Tolstoi-Friedensbibliothek B
Von Peter Bürger und Leo N. Tolstoi
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Über diese Serie
Tolstois Traktat über die Fleischesser wurde von Mahatma Gandhi in besonderen Leseempfehlungen berücksichtigt. Schon zu Lebzeiten galt der russische Dichter als "Sonne der vegetarischen Welt". Zu den Aufklärungsschriften über eine Ernährungsweise ohne Töten gehört z.B. die erschütternde Schilderung seines Schlachthaus-Besuchs in Tula am 7. Juni 1891. Für das letzte Lesebuch (1910) hat der "Alte von Jasnaja Poljana" die Botschaft der Achtung des Lebens noch einmal zusammengefasst: "Wir fühlen mit dem Herzen, dass das, wodurch wir leben, das, was wir unser Ich nennen, nicht nur in allen Menschen, sondern auch im Hunde, Pferde, in Mäusen, im Huhn, Sperling und in der Biene ... ein und dasselbe ist. ... Wer ist dann der Nächste? Hierauf gibt es nur eine Antwort: 'Frag nicht, wer dein Nächster ist, sondern behandle alle Lebewesen so, wie du selbst behandelt werden möchtest.' - Alles Lebende fürchtet Qualen, alles Lebende scheut den Tod; erkenne dich nicht nur im Menschen, sondern in jedem Lebewesen; töte nicht und verursache keine Leiden und Tod. Alles Lebendige will dasselbe wie du: erkenne dich in jedem Lebewesen. - Der Mensch steht nicht deswegen über den Tieren, weil er sie quälen kann, sondern weil er imstande ist, Mitleid mit ihnen zu empfinden ..., weil er fühlt, dass in ihnen ein und dasselbe Wesen lebt, wie in ihm selbst. ... Die Zeit wird ... kommen, und unsere Nachkommen werden sich wundern, dass ihre Vorfahren jeden Tag Millionen Tiere töteten, um sie zu essen, obgleich man sich gesund und schmackhaft, ohne Mord, von Früchten der Erde ernähren kann."
Tolstoi-Friedensbibliothek
Reihe B, Band 14 (Signatur TFb_B014)
Herausgegeben von Peter Bürger
Titel in dieser Serie (5)
- Das Töten verweigern: Texte über die Schönheit der Menschen des Friedens und den Ungehorsam
3
Dieser Sammelband erschließt die kleineren Schriften von Leo N. Tolstoi (1828-1910) über die Verweigerung des Mordhandwerks sowie Darstellungen zur Geschichte der Gegner des Militärdienstes in Russland: "Wenn du in Wahrheit Gottes Willen erfüllen willst, kannst du nur eines tun, den schmachvollen und gottlosen Beruf eines Soldaten abwerfen und bereit sein, alle Leiden, welche dir dafür auferlegt werden, geduldig zu ertragen." (1901) In seinem Geleitwort zur Biographie des nach Gefängnisqualen umgekommenen Waffenverweigerers Jewdokim Nikitschitch Droschin (1866-1894) schreibt Tolstoi: "Wir sehen, dass Obrigkeiten, die sich für christlich halten, bei jeder Gelegenheit gegen Menschen, die sich weigern zu morden, in der offenkundigsten und feierlichsten Weise gezwungen sind, jenes Christentum und jenes sittliche Gebot zu verleugnen, auf welches sich ihre Gewalt allein stützt. ... Früher hatte ... nur selten jemand das Evangelium gelesen und die Leute kannten nicht dessen Geist, sondern glaubten alles, was ihnen die Priester sagten; aber auch schon früher ... hielten manchmal strenggläubige Menschen, die man Sektierer nannte, den Militärdienst für eine Sünde und weigerten sich, ihn zu leisten. Jetzt ... gibt es keinen Menschen, der nicht verpflichtet wäre, bewusst mit seinem Geld, und im größten Teile Europas unmittelbar an den Vorbereitungen zum Mord oder am Mord selber teilzunehmen; jetzt kennen fast alle Menschen das Evangelium und den Geist der Lehre Christi, alle wissen, dass viele Priester bestochene Betrüger sind ... jetzt ist es bereits so weit gekommen, dass nicht Sektierer allein, sondern Leute, die keine besonderen Dogmen bekennen ..., sich weigern zu dienen und ... offen erklären, dass die Menschentötung mit keinem Bekenntnis des Christentums zu vereinigen ist." Tolstoi-Friedensbibliothek Reihe B, Band 3 (Signatur TFb_B003) Herausgegeben von Peter Bürger
