MISSION COCKAIGNE: Der Weg ins Paradies
Von Brigitte Ohk
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Über dieses E-Book
Oreste Gambino hat einen Auftrag. Er sucht einen Mann. Einen bestimmten Mann. Sein Auftrag ist klar umrissen – nur den Mann findet er nicht. Und als er ihn gefunden hat, hat Malta Oreste längst verändert. Oreste ändert seine Absichten, seinen Auftrag, seinen Weg. Und er findet einen Weg. Seinen Weg.
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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.d-nb.de abrufbar.
© dieser Ausgabe: Dezember 2025
p.machinery Michael Haitel
Die Urheberrechtsinhaber behalten sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist ausgeschlossen.
Titelbild: Brigitte Ohk
Layout & Umschlaggestaltung: global:epropaganda
Lektorat & Korrektorat: Michael Haitel
Herstellung: global:epropaganda
Verlag: p.machinery Michael Haitel
Norderweg 31, 25887 Winnert
www.pmachinery.de
ISBN der Printausgabe: 978 3 95765 487 8
ISBN dieses E-Books: 978 3 95765 669 8
Kapitel 1
Ein gut aussehender Mann Ende fünfzig, ziemlich groß und kräftig gebaut, mit einem Flugticket auf den Namen Oreste Gambino, war gerade aus Neapel in Malta gelandet. Sein markantes Gesicht war sorgfältig rasiert, seine Augen lagen tief und waren dunkel, fast schwarz, und sein kurzes dunkelbraunes Haar fiel ihm in die Stirn. Er wirkte sehr elegant in seiner feinen cremefarbenen Baumwollhose und einer burgunderroten Strickjacke, die er über einem eisblauen Leinenhemd mit Stehkragen trug. Eine mokkabraune Wildlederjacke rundete das Outfit ab.
Oreste bemerkte sofort, dass die Temperatur höher war als in Neapel, zog seine dicke Jacke aus, hängte sie über seinen linken Arm und sah sich in der Ankunftshalle nach einem Hinweis zu den Taxiständen um.
Er entdeckte einen Schalter für Taxitickets direkt vor sich, ging hinüber und zeigte dem Verkäufer ein Stück Papier mit einer Adresse.
»Das ist in Gozo«, sagte der Verkäufer. »Sie brauchen ein Ticket bis nach Cirkewwa.«
Dieses Wort klang für Oreste wie Kaugummi.
»In Cirkewwa steigen Sie auf die Fähre nach Gozo«, fuhr der Verkäufer fort. »Auf der anderen Seite nehmen Sie ein weiteres Taxi, das Sie zu Ihrer Unterkunft bringt.«
Oreste nickte. Er wusste, dass der winzige Archipel der Republik Malta aus drei bewohnten Inseln bestand, von denen eine Gozo war, und er hatte auf der Karte gesehen, dass es einen Kanal gab, den man mit einem Schiff überqueren musste.
Auf dem Weg nach Norden kamen sie an weiß getünchten Gebäuden und Häusern aus traditionellem honigfarbenem maltesischem Stein vorbei. Saftig grüne Felder, übersät mit vielen gelben und violetten Blumen, säumten die Straßen, von denen einige sich in Serpentinen die Hügel hinaufschlängelten. Vom höchsten Punkt aus leuchtete das Meer auf beiden Seiten spektakulär blau. Das tiefe Blau des Himmels und des Meeres, das Grün der Felder mit den gelben Sprenkeln und der honigfarbene Stein überall in der Landschaft lieferten die Grundfarben der Insel, die etwas Beruhigendes ausstrahlten.
Während der Überfahrt beobachtete Oreste die schäumende Gischt an den Seiten der Fähre und sah, wie Maltas Schwesterinsel Gozo mit jeder Minute näher rückte.
Bei der Ankunft ging Oreste mit den anderen Passagieren zum Ausgang des Fährterminals. Der Taxifahrer in Malta hatte einen Kollegen für seinen Fahrgast gebucht, und ein Mann hielt ein Schild mit der Aufschrift »Ricardo Costanzo« in der Hand, einer der vielen Namen, die Oreste aus beruflichen Gründen regelmäßig wechselte, um seine Spuren zu verwischen. Er ging zu dem Chauffeur, der das Gepäck nahm und es für die kurze Fahrt zu seiner Unterkunft in den Kofferraum packte. Am Ziel angekommen, bezahlte Oreste die Fahrt und ging zur Rezeption.
»Ricardo Costanzo«, stellte er sich der hübschen Angestellten vor. »Ich habe ein Zimmer gebucht.«
»Willkommen, Herr Costanzo. Darf ich bitte Ihren Ausweis sehen?«
Er reichte ihr seine Dokumente.
»Wie lange möchten Sie bleiben, Herr Costanzo? Ich habe Ihre Buchung ohne Abreisedatum.«
»Ich bin mir noch nicht sicher«, antwortete er.
»In Ordnung. Wenn Sie auschecken möchten, reicht es, wenn Sie uns am Vorabend informieren.«
Oreste stimmte zu, nahm sein Gepäck und machte sich auf den Weg zu seinem Zimmer. Zuerst wollte er duschen, den Staub der Reise abwaschen und dann sein erstes Ziel, ein Restaurant, aufsuchen. Es war noch früh und genug Zeit, um sich für ein schönes Mittagessen fertig zu machen.
