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Die Hölle ist hier und jetzt: Eine Dland-Doku-Story
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eBook615 Seiten8 Stunden

Die Hölle ist hier und jetzt: Eine Dland-Doku-Story

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Über dieses E-Book

London, erste Hälfte der 80er Jahre: Nachfahren hochrangiger NS-(Wirtschafts-)Täter (IG Farben/KZ Auschwitz) rekrutieren mich wegen meines für deutsche Verhältnisse ungewöhnlichen Hintergrunds als Alibi-Objekt bzw. Feigenblatt für ihre in der NRW Landeshauptstadt geplante Verlagsagentur.
Nicht nur mein neues Umfeld, das Großteils aus gelernten Pädagogen besteht' idealisiert die DDR - wie sich zeigt, wird der gesamte Politik-, Kultur- und Medienbereich des Bundeslandes NRW von DDR-nahen Gruppierungen beherrscht.
Da ich mich weigere, die DDR-spezifischen Lebens- und Propagandalügen (braune Fundamente getarnt mit blutroten Fassaden) nachzubeten und außerdem Koryphäen der "Szene" auf der Grundlage einfacher Verhaltensanalyse als Überkompensatoren (also höchstwahrscheinlich als Tarner' Trickser und Täuscher) erkenne (u.a. G. Grass und G. Wallraff lange vor ihrer offiziellen Enttarnung als SS-Angehöriger bzw. Stasi I.M. "Wagner"…), erhalte ich seitens der Kulturfunktionäre, die den gesamten Betrieb beherrschen, zuerst "Nachhilfe" erteilt, z.T. im DDR-Stil, vor allem aber auch a la "maoistische Kulturrevolution", d.h. ich finde mich vor allem nach dem offiziellen Ende der DDR zunehmend in rechtsfreien Räumen wieder, die in NRW als direkte Folge der DDR-Seilschaften und ihrer allgegenwärtigen Einflussnahme beliebig herstellbar sind…!
Als deutlich wird, dass an dem - durch RAF/Stasi-Kräfte verübten - Politmord des in Ddorf ansässigen "Treuhand"-Managers Rohwedder; der die marode DDR-Wirtschaft sanieren sollte, zumindest indirekt höchste Kreise der Landesregierung sowie die DDR-nostalgische örtliche Kulturszene beteiligt waren, führt meine vehement geäußerte Kritik an diesen haarsträubenden Zusammenhängen und Hintergründen schließlich zur Überstellung meiner Person in den Machtbereich des NS-nahen Münchner Verlegers Dr. F.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum25. Sept. 2014
ISBN9783847615095
Die Hölle ist hier und jetzt: Eine Dland-Doku-Story

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    Buchvorschau

    Die Hölle ist hier und jetzt - Allison Wonderland

    Kapitel 1

    „Die Nachwelt wird nie etwas von Ihnen hören.

    Es wird so sein, als hätten Sie nie existiert."

    (Verhöroffizier O'Brian in Orwells „1984")

    Kapitel 2

    Mein Name ist, glaube ich, D. B. Singer jun.

    Als dieses einköpfige Abholkommando auftauchte, kam ich grade von einer Art Waldlauf zurück. Wann immer ich damals zu viel bekam, musste ich laufen - am besten durch Wälder. Später werde ich das noch genauer erzählen, falls es Sie nicht zu sehr erschreckt - all die ganzen Hintergründe und Zusammenhänge, meine ich.

    Es wird dann auch noch die Rede von anderen - wie soll man das nennen? - von den vielen anderen Szenen sein müssen, die sich damals abspielten, z.B. die jahrelangen Ein- bzw. Vorladungen seitens spezialdemokratischer Institutionen, um mich vorzubereiten auf die gloriose spezialdemokratische Zukunft a la Huxley und Orwell.

    (Motto: Wer oder was nicht passt, wird passend gemacht!)

    Dazu gehören natürlich vor allen solche Sondervorstellungen wie die der PoPo‚ also der Politischen Polizei von Spezialdemokratien - und nicht zu vergessen das ziemlich bemerkenswerte Aufeinandertreffen mit diesem Dr. Schreck...

    Nachdem ich angefangen habe, über die Hölle von Spezialdemokratien zu sprechen, jagt jetzt schon ein verdammter Flashback den anderen - ich muss einfach alles so auskotzen wie es grade hochkommt.

    Der Tag, an dem dieses einköpfige Abholkommando seinen Auftritt hatte, war Donnerstag, der 23. April. Die Tageszeit: später Nachmittag.

    Dieser ominöse Besucher kam also einfach ins Zimmer gestürmt und brüllte sofort herum: „Los, mitkommen, der Wagen steht unten!"

    Klar - am liebsten wäre ich auf der Stelle wieder losgerannt, zurück in den Wald und alles. Ich fühle mich dort am sichersten und kann mich am schnellsten beruhigen. Die Bäume wirken wie ein Filter - sie haben eine entgiftende Wirkung. Außerdem ist man zwischen ihnen so gut wie unsichtbar. Das ist fast so gut wie eine Tarnkappe, die ich mir seit damals immer wünsche.

    Natürlich bekam ich sofort wieder zu viel - ich meine, Panik und alles. Mir war zu dieser Zeit sowieso schon reichlich elend zumute - zuerst das jahrelange Heimweh nach N.W.3 und der Liebeskummer um meine herzallerliebste angebetete Gebieterin, und obendrauf jetzt also noch diese durch geknallten Deutschen mit ihrem üblichen Politfanatismus. Ich bekam kaum etwas runter in diesem verdammten Frühjahr - wahrscheinlich schrammte ich nur knapp an Magersucht vorbei, von der ich damals noch nie gehört hatte.

    Sie müssen wissen, seit ich sechs Jahre alt war, verbrachte ich die meiste Zeit in London N.W.3‚ also im Stadtteil Hampstead. Auf der einen Seite behauptet sicher niemand (ich jedenfalls bestimmt nicht), dass dort in der Umgebung nur Friedens- oder Literaturnobelpreisträger residieren oder ausschließlich Exilkönige (wie dieser versandete Konstantin), und es werden dort auch nicht ausschließlich Teestunden abgehalten (ganz im Gegenteil, ich könnte Ihnen da interessante Einzelheiten schildern - wahrscheinlich komme ich gar nicht drum herum, wahrscheinlich gehören diese Einzelheiten auch dazu), aber auf der anderen Seite stehen Sachen wie Überfälle oder angedrohte Tätlichkeiten in diesem Teil der Welt, wo ich aufwuchs, nicht unbedingt an vorderster Stelle der Tagesordnung. Und um genau zu sein, ich bin sowieso eher von der zurückhaltenden Art. Sobald solche verdammten Aggressionen aufkommen. weiß ich nicht, was ich tun soll. Es geht mir immer so. Ich bin dann nichts weniger als absolut hilflos und ausgeliefert. Was ich zum Beispiel sogar jetzt noch mache, ich suche an jeder verdammten Bus- oder Straßenbahnhaltestelle eine Schlange. Hier, jetzt, außerhalb Londons. Auf dem Kontinent. Natürlich hält sich kein Schwein an diese Regel, aber ich bin leider ein Gewohnheitstier. Das sieht in der Praxis so aus: Ich komme als erster an die Haltestelle und bilde also eine Einmannschlange. Von den anderen Leuten, die nach und nach dazukommen, weiß natürlich niemand davon. Kein einziger hält sich an die Regel, die einzuhalten ich von früher noch gewöhnt bin. Als nächstes kommt der Bus oder die Bahn, und sofort darauf bilden sich vor den Türen Menschentrauben. Die, die einsteigen wollen, behindern systematisch die, die aussteigen müssen.

