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Kein Krieg in Deutschland: Kurze Geschichten von Bundesrepublikanern
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eBook168 Seiten

Kein Krieg in Deutschland: Kurze Geschichten von Bundesrepublikanern

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Über dieses E-Book

Mit dieser Sammlung belletristischer Anekdoten entführt die Autorin ihre Leserinnen und Leser in die jüngere Vergangenheit ihrer Heimat Deutschland. Es ist eine ungeschönte Suche nach einem guten zivilen Leben vor dem besonderen geschichtlichen und gegenwärtigen gesellschaftspolitischen Hintergrund der Bundesrepublik Deutschland.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum22. Feb. 2021
ISBN9783985223268
Kein Krieg in Deutschland: Kurze Geschichten von Bundesrepublikanern

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    Buchvorschau

    Kein Krieg in Deutschland - Astrid Wenke

    Inhaltsverzeichnis

    Das Trojanische Pferd

    Olaf könnte gegen den Krieg gestorben sein

    Heimatgetrieben

    Die Grillparty

    Jibt ja ooch noch so wat wie Privatsphäre, oda?

    Ich bin in Asgard aufgewachsen

    Tina, ein Mädchen wie ein Schneewittchenapfel

    Die Hungrigen und die Satten

    Die Beine baumeln lassen

    Nestlé

    Trautes Heim

    Schwestern

    Im Land der toten Bäume

    Die Autorin

    Impressum

    Das Trojanische Pferd

    René Reuter saß mit übereinander geschlagenen Beinen im Café Himmelreich. Er hatte die Augen geschlossen und wendete sein Gesicht der Sonne zu. Seine Mundwinkel hingen blasiert herab, während er tief durch die Nase atmete und mit dem Zeigefinger nach dem Bestellknopf an der Stuhllehne tastete. »Zwei schwarze Kaffee, bitte.«

    Tack, tack – schnell und energisch näherten sich die Hackenschuhe.

    »Guten Tag, Frida«, sagte René, ohne die Augen zu öffnen. »Setz dich.«

    Sie trug ein weißes Kleid und hatte rosa Lippenstift aufgelegt. Er betrachtete sie spöttisch.

    »Nun, du hast dich also entschlossen, mein Angebot anzunehmen.«

    »Ungern. Nun ja, die Politik …« Sie warf die Arme himmelwärts. »Kurz gesagt, wenn unsere Arbeit Früchte tragen soll, bin ich gezwungen, andere Wege zu gehen.«

    »Mit mir zum Beispiel«, stellte er fest.

    Eine junge Frau brachte zwei Tassen heißen Kaffees. René öffnete die Augen. »Selbstverständlich kann ich dir ein Labor besorgen, in dem ihr unbeobachtet seid. Im Gegenzug will ich die Ergebnisse.«

    Frida hörte ihm zu, während ihr Zeigefinger rhythmisch auf den Tisch tippte.

    »Die Sache darf nicht publik werden. Du musst vorsichtig sein, wem du den Auftrag gibst. Ich würde Agnes Krauß akzeptieren.«

    »Agnes!« Frida lachte schallend.

    René runzelte die Stirn.

    »Agnes ist unsere herausragende Wissenschaftlerin«, stellte Frida fest. »Und, René, sie tut nichts gegen ihre Überzeugung.«

    Seine Miene blieb unbewegt.

    »Dann überzeuge sie! Das sind die Leute, die wir brauchen – kompetent und loyal. Ich weiß, du kannst sehr überzeugend sein!«

    Mit einem Schnauben deutete er ein Auflachen an.

    Seit es um Agnes ging, hatte Fridas Zeigefinger seine Tätigkeit eingestellt und sich in die Gesellschaft der übrigen Finger ihrer Hand zurückgezogen. »Ich werde mein Möglichstes tun«, gab sie nach, »trotzdem wette ich dagegen. Es gibt etwas in den Menschen, das sie deinem Einfluss entzieht, René. Agnes hat es im Übermaß.«

    Er erhob sich. »Melde dich, wenn du sie soweit hast!« René steckte seine Chipkarte in den Schlitz an seinem Stuhl. »Auf Wiedersehen, Frida.«

    »Einen schönen guten Morgen, liebe Agnes! Es ist Zeit aufzustehen.«

    »Nein«, sagte Agnes Krauß und wälzte sich auf den Bauch.