Das Restaurant lag direkt am Meer. Oreste trat ein und blieb vor einem Schild stehen, auf dem stand: Bitte warten, Sie werden platziert.
Während er wartete, schaute er sich ein Foto auf seinem Handy an. Das Bild zeigte das Gesicht eines Mannes, des Besitzers des Lokals, Anfang siebzig. Er hatte leicht gewelltes, grau-meliertes Haar, wobei das Haar über den Ohren, an den Schläfen und seine Augenbrauen etwas dunkler waren als das Haupthaar. Auch sein voller Schnurrbart, der gepflegt aussah, war eine Nuance dunkler.
Seine kastanienbraunen Augen blickten wohlwollend in die Welt, und ein freundliches Lächeln spielte um seine Lippen. Oreste verspürte einen Schmerz in seinem Herzen. Es schien, als wollten diese Wärme ausstrahlenden Augen ihn persönlich ansprechen.
Sich gründlich umsehend, ging Oreste weiter ins Restaurant hinein. Er wollte sehen, ob er den Besitzer irgendwo entdecken konnte. Ein paar Leute saßen an einigen Tischen und aßen, aber der Mann auf dem Foto schien nicht darunter zu sein.
Die Bar, die die Hälfte der Länge des Raumes einnahm, befand sich auf der gegenüberliegenden Seite, vor ihm. Über der Bar befand sich eine abgehängte Decke mit eingelassenen Strahlern, die den Bereich darunter unaufdringlich beleuchteten. Auf der abgehängten Decke, die als Regal diente, standen Grünpflanzen, die die Überwachungskameras halb verdeckten. Sie waren schwer zu erkennen, da sie fast im Blätterwerk der Pflanzen verschwanden, aber Oreste bemerkte dennoch, dass die Geräte auf dem neuesten Stand waren.
»Wie kann ich Ihnen helfen, Sir?«
Oreste hatte nicht bemerkt, dass sich ihm eine elegant gekleidete Dame genähert hatte. Er musterte sie von oben bis unten und schätzte sie auf etwa dreißig Jahre. Sie hatte ein ovales Gesicht, eine kleine Nase und einen breiten Mund. Ihr sorgfältig hochgestecktes, braunes Haar brachte ihre haselnussbraunen, mit schwarzem Mascara umrandeten Augen, die in der Farbe denen des Mannes auf dem Foto ähnelten, gut zur Geltung. Ihre buschigen Augenbrauen hatte sie dezent akzentuiert und ihre Lippen waren mit einem tief-orangefarbenen Lippenstift geschminkt, der zu ihrem Teint passte.
Sie trug einen eleganten marineblauen Anzug mit Bleistiftrock, Blazer und cremefarbener Bluse. Ein Paar Pumps mit mittlerem Absatz, ebenfalls in Creme, rundeten das Outfit ab.
»Ich würde gerne an diesem Tisch sitzen«, sagte Oreste, nachdem er sie ausgiebig betrachtet hatte, und zeigte auf den ausgewählten Platz, von dem aus er den gesamten Gastraum gut überblicken konnte.
»Natürlich, Sir«, antwortete sie höflich und führte ihn zu dem gewünschten Tisch. »Ich bin die Managerin dieses Lokals und mein Name ist Alina«, stellte sie sich vor. »Möchten Sie die Speisekarte sehen?«
»Ja, bitte«, antwortete er, und sie holte sie.
Die Köstlichkeiten des Tages waren auf einem einfachen A4-Blatt aufgelistet, teilweise durchgestrichen und mit rotem Kugelschreiber ergänzt. Er bestellte ein lokales Bier und sah Alina zu, wie sie durch das Restaurant zur Bar ging. Er betrachtete ihre wohlgeformten Beine, während er den Raum und die anderen Gäste aus den Augenwinkeln genau beobachtete.
Alina kam mit seinem Bier zurück und fragte: »Haben Sie etwas aus der Speisekarte ausgewählt?«
»Ja, habe ich«, sagte er und nannte ihr seine Wahl.
Alina fragte: »Woher kommen Sie?«
»Aus Italien«, antwortete er trocken.
»Ihr Akzent klingt nicht italienisch«, bemerkte Alina.
»Nun«, sagte er, »ich habe eine Zeit lang in Amerika gelebt, aber heute bin ich aus Italien gekommen.« Und bevor sie eine weitere Frage stellen konnte, sagte er: »Ich bin wegen familiärer Angelegenheiten nach Italien gereist.«
»Wegen familiärer Angelegenheiten«, wiederholte sie und fragte sich, was das wohl bedeutete. »Und Malta?«, fuhr sie fort, »auch wegen familiärer Angelegenheiten?«
Ein leichtes Lächeln huschte unwillkürlich über seine Lippen.
»Nein«, antwortete er, »ich habe von der Schönheit des Archipels gehört und wollte es mir mal mit eigenen Augen ansehen.«
Oreste hoffte, dass seine beiläufige Erklärung ihre Neugier befriedigen würde. Er konnte ihr doch kaum die Wahrheit sagen, oder?
»Archipel«, wiederholte sie, als wollte sie das Wort auf der Zunge zergehen lassen.
»Ja«, antwortete er, und sein Gesicht hellte sich auf. »Archipel.« Dann verstummte er.