    Es wäre alles viel leichter mit diszipliniertem Schlange stehen und allem. Und auch schneller. Es kommt aber zu vereinzelten Nahkämpfen, die Fahrer brüllen Instruktionen durchs Mikrophon, die Türen knallen zu - und was los ist, ICH stehe immer noch da. Und muss hinterher sehen. Weil ich mich einfach nicht irgendwo rein drängeln kann. Wenn ich irgendwas hasse, dann so was: Reindrängeln. Wie auch immer, dieser - dieser Besucher gab einen Dreck um meine zurückhaltende Art, und ich merkte, ich musste mich zusammen­nehmen. Weil mir ja sowieso schon reichlich elend zumute war, wie gesagt. Er tobte wie ein Riesenfalter durch das Zimmer, und ich blieb am Türrahmen stehen und meinte: „Mir ist zwar nicht klar, was sie sich vorstellen, aber SO geht das nicht. Bestimmt nicht. Ich denke, so, wie sie sich jetzt präsentieren, muss ich sie darum bitten, dass sie dieses Zimmer verlassen!"

    Mein - mein Besucher lief in einem immer enger werdenden Kreis unter der Deckenlampe herum. Aber wirklich genau so wie ein Nachtfalter. Was für ein Wahnsinn. Er fuchtelte auch dauernd mit den Armen herum. Wie Flügel: Zack, zack links und rechts durch die Luft.

    Ich fing wieder an: „... und darf ich sie bitten, dass sie dieses Zimmer verlassen. JETZT!"

    Der Bursche schnaufte oder schnaubte, was weiß ich, und brüllte: „Du darfst überhaupt nichts, Freundchen. Du hast gar nichts zu dürfen. Du wirst jetzt auf der Stelle dein Zeug packen und mitkommen. Los, los, der Wagen steht unten!"

    Ich dachte, schau dich mal um‚ vielleicht siehst du die Kamera, die das alles aufnimmt. Denn genau so stelle ich mir Aufnahmen für Szenen der „Versteckten Kamera" vor. Ziemlich krank im Kopf, das alles.

    Nur dass ich das nicht sehr lange dachte. Aber es half, diesen Auftritt eine Spur oder zwei weniger ernst zu nehmen, als er gemeint war. Und, ohjunge, es war SEHR ernst gemeint!

    Was dann passierte, während dieser Bursche wie ein Nachtfalter im Zimmer herumtobte -, was also dann passierte, mir ging auf, dass ich über derartige Szenen immerhin schon gelesen hatte. Und zwar in Reportagen und Büchern über die Zustände in Europa während der Naziherrschaft. Nicht zu vergessen die Stalin-Ära m sogenannten Ostblock. Wer in diesen Diktaturen, deren ideologische Grundlagen in Deutschland ausgebrütet wurden (durch Marx und Hitler), nicht angepasst war, geriet automatisch ins Fadenkreuz der psycho­tischen Machthaber und musste damit rechnen, eines Tages ungebetenen Besuch vor der Tür stehen zu haben, der losbrüllte: „Los, mitkommen, der Wagen steht unten!"

    Damit der ganze Horror verständlich wird, der sich damals bei mir abspielte, muss ich zuerst noch ein paar persönliche Details a la Charles Dickens liefern. Noch wichtiger ist aber, dass ich vorher erkläre, W0 sich der ganze Horror abspielte - eben im westdeutschen Bundesland Spezialdemokratien, das wegen seiner soziopolitischen Strukturen zu einer Art Brückenkopf der DDR in der alten westdeutschen Bonner Republik ausgebaut worden war.

    Diese Verbindung führte dazu, dass direkt nach dem Fall der Berliner Mauer Spezialdemokratien und das alte Herzland der DDR, der SED und der Stasi, nämlich Brandenburg, eine sogenannte Länderpartnerschaft schlossen, in deren Rahmen die alten Ost/West-Seilschaften und DDR-Nostalgiker von der untergegangenen DDR soviel wie möglich zu retten versuchten - vor allem den „Geist" der DDR, der SED und der Stasi.

    Spezialdemokratien avancierte zu nichts weniger als einem Rückzugs- und Ruheraum für die Kräfte der alten Ost/West-Seilschaften. Ihre Absichten liefen darauf hinaus, von Brandenburg im Osten und Spezialdemokratien im Westen das ganze Land so in die Zange zu nehmen, dass schließlich eine Art „DDR light" entstehen würde: ein Musterland mit Vorbildfunktion - zuerst für Europa und dann für die ganze Welt. Der alte Zwangsbeglückungswahn, der schon den Ersten Weltkrieg mit vom Zaun brach: Am deutschen Wesen soll die Welt genesen - und dieser ganze Ideologieschrott aus den deutschen Elfenbeintürmen, die seit der sogenannten Wiedervereinigung Stück für Stück restauriert werden (sogar das verdammte Kaiserschloss soll wieder aufgebaut werden - wahrscheinlich sobald das Rheingold gefunden wird...).

    Ich kann von Glück sagen, an einem Stück dort rausgekommen zu sein - schließlich ist man in Spezialdemokratien nur dann ein legitimes Mitglied der Gesellschaft, wenn man den Kopf unterm Arm trägt. Wer seinen Kopf oben behalten will, wird eben „passend" gemacht - das haben totalitäre Gesellschaftssysteme einfach so an sich. Weil ich schon erwachsen war, als ich ihnen in die Falle ging, mussten kryptofaschistische Nazinachfahren wie Miss Bildung und Miss Handlung und später auch noch ein Monster wie Sag-Rolf-zu-mir besonders krasse Methoden und Mittel anwenden, um mich auf das spezialdemokratische Normmaß zu reduzieren - als gelernte Pä-da-go-gen wäre es ihnen natürlich lieber gewesen, ich wäre ihnen als Kind in die Hände gefallen, eben so wie die total verkorksten lieben Kleinen von Miss Bildung und Miss Handlung, der beiden Nazitöchter. In diesem Milieu der Monster und Zombies wurden und werden die Kinder schließlich schon mit den Kopf unterm Arm geboren - und zwar schon seit x Generationen, genau genommen. Für diese Deutschen entspricht das dem Normalzustand, sonst hätten sie die Weltkriege nicht so perfekt vom Zaun brechen können - für die Inszenierung von Horror sind entsprechend früh vorkonditionierte Monster nötig, also operiert man von den Schulen aus. Oder, wie früher in der alten DDR und jetzt in Spezialdemokratien, sogar gleich schon im verdammten Kindergarten.

    Wenigstens ist mir in Spezialdemokratien, vor allem natürlich durch den Alltag in der Gesellschaft der schizophrenen Nazikinder wie Miss Bildung und Miss Handlung, klargeworden, dass ich mit meinen nächsten Verwandten richtig viel Glück hatte - mit meinen Erzeugern, meine ich. Selbst wenn ich mit ihnen als Eltern richtig zusammen gewesen wäre - also als Familie und alles -‚ wäre ich nicht annähernd so verkorkst worden wie Sunny, der Sohn von Miss Handlung, und Lucy, die Pseudolesbe, Miss Bildungs große Tochter.

    Wenn ich eine Mutter wie die beiden verdrehten Nazitöchter gehabt hätte, die mir dieses einköpfige Abholkommando auf den Hals hetzten, wäre ich schon mit drei Jahren lieber aus dem nächsten Fenster gesprungen.

    Höchstens mit meinen Erzeuger, Colonel D. B. Singer sen. würde ich mich heute manchmal herumzanken - weil er eben in Westdeutschland, in der Region zwischen München und Salzburg, blond bezopften Gretls nachhechelte.

