vorausgesagten Verhalten eines Tragwerks – eine oft zu wenig genutzte Erfahrungsquelle.

    Bei den rechnerischen Verfahren der Baustatik steht die Finite-Elemente-Methode (Kapitel 19.3) im Vordergrund. Statische Berechnungen werden heute fast ausschliesslich auf dieser Basis erstellt. Mit den entsprechenden modernen Computerprogrammen verfügen die Anwender über äusserst leistungsfähige Hilfsmittel. Um derartige Programme verantwortlich anzuwenden, sollte man die ihnen zugrundeliegenden Algorithmen zumindest ansatzweise kennen. Vor allem aber muss man aufgrund seiner baustatischen Kenntnisse in der Lage sein, die Ergebnisse von Computerberechnungen kritisch zu prüfen. Diesbezüglich steht die Fähigkeit, komplexe Problemstellungen näherungsweise auf einfache, überschaubare Probleme zurückzuführen, im Vordergrund. Eine ausreichende Schulung an den klassischen Verfahren der Baustatik, wie sie dieses Buch ermöglicht, liefert die dazu notwendige Grundlage.

    1.4 Baustatik und Baudynamik

    Bei dynamischen Problemen ist das Prinzip der virtuellen Arbeiten unter Berücksichtigung der (beschleunigungsproportionalen) Trägheitskräfte zu formulieren: Die Bewegung eines Systems erfolgt so, dass in jedem Augenblick die inneren und äusseren sowie die Trägheitskräfte im Gleichgewicht sind. Die entsprechenden Zusatzterme in den zu Bewegungsgleichungen werdenden Gleichgewichtsbedingungen lassen sich z. B. im Rahmen der Finite-Elemente-Methode einfach über lokale und globale Massenmatrizen einbeziehen. Anstatt eines linearen Gleichungssystems entsteht ein System gekoppelter gewöhnlicher Differentialgleichungen 2. Ordnung für die (zeitabhängigen) Knotenverschiebungsparameter. Unter der Voraussetzung konstanter Koeffizienten lassen sich die Differentialgleichungen nach dem Verfahren der modalen Analyse entkoppeln. Das zugehörige Eigenwertproblem führt zur Lösung in der Form superponierter Eigenschwingungen.

    Im Allgemeinen müssen in den Bewegungsgleichungen auch Dämpfungskräfte berücksichtigt werden. Damit die Differentialgleichungen linear bleiben, nimmt man in der Regel an, dass diese Kräfte geschwindigkeitsproportional sind, und damit weiterhin eine modale Analyse mit entkoppelten Eigenschwingungen möglich ist, rechnet man vereinfachend mit einer sogenannten modalen Dämpfung.

    Die Baudynamik ist über die Baustatik relativ leicht zugänglich. Allerdings erfordert die zusätzliche Dimension der Zeit eine vertiefte Auseinandersetzung, um eine ähnliche Vertrautheit mit dynamischen Vorgängen wie mit statischen Phänomenen zu erlangen. Unterzieht man sich dieser Anstrengung, kann man nicht zuletzt eine erweiterte Sicht der Baustatik gewinnen.

    1.5 Baustatik und Konstruktion

    Für den konstruktiven Ingenieurbau ist die Baustatik ähnlich wie die Werkstoffkunde eine Hilfswissenschaft. Die Kenntnisse und Erfahrungen der im Bereich der Konstruktion tätigen Ingenieure in diesen und weiteren relevanten Fachgebieten wie Geotechnik und Bauverfahrenstechnik müssen der Komplexität und der Bedeutung der von ihnen bearbeiteten Aufgaben entsprechen. Um die Projektierung und Ausführung von Bauvorhaben leiten zu können, benötigt man darüber hinaus vor allem angemessene baupraktische Erfahrung mit den jeweils eingesetzten Bauweisen.

    Die Baustatik kommt in allen Phasen der üblichen Projektentwicklung vom Vorprojekt über das Bauprojekt bis zum Ausführungsprojekt zur Anwendung, allerdings in unterschiedlicher, phasengerechter Weise. Genügen beim Entwurf meist überschlägige statische Berechnungen, sind in den anschliessenden Phasen sukzessive durch Dritte überprüfbare Nachweise der Tragsicherheit und der Gebrauchstauglichkeit zu erbringen, und zwar nicht nur für den Endzustand des Tragwerks, sondern vor allem auch für kritische Bauzustände.

    Ausser dem Neubau ergeben sich auch bei der Erhaltung und oft auch beim Rückbau von Tragwerken interessante baustatische Probleme. Vielfach sind derartige Aufgaben wesentlich anspruchsvoller als Neubauaufgaben, da man sich weniger oder gar nicht auf Normen stützen kann und die Erfassung des aktuellen Zustands eines Tragwerks oft schwierig und mit grossen Unschärfen behaftet ist. Die Entwicklung angemessener Tragwerks- und Einwirkungsmodelle in solchen Fällen kann äusserst heikel und spannend sein.

    Über das Gebiet der Baukonstruktionen im engeren Sinn hinaus gibt es verschiedene Anwendungsbereiche, die sich mit baustatischen Methoden behandeln lassen, insbesondere im Maschinen-, Schiff- und Fahrzeugbau sowie in der Luft- und Raumfahrttechnik. Man bewegt sich damit im grossen interdisziplinären Gebiet der Strukturmechanik.

    2

    Geschichtlicher Hintergrund

    Die folgende Darstellung übernimmt bis auf geringe Anpassungen eine frühere Ausarbeitung des Verfassers [19]. Zur Vertiefung werden die Bücher [10], [16], [32] und [33] empfohlen.

    Bis ins 19. Jahrhundert stand das Erfahrungswissen der Bauschaffenden weit über ihren theoretischen Kenntnissen. Das heute vorherrschende wissenschaftlich begründete Wissen über das Tragwerksverhalten entwickelte sich aus Ansätzen im Altertum und im Mittelalter etwa ab 1500 mit der Mechanik, wobei erst ab dem 18. Jahrhundert versucht wurde, die neuen Erkenntnisse baupraktisch zu nutzen.

    Dem griechischen Mathematiker ARCHIMEDES (um 287–212 v. Chr.) verdanken wir die Entdeckung des hydrostatischen Auftriebs und die Formulierung des Hebelgesetzes für ungleicharmige gerade Hebel unter senkrechten Kräften. Ausser der theoretischen Erfassung der Wirkungsweise der „einfachen Maschinen" Hebel, Wellrad, Flaschenzug, Keil und Schraube wird ihm auch die Erfindung von technischen Gegenständen wie der Förderschnecke zugeschrieben.

    Jordanus NEMORARIUS (um 1200) werden verschiedene Arbeiten zugeschrieben, die an griechische Vorbilder anknüpfen. Neu sind Betrachtungen zum geknickten Hebel und zur schiefen Ebene.

    LEONARDO DA VINCI (1452–1519) erkannte das Prinzip der Zerlegung einer Kraft in zwei Komponenten, und er wandte den Begriff des Moments (Kraft mal Hebelarm) auf schiefe Kräfte an. Er befasste sich auch mit dem Reissen eines Seils unter Eigengewicht (Reisslänge), mit der Balken- und Stützenbiegung sowie mit dem Gleichgewicht und den Bruchmechanismen von Gewölben. Seine äusserst phantasievollen und vielfältigen, jedoch unsystematischen Einsichten wurden zu seiner Zeit scheinbar kaum wahrgenommen.

    Simon STEVIN (1548–1620) handhabte den Begriff des Moments und die Komponentenzerlegung von Kräften in einwandfreier Weise. Er beschäftigte sich mit vielen praktischen Anwendungen und gelangte zu sehr anschaulichen Darstellungen, wie dem Seilpolygon und dem Kugelkranzbeweis für das Gesetz der schiefen Ebene.

    Pierre VARIGNON (1654–1722) erkannte den Zusammenhang von Kräfte- und Seilpolygon und formulierte den Satz von der Summierbarkeit der Momente.

    Giovanni POLENI (1683–1761) analysierte die Lastabtragung der 42 m weit gespannten Peterskuppel in Rom durch Konstruktion des Seilpolygons zu den den einzelnen Gewölbeabschnitten entsprechenden Gewichten. Er wählte jenes Seilpolygon, das durch die Mittelpunkte der Kämpfer- und Scheitelfugen geht, und er stellte fest, dass das umgekehrte Seilpolygon innerhalb des Gewölbes verlaufen muss. Wie 1742 die drei Mathematiker Ruggiero Giuseppe BOŠCOVIĆ (1711–1787), Thomas LE SEUR (1703–1770) und François JACQUIER (1711–1788) wurde POLENI 1743 mit der Untersuchung der Schäden an der Peterskuppel beauftragt. Aufgrund des beobachteten Rissverlaufs analysierten die drei Mathematiker einen angenommenen Verformungszustand, ermittelten damit ein Widerstandsdefizit bezüglich des Gewölbeschubs und empfahlen, die drei horizontal um die Kuppel geführten eisernen Zugringe durch weitere Ringe zu ergänzen. POLENI stimmte zwar den von den drei Mathematikern angegebenen Schadensursachen nicht zu, unterstützte aber die vorgeschlagene Verstärkungsmassnahme.

