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Tödliche Verheissung
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eBook361 Seiten4 Stunden

Tödliche Verheissung

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Über dieses E-Book

Der Mord an einem jungen Pärchen sollte nur der Anfang einer mysteriösen Serie sein. Einem grausamen Stillleben gleich wurden sie auf den Jagdsitz am "Galgenhügel" drapiert. Ausgerechnet an diesem unheimlichen Ort, der für die Einwohner Steintals mit einer düsteren Legende aus der Zeit der Hexenverbrennungen verbunden ist. Doch das soll nicht die einzige Spur sein, die in die Vergangenheit weist. Vier Kriegskameraden schworen sich 1945, Stillschweigen über die Ereignisse der letzten Tage zu bewahren. Nun scheinen auch sie auf der Liste des Täters zu stehen.
SpracheDeutsch
HerausgeberSWB Media Publishing
Erscheinungsdatum20. Sept. 2014
ISBN9783945769829
Tödliche Verheissung
Autor

Markus Theisen

Markus Theisen, Jahrgang 1968, lebt mit seiner Familie in Mendig am Laacher See. „Am Ende lacht nur der Tod“ ist bereits sein vierter Eifelkrimi.

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    Buchvorschau

    Tödliche Verheissung - Markus Theisen

    Kapitel 1

    »Foul, das war ein Foul! Schiri, der gehört sofort runter vom Feld!« Ein schriller Pfiff durchschnitt am Samstag, den 16.April 1988, ziemlich genau um 21:43 Uhr, die von lautem Gebrüll der mitgereisten Steintaler Fans erfüllte stickige Luft in der Königswalder Sporthalle. Wieder einmal tobte förmlich der Bär bei diesem an Brisanz kaum noch zu überbietenden Lokalderby in der Handball-Liga »Nette-Meienfeld« zwischen dem SV Königswald und dem TV Rot-Weiß Steintal. Mitten in der Ausholbewegung hatte eben ein Abwehrspieler der Heimmannschaft einem im Sprung befindlichen Gegenspieler in dessen Wurfarm gegriffen. Der Steintaler Angreifer kam daraufhin unweigerlich ins Trudeln und landete ziemlich unsanft auf dem harten Hallenboden. Die Halle glich einem wahren Tollhaus, in dem die Zuschauer beider Lager bereits seit Beginn der zweiten Hälfte nichts mehr auf ihren Sitzen hielt. Da eine echte Zuschauertribüne in dieser kleinen Halle fehlte, wurden stattdessen bei sämtlichen Heimspielen einfache Holzbänke an der linken Spielfeldseite aufgebaut. Auf der gegenüberliegen Seite platzierten sich in einem Abstand von geschätzten 15 Metern die gegnerischen Teams mit ihren Betreuern. Nur mit größter Anstrengung gelang es den vier vom Handballverband Rheinland abkommandierten Ordnungskräften, die tobenden Fans im Zaum, das hieß hinter der Spielfeldbegrenzung zu halten. Die Arme hochreißend und wie verrückt vor Freude schreiend, wenn das eigene Team getroffen hatte, und konsterniert die Hände vor die Augen haltend, wenn man ein Tor kassiert hatte. Hüben wie drüben dass gleiche Bild. Und jetzt, kurz vor Spielende, dieses grobe Einsteigen! Es waren nur noch neun Sekunden zu spielen und der Spielstand lautete 28:28. »Unentschieden« war das Resultat, womit hier eigentlich niemand so recht zufrieden war.