    Weil ich nur in meinen ersten sechs Jahren mit meinem Erzeuger zu tun hatte, kann ich mich nur eher vage an ihn erinnern, und meine Verwandten sprachen später auch nur wenig über ihn. Zum einen war er wegen seiner Freizeitbeschäftigung mit den vielen Gretls fast die Persona non grata der Familie, und andererseits galt er als Angehöriger des Militärs irgendwie aus der Art geschlagen. Ich meine, alle waren schon stolz darauf, dass er ganz am Anfang seiner Karriere seinen Unijob sausen ließ und gegen die Nazis arbeitete und alles, aber man nahm es ihm übel, dass er dann später in diesem Verein blieb - beim Militär, meine ich. Obwohl er nur Kulturoffizier war und Umerziehungsprogramme für die Deutschen mitentwickelte.

    Er machte den Kalten Krieg mit und alles, statt wieder Zivilist zu werden und als Dozent an die Universität zurückzugeben wie sein jüngerer Bruder, Prof senior, bei dem ich die Zeit nach meinem sechsten Geburtstag zubrachte. Prof senior kannte überhaupt nichts anderes als das Leben im universitären Elfenbeinturm, und das ist ein wesentlicher Grund, warum ich auch am liebsten in diesem Turm lebte. Bis ich eben in Spezialdemokratien von jetzt auf gleich rausgeworfen wurde, weil ich mich demonstrativ geweigert hatte, mich zum Hühnchen konditionieren zu lassen.

    Mein Erzeuger gehörte im Kalten Krieg bestimmt nicht zu den Falken (schließlich sympathisieren wir alle mit der Demokratischen Partei, bestimmt nicht mit den Republikanern), aber Prof senior war als ständiger Elfenbeinturmbewohner logischerweise eine Taube (durch und durch), und die Zeit mit ihm ging natürlich nicht spurlos an mir vorbei. Als ich jedenfalls nach Spezialdemokratien kam, war ich auch eine Taube, und eben deshalb merkte ich zuerst überhaupt nicht, dass Spezialdemokratien eine einzige riesige Hühnerlegebatterie ist, in die ich mich auch einfügen sollte.

    Von heute aus gesehen muss ich sagen, der große Nachteil der Taube ist, dass sie so leicht in die Falle geht. Jemand hält ihr einen Köder hin, und als nächstes dreht man ihr schon den Hals um. Ende, over und aus. Am besten, man wird gleich als Eule geboren - Eulen sind klug und können verdammt gut sehen.

    Was Spezialdemokratien angeht, scheinen Eulen ausgestorben zu sein. Ich sah jedenfalls nur Hühner, DEUTSCHE Hühner, und die Deutschen müssen ja immer alles gleich im Extrem praktizieren.

    In der Hitler-Epoche waren sie verrückt nach totalem Krieg, und später waren viele ganz besessen von der Idee, möglichst ganz Deutschland in eine gigantische Hühnerbatterie zu verwandeln.

    Im Osten, also in der DDR, machten sie sich auch sofort an die Arbeit, und logischerweise kam jede Menge Beschiss dabei heraus. Und im Westen wollen sie immer noch nichts weniger als die Zukunftsgesellschaft erschaffen - zuerst in Spezialdemokratien zu verwirklichen, morgen in ganz Deutschland, übermorgen am besten in ganz Europa und später am liebsten überall in der Welt. Die neuen Mustermenschen für die ideale Zukunft bekommen dann einen Strichcode verpasst - die minimalen Unterschiede zwischen den Strichcodes kennzeichnen dann die individuelle Identität. Herzlichen Glückwunsch!

    Die Art, wie bestimmte Mustermenschen in Deutschland größten Wert darauf legen, neue totalitäre Verhältnisse vom Zaun zu brechen, wäre glattweg zum Losbrüllen vor lauter Lachen, wenn die Folgen wie üblich nicht so entsetzlich wären. Man kann ihnen das aber leider nicht klarmachen - dass sie gemeingefährlichen Blödsinn anstellen, meine ich, und nach wie vor ständig von einem Extrem ins andere fallen und dadurch einen verdammten Teufelskreis fortsetzen.

    In ihrer chronischen Selbstunsicherheit leiden sie immer noch unter dermaßen viel Lebensangst‚ dass sie sich bis zum Anschlag aus dem Fenster hängen, sobald es darum geht, irgendeinen Blödsinn anzustellen, sich selber zu ver­leugnen oder sich sonst irgendwie zu schaden. Diese sagenhafte Angst kann einen schon umwerfen - wortwörtlich. Man muss sich nur lange genug in Deutschland aufhalten, dann bekommt man es irgendwann auch mit der Angst zu tun. Damit meine ich leider nicht nur bestimmte Einzelheiten wie zum Beispiel die Waldsterbenshysterie und so weiter, sondern es dreht sich, sobald man in Deutschland gewisse Erfahrungen gemacht (und überlebt) hat, um ziemlich elementare Fragen. Etwa um solche: Auch wenn das, was mir im Musterbundesland Spezialdemokratien alles passierte, ein Ausnahmefall gewesen sein sollte - wie kann so etwas in einem Rechtsstaat überhaupt vorkommen? Und: Wann und wie wollen oder können die Deutschen endlich aus ihrem pubertären Zustand herauskommen und endlich erwachsen werden?

    Fakt ist: Solange sie das nicht schaffen, haben sie einfach keine Chance‚ in ihrem Land, also in der Gesellschaft, eine normale Erwachsenenwelt aufzubauen. Wozu eben auch die absolute Verbindlichkeit rechtsstaatlicher Normen im Alltagsleben gehört. Man kann von Pseudoerwachsenen, die unter psychischen und sozialen Entwicklungsstörungen leiden, und zwar schon in der x-ten Generation, nicht erwarten, dass sie tatsächlich fähig sind, sachlich und möglichst objektiv zu reflektieren‚ was für einen Fall von zurückgebliebener Entwicklung sie darstellen.

    Der gravierendste Fall von Zurückgebliebenheit war wohl Adolf Hitler. Ein Musterbeispiel für gestörte Entwicklung. Wie zu seiner Zeit üblich, kam auch Hitler als Kind und Jugendlicher, also in der prägenden Phase, nie ans seiner kleinen Welt heraus. Aus seinem Umfeld, meine ich - seinem sozio-kulturellen Mikrokosmos, wie man als Sozialwissenschaftler sagt. Also bekam er gleich eine doppelte Hemmung serviert, und das war eben auch sein Pech - und das der gesamten Welt: dass er, der kleine A.H.‚ sie leider nicht kennenlernen durfte - die große Welt.

    Wie ich dagegen etwa. Ohjunge, bin ich vielleicht durch die Gegend gereicht worden, früher als kleiner Junge. Davon muss ich ihnen später noch etwas mehr erzählen. Jedenfalls: Was ich an Herumjetten zu viel hatte, blieb Jemandem wie A.H. komplett vorenthalten, und ich wette, wenn nur ein halbwegs vernünftiger Kopf in seiner Familie rechtzeitig auf die Idee gekommen wäre, dem kleinen A.H. einen Globus zu schenken, wäre ihm früh bewusst geworden, wie groß die Welt ist, und vor diesem erweiterten Horizont hätte er wahrscheinlich gar nicht erst die fixe Idee entwickeln können, sie überfallen und unterwerfen zu wollen.

    Einer der Hauptgründe, warum die Deutschen heute die absoluten Weltmeister im Herumreisen sind, ist eben das unbewusste Motiv, endlich - ENDLICH - ENDLICH einen größeren, weiteren Horizont zu bekommen. Jeder weltreisende Deutsche möchte dem kleinen Adolf H.‚ den er insgeheim in sich herumträgt‚ ENDLICH einen größeren, weiteren Überblick verschaffen. Ich will verdammt hoffen, dass sie es in absehbarer Zeit schaffen. Richtig Sorgen machen müsste man sich wohl erst dann, wenn sie plötzlich anfangen würden‚ nur noch zu Haus herumzuhängen.