Alina mochte den Mann. Sie hätte das Gespräch gerne fortgeführt, bemerkte jedoch seine Zurückhaltung, weitere Worte zu sagen, und akzeptierte dies vorerst. Sie nahm seine Bestellung auf und ging.
Als er allein war, ließ Oreste seinen Blick erneut durch den großen Saal schweifen. Es waren mehr Gäste hereingekommen, aber unter den Anwesenden konnte er immer noch niemanden entdecken, der der Person auf dem Foto ähnlich sah.
Ein Kellner stellte seine Bestellung vor ihm ab. Das Arrangement auf seinem bunten Teller sah köstlich aus, und Oreste stieß seine Gabel tief in den Berg Spaghetti mit Muschelsoße.
»Mediterrane Küche«, seufzte er zufrieden.
Alina beobachtete ihn von hinter der Theke aus. Sie erfreute sich daran, wie er sein Essen genoss, und offenbar hatte er einen gesunden Appetit. Irgendwie musste sie wieder mit ihm ins Gespräch kommen, und hoffentlich würde er sie bald zu einem Abendessen ausführen. Sie begann zu träumen.
Was, wenn sie diesen gut aussehenden Amerikaner dazu bringen könnte, Interesse an ihr zu zeigen? Was, wenn er bleiben und sie heiraten würde? Wenn sie heiraten, ein Kind bekommen und ein Haus haben würde, in dem sie mit ihrer kleinen Familie leben könnte, wäre sie der glücklichste Mensch auf der Insel. Vielleicht würde er sie mit nach Amerika nehmen. Nicht, dass sie für immer dort leben wollte, aber er könnte ihr das Land zeigen. Alina seufzte.
Die Gäste an einem der anderen Tische zogen ihre Aufmerksamkeit auf sich. Ihr Traum, der wie ein Schleier vor ihren Augen gelegen hatte, zerriss und löste sich in Nichts auf.
Währenddessen kratzte Oreste mit einem Stück selbst gebackenem Brot die Reste der köstlichen Soße von seinem Teller. Jetzt brauchte er einen Kaffee – einen starken Espresso.
Er sah sich nach der freundlichen Kellnerin um, der Managerin, wie sie ihm gesagt hatte, konnte sie aber nirgends sehen.
Da sein Magen nach dem üppigen Mahl voll war, breitete sich eine angenehme Gelassenheit in ihm aus. Wieder einmal verlor er sich in seinen Gedanken. Diesmal ging es jedoch nicht um seine Mission. Es ging um seinen Wunsch, der erst kürzlich wieder wie aus dem Nichts aufgetaucht war, nach einem ruhigen Leben, weit weg von ›Familienangelegenheiten‹ und Flugzeugen, an der Seite einer Frau, mit der er sich niederlassen und ein neues Leben beginnen konnte. Diese winzige Insel mitten im Mittelmeer schien ideal, um seinen Traum zu verwirklichen.
Seit Lucias Tod hatte Oreste nicht mehr daran gedacht, eine Familie zu gründen. Und nie hatte er davon geträumt, mit einer anderen Frau als ihr, Kinder zu haben.
Wie wäre es gewesen, wenn er und Lucia ihren Sohn, den sie auf den Namen Jacopo taufen wollten, nach dem Heiligen, der Pilger und Reisende beschützte, in Deutschland, wohin sie auswandern wollten, bekommen und gemeinsam großgezogen hätten? Seine Miene verfinsterte sich.
Denk bloß nicht darüber nach, was hätte sein können, das verursacht dir nur Schmerz und Wut. Die Vergangenheit ist Vergangenheit, und du hast diese fünfunddreißig Jahre nur überstanden, weil du gelernt hast, nicht über ›Was wäre, wenn‹ nachzudenken.
Eine Bewegung vor ihm holte ihn zurück in die Realität. Der Kellner von vorhin erschien, nicht die hübsche Managerin, wie er enttäuscht feststellte.
»Kann ich Ihnen noch etwas bringen? Wir schließen jetzt für den Nachmittag und öffnen wieder zum Abendessen.« Er legte die Rechnung vor ihn, um seine Aussage zu unterstreichen.
Oreste sah, dass die anderen Tische bereits leer waren und die wenigen verbliebenen Gäste sich zum Gehen bereit machten.
Schließlich sagte er: »Einen Espresso, bitte.«
Der Kellner kam sofort zurück und sagte: »Der geht aufs Haus.«
Oreste sah sich um. Die Managerin war nirgends zu sehen.
Wie schade, ich hätte mich gerne noch ein wenig mit ihr unterhalten, dachte er, als er die heiße schwarze Flüssigkeit mit Zucker süßte, sie in einem Zug hinunterstürzte, ein großzügiges Trinkgeld zur Rechnung addierte und das Restaurant verließ.
Alina beobachtete heimlich von hinter der Theke, wie sich der Gesichtsausdruck des Amerikaners von freundlich und einladend zu düster und zurückweisend veränderte. Sie fragte sich, was in ihm vorging. Sein düsterer Gesichtsausdruck erinnerte sie an ihr eigenes Leid.
Wenn er länger auf der Insel bleibt, wird er sicherlich wieder in mein Restaurant kommen, um die feine Küche zu genießen. Deshalb werde ich mich vorerst nicht mit ›l-Amerikan‹ unterhalten. Ich werde nach Hause gehen und einen Plan aushecken. Und dann, wenn ich ihn wiedersehe, werde ich ihn ausfragen und ihn mir seine Geschichte erzählen lassen. Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, muss dieser Mann viel Leid erfahren haben. Wir sind Seelenverwandte, da bin ich mir ganz sicher!