    »Gegen DIE zählt nur der Sieg.« Diese Lebensregel bekamen bereits die Säuglinge mit der Muttermilch verabreicht. Mussten die Teams für Partien gegen andere Gegner von den Trainern vorher noch mental eingestellt werden, so war dies bei diesem Lokalderby absolut nicht notwendig. Ganz egal welchem Verein man angehörte und auch wenn alle anderen Spiele in der laufenden Saison verloren gehen sollten, ein Sieg gegen den ungeliebten Rivalen kam sowieso einer Meisterschaft gleich und hatte seit jeher den höchsten Stellenwert in beiden Orten. Das war bereits kurz nach dem letzten Krieg so, als Handball noch im Freien gespielt wurde. Quasi von Generation zu Generation wurde diese Eigenart weitervererbt und fand nun seit gut 15 Jahren in den Hallen ihre glorreiche Fortsetzung.

    Zwar nicht mehr so krass, wie einmal in den frühen Fünfzigern geschehen, wo nach dem Spiel eine Art Massenschlägerei unter Zuschauern, Betreuern und Spielern ausbrach. An den eigentlichen Grund für die Keilerei kann sich heute niemand mehr so genau erinnern. Das Einzige, was darüber in diversen Akten verzeichnet wurde, war, dass anschließend 46 Leute ins neue städtische Krankenhaus von St. Josef gebracht wurden, um sich ihre mehr oder weniger heftigen Verletzungen verarzten zu lassen.

    Durch diese enorme Rivalität zwischen Königswald und Steintal war das Spiel vom Anpfiff an natürlich hart umkämpft und selbst kleinste Vergehen wurden sofort lautstark vom Publikum mit entsprechenden Äußerungen bedacht. Angestachelt von diesen Emotionen, gingen die meisten Spieler der beiden Teams recht rabiat zu Werke. Daher war es heute doch sehr verwunderlich, dass bis auf Steintals 42-jähriges Urgestein Harry Schmitz, welcher extra aus Spielermangel für diesen Fight reaktiviert worden war, noch kein Ausfall beklagt werden musste. Harry, der mit seiner dünnen Matte eher wie ein Fossil der Hippiegeneration als Erhard Wunderlichs unbekannter Zwilling wirkte, fungierte fleißig in der Rolle des Kreisläufers. Doch Mitte der ersten Halbzeit hatte er in einem Gerangel nach dem Ball einen Schlag auf seine Wurfhand abbekommen, sodass er seitdem, seinen gestauchten Ringfinger mit einem Eisbeutel kühlend, dem Trainer seine mehr oder weniger konstruktiven Ratschläge ins Ohr brüllte. Das Schiedsrichtergespann aus Burgstadt hatte nun alle Hände voll zu tun und seine liebe Not, dass ihnen die Partie so kurz vor dem Ende nicht noch aus den Händen glitt. Sie nickten sich kurz zu, verwiesen den Übeltäter zur Bestrafung für seine rüde Aktion mit einer Zwei-Minuten Strafe des Feldes und zeigten anschließend unmissverständlich auf den Siebenmeterpunkt. Was sollten sie auch anderes machen, denn schließlich wurde der Steintaler direkt am Wurfkreis gefoult. Der untersetzte, bullige Verteidiger verließ darauf mit hochrotem Kopf und in tiefstem Dialekt vor sich hin lamentierend das Feld.

    »Ich werfe den«, zischte Bernd Andernach, Steintals Nummer 9, seinem um fünf Jahre jüngeren Mannschaftskameraden Frank Wolf energisch zu.

    »Du hast doch schon zwei versaubeutelt, jetzt versuch ich mein Glück«, entgegnete der 18-Jährige fordernd. Beide bückten sich nach dem runden Leder, und obwohl Wolf seine Hand zuerst am Spielgerät hatte, entriss Andernach ihm die graue Kugel.