    Natürlich ist Adolf H. und alles, was mit ihm direkt oder indirekt zusammen­hängt, auch schuld daran, dass an diesem 23. April das Abholkommando vor der Tür stand und in bester Tradition brüllte: „Los mitkommen, der Wagen steht unten!"

    Ich wünschte wirklich, mein Cousin Phil Baumgartner hätte damals dabei sein können. Er ist eben Professor für Psychologie drüben in den U.S.A. Möglicherweise haben sie schon von ihm gehört oder gelesen. Er hat vor Jahren dieses Buch herausgebracht „HEILT HITLER! DIE PATHOGENESE EINES SÜNDENBOCKS".

    Das Thema entdeckte er eigentlich nur durch Zufall. Ursprünglich war mein Cousin nur im Sex-Geschäft tätig. Das heißt, er therapierte Sexualneurotiker und Psychosen. In einer klassisch puritanischen Gesellschaft ist in dieser Hinsicht fast Jeder ein potenzieller Patient.

    Prof Baumgartner verdiente sich mit der Arbeit in seiner Praxis am Central Park Süd so viele Meriten, dass man ihm eine Dozentur antrug. Und natürlich wegen seiner bekannten Bücher - dem zweiten, dem genannten Hitler-Buch, und dem, das er zuerst schrieb, und zwar über eine ziemlich perverse Tante: „DAS UNITY MIDFORD-SYNDROM". Darin analysiert mein Cousin die Biographien von Frauen, die eigentlich nicht den geringsten Grund hätten, sich Sorgen machen zu müssen, was sie aber so langweilt, dass sie dem Ärger sozusagen hinterherlaufen.

    Eben so wie diese Miss Unity Midford. Was sie nämlich machte, sie lief Adolf Hitler hinterher. Eine britische Adelige auf der verzweifelten Suche nach elementaren existentiellen Erlebnissen. Wie zum Beispiel Vergewaltigung oder pro Woche ein blaues Auge. Oder eine tägliche Tracht Prügel. Es ist einfach irre. Ich meine, mit ihnen, mit diesen Frauen. Mit Ausnahme meiner einzigen Freundin kommen sie mir alle ziemlich verdreht vor.

    Natürlich ist es nur logisch, dass mein Cousin sich mit diesen Themen herumschlägt. Mit Psyche und Sex und allem. Er ist auch in London groß geworden, und da liegt der Stoff für Bücher wie das über Miss Midford sozusagen auf der Straße. Die britische Mittel- und Oberschicht ist männlicherseits so unglaublich schwul, dass die Frauen sich praktisch genötigt fühlen, sich in die Arme von Automechanikern oder Möbelpackern zu werfen. Oder sie laufen einfach einem Diktator hinterher. Wie eben Midford diesem Hitler.

    Was meinen Cousin dazu brachte, sich näher mit Hitlers verdammter Biographie zu beschäftigen, und was er herausfand, läuft darauf hinaus, dass A. H. deshalb versuchte, die Welt in Schutt und Asche zu legen, weil er unter paranoid-halluzinatorischer Psychose litt. Einer Krankheit, die zum Formenkreis der Schizophrenie gehört und mit seiner Entwicklungsstörung zusammenhängt.

    In „HEILT HITLER - DIE PATHOGENESE EINES SÜNDENBOCKS" steht genau, wann der Ansatz zu dieser Symptomatik gesetzt wurde: Anfang des 20. Jahrhunderts, in Wien, an einer dieser typischen mitteleuropäischen Kunstakademien, deren Professoren ihr Leben lang nicht aus ihren Scheißwolkenkuckucksheimen herausgekommen sind. Hitler produzierte ja diese Zeichnungen.

    Ich meine, ich verstehe absolut NICHTS von Malerei und allem, und außer den Bildern von Edward Hopper bedeutet mir diese ganze Kunst überhaupt nichts. Mir ist lediglich klar, dass ALLES SEHR RELATIV ist.

    Ich meine all diese Bewertungen und Kategorisierungen in „KUNST oder in „NICHT KUNST und so weiter. Falls sie es genau wissen wollen, es zieht mir glatt die Schuhe aus, wenn ich mitkriege‚ nach welchen Kriterien da geurteilt wird. Und nicht zuletzt: WER da urteilt. Sollten Sie irgendwann Lust bekommen, einen Haufen aufgeblasener‚ besserwisserischer Schwindler zu erleben, dann besuchen Sie die Eröffnung einer Museumsausstellung. Oder sonst einen verdammten Kulturevent. Soll heißen, falls man Sie überhaupt einlässt. Am besten, Sie präsentieren sich schon vor dem Eingang als aufgeblasener besserwisserischer Schwindler, dann haben Sie bessere Karten. Unter Ihresgleichen fühlen diese Poser sich am sichersten.

    Natürlich ließen diese Hofschranzen und eingebildeten Nullen mit ihrer Beamtenmentalität den jungen A. H. direkt gegen die Wand fahren. Vielleicht hatte er bei seinem Auftritt vor der Kommission auch nicht unbedingt die passenden Sachen an - er hätte vorher besser noch bei einem verdammten Kostümverleih vorbeigehen sollen, um sich entsprechend in Schale zu werfen. Kleider machen bekanntlich Leute. Dann wäre er womöglich akzeptiert worden und die Welt hätte nie von A.H. gehört.

    Zwischen dieser vermeidbar gewesenen Abfuhr als Maler und den Jahren seiner schweren Traumatisierungen als Soldat des Kaisers im Ersten Weltkrieg lagen offensichtlich die Jahre, in denen sich schließlich seine Pathologie entwickelte.

    Der Erste Weltkrieg konnte immerhin auch nur darum ausbrechen, weil die Herrscher in Europa und ihre Völker kaum eine Vorstellung davon besaßen, wie groß und kompliziert die Welt ist. Und das Leben darin. Falls jemand von Ihnen es vergessen haben sollte, stammte Hitler aus Braunau in Oberösterreich, und weil die Herrscher in Wien, die Habsburger, mit den Deutschen alliiert waren, wandten sie sich zusammen gegen den Rest der Welt, von dem sie nicht wussten, wie groß er war. Das muss einem aus heutiger Sicht schon alles sehr naiv vorkommen. Und jetzt stellen Sie sich vor, der kleine Gefreite Hitler gehörte mit dazu. Heute würde ein Fall wie seiner gleich bei der Musterungsstelle erkannt und auf der Stelle rausgefädelt. Man würde ihn entweder in eine Klinik einweisen oder ambulant behandeln. Jedenfalls könnte man ihn vernünftig therapieren.

    Aber damals, zu seiner Zeit, 1914 und vorher und danach auch noch lange, war man noch nicht soweit. Die Militärs nahmen jeden, den sie kriegen konnten. Wobei sich niemand darüber klargewesen sein dürfte, worauf man sich einließ. (Insgeheim dachten wohl die meisten, die Show, die ihnen bevorstand, besäße immer noch den guten, alten Turniercharakter. Edle ritterliche Recken im Kampf um den goldenen Pokal. Wie tausend Jahre früher bei Prinz Eisenherz.)