Dann sah Alina, wie er das Restaurant verließ.
Auch Oreste musste sich einen Plan zurechtlegen, nämlich wie er diesen Herrn Vassallo finden könnte, da seine Absicht, ihn im Restaurant aufzuspüren, gescheitert war. Zunächst beschloss er jedoch, in sein Hotel zu gehen und sich ein wenig auszuruhen. Die große Portion Pasta musste erst verdaut werden, bevor er weitere Nachforschungen anstellen konnte.
Die Dinge laufen gut. Kaum zurück in den südlichen Gefilden meiner Kindheit bin ich schon auf dem besten Weg, das mediterrane Dolce Far Niente zu genießen. Die Zeit vergeht hier spürbar langsamer.
Am späten Nachmittag ging Oreste zur Rezeption, um ein Auto zu mieten. Er entschied sich für ein unauffälliges Modell, einen grauen Toyota Yaris aus dem Jahr 2017, den er schon mehrfach gesehen hatte und der perfekt geeignet war, um das Büro von Vassallo Properties, seiner zweiten Anlaufstelle, zu finden.
Dieser Vassallo scheint mehrere Eisen im Feuer zu haben, dachte Oreste. Ich werde ihn zu dieser späten Stunde wahrscheinlich nicht im Büro antreffen, aber zumindest weiß ich, wie die Gegend aussieht und ob ich mich unbemerkt dem Ziel nähern kann.
Er parkte das Auto am Fuße Victorias, der Hauptstadt der Insel, und ging die Hauptstraße hinauf.
Charlie Vassallos Immobilienbüro befand sich an der Ecke einer Seitenstraße, etwa auf halber Höhe der Allee. In den hell erleuchteten Schaufenstern wurden Häuser und Wohnungen zum Verkauf angeboten. An der Tür hing ein Schild mit der Aufschrift »Geöffnet«, und im Inneren brannten Lichter.
Das ist ausgezeichnet! Ich werde diesen Vassallo davon überzeugen, dass ich ein Haus kaufen will. Er wird mir verschiedene Immobilien zeigen, und ich kann diejenige auswählen, die meinen Zwecken am besten entspricht. Dann werde ich mich mit ihm zu einer zweiten Besichtigung treffen und schwupps! verschwindet er für immer.
Oreste betrat gut gelaunt das Büro und fand zu seiner Überraschung eine Frau allein hinter einem Schreibtisch sitzen. Er schätzte sie auf Mitte vierzig.
Sie sah ihn neugierig mit tiefgrünen Augen und einem einladenden Lächeln an. Ihr langes, trendiges, glänzendes Silberhaar rundete ein gepflegtes Erscheinungsbild ab.
Sie stand von ihrem Stuhl auf und fragte: »Wie kann ich Ihnen helfen, Sir? Mein Name ist Francesca.«
Jetzt musste er improvisieren, aber die Ausrede, dass er auf Haussuche sei, würde auch hier funktionieren.
»Nun«, sagte er, ohne seinen Namen zu nennen, »ich habe im Schaufenster ein Haus gesehen, das meine Aufmerksamkeit erregt hat.«
»Sind Sie Amerikaner?«, fragte sie, aufgrund seines Akzents.
»Nun, ja und nein«, antwortete er beiläufig und lenkte ihre Neugier schnell mit seiner brennenden Frage ab: »Sind Sie die Inhaberin der Agentur?«
»Nein«, antwortete sie. »Der Inhaber ist momentan nicht hier, aber ich kann Ihnen alles zeigen, was Sie sehen möchten.«
Die Haussuche mit Francesca bot ihm die perfekte Gelegenheit, mehr über ihren Chef zu erfahren, der offenbar notorisch abwesend war. Es wäre auch eine gute Gelegenheit, sich über Immobilienpreise und die Art der auf dem Markt angebotenen Häuser zu informieren, falls sich die Idee in seinem Kopf, sich hier zur Ruhe zu setzen, durchsetzen sollte. Es schien, als würde etwas, das lange in ihm vergraben war, wieder zum Leben erwachen.
Francesca verließ ihren Schreibtisch, öffnete die Tür und sagte: »Zeigen Sie mir das Haus, das Ihre Aufmerksamkeit erregt hat.«
Oreste wandte seinen Blick von ihrem sexy Aussehen ab und schaute sich die Bilder im Schaufenster an. Er zeigte auf das Bild einer Villa mit Garten am Rande eines Hügels. Von dort aus konnte man die Felder in einer Senke und das Meer sehen.
»Oh! Das da! Guter Geschmack«, bemerkte Francesca. »Kommen Sie, lassen Sie uns gehen!« Sie sammelte ihre Sachen ein und nahm einen Schlüsselbund mit, dann machten sich die beiden auf den Weg.
Unterwegs erzählte sie ihm: »Die Villa gehört einem ausländischen Ehepaar, das seit Jahren auf der Insel lebt. Jetzt, im Rentenalter, möchten sie zu ihren Kindern nach Schottland ziehen, dem Herkunftsland der Familie. Das Haus ist komplett möbliert und mit allen Annehmlichkeiten ausgestattet, ideal für jemanden, der sich nicht mit langwierigem Möbelsuchen herumschlagen möchte. Es sei denn«, unterbrach Francesca ihre Beschreibung des Hauses, »Ihre Frau möchte alles selbst arrangieren.«
Meine Frau? Heiliger Bimbam. Was soll ich ihr dazu sagen? Das Beste: die Wahrheit, wann immer möglich.