    »Ich mach’s und sonst niemand. Du willst dich doch bloß vor deinem Anhang profilieren.« Er wies verächtlich mit seiner Nase in Richtung der Zuschauer, worunter sich auch Franks Mutter Vera mit ihrem neuen Macker befand. »Und außerdem weiß ich jetzt ganz genau, wie ich den Torhüter überlisten kann«, fügte er wieder zu seinem Mitspieler blickend hinzu. Auf dessen zynisches »das hoffe ich für dich« reagierte Andernach bereits nicht mehr. Der selbstgekrönte Schütze bewegte sich bereits getragenen Schrittes zum Ort des Geschehens. Wie Henry Fonda, nur ohne das typische Mundharmonika-Gedudel, fixierte er dabei mit leicht zugekniffenen Augen den gegnerischen Schlussmann. Dann positionierte er sich an der Strafwurf-Markierung und wischte die schweißnassen Hände an seinem blutroten Trikot ab. Der in orange-schwarzem Trainingsanzug gekleidete, hünenhafte Torhüter hüpfte wie ein Hampelmann einen Meter vor seinem Gehäuse auf und ab. Doch unvermittelt hielt er inne und blieb mit ausgebreiteten Armen in Erwartung des Wurfes stehen.

    »Wenn ich den versenke, feiern sie mich!« Nur dieser eine Gedanke schwirrte durch Bernds Gehirn. Er konzentrierte sich und blickte kurz zur Seite. Und obwohl die Oberlichter in der Halle wegen des Lärms der Zuschauer kurz vor dem Bersten waren, hörte er das Gebrüll in diesen Augenblicken nur ganz weit entfernt, so als stünde er hinter einer dicken Mauer.

    Der Feldschiedsrichter erteilte die Freigabe zur Ausführung des Wurfs. Binnen Millisekunden war es totenstill in der Königswalder Halle und der Schütze nahm den Ball in seine rechte Hand. Auge in Auge standen sich die Sportler nun für einen kurzen Moment völliger Anspannung gegenüber. In Andernachs Kopf drehten sich die Rädchen wie irre: »Komm schon, der muss sitzen, der muss sitzen! Wohin werf’ ich am besten?«

    Ihm war so, als würde das Tor immer kleiner und die Arme seines Gegenübers hätten die unüberwindbare Länge von Bahnschranken angenommen. »Was mach ich, was mach ich – ich habs, ist riskant, aber klappt bestimmt!« All seine Kraft, die er noch mobilisieren konnte, legte er in diesen einen, vielleicht spielentscheidenden Wurf. Die Nummer 9 holte aus und zog volle Kanne ab. Ein wahnsinniger Einschlag folgte und nur wenig später lag der Torhüter mit blutüberströmtem Gesicht im Netz. Andernach hatte nicht das Tor getroffen, sondern dem armen Königswalder Schlussmann den Ball mitten auf dessen Nase gezimmert. Und ohne Chance zur Abwehr des Geschosses fiel der Riese wie ein nasser Sack um. Direkt im Anschluss pfiffen die Schiedsrichter das Spiel ab. Was nun folgte, waren tumultartige Zustände, in denen trotz des heldenhaften Einsatzes der überforderten Ordnungskräfte die meisten Zuschauer, Trainer und Betreuer auf den Schützen zustürmten. Die einen um ihn zu verteidigen, die anderen um ihn zu verprügeln.

    »Mensch, habt ihr das gesehen. Der hat sie doch nicht mehr alle!« Frank Wolf hielt sich genau wie sein Anhang aus dem Getümmel raus und stand nun bei ihnen an der Seitenlinie. Kopfschüttelnd blickten die drei hinüber zum Getümmel. »Da gehe ich zum ersten Mal zum Handball und schon bekomme ich richtig was geboten. Ist das eigentlich immer so?«, frotzelte der Freund von Franks Mutter. Er erntete damit von beiden nur ein süffisantes Lächeln. Allmählich besonnen sich die erhitzten Gemüter auf der Spielfläche und der enorme Geräuschpegel ebbte langsam ab. Der verletzte Torhüter wurde inzwischen von einigen Teamkollegen aus der Halle getragen und ins Krankenhaus nach St. Josef gefahren. Auch der strohblonde Strafwurfversemmler mit dem markanten eckigen Gesicht war nicht mehr in der Sportarena auszumachen. »Ist vielleicht gesünder für ihn!«, unkte Frank sarkastisch. Kurz darauf verabschiedete er sich fix mit der Bemerkung »ich übernachte heute bei Tanja« und entschwand durch die hinter dem rechten Tor befindliche Tür zu den Duschen. Schließlich wollte er mit einigen Mannschaftskollegen direkt nach dem Spiel zum diesjährigen Junggesellenfest nach Steintal, wo natürlich ordentlich abgefeiert werden sollte. Doch noch viel entscheidender war für ihn die Tatsache, dort seine aus dem Ort stammende Freundin zu treffen, die er bereits seit einer Woche nicht mehr gesehen hatte.