    Galileo GALILEI (1564–1642) begründete mit dem Bruchproblem des Kragbalkens die Festigkeitslehre. Vom Zugversuch als Gedankenexperiment und der damit verbundenen Frage nach der Reisslänge ausgehend analysierte er das Gleichgewicht eines Kragbalkens als Winkelhebel mit Drehachse in der unteren Kante des Einspannquerschnitts. Über Ähnlichkeitsbetrachtungen bestimmte er Bruchlastverhältnisse einfacher Balkentragwerke mit unterschiedlicher Geometrie. Er erkannte, dass jedes Tragwerk eine bestimmte, durch die Festigkeitsgrenzen gegebene Grösse (Grenzspannweite) nicht überschreiten kann, und er bemerkte, dass mit Hohlquerschnitten und über die Balkenlänge variablen Querschnitten die Festigkeit besser ausgenutzt werden kann als mit prismatischen Vollquerschnitten.

    Edmé MARIOTTE (1620–1684) und Pieter van MUSSCHENBROEK (1692–1761) führten Zug- und Biegefestigkeitsversuche mit verschiedenen Werkstoffen durch, der letztere auch Knickfestigkeitsversuche. Über Ähnlichkeitsbetrachtungen wurde damit eine Balkenbemessung ermöglicht. MARIOTTE ging bezüglich des Biegebruchproblems zunächst wie GALILEI von einer Drehung des Kragbalkens um die untere Kante des Einspannquerschnitts aus, setzte aber eine über die Querschnittshöhe dreieckförmige Zugkraftverteilung voraus. In einem weiteren Schritt führte er die „axe d’èquilibre" (Neutralachse) in der Mitte der Querschnittshöhe ein und unterschied gezogene bzw. gedrückte Bereiche mit dreieckförmiger Zug- bzw. Druckkraftverteilung oberund unterhalb dieser Achse. Statt des im Vergleich zu GALILEIs Festigkeitsbetrachtung theoretisch richtigen Reduktionsfaktors 3 gelangte er irrtümlich zu einem solchen von 1.5; seine Versuche hatten einen Reduktionsfaktor von etwa 2 ergeben.

    Antoine PARENT (1666–1716) erkannte, dass die resultierenden Zug- und Druckkräfte infolge Biegung den gleichen Betrag haben müssen, und dass im Querschnitt auch Querkräfte vorhanden sind. Aufgrund von MARIOTTEs Versuchen nahm PARENT die Neutralachse etwas unter der Mitte, nämlich bei 45 % der Querschnittshöhe an, was im Vergleich zu GALILEIs Betrachtung bei gleicher Zugfestigkeit zu einem Reduktionsfaktor von 2.73 führt.

    Robert HOOKE (1635–1703) gelangte über Experimente mit Federn zum Schluss, dass die Kräfte in elastischen Körpern zu den entsprechenden Verschiebungen proportional sind. Er erkannte auch, dass die Fasern eines auf Biegung beanspruchten Balkens teils gezogen und damit verlängert und teils gedrückt und damit verkürzt werden. Ferner empfahl er, Gewölbe nach der umgekehrten Kettenlinie zu formen.

    Jakob BERNOULLI (1654–1705) untersuchte die Verformung elastischer Stäbe mit Hilfe der von Isaac NEWTON (1643–1727) und Gottfried Wilhelm LEIBNIZ (1646–1716) eingeführten Infinitesimalrechnung. Er ging davon aus, dass die Stabquerschnitte während der Verformung eben bleiben und fand, dass die Krümmungsänderung proportional zu den biegenden Kräften ist. Da er noch nicht im Besitz des Spannungsbegriffs war, fehlt in seinen Ableitungen die heute selbstverständliche Integration der inneren Kräfte über den Querschnitt.

    Das in einfacher Form bereits von NEMORARIUS, STEVIN und GALILEI verwendete Prinzip der virtuellen Verschiebungen wurde 1717 durch Johann BERNOULLI (1667–1748) allgemein formuliert.

    Einer Anregung von Daniel BERNOULLI (1700–1782) folgend, zeigte Leonhard EULER (1707–1783), dass Jakob BERNOULLIs Differentialgleichung der elastischen Linie einem Variationsproblem entspricht, wonach das über die Stablänge erstreckte Integral der Krümmungsquadrate minimal wird; für homogene prismatische Stäbe ist dieses Integral zur elastisch gespeicherten Formänderungsarbeit proportional. EULERs ausführliche Behandlung elastischer Linien führte namentlich zur Lösung der Eigenwertprobleme ausknickender und transversal schwingender Stäbe. EULER verdanken wir ausser dem Begriff der hydrostatischen Spannung auch das für die ganze Mechanik grundlegende Schnittprinzip, das besagt, dass jeder mit einem gedachten Rundschnitt aus einem im Gleichgewicht befindlichen Körper herausgetrennte Schnittkörper für sich im Gleichgewicht ist; innere Kräfte werden damit veräusserlicht und somit behandelbar. Von der Betrachtung einzelner Massenelemente eines Körpers ausgehend formulierte EULER das NEWTONsche Bewegungsgesetz in der Form des Impulssatzes, und er postulierte darüber hinaus den Drallsatz. Kräfte- und Momentengleichgewichtsbedingungen gingen damit als Spezialfälle in den Bewegungsgleichungen auf.

    Die Bezeichnung „Ingenieur wurde vereinzelt schon im Mittelalter für die Erbauer von Kriegsmaschinen und Befestigungsanlagen verwendet. Direkte Vorfahren der Bauingenieure im heutigen Sinn waren die französischen Genieoffiziere, die ausser militärischen auch zivile Tiefbauten (génie civil) auszuführen hatten. Auf Vorschlag des herausragendsten dieser Ingenieuroffiziere, Sébastien le Prêtre de VAUBAN (1633–1707), wurde um 1675 das „Corps des ingénieurs du génie militaire geschaffen. Um 1720 folgte das „Corps des ingénieurs des ponts et chaussées".

    Die französischen Genieoffiziere erhielten an staatlichen Schulen eine wissenschaftliche, vorwiegend mathematisch orientierte Ausbildung. Die 1747 von Daniel Charles TRUDAINE (1703–1769) gegründete, 1760 von Jean Rodolphe PERRONET (1708–1794) reorganisierte „Ecole des ponts et chaussées in Paris war damals in Europa einzigartig. Der 1794 in Paris eröffneten „Ecole polytechnique folgten dann polytechnische Schulen in Prag (1806), Wien (1815), Karlsruhe (1825) und weiteren Städten.

    PERRONET war vor allem als Steinbrückenbauer tätig. Er reduzierte die Pfeilerstärke, um das Durchflussprofil zu verbessern, verwendete stark abgeflachte Korbbogen und führte verschiedene weitere Neuerungen in der Konstruktion und Ausführung solcher Brücken ein.

    bezeichneten, auf die Flächeneinheit bezogenen Trennbruchwiderstand. Abscherversuche lieferten zwar einen etwas grösseren Widerstand, aber COULOMB vernachlässigte diesen Unterschied und führte bei der Betrachtung möglicher Bruchebenen in Mauerwerkspfeilern zusätzlich einen zum Normaldruck in der Bruchebene proportionalen Reibungswiderstand ein. Durch Variation der Neigung der Bruchebene fand er das kleinstmögliche und somit massgebende Verhältnis von Druckfestigkeit und Kohäsion. Ähnlich verfuhr er bei der Betrachtung von aktiven und passiven Erddruckproblemen sowie bei der Ermittlung von unteren und oberen Grenzwerten für den Gewölbeschub. COULOMB brachte auch das Festigkeitsproblem der Balkenbiegung zum Abschluss. Am Beispiel des Kragbalkens unterschied er zum Querschnitt normale und parallele innere Kräfte, und er formulierte die Gleichgewichtsbedingungen für den durch den betrachteten Querschnitt abgetrennten Schnittkörper. Dabei ging er von einer im Allgemeinen nichtlinearen Verteilung der inneren Kräfte über die Balkenhöhe aus. Für den Spezialfall des Rechteckquerschnitts mit linearer Kräfteverteilung erhielt er im Vergleich zu GALILEIs Festigkeitsbetrachtung das richtige Resultat mit einem Reduktionsfaktor 3.

    Claude Louis Marie Henri NAVIER (1785–1836), ab 1819 Professor an der „Ecole des ponts et chaussées, ab 1831 an der „Ecole polytechnique, verdanken wir die heutige Form der Differentialgleichung der Balkenbiegung mit dem Elastizitätsmodul des Baustoffs und dem Hauptträgheitsmoment des Querschnitts. In seinen Vorlesungen fasste er die zerstreuten Erkenntnisse seiner Vorgänger in einer fär baupraktische Anwendungen geeigneten Form zusammen. Er löste zahlreiche statisch unbestimmte Aufgaben, untersuchte das Knicken elastischer Stäbe unter exzentrischer Belastung und befasste sich mit Hängebrücken und vielen weiteren Problemstellungen. Als Konstrukteur hatte NAVIER auch Rückschläge hinzunehmen. Der von ihm entworfene, 160 m weit über die Seine in Paris gespannte Pont des Invalides wurde wegen verschiedener Schwierigkeiten beim Bau kurz vor der Fertigstellung (1826) abgebrochen.

    Augustin Louis CAUCHY (1789–1857) liess die in der Hydrostatik geltende Einschränkung der Orthogonalität des Spannungsvektors zur Schnittfläche fallen und gelangte zum Begriff des Spannungstensors. Er führte auch den Verzerrungstensor ein und erkannte, dass die lineare Elastizitätstheorie homogener isotroper Stoffe zwei Materialkonstanten benötigt. Wichtige Beiträge zum weiteren Ausbau der Elastizitätstheorie lieferten unter anderen Siméon Denis POISSON (1781–1840), Gabriel LAMÉ (1795–1870), Benoît Pierre Emile CLAPEYRON (1799–1864) und Adhémar Jean Claude Barré de SAINT-VENANT (1797–1886).