- Wider den Krieg: Ausgewählte pazifistische Betrachtungen und Aufrufe 1899 - 1909
4
"Ich bin wie jener Mann auf dem Tender eines in den Abgrund rasenden Zuges, der entsetzt erkennt, er vermag den Zug nicht zum Stehen zu bringen. Die Fahrgäste hingegen entsetzten sich erst, als die Katastrophe geschehen war." - Der vorliegende Sammelband erschließt ausgewählte "Pazifistische Betrachtungen und Aufrufe" von Leo N. Tolstoi (1828-1910). In einem Brief an ihren engsten Mitstreiter meinte Bertha von Suttner 1909, der russische Dichter sei doch "eigentlich der Konsequenteste aller Kriegshasser". Dessen Distanz zur bürgerlichen Friedensbewegung mit ihren Versammlungen und staatstragenden Forderungskatalogen lag offen zutage. Im gleichen Jahr verfasste Tolstoi eine Rede, die er auf dem Internationalen Friedenskongress in Stockholm halten wollte: "Die Menschheit ... ist zu einem so schroffen Widerspruch zwischen ihren sittlichen Forderungen und der bestehenden Gesellschaftsordnung gelangt, dass unbedingt eines geändert werden muss, ... was wohl geändert werden kann: die Gesellschaftsordnung. Diese Änderung, die der innere Widerspruch gebietet, der in der Vorbereitung zum Morde besonders scharf zu Tage tritt, wird ... von Tag zu Tag immer dringender. Die Spannung, die diese bevorstehende Änderung seit langem erzeugt, hat heute schon einen solchen Grad erlangt, dass ... es zum Übergang aus jenem grausamen und unvernünftigen Leben der Menschen mit seiner Absonderung, seinen Rüstungen und Armeen, zu einem vernünftigen, den Forderungen der Erkenntnis der jetzigen Menschheit entsprechenden Leben möglicherweise nur einer geringen Anstrengung, vielleicht nur eines Wortes bedarf. ... So, wie im Märchen Andersens, als beim feierlichen Umzuge der König durch die Straßen der Stadt ging, ... das Wort eines Kindes, das aussprach, was alle wussten ..., alles geändert hat: Er hat ja gar nichts an. ... Die Menschen werden ... aufhören, im Krieg den Vaterlandsdienst, den Heldenmut, den Kriegsruhm, den Patriotismus zu sehen, und werden sehen, was da ist: die nackte frevelhafte Mordtat." Tolstoi-Friedensbibliothek Reihe B, Band 4 (Signatur TFb_B004) Herausgegeben von Peter Bürger
- Das Gesetz der Gewalt und die Vernunft der Liebe: Texte über die Weisung, dem Bösen nicht mit Bösem zu widerstehen
5
Dieser Sammelband erschließt Texte Leo Tolstois (1828-1910) über die Weisung "Bekämpft nicht Böses mit Bösem", die er neben dem grundlegenden Werk "Das Reich Gottes ist in euch" und im Anschluss an dieses verfasst hat - darunter auch den "Brief an einen Hindu" (1908) sowie seinen Austausch mit Mahatma Gandhi (1909/10). Den ethischen Traktaten (Sprache der Moral) ist die "Sprache der Weisheit" zur Seite gestellt: "Jede Gewalt widerstrebt der Vernunft und der Liebe. Nehme keinen Anteil an ihr." Die Kritiker werfen dem Liebhaber der Bergpredigt vor, sich hinsichtlich der Verbrechen und Leiden in der Geschichte bequem auf eine Zuschauerrolle zurückzuziehen (Tatenlosigkeit, Weltflucht etc.). Im Fall von Tolstoi wirkt ein solcher Vorwurf