    Auch Vera und ihr Liebster machten sich nun Hand in Hand von dannen. Sie verließen die Halle durch die sperrangelweit offen stehende, zweigeteilte Ausgangstür und gelangten dann ins Foyer, welches unter anderem eine Theke mit Bierzapfanlage sowie eine kleine Kochnische beherbergte. Hier standen in von wabernden Bratwurstschwaden und Zigarettenqualm getrübtem gelbem Licht noch immer zahlreiche Königswalder und diskutierten lautstark über die Partie. Sie unterhielten sich zwar allesamt in ihrem ortsüblichen Dialekt, aber auch für auswärtige Ohren war eindeutig zu verstehen, dass ihnen das »Gemetzel« kurz vor Schluss und das Endergebnis »verdammt nochmal« nicht behagten.

    »Von einer Dunstabzugshaube haben die hier auch noch nix gehört«, murmelte Vera naserümpfend leise vor sich hin und atmete tief durch, als die beiden schließlich das Freie erreicht hatten. Die klare, frische Luft durchströmte sogleich ihre Lungen. Auf dem von einer altersschwachen Laterne spärlich erhellten, unbefestigten Parkplatz vor der Halle stand inzwischen nur noch der dunkelblaue Kombi von Veras Freund. Mehr stolpernd als gehend hangelte sich das Pärchen vorsichtig zum Wagen und stieg ein. Sie hatten sich kaum gesetzt, da drehte er sich nach rechts zu seiner Freundin um und strich mit seinen Fingern sanft durch die vorderen Strähnen ihrer glatten, blonden Haare, die wie ein eleganter Bilderrahmen ihr jugendliches Gesicht umgaben. »So, und was fangen wir noch mit diesem angebrochenen Abend an?«, fragte er leise und küsste sie auf ihren Mund.

    »Ich hätte da schon eine Idee«, hauchte sie geheimnisvoll und fügte dann noch »stellt sich nur die Frage, fahren zu dir oder zu mir« hinzu. Er fasste ihre kühlen Hände und wärmte sie. Dann sagte er leise mit einem Augenzwinkern: »Hmm, ich habe dir meine Briefmarkensammlung überhaupt noch nicht gezeigt – und angesichts der Tatsache, dass wir morgen früh um zehn am Rhein laufen wollen …«

    Am morgigen Sonntag sollte der diesjährige 10-Kilometer-Volkslauf steigen, welcher vom örtlichen Leichtathletik-Verein der LG Rhein-Burgstadt bereits zum neunten Male unter großem Teilnehmerzuspruch ausgerichtet wurde. Sowohl Vera als auch ihr neuer Spielgefährte joggten gerne nach Feierabend durch die Auen und so hatten sie sich schon vor Tagen, wie 700 weitere Laufbegeisterte, zu diesem Ereignis angemeldet. Kennengelernt hatten sich die zwei, wie konnte es auch anders sein, beim allsonntäglichen Lauftreff in Burgstadts Stadtwald. Sie lief bereits seit drei Jahren in dieser Gruppe, zu der sich dann vor acht Wochen auch dieser gutaussehende, schlanke, geile Typ mit den grau melierten nackenlangen Haaren hinzugesellt hatte. Und auch der neue Mitläufer war sofort, als er Vera in ihren hautengen Sportsachen erblickt hatte, Feuer und Flamme. Denn die blonde, zierliche Frau mit dem knackigen Po und der umwerfenden Oberweite, von ihren faszinierenden, blaugrauen Augen und dem einnehmenden Lächeln ganz zu schweigen, stach ihm sofort ins Auge. Zwischen ihnen war es sozusagen wie Liebe auf den ersten Blick. Wenn es auch zugegebenermaßen beim ersten Sehen eher die Verliebtheit in den Körper des anderen war, welche den unbändigen Reiz auslöste, diesen näher entdecken zu wollen.