    Wie der Erste Weltkrieg tatsächlich ablief, können Sie, wenn Sie noch gesteigerten Wert darauf legen sollten, daraus ersehen wie sich Hitlers Geisteszustand entwickelte. Was er nämlich machte, er identifizierte sich mit Deutschland; der Kampf der Deutschen gegen die Welt entsprach seinem Kampf mit den Professoren der Wiener Kunstakademie, und als Deutschland den Krieg auf für ihn undurchschaubare Weise verlor, sah Hitler in seiner Psychose darin eine Parallele zu seiner eigenen Niederlage als Maler. Prof Baumgartner: „Wäre Hitler als Maler anerkannt worden, hätten ihn die Schrecken des Ersten Weltkriegs möglicherweise sogar zum Pazifisten werden lassen, denn seine natürliche Empfindsamkeit wäre noch lebendig gewesen. Die Förderung seines Maltalents hätte seiner Identität die zusätzliche Dimension einer gewissen Größe geben können. Eben der Größe des Mitleidenkönnens. Der junge Hitler stieß aber nur auf Abwehr und Ignoranz, also auf absolute Mitleidlosigkeit. Entsprechend mitleidlos musste er sich später zwangsweise gegen andere Menschen und die Menschheit überhaupt verhalten."

    Kapitel 3

    Danach passierte etwas wirklich Komisches. Ich meine, damals, als mein Cousin das zweite Buch herausbrachte. In keinem Land verursachte „HElLT HITLER! DIE PATHOGENESE EINES SÜNDENBOCKS besonders viel Aufsehen - es ergänzte einfach nur die Materialien, die von ungefähr hundert Millionen anderen Wissenschaftlern zu diesem Thema erarbeitet worden waren. Nur in Deutschland fielen die Presse und der größte Teil des Wissen­schaftsbetriebs (Saul Bellow nennt ihn nicht umsonst eine „Maschine) über Prof Baumgartner her.

    Und alles Leute, die sich sonst vor Analysefreudigkeit rund um die Uhr überschlagen. Prof Baumgartner setzte die hysterische Reaktion auf Hitlers Analyse damals so zu, dass er seitdem auf dem deutschsprachigen Buchmarkt nichts mehr veröffentlichen ließ. Er ist nicht besonders scharf auf Hysteriker - besonders dann nicht, wenn sie nichts weniger als eine ganze Nation bilden, darauf läuft es hinaus.

    Außerdem war er immerhin nur zufällig bis zu Hitler vorgedrungen, nachdem ihn ursprünglich nur die morbide Sexualität von Midford & Co. beschäftigt hatte. Er konnte als Wissenschaftler gar nicht anders, er musste ein Thema wie Sex und Faschismus weiterverfolgen. Wer sich mit den gestörten Höheren Töchtern einer puritanischen oder sonstwie kranken Gesellschaft beschäftigt, gerät praktisch in eine Art Drehtür und wird von ihren Eigendynamiken erfasst. Einmal mit Midford & Co. beschäftigt, stieß er ganz automatisch auf den Fall Hitler, der immerhin auch eine ansehnliche Sexualneurose oder Psychose entwickelt hatte. Ein Wissenschaftler kann dann nicht einfach so tun, als wäre nichts weiter gewesen.

    Laien verstehen das schlecht. Und reichlich laienhaft und naiv fiel eben die Reaktion der Deutschen aus. Der Fall Hitler sollte in Hinsicht auf die komplexen Hintergründe seiner psychischen und sozialen Pathogenese anscheinend um nichts in der Welt von „draußen" einer objektiven, sachlichen Analyse unterzogen werden.

    Nicht von einem unbefangenen Psychologen. Und schon gar nicht von einem, der keine Nazis als Eltern oder Großeltern hatte.

    Hitler war eben etwas Unaussprechliches. Hitler war eben ein Fleisch gewordener Teufel. Ein brauner Zwilling Luzifers, und die Hölle hatte ihn wiedergeholt, Ende April 1945. Das war längst Vergangenheit, und in der Hölle sollte er gefälligst bleiben. Das war so bequem. Die nicht weiter aufgeklärten Menschen hatten Hitler zum bloßen Mythos stilisiert, zur Verkörperung des Bösen schlechthin, und das Böse besitzt weder einen Körper noch eine Psyche, und was es in den Augen der unaufgeklärten Masse schon gar nicht haben darf, ist ein soziales Umfeld, das den Menschen schließlich überhaupt erst zum Monster gemacht hat. Die Deutschen müssen geradezu zwanghaft Hitler zum Ungeheuer stilisieren, also zu einem Wesen, das in Wirklichkeit gar nicht existiert, weil sie sich unbewusst vor ihrem eigenen, persönlichen kleinen Hitler-Anteil fürchten. Er geht auf die Prägungen zurück, die schon hundert Jahre früher der kleine Adolf H. abkriegte. Diese Prägungen kommen je nach der Epoche in allen möglichen Farbtönen daher: Schwarz, Braun, Rot, Grün - aber die Substanz ist mehr oder weniger immer dieselbe: ANGST. GERMAN ANGST. Ein verdammt schlechter Ratgeber: Angst. Und besonders, wenn sie Deutsch spricht.

    Als Prof Baumgartner damals sein zweites Buch veröffentlichte, baute er auf Hannah Arendts Untersuchungen über Hitler und den Faschismus, die sie Anfang der 60er Jahre unter dem Titel „Von der Banalität des Bösen" veröffentlichte. Es wurde sehr erfolgreich, nur dass Hannah Arendt Soziologin war, und aus der Perspektive meines Cousins ließ sie den wichtigen Punkt außer acht, dass das Böse eben kein Geist ist, der frei herum schwebt, sondern im Gehirn sitzt, und das Gehirn ist nicht grade der profanste Teil des Körpers. Was er also machte, er gab Hitler ein halbes Jahrhundert nach dem Tod seinen Körper zurück und ließ ihn durch diesen Körper seine ganze durch fremde Einflüsse verpfuschte Existenz nachleben. Die ganzen traumatischen Erlebnis­se, von der Kindheit über die Abweisung seitens der dünkelbelasteten Wiener Kunstwächter, dann den grausamen Ersten Weltkrieg, in dem der kleine Gefreite Adolf H. sich mit der Niederlage des Landes, für das er gekämpft hatte, identifizierte, bis schließlich zum Selbstmord unter unvorstellbar makaberen Umständen im Berliner Bunker. Prof Baumgartner im Nachwort:

    „Hätte die Malakademie den aus der Provinz stammenden Schüler Adolf H. angenommen, er wäre nach seiner Ausbildung wahrscheinlich schnell wieder zurück aufs Land gezogen. Vielleicht in den Wienerwald oder ins Salzkammergut, denn ohne Stallgeruch und Verbindungen zur Wiener Kunstmafia wäre seine Position in der alten Kulturmetropole, in der es wie üblich von Intrigen und mafiaartigen Strukturen wimmelte, sowieso nicht lange zu halten gewesen. Zurück in der Provinz hätte er wahrscheinlich vornehmlich harmlose Landschaftsidyllen gemalt - nicht zuletzt schon deshalb, um die Wunden seiner arg unidyllischen Jugendjahre wenigstens ein bisschen zu verpflastern. Zweifellos hätte sein Talent zu einer gewissen Bekanntheit auf Landesebene ausgereicht. Adolf H. wäre in der Lage gewesen, von der Verwirklichung seines ursprünglichen Wunsches leben zu können - er wäre als Künstler tätig gewesen. Und hätte er auch als kleiner Soldat den Ersten Weltkrieg und seine Schrecken erleben müssen, ein normales Kriegstrauma hätte es nicht fertiggebracht‚ ihn zu dem Psychopathen zu konditionieren, als der er schließlich aus der Armee des geschlagenen Kaisers entlassen wurde: ohne individuelle, soziale und berufliche Identität‚ ein klassischer Fall von Schizophrenie."

    Als das veröffentlicht wurde, wusste ich noch längst nicht, warum diese deutschen Zeitungen meinen Cousin und sein Buch angriffen. Die Zeitungen in der Schweiz reagierten dagegen ganz vernünftig. Schließlich hatte Prof Baumgartner nur als Psychologe das gemacht, was Hannah Arendt, die Sozialforscherin‚ aus der Perspektive ihrer Wissenschaft mehrere Jahrzehnte vorher unternahm: dem Mythos Hitler seine Abstraktheit genommen.