    Karl CULMANN (1821–1881), Professor am 1855 eröffneten Eidgenössischen Polytechnikum in Zürich, begründete die graphische Statik, d. h. die geometrisch-zeichnerische Behandlung baustatischer Aufgaben, die sich insbesondere für Fachwerkträger eignet. Mit der konsequenten Anwendung von Kräfte- und Seilpolygonen führte er die Balken- auf die Seilstatik zurück, und mit der Einführung der Schlusslinie des Seilpolygons erhielt er ein allgemein anwendbares Integrationsverfahren. Die Anwendung der graphischen Statik wurde namentlich von Antonio Luigi Gaudenzio Giuseppe CREMONA (1830–1903), Maurice LÉVY (1838–1910) und Karl Wilhelm RITTER (1847–1906) gefördert.

    Emil WINKLER (1835–1888) erarbeitete wesentliche Beiträge zur elastizitätstheoretischen Fundierung der Baustatik. Er führte die Dehn- und die Schubsteifigkeit elastischer Stäbe ein, behandelte Temperaturverformungen, analysierte den beidseitig eingespannten Bogen, untersuchte den Balken auf elastischer Bettung und befasste sich mit den Einfluss wandernder Lasten anzeigenden „Spannungscurven", für die Johann Jacob WEYRAUCH (1845–1917) den Begriff Einflusslinie prägte.

    Otto Christian MOHR (1835–1918) entdeckte die Analogie zwischen Streckenlasten und Biegemomenten sowie Krümmungen und Durchbiegungen von Balken und eröffnete damit den Weg zur graphischen Ermittlung von Biegelinien. Zur Darstellung allgemeiner Spannungs- und Verzerrungszustände führte er anschauliche Kreiskonstruktionen ein, und er begründete eine den COULOMBschen Ansatz verallgemeinernde Bruchhypothese. Die Untersuchung der in Fachwerken wegen der tatsächlich biegesteifen im Gegensatz zu den theoretisch vorausgesetzten gelenkigen Stabverbindungen entstehenden Nebenspannungen führte ihn zur Idee, die Knoten- und Stabdrehwinkel als Unbekannte zu betrachten. Diese Idee wurde erst im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts mit der Verformungsmethode zur Behandlung statisch unbestimmter Systeme ausgeschöpft.

    James Clerk MAXWELL (1831–1879) betrachtete elastische Fachwerke als ohne Energieverluste arbeitende Maschinen und fand, dass die von einer ersten an der Stelle und in der Richtung einer zweiten Einheitskraft verursachte Verschiebung gleich der von der zweiten an der Stelle und in der Richtung der ersten Einheitskraft verursachten Verschiebung ist. Dieser Reziprozitätssatz ist ein Spezialfall der nach Enrico BETTI (1823–1892) benannten Wechselwirkungsbeziehung für linear elastische Systeme, die besagt, dass eine Kräftegruppe an den Verschiebungen einer zweiten Kräftegruppe dieselbe Arbeit verrichtet wie die zweite Kräftegruppe an den Verschiebungen der ersten. Carlo Alberto CASTIGLIANO (1847–1884) verdanken wir den Satz, wonach die in einem elastischen System auftretenden Kraftgrössen gleich den Ableitungen der Formänderungsarbeit nach den korrespondierenden Verformungsgrössen sind. Mathias KOENEN (1849–1924) übertrug den von MOHR für Fachwerke eingeführten Arbeitssatz zur Verschiebungsberechnung auf Biegeträger. Friedrich ENGESSER (1848–1931) hob den Unterschied zwischen Formänderungsarbeit und Ergänzungsarbeit hervor und eröffnete den Weg zur baustatischen Behandlung nichtlinear elastischer Systeme.

    Heinrich Franz Bernhard MÜLLER-BRESLAU (1851–1925) stellte den Begriff der Arbeit ins Zentrum der baustatischen Theoriebildung und entwickelte die Kraftmethode zur Behandlung statisch unbestimmter Systeme. Robert LAND (1857–1899) schuf ein Verfahren zur Ermittlung von Einflusslinien, das von einer dem statischen System aufgezwungenen Einheitsverschiebung an der Stelle und in der Richtung der interessierenden Kraftgrösse ausgeht. Mit der Entwicklung der Verformungsmethode durch Asger Skovgaard OSTENFELD (1866–1931) kam die Theorie elastischer Stabtragwerke mit kleinen Verformungen zum Abschluss.

    Der weitere Ausbau der Baustatik im 20. Jahrhundert betraf vor allem die Flächentragwerke, die Stabilitäts- und die Plastizitätstheorie sowie die Entwicklung computergestützter Methoden zur Tragwerksanalyse anhand diskretisierter Tragwerksmodelle.

    II

    GRUNDLAGEN

    3

    Projektierung von Tragwerken

    3.1 Allgemeines

    Mit der in Bild 3.1 wiedergegebenen Figur [31], werden die Beziehungen zwischen verschiedenen Projektierungselementen zusammengefasst. Die hierin auftretenden Fachausdrücke sind (zusammen mit weiteren, im Text in der Regel bei der erstmaligen Verwendung bzw. bei der erstmaligen Erläuterung durch Kursivschrift hervorgehobenen Fachausdrücken) in Anhang A1 definiert.

    Bild 3.1 gilt für jedes in die natürliche und gebaute Umwelt gestellte Bauwerk bzw. sein Tragwerk, d. h. die Gesamtheit der Bauteile und des Baugrunds, die für sein Gleichgewicht und seine Formerhaltung notwendig sind. Das Bild bezieht sich auf den ganzen Lebenszyklus eines Bauwerks, von der Projektierung über die Ausführung, Nutzung und Erhaltung bis zum Rückbau. Einzelnen Phasen entsprechende Bauwerksakten sind in einer separaten Spalte aufgeführt.

    Bild 3.1 und die zugehörigen Fachausdrücke erleichtern die Verständigung und ermöglichen ein einheitliches, systematisches Denken und Handeln aller in den Bereichen Konstruktion und Geotechnik tätigen Fachleute der Projektierung, Bauleitung und Bauausführung. Das Bild repräsentiert weder ein Flussdiagramm, noch nimmt es direkt Bezug auf die übliche Projektentwicklung vom Vorprojekt über das Bauprojekt zum Ausführungsprojekt. Vielmehr ordnet es die Prozessschritte und die Beziehungen zwischen verschiedenen Projektierungselementen. Es dient dazu, die Zusammenhänge und die Einordnung der verwendeten Begriffe verständlich zu machen.

    Die Projektierung von Tragwerken umfasst den Entwurf sowie die Tragwerksanalyse und die Bemessung. Als Entwurf bezeichnet man alle von den Nutzungsanforderungen zum Tragwerkskonzept führenden Tätigkeiten und Entwicklungen sowie deren Ergebnis. Mit der Tragwerksanalyse werden anhand von Tragwerksmodellen Auswirkungen ermittelt, d. h. Antworten des Tragwerks auf mögliche Einwirkungen infolge von Ausführung und Nutzung sowie von Umwelteinflüssen. Mit der Bemessung werden die Abmessungen, die Baustoffe und die konstruktive Durchbildung des Tragwerks festgelegt; Basis dazu bilden konstruktive und ausführungstechnische Betrachtungen sowie rechnerische Nachweise.

    Die Qualität eines Tragwerks hängt vor allem von seinem Entwurf, seiner konstruktiven Durchbildung und seiner Ausführung ab. Tragwerksanalyse und rechnerische Nachweise werden in ihrer Bedeutung vielfach überschätzt; sie sind lediglich Hilfsmittel zur Gewährleistung einer angemessenen Zuverlässigkeit, d. h. eines bezüglich Tragsicherheit und Gebrauchstauglichkeit innerhalb festgelegter Grenzen liegenden Verhaltens eines Tragwerks.

    In der Folge werden wesentliche Aspekte des Tragwerksentwurfs sowie der damit verbundenen Bauwerksakten (Nutzungsvereinbarung und Projektbasis) dargestellt. Tragwerksanalyse und Bemessung werden in Kapitel 4 behandelt.

    Bild 3.1 Beziehungen zwischen verschiedenen Projektierungselementen.

    3.2 Tragwerksentwurf

    Ziel der Entwurfsarbeit ist die Ausarbeitung eines geeigneten Tragwerkskonzepts. Dieses legt das Tragsystem, die wichtigsten Abmessungen, Baustoffeigenschaften und Konstruktionsdetails sowie die vorgesehenen Bauverfahren fest. Es wird als Teil der integralen Planung eines Bauwerks in Absprache mit allen beteiligten Fachplanern entwickelt. Es nimmt Bezug auf die gesamtplanerischen, architektonischen und betrieblichen Belange, und es berücksichtigt Randbedingungen aus der Umwelt ebenso wie gesetzliche Vorgaben etc.

    Bei der Entwurfsarbeit werden verschiedene Varianten unter Berücksichtigung der relevanten Entwurfsrandbedingungen ausgearbeitet, bezüglich ihrer Machbarkeit überprüft und hinsichtlich der Erfüllung der Entwurfsanforderungen beurteilt. Dabei werden vorhersehbare Ausführungs- und Nutzungszustände sowie mögliche kritische Situationen (Gefährdungsbilder) durchgedacht und Erfahrungen aus vergleichbaren Bauaufgaben mit einbezogen. Das schlussendlich gewählte Tragwerkskonzept ergibt sich aus einem iterativen Prozess, der Sachverstand und Einfallsreichtum gleichermassen voraussetzt.