    »So so, wollen wir?«, antwortete Vera und hatte dabei dieses gewisse neckische Funkeln in ihren Augen.

    »Na, so ein wenig körperliche Ertüchtigung wäre doch nicht schlecht, oder?«, entgegnete er wie aus der Pistole geschossen. Daraufhin lächelte Vera und erwiderte seinen Kuss. Währenddessen streichelte er mit seiner Linken ihren Nacken, so wie sie es gerne hatte. In gespannter Erwartung darauf, was die Nacht noch bringen mag, flüsterte sie: »Ja wenn das sooo ist, dann holen wir nur noch meine Sportsachen bei mir zuhause ab.«

    Wie frischverliebte Teenager turtelten die 38-Jährige und ihr elf Jahre älterer Freund noch eine ganze Weile in seinem BMW herum. Und nach einem langen, innigen Kuss, bei dem ihre Zungen nahezu oscarreife Hauptrollen spielten, fuhren sie zunächst wie besprochen nach Pollenfeld zu Veras kleinem Häuschen, um ihre Laufklamotten mitzunehmen, und dann weiter gen Burgstadt zu seiner Wohnung. Die einzige Verbindung der beiden Orte war eine kurvenreiche Landstraße, die quer über das dunkle Meienfeld verlief und neben Steintal auch durch die Dörfer Orschelding, Mertlisch, Sürsch, Drembs sowie Bussenheim führte. Während dieser schier endlosen Kutschiererei, wie er leicht genervt bei sich dachte, erzählte Vera vom Leben mit ihrem Sohn. Dabei prasselten ihre Worte auf ihn ein, wie ein reißender Wasserfall auf Fels. Da der Fahrer, unabhängig von seinem Gesprächspartner, diese Art der Dauerbeschallung nicht gut abkonnte, hatte er schon nach den ersten Sätzen seine Ohren auf Durchzug gestellt. Und um nicht unhöflich zu wirken, warf er ihr sicherheitshalber hier und da ein kurzes »Ahha« oder »Soso«, begleitet von erstaunt wirkenden Blicken zu. Hätte sie den Braten gerochen und ihn zum Wiederholen ihres letzten Satzes aufgefordert – keine Chance. Doch zum Glück für ihn kannte Vera seine Marotten noch nicht. Die recht einseitige Unterhaltung nahm so ihren Lauf, bis sie unvermittelt auf den tragischen Tod von Stefan Miller, dem Vater von Franks Freundin zu sprechen kam: »Die Familie betreibt schon seit Jahrzehnten in Steintal eine Gärtnerei und wie in der Vergangenheit, so war Tanjas Vater auch letztes Jahr kurz vor Allerheiligen wieder damit beschäftigt, einige Gräber auf dem örtlichen Friedhof für diesen Feiertag herzurichten.«