geradezu absurd, wenn man bedenkt, wie dieser sich über Jahrzehnte hin - förmlich bis hin zum letzten Atemzug - gegen Todesstrafe, Krieg, Hungersnot, Repressionsapparate und soziales Unrecht engagiert hat. Die Anhänger des Gewalt-Aberglaubens müssen sein Verständnis des "Nichtwiderstrebens" mutwillig verzerren, um von Passivität und fehlender Anteilnahme sprechen zu können. Im April 1890 schreibt Tolstoi darüber: "Man verwechselt (absichtlich, wie es mir scheint) das Wort 'Widersetze dich nicht dem Bösen durch Böses' mit 'Widersetze dich nicht dem Bösen', d.h. mit 'Sei gleichgültig dem Bösen gegenüber'. Während der Kampf gegen das Böse das einzige Ziel des Christentums ist, und das Gebot vom 'dem Bösen nicht widerstreben' als das wirksamste Kampfmittel gegeben ist." Ohne Hinwendung zur Gewaltfreiheit gibt es Tolstoi zufolge für die menschliche Familie keine Zukunft: "Begreift, dass die Erfüllung des von uns erkannten höchsten Gesetzes der Liebe, das die Gewalt ausschließt, zu unserer Zeit für uns ebenso unvermeidlich ist, wie es für die Vögel unvermeidlich ist, umherzufliegen und Nester zu bauen." Tolstoi-Friedensbibliothek Reihe B, Band 5 (Signatur TFb_B005) Herausgegeben von Peter Bürger
- Texte gegen die Todesstrafe: Über die Unmöglichkeit des Gerichtes und der Bestrafung der Menschen untereinander
Der vorliegende Sammelband "Texte gegen die Todesstrafe: Über die Unmöglichkeit des Gerichtes und der Bestrafung der Menschen untereinander" eröffnet die Reihe B der Tolstoi-Friedensbibliothek und ist als Lesebuch konzipiert. In seinem Geleitwort schreibt Eugen Drewermann: "... Der Protestantismus Luthers verblieb in der Schizophrenie der Zwei-Reiche-Lehre, mit welcher Augustinus in der Zeit nach Konstantin das Christentum in eine staatstragende Religion verwandelte: die Menschen, weil sie böse sind, benötigen den Staat als Notverordnung Gottes; deshalb kann man nicht nur, man muß als Christ Soldat und Richter sein. So etwas sagen bis hinein in unsere Tage alle Kirchen. Die aufgeklärten Geister aber glauben, ganz ohne Gott und Christus auskommen zu können; sie glauben an die Wissenschaft und an den Fortschritt der geschichtlichen Vernunft und weigern sich, das Anwachsen der staatlich und gesellschaftlich verordneten militärischen, juridischen und sozialen Grausamkeiten anzuerkennen und anzugehen. Kirche und Staat bilden gemeinsam ein unmenschliches System der Lüge, der Gewalt und einer selbstgerechten Ungerechtigkeit. Diese Evidenz gewann Tolstoi aus der Botschaft Jesu und richtete sie aufrüttelnd und befreiend in der Sprache eines Dichters und in dem Anspruch eines Propheten an jeden Einzelnen nicht anders als auch an die Allgemeinheit." Tolstoi-Friedensbibliothek. Reihe B, Band 1 (Signatur TFb_B001) Herausgegeben von Peter Bürger
- Staat - Kirche - Krieg: Texte über den Pakt mit der Macht und das Herrschaftsinstrument Patriotismus
Der Russe Leo N. Tolstoi wendet sich 1900 an seine Menschengeschwister: "Nur dann könnt Ihr Euch befreien, wenn Ihr mutig in das Gebiet jener höheren Idee der Verbrüderung aller Völker eintretet, der Idee, die schon lange ins Leben getreten ist und Euch von allen Seiten zu sich heranruft." Patriotismus ist in seinen Augen Sklaverei - ein Herrschaftsinstrument, mit dem die Interessen einer kleinen Minderheit verschleiert und die Massen in den Abgrund der militärischen Heilslehre getrieben werden. Der Staat benötigt für seine Kriegsapparatur vor allem