    »Oh doch! Die Arbeit ruft, die Mäuse warten.« Agnes setzte sich auf und stierte betrübt auf die Bettdecke. »Bist du wach, Agnes? Möchtest du Musik?«

    »Bloß nicht!« Agnes griff in ihr Ohr und berührte den Sensor ihres WeckSteck. Adrienne hatte das Gerät zu Agnes’ Geburtstag gekauft und programmiert. »Ein egoistisches Geschenk. Dein alter WeckSteck hat zuviel Bass. Ich wache davon auf, selbst wenn du ihn tief in den Gehörgang klebst. Außerdem kannst du von nun an gleich frühmorgens meine Stimme hören, während ich noch neben dir schlafe wie ein Murmeltier.«

    Agnes war nicht sicher, ob der tägliche Weckruf durch Adriennes Stimme ihrer Liebe zuträglich war. Sie war sich zur Zeit über verschiedenes nicht sicher. Nachdem sie kürzlich ihr 37stes Lebensjahr vollendet hatte, schien ihr die Zeit gekommen, zu überlegen, was sie in ihrem Leben noch zu erledigen hatte und wie sie die verbliebenen Jahre sinnvoll gestalten könnte. Doch ihre Tage waren voll und ließen wenig Zeit zum Nachdenken.

    Sie hatte in dieser Nacht wieder von den Mäusen geträumt. Der Traum hatte sie in die Vergangenheit geführt, in die Zeit, in der sie etwa acht Jahre alt gewesen war. Damals war sie täglich auf dem Schulweg an einer Zoohandlung vorbeigekommen. Vor dem Schaufenster mit den Vogelkäfigen, den Leinen und dem Katzenfutter war Agnes stehen geblieben: In einem großen Glaskäfig lebten die Mäuse. Sie drängten sich gegen die Scheiben, versuchten, ihre kleinen Krallen in das glatte Material zu bohren, um hinaufzuklettern, hinaus in die Freiheit. Natürlich gelang es nicht. Sie rutschten ab, purzelten übereinander, konnten nicht aufgeben, unermüdliche, bewusstlose Sisyphose plagten sie sich vergeblich. „Das ist schlimm", hatte Agnes, das Kind, gedacht. Sie hatte am Fenster gestanden und geweint.

    Agnes stierte an die Zimmerdecke. Sie sollte aufstehen, sich auf den Weg machen in ihr Labor, zu den motorisch überbedüftigen Mäusen, die sie beobachten musste.

    »Ich bin schlecht«, sagte sie sich, gab sich einen Ruck und hievte sich aus dem Bett. Es war keine neue Erkenntnis. Agnes hatte früh erkannt, dass etwas Schlechtes in ihr war, etwas, das stärker war als sie und ihr unbedingter Wille, Gutes zu tun.

    Einmal hatte Agnes, das Kind, im Frühling einen jungen Spatz auf der Straße aufgelesen. Sie hatte ihn nach Hause genommen, hatte mit ihm gespielt, versucht, ihn zu füttern und ihm Flüssigkeit einzuflößen. Er war dabei ganz nass geworden. Da hatte sie ihm eine Kiste mit Watte ausgepolstert und ihn schlafen gelegt. Als sie später nach ihm sah, war er steif.

    Agnes hatte nicht aufhören können zu schreien. Sie hatte immer daran denken müssen, wie die Eltern des kleinen Vogels ihr gefolgt waren, zeternd und piepsend, während Agnes mit dem Jungen in der Hand nach Hause gelaufen war.

    „Diese Verzweiflung, dachte Agnes, „wenn etwas nicht mehr gut zu machen ist.

    Ihre Mutter hatte an diesem Abend geseufzt, wie so oft: „Wer hat mich mit diesem Kind gestraft? Der Vater hatte in der Nacht wie in vielen Nächten zuvor die Tür zu ihrem Schlafzimmer aufgerissen und gebrüllt: „Du bist ein Unglück! Ein Unglück! Sie hatte gewusst, dass es stimmte.