    Die Entwurfsarbeit entspricht einem Verdichtungsprozess, der sich in sukzessive verbesserten Skizzen niederschlägt. Diese sollten freihändig und möglichst massstäblich angefertigt werden. Das Gefühl des Konstrukteurs kann so unmittelbar in den Entwurf einfliessen und wird damit weiter verfeinert. Die Abmessungen werden aufgrund von Erfahrung, Abschätzungen und überschlägigen statischen Berechnungen gewählt und mit dem Skizzieren in konstruktiver und ausführungstechnischer Hinsicht überprüft. Zur Beurteilung der räumlichen Wirkung und als Basis für die Durchgestaltung einer Konstruktion stützt man sich zweckmässigerweise bereits in einer frühen Phase des Entwurfs auf (physische) Arbeitsmodelle; computergestützte perspektivische Darstellungen sind ebenfalls sehr hilfreich, können jedoch die taktile Erfahrung des Modells nicht ersetzen.

    Vorangetrieben wird der Entwurf durch subjektive, auf Erfahrung und Intuition beruhende Einfälle und Entscheidungen. Diese müssen einer objektiven Kritik standhalten und dementsprechend überprüft und weiterentwickelt werden. Dafür empfiehlt sich ein systematisches Vorgehen, das sukzessive folgende Punkte anspricht:

    – Abklären der Entwurfsrandbedingungen und Überprüfen ihrer Relevanz

    – Erfassen der wesentlichen Ein- und Auswirkungen

    – Durchdenken möglicher Gefährdungsbilder und Festlegen geeigneter Massnahmen, um den massgebenden Gefährdungen zu begegnen

    – Durchdenken der vorhersehbaren Nutzungszustände und Festlegen entsprechender Massnahmen zur Gewährleistung der Gebrauchstauglichkeit

    – Abschätzen möglicher Schädigungen des Tragwerks und Festlegen angemessener Massnahmen zur Gewährleistung der Dauerhaftigkeit.

    Zu den Entwurfsrandbedingungen gehören beispielsweise:

    – Lage, Gefahrenzone, Topographie, Linienführung, Lichtraumprofile, Grenzabstände, Mindest- und Höchstabmessungen

    – Restriktionen bezüglich Projektierungs- und Bauzeit, Nutzungsdauer

    – rechtliche Vorschriften (Gesetze, Verordnungen, Weisungen)

    – Budgetrahmen

    – Qualität, Verfügbarkeit und Wiederverwendbarkeit von Baustoffen

    – Baugrundeigenschaften

    – Anwendbarkeit von Bauverfahren, Transport- und Montagemöglichkeiten

    – Aufrechterhaltung der Nutzung von Verkehrsträgern und Leitungen

    – Einrichtungen für die Überwachungs- und Instandhaltungsmassnahmen.

    Folgende Einflüsse können beispielsweise eine Gefährdung darstellen:

    – Abweichungen von den angenommenen Werten der Einwirkungen

    – Einwirkungen aus dem Baugrund

    – chemische Einwirkungen, z. B. infolge Streusalz oder Grundwasser

    – Resonanzeffekte

    – Abweichungen von geplanten Werten des Trag- oder Baugrundwiderstands

    – Beeinträchtigung des Tragwiderstands durch Korrosion, Versprödung oder Ermüdung

    – Beeinträchtigung des Tragwiderstands durch Brand, Explosion, Anprall, Leitungsbruch oder Erdbeben.

    Gefährdungen kann mit einer oder mehreren der folgenden Massnahmen begegnet werden:

    – Ausschaltung, Verhinderung oder Minderung der Gefährdung

    – Kontrollen oder Warnsysteme

    – Wahl von Tragsystemen mit geringer Anfälligkeit gegenüber den betrachteten Gefährdungen

    – Wahl von Tragsystemen, die lokale Schäden sowie den Ausfall eines einzelnen Bauteils oder eines ganzen Tragwerksteils ertragen können, ohne total zu versagen

    – Wahl von Tragsystemen, die nicht ohne Vorankündigung versagen

    – Begrenzung der Feuerausbreitung auf Brandabschnitte

    – Wahl geeigneter Baustoffe

    – zweckmässige Tragwerksanalyse und Bemessung

    – sorgfältige konstruktive Durchbildung

    – plangemässe und sorgfältige Ausführung

    – Vorsehen besonderer Schutzmassnahmen

    – zweckmässige Überwachung und Instandhaltung.

    Jeder Entwurf muss die aus der vorgesehenen Nutzung resultierenden Anforderungen erfüllen. Im Vordergrund steht die Dauerhaftigkeit während der geplanten Nutzungsdauer unter Berücksichtigung der von der Gesellschaft bzw. der Bauherrschaft verlangten Zuverlässigkeit hinsichtlich Tragsicherheit und Gebrauchstauglichkeit. Weiter ist eine ausreichende Robustheit erforderlich, um allfällige Schädigungen oder ein Versagen auf Ausmasse zu begrenzen, die in einem vertretbaren Verhältnis zur Ursache stehen.

    Die eigentlichen Qualitätsmerkmale eines Entwurfs liegen in der Wirtschaftlichkeit sowie der Einpassung und Gestaltung. Unter Wirtschaftlichkeit ist der massvolle Einsatz finanzieller Mittel und natürlicher Ressourcen zu verstehen, bezogen auf den gesamten Lebenszyklus eines Bauwerks. Einpassung bedeutet ein mit der natürlichen und gebauten Umwelt verträgliches Einfügen eines Bauwerks in seine Umgebung, und Gestaltung steht für die Schaffung eines ästhetischen Ausdrucks durch räumliche Anordnung, Formgebung und Materialwahl.

    Die Wirtschaftlichkeit wird vor allem durch die Wahl des Tragsystems und die vorgesehenen Bauverfahren beeinflusst. Durch eine auf dem konsequenten Verfolgen des Kraftflusses aufbauende, die Bauausführung berücksichtigende Gliederung und Formgebung der Bauteile sowie durch Auflösung und allenfalls Vorspannung der Querschnitte kann unnötiger Ballast vermieden und eine über das ganze Tragwerk mehr oder weniger gleichmässige Ausnutzung der Baustoffe erreicht werden. Aus der Synthese statisch-konstruktiver und ausführungstechnischer Betrachtungen entsteht so eine effiziente, weitgehend ausgewogene Rohform des Tragwerks, die sich im Hinblick auf eine bestmögliche Einpassung und Gestaltung noch weiter verfeinern lässt.

    Hinsichtlich der ästhetischen Qualität einer Konstruktion ist speziell auf deren Transparenz, Schlankheit, Regelmässigkeit und Ausgewogenheit zu achten. Dabei ist stets eine kritische Überprüfung der gesamten dreidimensionalen Situation von unterschiedlichen Betrachterstandorten aus vorzunehmen, insbesondere auch aus den ungünstigsten Blickwinkeln. Hinsichtlich architektonischer Gestaltungshilfsmittel empfiehlt sich im Allgemeinen die Beschränkung auf wenige einfache und klare Massnahmen, wie z. B. Profilierungen zur Betonung des Kraftflusses.

    3.3 Nutzungsvereinbarung und Projektbasis

    Die aus der vorgesehenen Nutzung resultierenden Anforderungen an die Eigenschaften und das Verhalten eines Bauwerks sollten zu Beginn der Projektierungsarbeiten aufgrund eines Dialogs zwischen Bauherrschaft und Projektverfassenden in der Nutzungsvereinbarung festgehalten werden. Dabei geht es um allgemeine Ziele für die Nutzung des Bauwerks, Umfeld und Drittanforderungen, Bedürfnisse des Betriebs und des Unterhalts, besondere Vorgaben der Bauherrschaft, Schutzziele und Sonderrisiken sowie normbezogene Bestimmungen.

    Das Aufstellen der Nutzungsvereinbarung gehört zum Vorprojekt. Grundsätzlich sind alle Entscheidungen festzuhalten, die von den Projektverfassenden nicht allein verantwortet werden können, und zwar in einer für die Bauherrschaft verständlichen Sprache.

    Ein besonders umsichtiges und sorgfältiges Vorgehen beim Aufstellen der Nutzungsvereinbarung ist für einen geordneten Projektablauf von grosser Bedeutung. Änderungen und Ergänzungen der Nutzungsvereinbarung im Rahmen des Bauprojekts und des Ausführungsprojekts sollten möglichst vermieden werden.

    Die aus dem Entwurf resultierenden Grundlagen und Anforderungen für die weitere Projektierung, Ausführung, Nutzung und Erhaltung werden in der Projektbasis dargestellt. Diese umschreibt die geplante Nutzungsdauer, die betrachteten Nutzungszustände und Gefährdungsbilder, die Anforderungen an Tragsicherheit, Gebrauchstauglichkeit und Dauerhaftigkeit sowie die zu deren Gewährleistung vorgesehenen Massnahmen (inklusive Verantwortlichkeiten, Abläufen, Kontrollen und Korrekturmechanismen), die angenommenen Baugrundverhältnisse, die wesentlichen Annahmen für die Tragwerks- und Berechnungsmodelle sowie die akzeptierten Risiken und weitere projektrelevante Bedingungen. Umfang und Inhalt der Projektbasis müssen auf die Bedeutung und die Gefährdung des Bauwerks sowie auf dessen Risiken für die Umwelt abgestimmt werden.