    »Ach, das war die Geschichte mit dem Erdbeben. Ich hab davon in der Zeitung gelesen. Ja, war wirklich tragisch«, entgegnete ihr Freund, dem diese Geschichte auch bekannt war. Denn schließlich war damals neben der regionalen Presse sogar ein Reporter der ARD vor Ort, um über dieses Unglück zu berichten. Es war jener Tag, als die Erde in der Rhein-Mosel-Region für wenige Sekunden bebte. Leichtere Erdbeben bis zu einer Stärke von 3,0 gab es und gibt es in dieser Gegend seit je her und sie sind eigentlich nichts Besonderes. »Sie kommen in der schönen Regelmäßigkeit eines ungeliebten jährlichen Zahnarzttermins«, sagen die Einheimischen ironisch. Doch an diesem 29. Oktober 1987, kurz vor Mittag, zeigte die nach oben offene Richterscala bei den Erdstößen einen erschreckend hohen Wert von 5,9 im Epizentrum Münsterberg. Zahlreiche Gebäude im gesamten Umkreis wurden dabei beschädigt, doch gottlob gab es außer ein paar leicht Verletzten keine Opfer zu beklagen … bis auf Gärtnermeister Miller.

    »Er war zu der Zeit gerade dabei, ein altes Familiengrab zu bepflanzen und hockte direkt vor dem massiven, gut zwei Meter hohen und genauso breiten Grabstein aus grauem Basalt. In den letzten Tagen hatte es geregnet wie aus Eimern und der gesamte Boden war aufgeweicht. Bei den Erdstößen kam das monströse Ding nun ins Wanken, kippte nach vorne um und erschlug den überraschten Mann«, sagte Vera leise und fügte noch »was für ein Tod« kopfschüttelnd hinzu.

    Ihr Freund hatte schon »tja, dann hatte sich der Gute unbewusst mal eben sein eigenes Grab hübsch bepflanzt« und »hat doch auch was« auf der Zunge, doch er verkniff sich im letzten Moment diesen sarkastischen, unpassenden Kommentar.

    »Seitdem führen nun Tanjas Mutter Katharina, ihre Schwester Daniela und ein Geselle den Laden. Den Gesellen haben wir übrigens eben beim Handballspiel gesehen. Es ist der Steintaler Spieler, der den letzten Siebenmeter verworfen hat, und nebenbei ist er noch Danielas Verlobter.« Nach Veras umfangreichen Schilderungen vom Leben und Sterben innerhalb der Miller-Familie erreichten die beiden schließlich kurz nach Mitternacht ihr Ziel und betraten seine im vierten Stock eines Altbaus gelegene Wohnung in Burgstadts Norden.

    »Okay, ich hätte da noch einen guten Chianti. So ein Gläschen dürfte eigentlich nichts ausmachen.« Sie nahm sein Angebot ohne lange zu zögern an und das Pärchen machte es sich sogleich im Wohnzimmer auf dem dunkelbraunen Ledersofa bei leiser Radiomusik und schummrig gedimmter Zimmerbeleuchtung gemütlich. Das große Panoramafenster gewährte ihnen in dieser Aprilnacht einen guten Blick auf die Lichter der Stadt und die funkelnden Sterne am Firmament. Doch die Illuminationen der Häuser und Straßen sowie die des Himmels interessierten die zwei zu dieser Stunde nicht im Geringsten. Schnell wurde aus anfänglichen zarten Streicheleinheiten ein heißes Liebesspiel, in dem sie sich rasch ihrer gesamten Kleidung entledigten. Es konnte ihr dabei nicht schnell genug gehen, denn beim Ausziehen seines weißen T-Shirts riss eine Naht am Ärmel auf – aber egal! Zunächst hatte sich Vera rücklings der Länge nach aufs Sofa gelegt, während ihr Freund davor kniete und mit seinem Mund sanft über ihren Körper vom Gesicht abwärts bis hin zur Hüfte strich. Ihre Haut umgab ein verführerischer Duft wilder Rosen, den er tief einatmete und sich daran berauschte. Sie schloss verzückt ihre Augen, als er zunächst sanft, dann stetig fordernder ihre verlockenden Früchte mit seiner Zunge verwöhnte, um dann laut aufzuseufzen, als er sich intensiv ihrer Venusperle widmete. Veras Hände fassten voller Leidenschaft seinen grauen Haarschopf und sie warf ihren Kopf in den Nacken. Es folgten rasante Stellungswechsel, die den beiden beinahe den Atem raubten. Irgendwann hatte sich der Liebesreigen auf den alten Ledersessel verlagert. Vera hockte auf seinem Schoß und unterstützt von seinen Händen, die ihren Po fest gepackt hielten, bewegte sie sich vor und zurück. Schneller und schneller wurde ihr wilder Ritt.