    Aus dem Wissen um ihre Schlechtigkeit war Agnes ein wütender Trotz gegen die Welt erwachsen. Zugleich hatte ihr Wunsch, gut zu sein und in einer guten Welt zu leben, geradezu verzweifelte Züge angenommen. Da sie bei diesem Unterfangen auf die Unterstützung ihrer Eltern nicht bauen konnte, hatte sie sich allein auf den Weg gemacht, herauszufinden, was das ist, das Gute.

    Erst jetzt bemerkte Agnes, dass Adrienne nicht wie sonst in ihrem Bett lag. Sie musste früh aufgestanden sein, wollte vermutlich mit Agnes frühstücken. Seit Monaten hatten sie viel zu wenig Zeit füreinander.

    Agnes lächelte, während sie an ihre Freundin dachte. Noch hatte der tägliche Weckruf ihren Gefühlen nichts anhaben können. Als Adrienne vor vielen Jahren erstmals ein Kinderfoto von Agnes gesehen hatte, hatte sie gelacht:

    „So ein trotziges, einsames Mädchen. Das muss man einfach lieb haben." Sie hatte das Bild zärtlich angesehen und gestreichelt.

    Agnes hatte die Worte ungläubig aufgenommen und verwahrt. Seit Jahren nährte sie heimlich ihre Liebe daraus, die Liebe zu sich selbst wie die zu Adrienne.

    Agnes schüttelte unwillig über sich selbst den Kopf. »Träumerin«, schimpfte sie, »stehst hier rum, sentimental, ungewaschen und im Nachthemd.« Entschieden ging sie ins Bad. Die kalte Dusche würde sie aufwecken. Wenig später trat sie duftend und angekleidet in den runden Ess und Wohnraum. Adrienne ließ die Hand sinken, die gerade das Brötchen zu ihrem Mund geführt hatte. Ihr Mund klappte zu. Noch einmal zuckten ihre Augen über die Tagesnachrichten, die auf den Bildschirm in der Tischplatte übertragen wurden. Dann sah sie auf und suchte Agnes Blick. »Guten Morgen, Agnes.«

    Agnes gähnte, ein Blick auf die Uhr. Schön, wenn Adrienne auf sie gewartet hatte, aber sie wollte nicht zu spät ins Labor, schaffte es womöglich nicht rechtzeitig zur Fütterung der genmanipulierten Mäuse.

    »Du wirst mir immer fremder.« Adrienne betrachtete sie kühl.

    Agnes’ Gesichtsmuskeln zuckten.

    »Was ist?«

    Adrienne näherte ihren Mund dem Tischmikrofon. »Artikel von gestern, Gentherapie«, forderte sie. Sie wartete, dass der Bildschirm reagierte, während Agnes sich setzte, zögernd nach einem Brötchen griff, es dann doch zurück in den Korb legte und stattdessen die Hände in ihrem Schoß stapelte.

    »Das Ende der genetischen Selbstbestimmung?«

    Adrienne las mit lauter, vorwurfsvoller Stimme. »Gläubige und andere Menschen, für die der Eingriff in das menschliche Erbmaterial ein Tabu ist, müssen sich auf schwere Zeiten einstellen. Vielen geht schon die genetische Sichtung der Embryoblasten zu weit, wie sie seit sieben Jahren für jede Schwangere Vorschrift ist. Jetzt bemühen sich einflussreiche Kräfte darum, auch die Manipulation bestimmter Gene zur allgemeinen Pflicht zu machen. Die angestrebte Regelung betrifft alle Gene, die anerkannte Erbkrankheiten wie zum Beispiel die Mucoviscidose vererben.«

    »Ja«, sagte Agnes.

    Adriennes Blick stach in Agnes’ Augen wie eine Pipette und saugte alles in sich hinein, was ihr schlecht erschien.

    »Bitte, lass«, Agnes streckte ihre Hand über den Tisch zu Adrienne hin.

    »Weißt du noch, was du gesagt hast?«, fragte Adrienne, ohne die ausgestreckte Hand zu beachten. »Weißt du, was sie über dich schreiben?«

    Agnes erinnerte sich genau: Das verwirrende Gespräch mit Frida – Frida hatte sie aufgefordert, die Rede auf der Abschlussveranstaltung des Kongresses zur Gentherapie zu halten, und Agnes hatte es schließlich getan, unvorbereitet, mit ein paar Notizen und Anregungen von Frida.