    Was Hitlers Unwahrscheinlichkeit auch gut ausdrückt, merkt man sofort bei alten Filmaufnahmen. Wenn man nicht seit der Geburt blind ist, weiß man schließlich, wie bunt alles aussieht. Die Welt ist eben nicht so schwarz-weiß wie all diese vielen Wochenschaufilme.

    Wer jetzt so einen Streifen sieht, etwa mit Hitler und Kriegsbildern und allem, und wer damals noch gar nicht am Leben war, kann überhaupt nicht richtig glauben, dass das alles wirklich PASSIERT ist. Dass alle diese Leute wirklich GELEBT und das alles GETAN haben.

    In diesen Schwarzweißfilmen fehlt eine Element: Farbe. Weil sie fehlt, erscheint einem das Geschehen auf der Leinwand seltsam unwahrscheinlich.

    Weil die Wirklichkeit das Leben ist und weil das Leben eben immer farbig ist, denkt man automatisch, kann alles mögliche, solange es schwarzweiß daherkommt, gar nicht wahr sein.

    Und was der Hitler-Mythos macht, er präsentiert diesen Fall eben auch nur in schwarzweiß. Eine verdammte Vereinfachung, die nicht der Wirklichkeit entspricht.

    Zum Beispiel nennt die breite Masse der Menschen Hitler gern einen Mörder. Immerhin kostete der Zweite Weltkrieg Dutzende Millionen von Toten, davon allein ein halbes Dutzend Millionen ermordete Juden in den Konzentrations­lagern. Die Rechnung geht aber vorn und hinten nicht auf, denn EIN EINZELNER Mörder kann nicht mehrere Dutzend Millionen Menschen ums Leben bringen. Wer das glaubt, sollte sich besser gleich aus dem Milieu denkfähiger Köpfe zurückziehen. Es gab jedenfalls in Deutschland einen Haufen Leute, die ihre Pässe an der Rezeption hätten abgeben müssen, nachdem „HEILT HITLER - DIE PATHOGENESE EINES SÜNDENBOCKS" auf dem deutschsprachigen Markt erschien.

    Als Nr. 1 im Nazistaat musste er überhaupt niemanden persönlich umbringen, dazu hatte er schließlich jede Menge Handlanger. Und diesen Leuten standen jede Menge Mechanismen zur Verfügung, um den Massenmord überhaupt erst möglich zu machen. Soldaten, die Gewehre abschossen und Panzer fuhren und Bomben abwarfen. Ingenieure, die Gaskammern planten und Arbeiter, die sie bauten. Viele Millionen Männer, viele Millionen Menschen. Eben die sogenannten Nazis. Und ihre Mitläufer.

    Dann, nach dem Krieg, entstand in Westdeutschland eine ganz merkwürdig zweigeteilte Gesellschaft. Der eine, zum Glück überwiegende Teil der Bevölkerung, ließ sich von den Westalliierten in ziemlich kurzer Zeit demokratisieren. Diese Leute wählten schließlich Konrad Adenauer zum Kanzler und seine pro-westliche Regierung, und der Marshall-Plan mit seinen Geldern zusammen mit dem genialen Wirtschaftsminister Erhard brachten die westdeutsche Volkswirtschaft zum Blühen, sodass sich das Wirtschaftswunder entwickeln konnte. Politik und Wirtschaft öffneten die Grenzen und zum ersten Mal konnten die Deutschen - oder wenigstens alle, die im Westen lebten - wie ganz normale, erwachsene, selbständige Menschen am Leben in der Welt teilnehmen. Sie waren richtig gleichberechtigte Menschen mit allen Rechten und Pflichten ihrer Nachbarn im offenen westlichen Teil der Welt. Und es machte ihnen verdammt Spaß, endlich wie mündige Menschen behan­delt zu werden und ihren Horizont erweitern zu können.

    Nur der westdeutschen Opposition gefielen diese Veränderungen überhaupt nicht. Dass es in Westdeutschland plötzlich international und bunt zuging, entsprach anscheinend nicht den Vorstellungen der sozialistischen Opposition. Aus den Reden, die ihre Politiker und vor allem die Vorsitzenden der sozialistischen Partei im Bundestag hielten, geht hervor, dass sie Westdeutschland und seine Bewohner isolieren wollten - und vor allem mit dem Westen wollten sie absolut nichts zu tun haben. Praktisch gesehen nicht viel anders als die Nazis vorher Deutschland isoliert hatten - nur damals zwangsweise, und die westdeutschen Sozialisten verlangten eine freiwillige Isolation.

    Irgendwas war draußen in der Welt, wovor sie sich zu fürchten schienen. Heute ist mir natürlich klar, dass sie sich vor der Lebendigkeit und der Unberechenbarkeit des Fremden fürchteten. Ihr politisches Dogma, eben der Sozialismus, ließ sie die gleichen Ängste entwickeln, unter denen schon die Kommunisten litten. Klinisch gesehen handelt es sich dabei um eine reine Angstpsychose - eine kollektive Angstpsychose. DER Grund, warum die Kommunisten ihre Länder und die Menschen darin systematisch von der Außenwelt abschotteten, von der großen Welt da draußen - genau wie Hitler. Genau wie Hitler mit seiner paranoid-halluzinatorischen Psychose. Es gab auf dieser Ebene überhaupt keinen Unterschied zwischen Hitler und Stalin, zwischen den Braunen und den Roten, den Nationalsozialisten und den internationalen Sozialisten. Der einzige Unterschied nach dem Krieg war der, dass die Braunen besiegt worden waren - dafür hatten die anderen die Macht behalten. Im gesamten Bereich Osteuropas sowieso, aber auch darüber hinaus, wie sich in den verbalen Äußerungen der westdeutschen Opposition, die eben aus Sozialisten bestand, während der 50er Jahre heraushören lässt.

    Die westdeutschen Sozialisten waren zwar nicht von Panzern eingekreist‚ aber dafür zog sich eine imaginäre Mauer durch ihre Köpfe und auf der Krone dieser Mauer schlängelte sich ideologischer Stacheldraht. Statt wenigstens Westdeutschland in Europa und der Welt zu integrieren, favorisierte die damalige Bonner Opposition eine Art Sonderweg, was auf eine Separation Westdeutschlands auf allen wesentlichen Ebenen hin abzielte - typisch deutsch eben, ALTdeutsch. Die sozialistische Opposition dachte sich einen besonderen Status aus - zwischen Ost und West wollte man einen speziellen dritten Weg gehen. Es sollte wohl auf eine Art Schaukelpolitik rauslaufen - so wie sie früher schon einmal praktiziert worden war, nach dem Ersten Weltkrieg, in den 20er Jahren, im Rahmen des Vertrags von Rapallo. Das nachrevolutionäre Deutschland schloss damals einen Separatfrieden mit der Sowjetunion, mit der die Weimarer Republik um jeden Preis Frieden halten wollte. Das praktische Ergebnis dieser verdammten Schaukelpolitik war natürlich Chaos - grenzenloses Chaos, aus dem schließlich der Zweite Weltkrieg hervorging.