    Kurz vor dem Höhepunkt stand er plötzlich auf. Reflexartig umfingen ihre angewinkelten Beine seine Hüfte und ihre Arme umklammerten fest seinen Oberkörper. So trug er sie Haut an Haut, mit der Untermalung von ihrem lustvollen Kichern, ins Schlafzimmer. Mit ihr obenauf folgte schließlich das furiose Finale in wilder Ekstase, das Veras pochenden Kelch mit prickelndem Champagner füllte und das Liebespaar in einen glückseligen Taumel stürzte. Dann herrschte Stille – für einen Moment der Ewigkeit. Noch nie in ihrem Leben war sie einem Mann begegnet, der ihre Leidenschaft so entfachen konnte. Der genau die richtige Mischung aus romantischer Zärtlichkeit und unbändiger, animalischer Lust offenbarte. Bei dem sie sich traute, sich beim Sex einfach zügellos treiben zu lassen und ihren Gefühlen hinzugeben. Er hatte natürlich auch seinen Spaß. Denn für ihn war es eine richtig heiße Nummer mit einer scharfen Braut, die förmlich abging wie Schmidts Katze, wenn man verstand, die richtigen Knöpfe bei ihr zu drücken. Wortlos lagen sie noch eine ganze Weile eng ineinander verschlungen im Bett und zogen gedankenlos durch die Zeit, bis sie irgendwann wieder die leise Radiomusik aus dem Wohnzimmer vernahmen.

    »Ich möchte immer mit dir zusammen sein«, flüsterte sie, legte ihren Kopf auf seine Brust und blickte in Richtung des Fensters.

    »Das will ich auch«, kam postwendend seine Antwort und er streichelte mit seinen Fingerspitzen zärtlich ihren Rücken. Seine Worte waren absolut ehrlich gemeint, doch musste er sich etwas überwinden, sie auszusprechen. Da beide schweißnass waren, schlichen sie anschließend schnell ins Bad, um zu duschen. Der heiße Wasserstrahl perlte über ihre Köpfe die Körper hinunter. Sie blickten sich in die Augen und ohne ein Wort zu verlieren, gaben sie sich der erneut aufflammenden Leidenschaft hin. Vera, die ihr Handwerk weiß Gott verstand, schaffte es binnen kürzester Zeit, dass der müde Krieger wieder emporschnellte und zu einer neuen Expedition im tropischen Regenwald ihrer himmlichen Wildnis auszog. Irgendwann so um drei, als die beiden nicht nur ihren unbändigen Hunger auf heißen Sex erschöpfend gestillt, sondern auch ihre knurrenden Mägen mit ein paar belegten Salami-Broten und reichlich kühlem Sprudelwasser besänftigt hatten, legten sie sich zwar ermattet, doch wunschlos glücklich ins Bett und schliefen sogleich eng aneinander geschmiegt ein.

    Vera wachte auf und öffnete ihre Augen. Obwohl die Rollläden heruntergelassen waren, drückten sich die ersten zarten Lichtstrahlen der aufkommenden Morgendämmerung durch die schmalen Schlitze der Perforationen. Sie erhellten den Raum gerade so viel, dass sie erkennen konnte, wie er sie betrachtete. Seine Finger glitten sanft durch ihr dunkelblondes Haar.

    »Gut geschlafen, mein Schatz?«, fragte er leise und gab ihr einen Kuss auf den Mund.