    Die Projektbasis beschreibt die bauwerksspezifische Umsetzung der Nutzungsvereinbarung in der Fachsprache der Projektverfassenden. Sie ist Teil des Vorprojekts. Mit zunehmender Projektentwicklung im Bauprojekt und im Ausführungsprojekt wird sie sukzessive ergänzt und verfeinert.


    Beispiel 3.1 Nutzungsvereinbarung für das Industriegebäude XY in Z

    1 Allgemeine Ziele für die Nutzung

    1.1 Baubeschrieb und vorgesehene Nutzung

    Beim vorliegenden Projekt handelt es sich um ein neu zu erstellendes Industriegebäude, in dem Haushaltgeräte hergestellt und verkauft werden sollen. Das im Grundriss rechteckige Gebäude mit Abmessungen von 25 × 50 m soll vier oberirdische und zwei unterirdische Geschosse mit Stockwerkshöhen von 4 bzw. 3 m aufweisen. Die beiden als Garagen für Personenwagen dienenden Untergeschosse sind über Rampen auf der Nordseite des Gebäudes zu erschliessen. Erdgeschoss und erstes Obergeschoss umfassen Lager- und Produktionsflächen; eine spätere Nutzung als Verkaufsflächen (Einkaufszentrum) ist nicht ausgeschlossen. Eine Lastwagenzufahrt an der Nordseite des Gebäudes ist zu gewährleisten. Das zweite und dritte Obergeschoss sind für die Aufnahme von Ausstellungs- und Verkaufsräumlichkeiten bzw. Büros vorgesehen. Das Dach ist lediglich für Unterhaltsarbeiten zugänglich; eine Aufstockung ist nicht vorgesehen.

    Als Baugrund liegt eine ca. 15 m dicke Oberflächenschicht aus siltigem Kies vor, die auf einer mächtigen Schotterschicht aufliegt. Der Grundwasserspiegel befindet sich 4 bis 5 m unter Terrain. Abmessungen und vorgesehene Nutzung gehen aus Bild 3.2 bis Bild 3.5 hervor.

    1.2 Geplante Nutzungsdauer

    1.3 Ergänzende Festlegungen zur Nutzung

    2 Umfeld und Drittanforderungen

    – Die A-Strasse (inkl. Gehweg) muss während der ganzen Bauzeit zweispurig befahren werden können.

    – Die B-Strasse dient als Baustellenzufahrt. Ab … ist sie einspurig, ab … zweispurig für Drittverkehr offenzuhalten.

    Bild 3.2 Grundriss EG (Abmessungen in m).

    Bild 3.3 Grundriss 1. UG (Abmessungen in m).

    Bild 3.4 Schnitt G-G (Abmessungen in m).

    Bild 3.5 Schnitt H-H (Abmessungen in m).

    3 Bedürfnisse des Betriebs und des Unterhalts

    4 Besondere Vorgaben der Bauherrschaft

    – Die Bauherrschaft wünscht als Decken Flachdecken mit einer maximalen Dicke von 300 mm. Kleine Stützenkopfverstärkungen unterhalb der Decken werden toleriert.

    – Der Fassadentyp ist bereits gewählt. Die Deckenränder werden durch Auflasten von 4 kN/m belastet und dürfen sich um höchstens 15 mm durchbiegen [3].

    – Das Gebäude muss 18 Monate nach Baubeginn in Betrieb genommen werden können.

    5 Schutzziele und Sonderrisiken

    – Aufgrund einer Risikobewertung wurde der erforderliche Feuerwiderstand zu R90 festgelegt [4].

    – Das Gebäude wird bezüglich Erdbebensicherheit in die Bauwerksklasse II gemäss Norm SIA 261 eingeteilt. Eine spätere Nutzung als Einkaufszentrum (EG bis 2. OG) ist damit ohne Verstärkungsmassnahmen möglich.

    – Die Möglichkeit einer Überschwemmung bei Hochwasser des benachbarten C-Flusses wird von der Bauherrschaft als Risiko akzeptiert.

    6 Normbezogene Bestimmungen

    Die Lastwagenzufahrt ist gemäss Ziffer 10 der Norm SIA 261 für Strassenverkehrslasten zu bemessen. Der Reduktionsbeiwert gemass Ziffer 10.3.3 beträgt 0.65.

    7 Grundlagen

    [1] Protokoll Nr. … vom …

    [2] Protokoll Nr. … vom …

    [3] Protokoll Nr. … vom …

    [4] Protokoll Nr. … vom …

    8 Unterschriften

    z, den … Bauherrschaft: … (Firma XY) Projektverfasser: … (Ingenieurbüro xy)



    Beispiel 3.2 Projektbasis für das Industriegebäude XY in Z

    1 Allgemeines

    – Grundlage der vorliegenden Projektbasis bildet die Nutzungsvereinbarung [1].

    – Die geplante Nutzungsdauer des Tragwerks beträgt 50 Jahre. Für austauschbare Bauteile beträgt die geplante Nutzungsdauer 25 Jahre.

    – Bauzustände, insbesondere im Zusammenhang mit der Baugrube, sind im Bauprojekt und im Ausführungsprojekt vertieft zu untersuchen.

    – Der Kontrollplan kann sich im Wesentlichen auf die Regelung der Zuständigkeiten und des Informationsflusses beschränken. Im Übrigen gelten die Anforderungen der Normen SIA 262 und 118-262; diese sind in den „Checklisten für Betonbauten" [4] zusammengestellt.

    2 Tragwerkskonzept

    2.1 Tragsystem

    – Siehe Baubeschrieb in der Nutzungsvereinbarung (Bild 3.2 bis Bild 3.5)

    – im Endzustand fugenlose Stahlbetonkonstruktion mit von der Fundamentplatte bis zum Dach durchgehenden Tragwänden und Innenstützen; Rand- und Eckstützen auf umlaufende Untergeschosswände aufgesetzt; Fundamentplatte unter Innenstützen und Kern (Liftschächte) verstärkt; Stützenkopfverstärkungen bei Innenstützen, Brüstungen im EG bis 3. OG

    – Fundamentplatte und Geschossdecken vorgespannt (Deckenvorspannglieder mit Verbund, 4 Ø 15.7 in Stahlhüllrohren 75 × 21 mm, konzentriert in Stützstreifen in N-S-Richtung, verteilt in E-W-Richtung).

    2.2 Abmessungen

    2.3 Baustoffe

    Tabelle 3.1 Abmessungen in mm.

    2.4 Konstruktionsdetails

    Bild 3.6 Schnitt I-I (Abmessungen in mm).

    2.5 Bauverfahren

    – Teilweise abgeböschte, teilweise mit Spundwänden umschlossene Baugrube, temporäre Grundwasserabsenkung

    – konventionelle Ausführung der Wände und Decken mit Grosstafelschalungen und Kran- oder Pumpbeton

    – Arbeitsfugen mit Kupplung der Spannglieder in Fundamentplatte, Untergeschosswänden und Decken im Feld 34 entlang Achse 4, Bau des östlichen Gebäudeteils geht dem westlichen Gebäudeteil voraus

    – etappenweises Vorspannen der Fundamentplatte entsprechend Bauablauf

    – Ausführung des Rampenbauwerks nach Erstellung der Untergeschosse.

    Tabelle 3.2 Ständige Einwirkungen.

    4 Tragsicherheit, Gebrauchstauglichkeit und Dauerhaftigkeit

    Tabelle 3.3 Tragsicherheit.

    Tabelle 3.4 Gebrauchstauglichkeit und Dauerhaftigkeit.

    5 Akzeptierte Risiken

    - Unfall mit Brand eines Tanklastwagens auf der A-Strasse

    - Druckwelle infolge Explosion im benachbarten Tanklager an der A-Strasse

    6 Weitere projektrelevante Bedingungen

    - Bezüglich gespannter und entspannter Verankerungsteile im Bereich der A-Strasse und der B-Strasse gilt die Vereinbarung [3].

    - Der Technikraum BC45 im UG ist ohne Zwischendecke über beide Geschosse durchgehend und muss sowohl von den beiden UG-Ebenen als auch von oben zugänglich sein (mit Deckel verschlossene Öffnung Ø 2 m).

    7 Grundlagen

    7.1 Normen

    7.2 Projektspezifische Grundlagen

    [1] Nutzungsvereinbarung für das Industriegebäude XY in Z, dd.mm.yy., … pp.

    [2] Geotechnischer Bericht für das Industrieareal XY in Z, Büro Dr. …, z, dd.mm.yy., … pp.

    [3] Vertragliche Vereinbarung zwischen der Firma XY und der Stadt Z betreffend Verankerungsteilen im Bereich der A-Strasse und der B-Strasse, z, dd.mm.yy., … pp.

    7.3 Allgemeine Grundlagen

    [4] Checklisten für Betonbauten, Ingenieurbüro xy, z, yy, … pp.

    8 Unterschrift

    z, den … Projektverfasser: … (Ingenieurbüro xy)


    Das Aufstellen der Nutzungsvereinbarung und der Projektbasis zwingt die Projektverfassenden zu einem geordneten Vorgehen beim Entwurf. Mangelnde Kreativität und Entscheidungsfreudigkeit können damit natürlich nicht wettgemacht werden. Richtig eingesetzt und auf das Wesentliche beschränkt, unterstützen die beiden Dokumente den Entwurfsprozess jedoch in höchst willkommener Weise. Sie erleichtern die Übersicht und machen den Blick frei für das Aufspüren sinnvoller Lösungsmöglichkeiten für gegebene Problemstellungen.