»Keine Frau«, antwortete er etwas trocken.
Ein verschmitztes Grinsen breitete sich auf Francescas Gesicht aus. »Dann scheint diese Villa doch perfekt zu passen!«, schloss sie, und es klang ein bisschen wie ein unterdrücktes Kichern.
Francesca lenkte das Auto nach Süden auf einen dieser unvermeidlichen Hügel. Schließlich bog sie um eine steile Kurve und parkte.
»Da ist es«, sagte sie.
Ein Fußgängerweg verlief entlang der Straße und den Parkbuchten. In regelmäßigen Abständen waren Olivenbäume gepflanzt, die sich mit farbenfrohen, blühenden Oleandern abwechselten. Bänke unter den Bäumen luden zum Verweilen ein.
In seiner Vorstellung sah Oreste sich dort sitzen und beobachten, wie die orangerot leuchtende Sonne langsam im schimmernden Meer versank, nachdem er den ganzen Tag gefischt oder im Garten gearbeitet hatte. Dann würde für kurze Zeit die blaugraue Dämmerung einsetzen, und er würde ins Haus zu seiner Familie gehen und, nachdem die Kinder ins Bett gebracht worden waren, draußen auf der Terrasse sitzen und mit seiner Frau ein Glas Wein trinken.
Es war Francesca, die ihn aus seinen Gedanken riss. »Sir?«
Als sein Tagtraum vor seinen Augen zerfloss und der Realität Platz machte, sah Oreste die Beleuchtung der Straße und das Schimmern der Scheinwerfer der Autos, die den Hügel hinauffuhren. Der Blick auf das Tal wurde von einer pechschwarzen mediterranen Nacht verdeckt, da es keinen Mond gab.
»Ricardo«, sagte er, drehte sich um und riss sich von seinen Fantasien los.
Francesca schien erfreut, endlich seinen Namen zu kennen.
»Ricardo«, hauchte sie mit ihrer rauchigen Stimme, »freut mich, Sie kennenzulernen«, sagte sie neckisch.
Sie drehten sich um und gingen auf ein schwarzes schmiedeeisernes Tor zu, das in die umgebende weiße Backsteinmauer eingelassen war. Soweit sie es in der Dunkelheit erkennen konnten, sah alles sauber und sichtlich gepflegt aus.
Francesca öffnete das Tor. Sie traten ein, und hinter der Mauer kamen ein perfekt quadratisches, weiß gestrichenes Haus und ein üppiger Garten mit einem gepflegten Rasen und vielen Sträuchern und Blumen in Sicht. Der Rand des Gartens war von Bäumen gesäumt.
»Sie haben einen Gärtner, der sich um alles kümmert«, versicherte Francesca ihm. »Dieser Gärtner wird auch für Sie arbeiten, sollten Sie sich entscheiden, die Immobilie zu kaufen«, fuhr sie fort, während sie die Tür des Hauses öffnete und sie eintraten.
Francesca schaltete das Licht ein, und ein wunderschön eingerichteter Flur wurde sofort von Licht aus der Decke durchflutet, die eine Art mit Fenstern durchsetzte, rechteckige Pagode war. Alle Räume gingen von dieser Halle ab. Francesca öffnete die erste Tür auf der linken Seite der Halle. Dahinter befand sich eine luxuriöse Gästetoilette mit allen Annehmlichkeiten. Der nächste Raum beherbergte ein kleines Büro mit echten alten Möbeln und einem schweren Schreibtisch, dessen Platte mit dickem dunkelgrünem Leder bezogen war. Die Wände waren voller Bücherregale, in denen eine ganze Bibliothek Platz fand. Der Raum war mit indirekter Beleuchtung ausgeleuchtet und wirkte sehr authentisch.
»Der Eigentümer ist Anwalt«, erklärte Francesca. »Die Bücher behandeln die Geschichte Maltas bis zum Mittelalter und enthalten Urkunden und Verhandlungen. Sie sind sehr wertvoll. Sie kommen in die öffentliche Bibliothek in Valletta. Er hat sie gespendet. Wenn Sie die Villa kaufen, werde ich dafür sorgen, dass die Bücher abgeholt werden.«
»Schade, dass die Bücher nicht hierbleiben. Ich hätte sie gerne studiert.«
»Sind Sie auch Anwalt?«
»Nicht ganz, nein, aber etwas Ähnliches«, antwortete er abwesend.
Francesca wollte ihm gerade eine weitere Frage stellen, als er sich aufmachte, um den nächsten Raum auf der linken Seite zu erkunden. Es war ein gemütliches Wohnzimmer mit Kamin, das an das Esszimmer und die Küche angrenzte. Von der Küche aus hatte man Zugang zu einer großen Außenterrasse.
Francesca führte ihn weiter. Auf der rechten Seite des Flurs befanden sich zwei Schlafzimmer – beide mit eigenem Bad und Ausgang zu den Außenterrassen, die die gesamte Rückseite umgaben und Zutritt zum Pool und zum Garten weiter unten boten.