    »Es ist widersinnig, wenn Eltern das Recht haben, erbliches Leid an ihre Kinder weiterzugeben«, hatte sie erklärt. »Diesem fragwürdigen Recht misst die jetzige Gesetzgebung jedoch höheren Wert bei als den Bemühungen der Medizin, Erbkrankheiten endgültig aus dem menschlichen Genom zu tilgen.«

    Blitzlichter waren aufgeflammt, wenig später war Agnes von Journalisten umstellt worden, die sie mit ihren Mikrofonen bedrängt hatten.

    Die Gewissheit, dass die Mucoviscidose ausgerottet werden musste, hatte Agnes durch den Sturm von Unterstellungen, Verdrehungen und Fragen geleitet, dem sie dann eine gefühlte Ewigkeit ausgesetzt gewesen war.

    Seit elf Jahren war die Bekämpfung dieser entsetzlichen Krankheit der bedeutungsvollste Inhalt ihres Lebens – abgesehen von ihrer Liebe zu Adrienne. »Eigentlich«, überlegte Agnes, »war beides nicht voneinander zu trennen.« Sie erinnerte sich lebhaft an den Tag, an dem es begonnen hatte: Sie hatte den Berg eben überwunden. Hinter ihr war Adrienne auf ihrem Fahrrad die letzten Meter bergauf gekeucht. »Juchuh«, hatte Agnes gerufen und den Lenker losgelassen. Mit ausgebreiteten Armen war sie ins Tal gerast, hatte gespürt, wie der Fahrtwind an ihrem leichten Seidentop zog. Sie rollte und rollte.

    »Den Berg hoch bin ich langsamer, aber bergrunter hast du keine Chance«, hörte sie Adrienne neben sich mit betont gelassener Stimme sagen. Schon war Adrienne vorbeigesaust und Agnes strengte sich an, die Führung zurückzugewinnen. Auf gerader Strecke hatten sie die Räder auslaufen lassen und schließlich an einem Fleckchen Wiese gehalten. Es waren noch dreißig Kilometer nach Fredersdorf, wo Adriennes Schwester wohnte.

    »Komm«, Adrienne zog Agnes zu sich ins Gras. »Leg dich auf mich.«

    Agnes hatte die Augen geschlossen und Adrienne schlang die Arme fest um ihre Taille. Still hatten sie gelegen. »Ich zerfließe«, hatte Agnes gedacht.

    »Ich bin so gespannt auf deine Schwester«, murmelte sie, während ihr Gesicht an Adriennes Wange rieb.

    Adrienne seufzte wohlig.

    »Ich freue mich vor allem auf die kleine Pauline! Ich hoffe nur, es geht ihr gut zur Zeit.«

    Adrienne hatte dann bald aufbrechen wollen, war ungeduldig ihr Nichtchen wiederzusehen. Agnes hatte den Generator an ihrem Fahrrad angestellt. Ihr Modell war schon etwas älter, aber die Grundidee war die gleiche wie bei moderneren Geräten. Ihre Muskelkraft wurde in Strom umgewandelt, der in den Motor des Rades eingespeist wurde. »Dann sind wir schneller!«

    »Faulpelz«, kommentierte Adrienne und trat energisch in die Pedale.

    Adriennes Schwester Carla wohnte mit Pauline in einer ausgebauten Gartenlaube. Kaum hatten sie ihre Räder durch die Gartenpforte geschoben, als ein zartes Mädchen aus dem Haus stürzte. Es hustete und röchelte, während es auf sie zurannte.

    »Tante Adrienne«, schrie das Mädchen mit hochrotem Gesicht.

    »Paulinchen«, rief Adrienne. Sie nahm das kleine Wesen hoch und drückte es an sich.

    »Ich dachte, sie wäre schon älter«, flüsterte Agnes ihr zu.

    »Ich bin älter.« Pauline war gegen diese Art Bemerkungen gewappnet. »Ich bin acht. Ich wachse nicht, weil ich krank bin. Ich habe Mucoviscidose.«

    Agnes bemerkte, wie ein eigenartiger Ausdruck in Adriennes Augen trat.

    Später hatten sie in der

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