    3.4 Zusammenfassung

    1. Die Projektierung von Tragwerken umfasst vielfältige Elemente, deren Beziehungen durch Bild 3.1 zusammengefasst werden. Die entsprechenden Fachausdrücke sind in Anhang A1 definiert.

    2. Bild 3.1 und die zugehörigen Fachausdrücke erleichtern die Verständigung und ermöglichen ein einheitliches, systematisches Denken und Handeln aller in den Bereichen Konstruktion und Geotechnik tätigen Fachleute der Projektierung, Bauleitung und Bauausführung.

    3. Die Qualität eines Tragwerks hängt vor allem von seinem Entwurf, seiner konstruktiven Durchbildung und seiner Ausführung ab. Tragwerksanalyse und rechnerische Nachweise sind lediglich Hilfsmittel zur Gewährleistung eines bezüglich Tragsicherheit und Gebrauchstauglichkeit innerhalb festgelegter Grenzen liegenden Verhaltens eines Tragwerks.

    4. Ziel der Entwurfsarbeit ist die Ausarbeitung eines geeigneten Tragwerkskonzepts. Mit diesem werden das Tragsystem, die wichtigsten Abmessungen, Baustoffeigenschaften und Konstruktionsdetails sowie die vorgesehenen Bauverfahren festgelegt. Das Tragwerkskonzept wird als Teil der integralen Planung eines Bauwerks in einem iterativen Prozess in Absprache mit allen beteiligten Fachplanern entwickelt.

    5. Der Entwurf wird durch subjektive, auf Erfahrung und Intuition beruhende Einfälle und Entscheidungen vorangetrieben, die einer objektiven Kritik standhalten und dementsprechend überprüft und weiterentwickelt werden müssen.

    6. Das Erstellen der Nutzungsvereinbarung und der Projektbasis zwingt die Projektverfassenden zu einem systematischen Vorgehen bei der Entwurfsarbeit.

    7. In der Nutzungsvereinbarung sind alle Entscheidungen festzuhalten, die von den Projektverfassenden nicht allein verantwortet werden können, und zwar in einer für die Bauherrschaft verständlichen Sprache. Änderungen und Ergänzungen der im Rahmen des Vorprojekts erstellten Nutzungsvereinbarung im Bauprojekt und im Ausführungsprojekt sollten möglichst vermieden werden.

    8. Die Projektbasis beschreibt die bauwerksspezifische Umsetzung der Nutzungsvereinbarung in der Fachsprache der Projektverfassenden. Sie ist Teil des Vorprojekts und wird mit zunehmender Projektentwicklung im Bauprojekt und im Ausführungsprojekt sukzessive ergänzt und verfeinert.

    9. Jeder Entwurf muss die Grundanforderungen einer ausreichenden Dauerhaftigkeit, Zuverlässigkeit und Robustheit erfüllen. Die eigentliche Qualität eines Entwurfs zeigt sich in der Wirtschaftlichkeit sowie der Einpassung und Gestaltung.

    10. Die Wirtschaftlichkeit wird vor allem durch die Wahl des Tragsystems und die vorgesehenen Bauverfahren beeinflusst. Aus der Synthese statisch-konstruktiver und ausführungstechnischer Betrachtungen lässt sich eine effiziente, weitgehend ausgewogene Rohform eines Tragwerks entwickeln, die sich im Hinblick auf eine bestmögliche Einpassung und Gestaltung noch verfeinern lässt.

    3.5 Aufgaben

    3.1 In einer Region der Alpen, rund 1000 m über Meer, soll ein neuer, ca. 20 km langer Wanderweg erstellt werden. Dieses Vorhaben bedingt die Erstellung verschiedener kleiner Konstruktionen, insbesondere

    – 6 Stege mit Spannweiten von 6 bis 30 m, Nutzbreite 1.2 m

    – 1 Beobachtungsplattform von 20 m² oberhalb einer Schlucht

    – 1 Aussichtsturm auf einer bewaldeten Anhöhe mit einer Plattform von 20 m² in 20 m Höhe

    – 2 Überdachungen von je 60 m² bei Grillplätzen.

    Sie arbeiten im Ingenieurbüro, das mit der Projektierung dieser Konstruktionen beauftragt worden ist und sind zu einem ersten (ganztägigen) Treffen mit der Bauherrschaft (samt Begehung der Wanderwegroute) eingeladen.

    Was für Vorabklärungen nehmen Sie im Büro vor?

    3.2 Wie rüsten Sie sich für das Treffen aus? Was nehmen Sie mit?

    3.3 Erarbeiten Sie im Hinblick auf die Erstellung der Nutzungsvereinbarung einen Fragenkatalog als Basis für den Dialog mit der Bauherrschaft.

    3.4 Welche zusätzlichen Informationen möchten Sie als Grundlagen für die Tragwerksentwürfe und die Erstellung der Projektbasis anlässlich der Begehung beschaffen?

    4

    Tragwerksanalyse und Bemessung

    4.1 Allgemeines

    Aus Kapitel 3 geht hervor, dass die Bemessung nur eine von verschiedenen Massnahmen darstellt, um möglichen Gefährdungen zu begegnen und damit die Tragsicherheit sicherzustellen. Ebenso stellt die Bemessung nur eine von verschiedenen Massnahmen dar, um voraussehbaren Nutzungszuständen Rechnung zu tragen und damit die Gebrauchstauglichkeit zu gewährleisten.

    Ist die Bemessung die adäquate Massnahme, spricht man von einer Bemessungssituation, siehe Bild 3.1. Die Bemessung erfolgt dann aufgrund der Betrachtung von Grenzzuständen, indem zu den Bemessungssituationen gehörige Lastfälle festgelegt und entsprechende Nachweise erbracht werden.

    Neben der rechnerischen Ermittlung bzw. Bestätigung der Abmessungen und Baustoffeigenschaften aufgrund der Nachweise ist die auf konstruktive und ausführungstechnische Betrachtungen abgestützte konstruktive Durchbildung unverzichtbarer Teil der Bemessung. Mit ihr werden die Konstruktionsdetails festgelegt und gegenseitig abgestimmt.

    Basis der Bemessung bildet die Tragwerksanalyse, mit der das Verhalten eines Tragwerks im Hinblick auf die zu betrachtenden Bemessungssituationen unter Einbezug der massgebenden Einflussgrössen erfasst werden soll. Die Methoden der Tragwerksanalyse, wie sie etwa im vorliegenden Buch dargestellt werden, müssen auf anerkannter, nötigenfalls experimentell bestätigter Theorie und Ingenieurpraxis beruhen.

    Die Grundlagen und Ergebnisse der Tragwerksanalyse und der Bemessung sind in der statischen Berechnung und im technischen Bericht festzuhalten.

    Wichtig ist in jedem Fall, die Ergebnisse der Tragwerksanalyse und der Bemessung auf ihre Plausibilität zu prüfen. Hierzu eignen sich insbesondere Gleichgewichtskontrollen sowie die Betrachtung von zweckmässig vereinfachten statischen Systemen und Vergleiche mit bekannten baustatischen Lösungen für zum jeweiligen Fall ähnliche Probleme.

    4.2 Einwirkungen

    4.2.1 Einwirkungen und Auswirkungen

    Der Begriff Einwirkungen entspricht dem üblichen Sprachgebrauch. Gemeint sind alle mechanischen (Lasten, Kräfte), anderen physikalischen (Temperatur, Feuchtigkeit), chemischen (Salze, Säuren und Laugen, organische Verbindungen) und biologischen (Bakterien, Insekten, Pilze, Algen) Einwirkungen auf ein Tragwerk, resultierend aus der Ausführung und der Nutzung sowie infolge von Umwelteinflüssen.

    Auswirkungen sind die Antworten des Tragwerks auf die Einwirkungen. Beispiele dazu sind Spannungen, Schnittgrössen, Lagerkraftgrössen, Verzerrungen, Verschiebungen und Verdrehungen sowie bauweisenspezifische Auswirkungen wie Risse, Korrosion oder Fäulnis etc.

    Ob eine bestimmte Grösse als Ein- oder Auswirkung zu verstehen ist, hängt von der Systemabgrenzung ab. Wird z. B. bei einem Stützbauwerk der Baugrund als Teil des Tragwerks betrachtet, ist die Sohldruckspannung eine Auswirkung, andernfalls eine auf den Baugrund bzw. das Stützbauwerk wirkende Einwirkung. Ein anderes Beispiel betrifft die Vorspannung von Bauteilen aus Stahlbeton; beim Vorspannen wird die Spannkraft als Einwirkung auf den vom Spannglied befreiten Stahlbetonkörper betrachtet, beim Nachweis der Tragsicherheit kann sie jedoch als Auswirkung interpretiert werden.

    Einwirkungen wie Temperaturänderungen oder das Schwinden bzw. Quellen von Werkstoffen verursachen als primäre Auswirkungen Verformungen. Sind diese infolge kinematischer Bindungen behindert, ergeben sich als sekundäre Auswirkungen Eigenspannungen sowie, bei statisch unbestimmten Systemen, Zwängungen, vgl. Kapitel 7.5, 13.2.5, 14.3 und 16.2.

    Einwirkungen werden nach ihrer zeitlichen und örtlichen Veränderung sowie ihrer dynamischen Wirkung unterteilt.