Nachdem Francesca und Oreste das gesamte Anwesen besichtigt hatten, führte sie ihn zurück ins Wohnzimmer, schenkte Whiskey in zwei Gläser und reichte ihm eines davon.
»Prost«, sagte sie, und er erwiderte den Toast.
Francesca lächelte ihn besonders provokativ an, als wollte sie sagen: Komm her, oder traust du dich nicht?
Oreste kippte seinen Whiskey hinunter und sie schenkte ihm sofort noch einen ein. Er sah ihr direkt in die Augen.
Sie schaute frech zurück, und in diesem Moment wurde ihnen klar, dass sie auf derselben Wellenlänge waren. Es bedurfte nicht vieler Worte. Sie wussten, was sie wollten. Sie stürzten sich mit derselben intensiven Begierde aufeinander und landeten schließlich auf dem weichen Teppich vor dem Kamin.
Das hatte nichts mit Orestes Mission zu tun. Ihre glatte Haut zu berühren und zu spüren, wie ihre zarten Hände über seinen Körper glitten, war das pure Vergnügen.
Nachdem sie sich geliebt hatten, lagen sie eine Weile eng aneinander gekuschelt da.
Francesca sprach als Erste. »Es ist Zeit zu gehen, aber zuerst duschen wir zusammen«, sagte sie. Sie führte ihn zurück in das schöne und geräumige Badezimmer des Hauptschlafzimmers, zog ihn unter die Dusche und ließ das warme Wasser über sie laufen. Sie liebten sich noch einmal, schnell und leidenschaftlich.
Zurück im Büro fragte Francesca ihn, ob ihm das Haus gefallen habe.
»Ja«, antwortete er, »sehr sogar.«
»Der Preis«, fuhr sie fort, »ist sehr angemessen. Wenn du ein Angebot machen möchtest, komm wieder.«
Oreste dankte ihr mit Worten dafür, dass sie ihm das Haus gezeigt hatte; mit seinen Augen dankte er ihr für ihre unerwartete Begegnung; in ihren Augen sah er ein verschmitztes Funkeln.
Am nächsten Morgen wachte Oreste auf und stellte fest, dass er Charlie Vassallo keinen Schritt nähergekommen war. Entgegen seiner Hoffnung hatte Francesca kein Wort über ihn verloren, und er wollte keine Aufmerksamkeit auf sich lenken, indem er Fragen stellte. Die Erinnerung an ihr spontanes Tête-à-Tête machte ihn nervös.
Um Himmels willen! Wie konnte ich nur so auf mich aufmerksam machen, dachte er mit zusammengebissenen Zähnen. Mein Verhalten war alles andere als professionell, und ich kann nur hoffen, diesen Auftrag so schnell wie möglich zu erledigen und sofort die Insel zu verlassen. Ich möchte ein neues Leben, weit weg von all dem. Ich möchte mich von den Fesseln meiner Vergangenheit befreien und endlich das erreichen, was Lucia und ich uns vorgenommen hatten.
Wütend stand er auf und ging duschen. Beim Rasieren schnitt er sich versehentlich; seine Hände zitterten, wahrscheinlich wegen des ungewohnten Alkohols. Leise fluchend drückte er ein Stück Toilettenpapier auf die Wunde und ging nach unten zum Frühstück.
Während er mit seinem Kaffee dasaß und immer noch wütend auf sich selbst war, dachte er über die nächsten Schritte nach, die er unternehmen musste, um seinen Auftrag zu erledigen und danach zu verschwinden.
Seinen Informationen zufolge besaß Charlie Vassallo neben dem Restaurant und Immobiliengeschäft eine Bar im Hafenviertel, war Amateurschütze und trainierte regelmäßig auf dem örtlichen Schießstand.
Es ist noch zu früh, um in die Bar zu gehen, das hebe ich mir für später auf, aber der Schützenverein ist zweifellos ein ausgezeichneter Ort, um an einem Samstagmorgen Nachforschungen anzustellen. Vielleicht habe ich Glück und sehe endlich diesen Vassallo.
Da kaum Verkehr herrschte, fuhr er langsam und betrachtete die hügelige Landschaft. Die Straße führte ihn hinunter ins Flachland. Grüne Felder, weitere Hügel mit Dörfern darauf und das blaue Meer waren von fast überall zu sehen. Das Wetter war trotz einiger Wolken und etwas Wind angenehm warm. Oreste kam zu dem Schluss, dass diese Insel ein ausgezeichneter Ort für ein ruhiges Leben war.
Und unerwartet stand er vor einer Absperrung. Die Hauptstraße zum Schießgelände war wegen Bauarbeiten gesperrt. Die Karte auf seinem Handy zeigte, dass der Club auch über einen Feldweg zu erreichen war. Spontan parkte er das Auto und ging zu Fuß den schmalen Weg entlang. Zunächst sah er nur Wiesen vor sich, doch dann entdeckte er links einen abfallenden Hang und auf der anderen Seite des Tals einen wieder ansteigenden.
Oreste machte sich auf den Weg. Unterwegs hörte er das Plätschern von Wasser, das in kleinen Rinnen zu beiden Seiten des Weges den Hang hinunterfloss. Überall blühten Jasminsträucher und Orangenbäume. Er blieb stehen und atmete tief ein, um die Sonne auf seinem Gesicht und die duftende Luft zu genießen, bevor er weiter in Richtung Tal ging, eine breite asphaltierte Straße überquerte und den steilen Weg auf der anderen Seite hinaufstieg.