    Wie sich herausstellte, sind die politischen Kräfte in Deutschland, die immer noch den „Dritten Weg" favorisierten, nicht einmal spätestens nach dem Fall der Berliner Mauer ausgestorben oder wenigstens für immer in Pension geschickt worden. In Spezialdemokratien wimmelt es bis heute von ihnen, und einige Nachwuchskräfte dieser Bewegung waren sogar noch jünger als ich. Sie verehren ihre separatistischen Politvorfahren wie Salonheilige, während sie gleichzeitig Adenauer als Verräter und CIA-Agenten bezeichneten, der Deutschland geteilt und den Westen an die USA verkauft hätte. Das sagten sie mir zeitweise ganz offen ins Gesicht. Sie dachten damals, sie könnten mich zu einem von ihnen machen, weil ich aus ihrer Sicht theoretisch schon dafür qualifiziert gewesen wäre - sowohl als Wissenschaftler als auch als Schriftsteller. Jemanden wie mich hätten sie in Spezialdemokratien verdammt gut brauchen können, sagten sie anfangs.

    In der ersten Zeit waren sie überhaupt ziemlich offen und gesprächig. Sie erklärten, dass es eine RICHTIGE DDR, also eine „Deutsche Demokratische Republik" noch gar nicht gegeben hätte; dass das, was 1989/90 zusammenbrach und aufhörte‚ nur ein ungenügender Versuch gewesen sei und dass es absolut notwendig wäre, eine RICHTIGE demokratische Gesellschaft in Deutschland erst noch zu entwickeln und aufzubauen - nur diesmal eben RICHTIG, also nicht mit Panzern und Maschinengewehren und Mauern, sondern eben mit konfliktfreien Grundlagen und Idealen und multikulturell als Vorbild für Frieden und Freundschaft und Fortschritt auf der ganzen‚ großen Welt und Patati und Patata… In Spezialdemokratien würde man eben damit anfangen, diesen Dritten Weg einzuschlagen und ich sollte mitlaufen.

    Es macht absolut keinen Spaß, hier darüber zu berichten. Viel lieber würde ich Ihnen eine Unterhaltungsstory erzählen, über die Sie lachen könnten. Es ist eine verdammte Kunst, so etwas zu produzieren. Geschichten, meine ich. Tatsache ist, dass ich genau solche Stories auch geschrieben hatte, ein paar richtige Romanstories‚ bevor ich den Fehler beging, mich nach Spezialdemokratien locken zu lassen. Ich musste dieses Romanmaterial schließlich in Spezialdemokratien aus dem Verkehr ziehen, wie es ein Kulturfunktionär ausdrückte. Das passierte einige Zeit nach dem Fall der Berliner Mauer, als die alte DDR nicht mehr existierte, und dieser Kulturmensch muss wie alle anderen Funktionäre in diesem Bundesland, die ihre Karriere dem patenschaftsähnlichen Verhältnis zwischen der Spezialdemokratischen Partei im Westen und der SED, also der sozialistischen Einheitspartei der DDR verdankten, während der ersten Jahre nach dem Ende der alten DDR reichlich frustriert gewesen sein. Schließlich tobte er seinen Frust an mir aus und ließ mich mein Romanmaterial, von dem ich eigentlich leben wollte, buchstäblich in Stücke reißen. Ich war in den Jahren vorher bereits einschlägig vorkonditioniert worden, so dass ich nicht viel Widerstand aufbrachte, als ich auf diese Weise gezwungen wurde, mir selbst den Ast abzusägen.

    Meine Geschichten waren, wie gesagt, primär Unterhaltung, und Sag-Rolf-zu-mir, dieser Kulturfunktionär, verlangte von mir, dass ich mich von meinem Storymaterial trennen sollte. Meinen Sachen, argumentierte er, fehlte einfach der zwingend vorgeschriebene pä-da-go-gi-sche Charakter. Weil ich bei diesen kranken Zeigefingerspielchen nicht mitmachen wollte, war ich schließlich nicht nur ganz schnell unten durch in diesem Milieu der pä-da-go-gisch inspirierten Kulturfunktionäre, sondern ich wurde logischerweise auch Zielperson für pä-da-go-gi-sche Maßnahmen.

    Für Unterhaltung waren meine Sachen immerhin ziemlich kritisch, fast schon Satire, so dass man eben darüber lachen konnte. Nur war Lachen bei den Pä-da-go-gen im Kulturmilieu strengstens verboten. Damals, nach dem Ende der alten DDR, befand sich Sag-Rolf-zu-mir noch ziemlich stark auf dem fundamentalistischen Kurs. Einige Zeit später wurde das Ruder scheinbar um glatte 180° herumgeworfen‚ als die Parole nur noch „Fun! Fun! Fun!" hieß und die nächste Kampagne zur Massenverblödung einsetzte.

    Sag-Rolf-zu-mir brachte es fertig, soeben noch die Kurve zu kratzen, weil er jünger war als zum Beispiel Miss Bildung, bei der es sich immerhin auch um eine Pä-da-go-gin handelte, die als Kulturfrau arbeitete. Ohjunge‚ ihr Humor passte auf die Spitze einer Stecknadel, und trotzdem wäre noch reichlich Platz übriggeblieben. Der alte Karl Marx hätte bestimmt seine helle Freude an ihr gehabt. Sein bester Freund, Friedrich Engels wohl auch. Dieser Engels transformierte jede Menge puritanischen Fundamentalismus seiner sozio-religiösen Prägung auf die sozio-politische Schiene, auf der Marx mit einer soliden Portion Fanatismus unterwegs war. Marx mit seinem Fanatismus und Engels mit seinem Fundamentalismus ergänzten sich perfekt. Zu ihren gemeinsamen Vorstellungen gehörte es immerhin, einen „neuen Menschen" vom Band laufen zu lassen - und dazu gehört natürlich auch das Lachverbot. Übermenschen haben nichts zu lachen.

    Am Ende gab es für die Menschen, die im marxistischen Gesellschaftsmodell existieren mussten‚ von vornherein nichts mehr zu lachen. Haha.

    Die Wurzeln dieses ganzen Irrsinns liegen aber eben in der alttestamentarischen Orientierung eines pseudoreligiösen Fundamentalismus, worüber die Forschung und Analyse, die sich mit Marx und Engels und ihren kranken Lehren beschäftigt, leider noch viel zu wenig wissen. Was mich betrifft, ich hatte das verdammte Privileg, sozusagen mitten drin zu sitzen - direkt an der Quelle. Ich durfte eine richtige Feldstudie erleben, wenn man es so ausdrücken will. Und ich bin froh, dass ich dabei nicht völlig auf der Strecke blieb.

    Auch die vielen Sex-Zombies, die mir in Spezialdemokratien begegneten, verdanken ihre kranke Existenz letztendlich eben der Erziehung, die Engels durch sein puritanisch-pietistisches Umfeld erlitt, und zwar in der Region östlich von Rheinstadt 1‚ der Hauptstadt von Spezialdemokratien, wo jeder, der KEIN verdrehter Zombie ist, glattweg unangenehm auffällt.

    Nachdem ich merkte, wohin ich da gezogen war, WO ich da wohnte und alles, nahm ich mich natürlich zusammen - was meine schwache Stelle für bestimmte erotische Aktivitäten betrifft. In der ersten Zeit fiel es mir sogar ausgesprochen leicht, weil ich damals mehrere Jahre lang meiner einzigen Freundin nachweinte‚ weswegen ich anfangs sogar nur knapp an der Magersucht entlang schrammte. Nur später fiel es mir schon verdammt schwer - ganz konsequent allein zu leben, meine ich. Manchmal war es so extrem, dass ich an kaum etwas anderes denken konnte. Ich meine, ich merkte zum Beispiel nicht, dass ich bei Rot über die Straße lief, wenn irgendwo ein süßes Schwesterchen aufgetaucht war, bei der ich mir vorstellte, wie es wohl wäre, wenn sie sich von mir hingebungsvoll mit dem Ladyshave behandeln ließe, um dann später ihre Knie über meine Schultern zu fädeln und all das. Ich wünschte mir dann, ich hätte die Chance gehabt, mit meinem Erzeuger darüber zu sprechen, aber dafür war es natürlich leider zu spät. Alles, was ich noch tun konnte‚ lief darauf hinaus, dass ich mir von Al Portnoy, der Colonel D.B. Singers kleiner Bruder sein könnte, die Hintergründe erklären ließ, wie man so massive Fixierungen entwickeln kann.