    Als ständige Einwirkungen G bezeichnet man während eines Bezugszeitraums annähernd konstante oder monoton sich ändernde und einem Grenzwert zustrebende Einwirkungen, z. B. Eigenlasten, Auflasten und Spannkräfte. Veränderliche Einwirkungen Q, z. B. Schneelasten, Windkräfte und Nutzlasten, sind während eines Bezugszeitraums nicht ständig vorhandene, nicht konstante oder nicht monoton sich ändernde Einwirkungen. Als aussergewöhnliche Einwirkungen A bezeichnet man Einwirkungen mit geringer Eintretenswahrscheinlichkeit; sie sind in der Regel von kurzer Dauer, aber beträchtlicher Wirkung, z. B. Anprallkräfte, Brand-, Erdbeben- und Explosionseinwirkungen.

    Einwirkungen werden als ortsfest bezeichnet, wenn ihre Verteilung über das Tragwerk festliegt, d. h. wenn ihre Grösse und Richtung wie z. B. bei Schneelast- und Windkraftmodellen überall eindeutig aus der Angabe an einem Punkt folgt. Umgekehrt werden Einwirkungen als frei bezeichnet, wenn ihre Verteilung über das Tragwerk nicht festliegt, wie z. B. bei Nutzlasten in Gebäuden oder bei Verkehrseinwirkungen; in solchen Fällen sind die Einwirkungen in ungünstigster Stellung wirkend anzunehmen.

    Treten keine oder lediglich vernachlässigbare Beschleunigungen infolge einer Einwirkung auf, bezeichnet man diese als statisch, andernfalls als dynamisch; im letzteren Fall werden dynamische Effekte oft vereinfachend über statische Ersatzkräfte bzw. über dynamische Beiwerte als Zuschläge zu den statischen Einwirkungen berücksichtigt.

    4.2.2 Einwirkungsmodelle und repräsentative Werte

    Zur rechnerischen Erfassung üblicher Einwirkungen werden in entsprechenden Normen einfach handhabbare Einwirkungsmodelle festgelegt. Die Grösse der Einwirkung wird durch eine oder mehrere skalare Angaben bestimmt, die verschiedene repräsentative Werte Frep annehmen können. Der wichtigste repräsentative Wert einer Einwirkung ist der charakteristische Wert Fk. Er steht für einen bestimmten Fraktilwert bei ständigen Einwirkungen (Gk) und für eine bestimmte Auftretenswahrscheinlichkeit bei veränderlichen Einwirkungen (Qk). Bei aussergewöhnlichen Einwirkungen wird direkt der Bemessungswert festgelegt (Ad).

    Bei ständigen Einwirkungen wird für Gk meist der Mittelwert verwendet. Bei empfindlichen Tragwerken oder grösseren Variationsbreiten von G (Variationskoeffizient > 5 %) sind untere und obere Werte Gk,inf und Gk,sup zu verwenden (5 %- und 95 %-Fraktilwerte der statistischen Verteilung von G). Eigenlasten werden im Allgemeinen aufgrund der plangemässen Abmessungen und mittlerer Raumlasten ermittelt. Als charakteristische Werte Pk von Spannkräften werden je nach dem betrachteten Zeitpunkt und der Art der Vorspannung Mittelwerte, obere oder untere Werte verwendet. Bei veränderlichen Einwirkungen wird Qk in der Regel so festgelegt, dass dieser Wert in einem Bezugszeitraum von einem Jahr mit einer Wahrscheinlichkeit von 98 % (entsprechend einer Wiederkehrperiode von 50 Jahren) nicht über- bzw. unterschritten wird. Mit den Reduktionsbeiwerten ψ0, ψ1 und ψ2 für seltene, häufige und quasi-ständige Werte veränderlicher Einwirkungen wird die reduzierte Wahrscheinlichkeit des gleichzeitigen Auftretens der ungünstigsten Werte mehrerer unabhängiger Einwirkungen berücksichtigt, vgl. Kapitel 4.6.3 und 4.6.4.

    Einwirkungen aus dem Baugrund, insbesondere Erd- und Wasserdrücke sowie bauwerksunabhängige Baugrundverformungen, sind je nach Variabilität, Wirkungsdauer und Eintretenswahrscheinlichkeit als ständige, veränderliche oder aussergewöhnliche Einwirkungen zu behandeln. Der charakteristische Wert einer Einwirkung aus dem Baugrund kann durch bodenmechanische Analyse, Rückschlüsse aus dem Baugrund- bzw. Tragwerksverhalten, grossmassstäbliche Versuche, massstabsgerechte Modellversuche oder auf den betrachteten Fall übertragbare Erfahrungswerte bestimmt werden. Je nach Bemessungssituation kann ein oberer oder unterer Wert einer Einwirkung massgebend sein.

    4.3 Tragwerksmodell

    Gemäss Bild 3.1 verbindet das Tragwerksmodell die Einwirkungen mit den Auswirkungen und schliesst die geometrischen Grössen sowie die Baustoff- und Baugrundeigenschaften ein. Die Verknüpfung der einzelnen Grössen (z. B. Kraft- und Verformungsgrössen) erfolgt im Berechnungsmodell über entsprechende mathematisch-physikalische Beziehungen (z. B. statische und kinematische Beziehungen sowie Werkstoffbeziehungen), wie etwa im vorliegenden Buch dargelegt.

    Das Tragwerksmodell ist das Ergebnis der Abgrenzung und Idealisierung des Tragsystems. Es muss sich für die Vorhersage des Tragverhaltens in den zu betrachtenden Bemessungssituationen eignen. Je nach der Fragestellung können unterschiedliche Tragwerksmodelle geeignet sein. Oft genügt bereits eine Idealisierung als Starrkörper, und vielfach kann zumindest das globale Tragverhalten komplexer Tragwerke durch eine (eindimensionale) Idealisierung als (elastisches oder plastisches) Stabtragwerk mit guter Näherung erfasst werden, während zur Analyse lokaler Effekte aufwendigere (zwei- oder dreidimensionale) Modellierungen als Flächen- oder Körpertragwerke erforderlich sein können. Die Kunst der baustatischen Problembearbeitung besteht darin, durch geschickte Modellbildung auf möglichst einfachem Weg zu aussagekräftigen, für die jeweilige Fragestellung gerade ausreichenden Ergebnissen zu gelangen. Mit der Darstellung der entsprechenden Grundlagen und vielen Beispielen sowie durch die den Lesern zur selbständigen Bearbeitung überlassenen Aufgaben möchte das vorliegende Buch genau dazu beitragen.

    Der charakteristische Wert geometrischer Grössen entspricht normalerweise dem Nennwert anom (z. B. bei plangemässen Abmessungen), allenfalls einem vorsichtigen Erwartungswert (z. B. Grundwasserspiegel, Schütthöhen). Imperfektionen werden direkt durch Bemessungswerte ad berücksichtigt.

    Baustoff- und Baugrundeigenschaften werden im Allgemeinen durch untere bzw. obere charakteristische Werte Xk dargestellt (in der Regel die 5 %- und 95 %-Fraktilwerte), die mit genormten Prüfverfahren ermittelt werden. Gegebenenfalls werden Umrechnungsfaktoren η verwendet, um die Prüfergebnisse in Werte umzurechnen, von denen man annehmen kann, dass sie für das Tragwerk bzw. den Baugrund repräsentativ sind (beispielsweise zur Berücksichtigung von Feuchtigkeits- oder Temperatureinflüssen und Massstabseffekten sowie der Bruchart oder der Zeitdauer der Einwirkung).

    4.4 Grenzzustände

    Gemäss Bild 3.1 werden Grenzzustände der Tragsicherheit und Grenzzustände der Gebrauchstauglichkeit unterschieden.

    Grenzzustände der Tragsicherheit betreffen die Sicherheit des Tragwerks und seiner Einrichtungen sowie die Sicherheit von Personen. Dabei sind vier Typen zu unterscheiden:

    – Der Typ 1 betrifft die Gesamtstabilität des Tragwerks (Kippen, Abheben oder Aufschwimmen als starrer Körper).

    – Der Typ 2 betrifft das Erreichen des Tragwiderstands des Tragwerks oder eines seiner Teile (Versagen durch Bruch, übermässige Verformungen, Umwandlung des Tragwerks in einen Mechanismus oder Verlust der Stabilität).

    – Der Typ 3 betrifft das Erreichen des Tragwiderstands des Baugrunds (Hangrutschung, Böschungsbruch, Geländebruch).

    – Der Typ 4 betrifft das Erreichen der Ermüdungsfestigkeit des Tragwerks oder eines seiner Teile.

    Grenzzustände der Gebrauchstauglichkeit betreffen die Funktionstüchtigkeit des Bauwerks, den Komfort der das Bauwerk nutzenden Personen und das Aussehen des Bauwerks. Die Bemessungskriterien der Gebrauchstauglichkeit können sich beziehen auf:

    – Verformungen, welche die Funktionstüchtigkeit oder das Aussehen des Bauwerks oder dessen Einrichtungen beeinträchtigen oder Schäden an nichttragenden Bauteilen hervorrufen

    – Schwingungen, welche die Funktionstüchtigkeit des Bauwerks einschränken oder den Komfort der das Bauwerk nutzenden Personen beeinträchtigen

    – Dichtigkeitsmängel, welche die Funktionstüchtigkeit des Bauwerks einschränken oder die Nutzung des Bauwerks beeinträchtigen

    – bauweisenspezifische Auswirkungen wie Risse oder Schlupf in Verbindungen, die das Aussehen des Bauwerks und die Dauerhaftigkeit des Tragwerks beeinträchtigen

    – Grenzwerte der Umweltbelastung wie z. B. Grundwasseraufstau.