Der Aufstieg war anstrengend, und als er die Hälfte geschafft hatte, war Oreste trotz der leichten Brise außer Atem und verschwitzt. Seine Kleidung war zu warm für diese Anstrengung. Er ging weiter und entdeckte ein Schild, das zum Club wies. Fast da!
Als er das Plateau erreichte, war er beeindruckt. Der Blick auf das Meer von hier oben war großartig. Das Wasser war unglaublich blau, mit weißen Schaumkronen. Und es lag immer noch der frische Duft der Landschaft in der Luft. Und wieder waren das Blau des Meeres, das Grün des Grases und die typischen honigfarbenen Steine, die die markanten Farben dieser Inseln ausmachten, einfach wunderschön.
Oreste betrat die Bar des Clubs und ging zur erhöhten Aussichtsplattform für Besucher und Gäste der Mitglieder. Der gesamte Barbereich war gut gesichert und streng vom Schießstand getrennt, mit kugelsicherem Glas rundherum, damit die Zuschauer nicht Gefahr liefen, versehentlich von einem Querschläger getroffen zu werden.
Von dem Tisch, den er sich ausgesucht hatte, konnte er zwei Personen beim Üben beobachten. Beide trugen Jagdkleidung. Oreste konnte ihre Gesichter nicht sehen; er sah sie nur von hinten, aber er konnte die Ergebnisse sehen, die von beiden beeindruckend waren. Sie schossen auf bewegliche Ziele, und kaum eine Kugel verfehlte ihr Ziel. Oreste wusste, wovon er sprach. Er hatte von klein auf ein umfangreiches Schießtraining von den Besten seines Clans erhalten.
Der Barkeeper kam herüber und fragte ihn, ob er etwas trinken wolle. Oreste bestellte eine kleine Flasche Wasser und einen Whiskey. Dann erwähnte er gegenüber dem Barkeeper, dass die beiden, die er auf dem Schießstand beobachtete, gut waren, in der Hoffnung, dass der Mann ihre Namen nennen und einer von ihnen Charlie sein würde.
»Ja, sie sind unsere lokalen Stars«, verriet der Mann mit dem Namensschild »Joey«. »Nächstes Wochenende findet ein Schießwettbewerb statt. Sie trainieren dafür. Der Besitzer, Charles Vassallo, sorgt dafür, dass der Parcours internationalen Standards entspricht, und viele Ausländer nehmen daran teil.«
Aha, hier haben wir Charles Vassallo, den Besitzer dieses Clubs, neben all seinen anderen Einrichtungen, aber Oreste sagte nichts.
Joey fuhr fort: »Kommen Sie zum Turnier, wenn Sie sich für das Schießen interessieren. Ich kann Ihnen einen Tisch reservieren. Ich bin hier der Pächter.«
»Danke«, antwortete Oreste. »Ich werde darüber nachdenken.« Er bezahlte seinen Drink und wollte die Schützen weiter beobachten, aber das Schießen hatte aufgehört. Es war also keiner von ihnen Charles Vassallo, sonst hätte Joey das gesagt.
Oreste trank seinen Whiskey aus und wollte gerade den Club verlassen, als er jemanden vom Schießstand auf die Bar zukommen sah.
Mit der Cargohose in Tarnfarben und der Baseballkappe war von Weitem nicht zu erkennen, dass einer der beiden eine Frau war, aber jetzt konnte er es sehen.
Mit ihrer Waffe ordnungsgemäß in der Hülle über der rechten Schulter hängend, rief sie dem Barkeeper zu: »Joey, birra, jekk joghgbok«, und verschwand im Bad.
Ihre rauchige Stimme ließ Oreste zusammenzucken. Francesca! Er wollte auf gar keinen Fall, dass sie ihn sah. Und er wollte nicht, dass Joey wusste, dass er Francesca kannte. Oreste überlegte, sich davonzuschleichen, während sie noch im Bad war, aber dafür musste er an der Toilettentür vorbei. Wenn Francesca herauskam, während er versuchte zu fliehen, würden sie unweigerlich aufeinandertreffen.
Oreste schlug das Herz plötzlich bis zum Hals. Er sah sich nach einer Ecke um, in der er nicht gesehen werden würde, oder nach einer Zeitung, hinter der er sich verstecken könnte, aber er fand nichts, um seine Anwesenheit zu vertuschen. Also blieb er an seinem Tisch sitzen, starrte tief in sein Glas und hoffte, dass sein altes Talent, sich unsichtbar zu machen, wieder funktionieren und sie ihn nicht bemerken würde.
Als Francesca aus der Toilette zurückkam, fand sie ihr Bier auf dem Tresen vor.
»Danke«, sagte sie zu Joey. »Mein Mann und ich waren heute gut in Form und sind gut vorbereitet für das Turnier am nächsten Wochenende.«
Mann? Sie hatte einen Mann? Francesca hatte ihm nicht erzählt, dass sie verheiratet war, und Oreste hatte keinen Ring an ihrem Finger gesehen. Was, wenn er die beiden zusammen getroffen hätte? Das Letzte, was er brauchte, war ein Skandal.
Joey sagte etwas zu Francesca, das Oreste nicht hören konnte, und zeigte in seine Richtung. Francesca drehte sich um.