ein Kirchengebäude, welches die Botschaft der Religion ins Gegenteil verfälscht, die Waffenproduktion absegnet und das Töten im Namen einer angeblich von Gott verliehenen Vollmacht rechtfertigt. Seit der konstantinischen Wende zu Beginn des 4. Jahrhunderts erfüllen die großen "christlichen" Institutionen ohne Scham diese Aufgabenstellung. Sie erweisen sich als Dienstleister der Mächtigen und Besitzenden. Der hier vorgelegte Sammelband enthält u.a. folgende Schriften Tolstois zu diesem todbringenden Komplex: Ernste Gedanken über Staat und Kirche (Cerkov' i gosudarstvo, 1879) - Patriotismus und Christentum (Christianstvo i patriotizm, 1894) - Sinnlose Hirngespinste (Bessmyslennye mectanija, 1895) - Patriotismus oder Frieden (Patriotizm ili mir?, 1896) - Cathargo delenda est (1898) - Patriotismus und Regierung (Patriotizm i pravitel'stvo, 1900) - Muss es denn wirklich so sein? (Neuzeli eto tak nado?, 1900) - Eines ist not (Edinoe na potrebu, 1905) - Es ist Zeit, zu begreifen (Pora ponjat', 1909). Das authentische Christentum unschädlich zu machen, darin liegt Tolstoi zufolge die Funktion des mit dem Staat paktierenden Kirchentums: Erst "wenn diese falsche Lehre aufhört zu existieren, wird es kein Heer geben und ... jene Vergewaltigung, Knechtung und Demoralisierung, die an den Völkern verübt werden, aufhören." Tolstoi-Friedensbibliothek. Reihe B, Band 2 (Signatur TFb_B002) Herausgegeben von Peter Bürger
Leo N. Tolstoi
Leo (Lew) Nikolajewitsch Tolstoi (1828-1910) stammte aus einer begüterten russischen Adelsfamilie; die Mutter starb bereits 1830, der Vater im Jahr 1837. Zunächst widmete sich der junge Graf dem Studium orientalischer Sprachen (1844) und der Rechtswissenschaft (ab 1847). 1851 Eintritt in die Armee des Zarenreiches (Kaukasuskrieg, Krimkrieg 1854). 1862 Eheschließung mit Sofja Andrejewna, geb. Behrs (1844-1919); das Paar hatte insgesamt dreizehn Kinder (Hauptwohnsitz: Landgut Jasnaja Poljana bei Tula). Literarischen Weltruhm erlangte L. Tolstoi durch seine Romane "Krieg und Frieden" (1862-1869) und "Anna Karenina" (1873-1878). Ab einer tiefen Krise in den 1870er Jahren wurde die seit Jugendtagen virulente religiöse Sinnsuche zum "Hauptmotiv" des Lebens. Theologische bzw. religionsphilosophische Arbeiten markieren die Abkehr von einem auf dem Pakt mit der Macht erbauten orthodoxen Kirchentum (Exkommunikation 1901). Für Christen sah Tolstoi ausnahmslos keine Möglichkeit der Beteiligung an Staats-Eiden und Tötungsapparaten (Militär, Justiz, Todesstrafe, Herrschaftsideologie des Patriotismus, blutige Revolution mit Menschenopfern). Die in der Bergpredigt Jesu erkannte "Lehre vom Nichtwiderstreben" ließ ihn schließlich zu einem Inspirator Gandhis werden. Lackmusstext für den Wahrheitsgehalt aller Religionen waren für Tolstoi die Ablehnung jeglicher Gewalt und das Zeugnis für die Einheit der ganzen menschlichen Familie. Thomas Mann fand wenig Gefallen an der hochmoralischen "Kunsttheorie" und den (von Rosa Luxemburg z.T. durchaus geschätzten) Traktaten des späten Tolstoi, bemerkte aber - mit Blick auf die vielen Millionen Toten des Ersten Weltkriegs - 1928 anlässlich der Jahrhundertfeier von Tolstois Geburt: "Während der Krieg tobte, habe ich oft gedacht, dass er es nicht gewagt hätte auszubrechen, wenn im Jahre vierzehn die scharfen, durchdringenden grauen Augen des Alten von Jasnaja Poljana noch offen gewesen wären."
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