    Aus der Sicht der Dauerhaftigkeit müssen die Anforderungen an Tragsicherheit und Gebrauchstauglichkeit im Rahmen der vorgesehen Nutzung und der vorhersehbaren Einwirkungen ohne unvorhergesehenen Aufwand für Instandhaltung und Instandsetzung erfüllt sein. Durch geeignete Massnahmen in der Projektierung können dafür wohl günstige Voraussetzungen geschaffen werden, die Dauerhaftigkeit wird aber auch massgeblich durch die effektive Nutzung, Überwachung und Instandhaltung eines Bauwerks geprägt. Diese Tätigkeiten reichen über die Zuständigkeit der Projektverfassenden hinaus. Es liegt im Interesse und in der Verantwortung der Eigentümer und Betreiber, dass ihre Bauwerke plangemäss genutzt und überwacht sowie sachgemäss instand gehalten werden.

    4.5 Bemessungssituationen und Lastfälle

    Hinter jeder Bemessungssituation steht gemäss Bild 3.1 ein Gefährdungsbild oder ein Nutzungszustand. Je nachdem, ob eine Bemessungssituation während eines Zeitraums von gleicher Grössenordnung wie die geplante Nutzungsdauer oder während eines wesentlich kürzeren Zeitraums massgebend ist, unterscheidet man andauernde und vorübergehende Bemessungssituationen; dazu kommen aussergewöhnliche Bemessungssituationen, welche aussergewöhnliche Bedingungen für das Tragwerk einbeziehen; sie beinhalten entweder die aussergewöhnliche Situation, oder sie beziehen sich auf die Situation unmittelbar nach dem aussergewöhnlichen Ereignis (z. B. nach einem Erdbeben).

    Die zu den Bemessungssituationen gehörigen Lastfälle sind festzulegen. Jeder Lastfall wird durch eine der Leitgefahr im Gefährdungsbild entsprechende Leiteinwirkung und die gleichzeitig mit ihr auftretenden Begleiteinwirkungen charakterisiert. In der Regel genügt es, eine veränderliche Begleiteinwirkung zu berücksichtigen.

    Bei der Bemessung geht es keineswegs darum, mit einer Vielzahl von Lastfällen und Begleiteinwirkungen „möglichst alle Fälle abzudecken, wie dies vielfach versucht wird. Vielmehr geht es darum, die für einen Grenzzustand des Tragwerks massgebenden Lastfälle zu eruieren. Meistens handelt es sich dabei um ganz wenige, physikalisch verträgliche Anordnungen von gleichzeitig auftretenden Einwirkungen. Die in der Praxis leider oft anzutreffende, mit der Anwendung des Superpositionsgesetzes für geometrisch und stofflich lineare Systeme verbundene Betrachtung einzelner Einwirkungen als „Lastfälle (z. B. „Lastfall Schnee, „Lastfall Wind etc.) und deren gedankenlose Superposition (ohne auf die physikalische Verträglichkeit der Einwirkungen zu achten) ist unsinnig.

    4.6 Nachweise

    4.6.1 Nachweiskonzept

    Die Nachweise der Tragsicherheit und der Gebrauchstauglichkeit erfolgen in der Regel auf der Basis von Bemessungswerten, die aus einem charakteristischen oder anderen repräsentativen Wert bzw. aus einer Funktion von Bemessungswerten in Verbindung mit Partialfaktoren bestimmt oder direkt festgelegt werden. Die Partialfaktoren berücksichtigen einerseits Unschärfen der einzelnen Variablen und anderseits jene der verwendeten Einwirkungs- und Widerstandsmodelle. Damit wird eine bestimmte Zuverlässigkeit angestrebt, d. h. eine bestimmte Wahrscheinlichkeit, dass die Anforderungen an Tragsicherheit und Gebrauchstauglichkeit innerhalb einer gegebenen Zeitspanne erfüllt werden. Die Festlegung der Partialfaktoren erfolgt gestützt auf die Methoden der Zuverlässigkeitstheorie unter Berücksichtigung der bisherigen Baupraxis und Erfahrung.

    Grundsätzlich sind stets ein Nachweis der Tragsicherheit und ein Nachweis der Gebrauchstauglichkeit zu erbringen. Ein Nachweis kann jedoch entfallen, wenn feststeht, dass er nicht massgebend wird. Zudem darf auf einen oder beide Nachweise verzichtet werden, wenn gezeigt wird, dass die entsprechenden Anforderungen von untergeordneter Bedeutung sind oder mit konstruktiven oder ausführungstechnischen Massnahmen erreicht werden können; das gewählte Vorgehen ist in solchen Fällen in der Projektbasis zu dokumentieren.

    4.6.2 Bemessungswerte

    Für den Bemessungswert einer Auswirkung gilt allgemein

    mit

    . Der Partialfaktor γs berücksichtigt die Modellunschärfen beim Übergang von den Einwirkungen zu den Auswirkungen, γf berücksichtigt mögliche ungünstige Abweichungen der Einwirkungsgrösse F vom repräsentativen Wert Frep, und γm berücksichtigt ungünstige Abweichungen der Baustoff- oder Baugrundeigenschaft X vom charakteristischen Wert Xk. Der Umrechnungsfaktor η und der Nennwert anom einer geometrischen Grösse wurden bereits in Kapitel 4.3 eingeführt; Δa bezeichnet die Differenz von Nennwert und Bemessungswert einer geometrischen Grösse für den Fall, dass derartige Abweichungen einen erheblichen Einfluss auf die Zuverlässigkeit des Tragwerks ausüben.

    Die in Gleichung (4.1) und in der Folge verwendeten geschweiften Klammern {…} deuten eine Funktion der in der Klammer aufgeführten Bemessungswerte an. Je nach Nachweis können einzelne dieser Bemessungswerte entfallen, d. h. bei der Anwendung sind die relevanten Grössen von Fall zu Fall festzulegen.

    Tabelle 4.1 Lastbeiwerte für den Nachweis der Tragsicherheit.

    Für den Bemessungswert des Tragwiderstands gilt allgemein

    wobei der Partialfaktor γR die Unschärfen im Widerstandsmodell berücksichtigt.

    In der Regel können γS und γf gemäss γF = γS γf zu einem Lastbeiwert γF zusammengefasst werden. Ferner dürfen γR und γm in der Regel gemäss γM = γR γm zu einem Widerstandsbeiwert γM zusammengefasst werden. Statt (4.1) und (4.2) gilt dann

    (4.3)

    Tabelle 4.1 enthält beispielsweise die in [31] festgelegten Lastbeiwerte.

    Die Bemessungswerte Cd von Gebrauchsgrenzen (z. B. zulässige Durchbiegungen, Auslenkungen, Eigenfrequenzen etc.) werden in der Regel projektspezifisch unter Beachtung der in den Normen angegebenen Richtwerte festgelegt oder vereinbart.

    4.6.3 Nachweis der Tragsicherheit

    Für Grenzzustände des Typs 1 (siehe Kapitel 4.4) muss das Bemessungskriterium

    erfüllt sein. Dabei bezeichnen Ed,dst und Ed,stb die Bemessungswerte der destabilisierenden bzw. stabilisierenden Auswirkungen.

    Für Grenzzustände der Typen 2 und 3 muss das Bemessungskriterium

    erfüllt sein. Die Bemessungswerte der Auswirkungen sind dabei für andauernde und vorübergehende Bemessungssituationen gemäss

    (4.6)

    und für aussergewöhnliche Bemessungssituationen gemäss

    zu ermitteln. Für die hier verwendeten Bezeichnungen wird auf Anhang A2 verwiesen.

    Für Grenzzustände des Typs 4 erfolgt der Nachweis der Tragsicherheit formal gemäss (4.5), wobei spezielle Regeln zur Ermittlung der Ermüdungswirkung der Betriebslasten und der entsprechenden Widerstände zur Anwendung kommen (siehe auch Kapitel 7.6.3).

    4.6.4 Nachweis der Gebrauchstauglichkeit

    Nachweise der Gebrauchstauglichkeit sind für andauernde und vorübergehende Bemessungssituationen zu führen, in Ausnahmefällen auch für aussergewöhnliche Bemessungssituationen (z. B. für lebenswichtige Infrastrukturbauwerke wie Akutspitäler, Feuerwehrgebäude und Ambulanzgaragen nach einer Erdbebeneinwirkung).

    Die Gebrauchstauglichkeit gilt als nachgewiesen, wenn das Bemessungskriterium

    erfüllt ist, wobei im Allgemeinen Ed nach (4.3)1 mit γF = γm = 1 zu ermitteln ist.

    Für andauernde und vorübergehende Bemessungssituationen werden drei Typen von Lastfällen unterschieden, und die massgebenden Auswirkungen werden wie folgt ermittelt:

    seltene Lastfälle

    (4.9)

    häufige Lastfälle

    (4.10)

    quasi-ständige Lastfälle

    Für die Bemessungssituation Erdbeben gilt (4.7), wobei für Ad im Vergleich zum Nachweis der Tragsicherheit ein auf 50 % reduzierter Wert einzusetzen ist.

    4.7 Bemerkungen

    Bis in die 1960er Jahre erfolgte die Bemessung von Tragwerken unter Verwendung zulässiger

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