    »So wie mit dir habe ich es noch nie erlebt. Warum haben wir uns nicht schon früher kennengelernt?«, flüsterte sie, noch immer im Rausch der vergangenen Nacht gefangen. Und obwohl er ihre Frage nicht beantwortete, erkannte Vera an seinem liebevollen Lächeln, dass er ihre Gefühle ohne jeglichen Zweifel widerspiegelte. Die beiden lagen eine Weile wortlos da und sahen sich gedankenversunken tief in ihre Augen. Nach diesen magischen Momenten des Schweigens kam Vera unvermittelt auf Franks Vater zu sprechen und senkte etwas ihren Kopf. »Als mein Mann damals mit dieser langbeinigen Fiedel-Tussie einfach bei Nacht und Nebel abgehauen ist, brauchte ich Zeit und wollte so schnell nix Neues anfangen.« Veras Mann spielte Trompete in Burgstadts Stadtorchester und hatte sich vor sieben Jahren mit einer 21-jährigen tschechoslowakischen Gast-Cellistin aus dem Staub gemacht. Seitdem hatte sie nichts mehr vom Erzeuger ihres Sohnes gehört. Und in Anbetracht dieser schmerzhaften Erfahrung hatte sie sich damals felsenfest geschworen, dass wenn sie jemals wieder in einer Beziehung nur die geringsten Anzeichen der Untreue bei ihrem Partner feststellen sollte, sie diesen Schuft sofort kompromisslos aus ihrem Leben streichen würde.

    »Vor drei Jahren lernte ich dann einen aus Trier kennen, aber nur sechs Monate später war schon wieder Schluss … es funktionierte einfach nicht. Irgendwann habe ich fast schon den Glauben verloren, ob es überhaupt noch jemanden auf dieser großen, weiten Welt gibt, der zu mir passt.« Sie legte eine kurze Atempause ein, hob dann wieder ihren Kopf, und flüsterte beseelt: »Doch dann trafen WIR uns … muss Schicksal gewesen sein.« Vera erwiderte seinen Kuss. »Und wie ist es dir ergangen? Wenn ich so recht überlege, weiß ich nur, dass deine Frau Karin und dein Sohn Tom heißt und dass beide in West-Berlin leben.« Sie brannte förmlich darauf, noch mehr aus seinem Leben zu erfahren. Denn bei ihren bisherigen Dates standen die körperlichen Aktivitäten eindeutig im Vordergrund.

    Nachdenklich legte er seine Stirn in Falten, richtete seinen starren Blick zur Zimmerdecke und begann zu grübeln. Es wirkte auf Vera, als hätte ihn diese Frage jäh aus der völligen Leichtigkeit des Seins herausgerissen und sein Gemüt mit zentnerschweren Wackersteinen beladen. Vor seinem geistigen Auge sah er sich mit Frau und Sohn, als dieser noch ein kleines Kind war, an einem herrlichen Sommertag in ihrem Garten herumtollen. Sie lachten und scherzten, bis seine Aufmerksamkeit urplötzlich auf das Küchenfenster ihres Wohnhauses gezogen wurde. Er glaubte doch tatsächlich, eine junge Frau mit blonden, langen Haaren hinter dem Glas zu sehen, die ihn aufreizend anlächelte und ihn zu sich winkte. Leuchtend blaues Licht, welches aus ihren Augen zu fließen schien, vereinnahmte diesen Teil des Hauses ganz und gar. Er wollte nicht dorthin, doch sie zog ihn auf rätselhafte Weise an. Er taumelte ein paar Schritte vorwärts und blickte verzweifelt zurück. Karin hatte Tom inzwischen an die Hand genommen. Beide lachten nun nicht mehr. Vielmehr spiegelten ihre Gesichter jetzt Furcht und Trauer wieder. Hilflos streckte er die Hand nach seiner Familie aus, doch die zwei drehten sich wortlos um und verschwanden hinter

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