    Selbstverständlich hätte ich mit meinem Erzeuger auch gern darüber gesprochen, was ich in Spezialdemokratien erlebte. Darüber, dass ich dort tatsächlich letzten Endes aus politischen Gründen allein lebte, weil im spezialdemokratische System Leben so viel bedeutet wie Leiden - eben ganz so wie in alten Ostblock und davor im finsteren Mittelalter und ganz früher in den alttestamentarischen Zeiten. Und ich hätte mit Colonel D.B. Singer sehr gern über die sogenannten 68er gesprochen, die schließlich nach der Pensionierung meines Erzeugers und in den rund zwei Jahrzehnten nach Kanzler Adenauer Schritt für Schritt die wesentlichsten Schaltstellen der Macht in der Bundes­republik übernahmen, und seitdem kommt noch der Einfluss des Seilschaften aus der alten DDR hinzu, die immerhin nur auf dem Papier zu existieren aufgehört hat. Die 68er Nazinachfahren bezeichneten ihre Taktik, die freiheitliche Demokratie und den Rechtsstaat mit der Ideologie ihres selbstzerstörerischen Negativnationalismus zu spalten, als „Marsch durch die Institutionen". Womit sie eben die politischen und gesellschaftlichen Kräfte und Einrichtungen meinten.

    Die meisten Deutschen in ihrer ewigen politischen Naivität merken es nicht einmal - wie ihnen seit dem offiziellen Ende der alten DDR ihr bewährter Rechtsstaat mit seinem Pluralismus und allem wie ein Teppich unter den Füßen weggezogen wird. Die Medien erzählen ihnen, es sei einfach der Zeitgeist, und die Gesellschaft müsste sich schließlich weiterentwickeln und alles Mögliche. Außerdem funktioniert mittlerweile die fatale Brot-und-Spiele-Taktik ganz ausgezeichnet, die Sag-Rolf-zu-mir schon vor einigen Jahren ankündigte.

    Seit der Wiedervereinigung können er und seine Freunde ganz legal an ihren Vorhaben arbeiten. Die einen vom Gebiet der alten DDR aus, und die anderen eben von Spezialdemokratien. Die einen im Osten, die anderen im Westen - es läuft wohl auf eine Art Zangenbewegung hinaus. Als gleich nach dem Fall der Berliner Mauer Spezialdemokratien und das Kernland der alten DDR, Brandenburg, diese sogenannte Länderpartnerschaft eingingen, saß ich zwar noch ziemlich weit oben im Elfenbeinturm, aber sogar dort ging mir auf, dass es irgendwie nicht zusammenpasste: Spezialdemokratien ist ein ausgesprochenes Industrieland, in dem es von achtzehn Millionen Einwohnern nur so wimmelt, während Brandenburg völlig ländlich strukturiert ist, und es wohnt dort auch kaum jemand - außer eben die Nomenklatura der alten DDR, und nebenbei auch noch jede Menge arbeitslose Neonazis. Ein großartiger Bevölkerungsquerschnitt - mit diesem Potenzial lässt sich schon einiges anstellen.

    Die Millionen, denen in Spezialdemokratien die nötige Connection in die Landeshauptstadt fehlt, müssen wenigstens (noch) nicht als Neonazis herumlaufen - sie haben wenigstens Anspruch auf einen lebenslangen Stehplatz. Neuerdings vor allem auch in den Stadien, diesen vielen neuen Brot-und-Spiele-Sportstätten, die überall aus dem Boden gestampft werden.

    Okay - ich wette, mein Erzeuger wäre wenigstens in der Lage gewesen, mich so weit aufzuklären, dass ich noch früher aus dem Elfenbeinturm herausgekommen wäre. Ich hätte dann nicht dermaßen blauäugig auf Leute wie Miss Bildung und Miss Handlung reagiert. Und Sag-Rolf-zu-mir hätte es sich sparen können, mich zu einem Angehörigen der „Generation Golem" umerziehen zu wollen.

    Auf der anderen Seite wüsste ich ohne diese Leute nicht die Hälfte dessen, was mir jetzt alles klar ist. Was jetzt wirklich alles los ist, meine ich. Dass ich damals, als in Spezialdemokratien die Schwierigkeiten abzusehen waren, nicht auf die Idee kam, meinen Erzeuger um Rat anzusprechen, wo er doch immerhin Deutschlandexperte war, ist ganz einfach darauf zurückzuführen, dass wir eben dieses eher unpersönliche Verhältnis hatten. Wir waren nicht aneinander interessiert. Er wollte nur immer seinem Hobby nachgehen und zwischen München und Salzburg blondbezopfte Gretls jagen.

    Wenn Sie verstehen wollen, warum er nichts anderes im Kopf hatte, wenigstens in seiner Freizeit, sollten Sie unbedingt diesen absolut großartigen Roman lesen, mein Lieblingsbuch‚ das „Portnoys Beschwerden" heißt.

    Geschrieben hat die Geschichte ein Mensch, der meinem Erzeuger übrigens wie aus dem Gesicht geschnitten ähnlich sieht. Jedenfalls hat er, Philip Roth, allen von ihren herrischen Müttern chronisch gebeutelten jüdischen Söhnen damit ein Denkmal gesetzt. Mir ist natürlich klar, es muss Ihnen wahrscheinlich reichlich seltsam vorkommen, dass jemand den eigenen Erzeuger durch irgendein Buch erklärt, und es macht mir auch gar keinen Spaß, in dieser Weise über meinen Erzeuger zu sprechen, aber so liegen die Dinge nun einmal. Ich sollte Sie auch warnen. Wenn Sie „Portnoys Beschwerden in die Hand bekommen, sollten sie drauf achten, beim Lesen weder zu essen noch zu trinken. Wegen der ständigen Möglichkeit, dass sie sich vor Lachen ver­schlucken könnten. In diesem Buch steckt all das Lachen, das ich Ihnen in meiner verdammten Dokumentation leider nicht bieten kann. Dafür will ich Sie wenigstens etwas entschädigen. Schade ist auch, dass die deutschsprachige Auflage des Romans gradezu lächerlich niedrig ist. Man könnte sie direkt mickrig nennen. Es konnten bis heute ungefähr so viele Exemplare verkauft werden, wie Juden in Deutschland wohnen. Die anderen Leute wollen mit der Story wenig oder am liebsten überhaupt nichts zu schaffen haben, weil sie sich vor ihr fürchten. Ich meine, „Portnoys Beschwerden beschreibt nämlich das Alltagsleben einer stinknormalen jüdischen Familie, die zwar im Großraum New York wohnt, und Philip Roth beschreibt auch nur die 30er bis 60er Jahre, aber es geht darum, WIE er alles beschreibt, nämlich extrem lebensecht und alles, und genau davor haben die meisten Deutschen Angst. Besonders die mit dem schlechten Gewissen.

    Warum, ihre Väter gingen damals her und degradierten die Juden systematisch zu Untermenschen, woraufhin die Nazikinder und -enkel sich auch in dieser Hinsicht möglichst demonstrativ von ihren Vorfahren distanzieren wollen. Das tun sie, indem sie jetzt die Juden zu absoluten Übermenschen stilisieren und sich vor lauter pathetischem Philosemitismus überschlagen. Wenn man hergeht und ihnen „Portnoys Beschwerden" schenkt, wissen sie sich nicht

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