Sie erkannte ihn sofort, grinste breit, trank dann ihr Bier in einem Zug aus, bezahlte und sagte zu Joey mit ihrer unverkennbaren rauchigen Stimme: »Ich muss gehen, mein Mann wartet draußen«, und verließ die Bar.
Nach seiner Begegnung auf dem Schießstand war Oreste zutiefst erschüttert. Seine Arbeit bestand darin, nicht aufzufallen und vor allem keine offensichtliche Verbindung zwischen sich und seinen Opfern herzustellen.
Die meisten Morde wurden aufgrund der Verbindung des Täters zum Opfer aufgedeckt. Ohne diese Verbindung war es fast unmöglich, einen Auftragskiller aufzuspüren.
Für Oreste waren die Aufträge lediglich ein Mittel zum Broterwerb, nichts weiter, eine Verbindung zum Zielobjekt war nicht vorgesehen.
Seine Aufgabe bestand darin, Hindernisse für seine Auftraggeber aus dem Weg zu räumen. Diese Hindernisse waren in der Regel Personen, die sich auf die eine oder andere Weise den Chefs widersetzt hatten. Nach dem guten alten Motto ›Und wenn du nicht willig, so brauch ich Gewalt‹ führte die Auslöschung derjenigen, die sich nicht fügten, in der Regel zur Unterwerfung des restlichen Clans.
Bislang hatte er so diskret gearbeitet, dass keine Datenbank der Welt seine Fingerabdrücke mit einem Verbrechen in Verbindung bringen konnte, denn er war niemand, der Freude daran hatte, zu foltern oder zu töten, noch schwelgte er im Leiden seiner Opfer, und er empfand keine sexuelle Befriedigung dabei, seine Aufträge auszuführen. Tatsächlich verabscheute er diejenigen, die sich am Schmerz anderer weideten.
Er schaute in den Rückspiegel seines Autos und sprach zu sich: »Ich habe es wirklich vermasselt. Ich habe mit einer Frau geschlafen, die mit meinem Zielobjekt in Verbindung steht, und jetzt laufe ich mit einem Stück Toilettenpapier im Gesicht herum.«
Er begann, das Papier abzureißen, überlegte es sich dann aber anders. Wenn er es einfach abriss, würde die Wunde sicherlich wieder zu bluten beginnen. Also befeuchtete er seinen Zeigefinger mit Speichel und begann vorsichtig, das Toilettenpapier aufzuweichen. Wenn Lucia ihn so sehen könnte, würde sie sich kaputtlachen. Und seine Chefs würden ihm für solch unprofessionelles Verhalten eine Kugel in den Kopf jagen.
Ich habe Mist gebaut? Scheiß drauf! Ich will nicht weiter darüber nachdenken! Ich werde ein schönes Mittagessen genießen und danach ein Nickerchen machen, bis es Zeit ist, in die Bar zu gehen.
Während des Essens kehrten seine Gedanken zu der Information zurück, dass Francesca einen Ehemann hatte. Verwirrt schüttelte er den Kopf. Am Abend zuvor hatten sie ungehemmt Spaß miteinander gehabt, und nun, am nächsten Morgen, tauchte sie mit ihrem Mann zum Schießtraining auf, und es schien, als wären sie ein gutes Team.
Betrügt sie ihren Mann? Oreste runzelte die Stirn und grübelte. Oder führen sie eine offene Ehe und gönnen sich gelegentlich ein Abenteuer mit Fremden, um das Ganze aufzupeppen?
Was weiß ich schon über die Ehe? Meine eigene hat nur so kurz gedauert. Und außerdem ist es mir eigentlich egal. Ich habe davon profitiert, auch wenn es völlig unprofessionell war.
Die Beleuchtung der Straßen und der unzähligen Bars und Restaurants rund um den Hafen, wo sein nächster Besuch stattfinden würde, tauchte die Umgebung in ein sanftes Orange. Die bunten Boote, die vor dem Steg an den Ankerbojen festgemacht waren, schaukelten leicht auf dem Wasser. Ein paar Angler saßen auf den Pollern und warfen ihre Angeln aus.
Oreste stand da und beobachtete die Szene. Für ihn bedeutete Angeln ein Gefühl der Ruhe – etwas, das er als Kind geschätzt hatte, als er Zeit mit seinem Großvater oder Victor verbrachte. Es weckte Erinnerungen an die Zeit ›vorher‹, bevor er in die Familienangelegenheiten verwickelt wurde. Danach war nichts mehr wie zuvor. Jeder Aspekt seines Lebens wurde geopfert, um den Anforderungen der Cosa Nostra gerecht zu werden.
Oreste ging die Straße entlang, konnte die Bar jedoch nicht finden. Schließlich fragte er einen der Fischer, wo Charlie's Inn sei.
Der Mann sagte ihm, er solle eine kleine Gasse hinaufgehen, die Oreste übersehen hatte. Dann sei es der zweite Eingang auf der linken Seite im ersten Stock.
Er ging die Straße weiter entlang und fand schließlich den Ort. Nachdem er die steilen Treppen hinaufgestiegen war, stand er vor dicken Vorhängen, hinter denen er leise Musik hören konnte. Er öffnete die Vorhänge und spähte hinein. Hier und da schien ein schwaches Licht von einer Lampe und die Glasregale hinter der Bar zu seiner Linken waren
