Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Ada (Band 3): Die vergessenen Brüder
Ada (Band 3): Die vergessenen Brüder
Ada (Band 3): Die vergessenen Brüder
eBook339 Seiten

Ada (Band 3): Die vergessenen Brüder

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Unbemerkt von den Einwohnern wächst die Bedrohung für die Stadt London weiter. Ada und ihre Freunde ahnen, dass ihnen nicht mehr viel Zeit bleibt, um eine Katastrophe zu verhindern. Doch weit in Adas Vergangenheit wartet etwas darauf, wiederentdeckt zu werden. Damals, im Cottage eines berühmten Künstlers, war sie der Lösung schon ganz nah …
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum17. Sept. 2021
ISBN9783038962229
Ada (Band 3): Die vergessenen Brüder

Mehr von Miriam Rademacher lesen

Ähnlich wie Ada (Band 3)

Titel in dieser Serie (3)

Mehr anzeigen

Fantasy für Sie

Mehr anzeigen

Rezensionen für Ada (Band 3)

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Ada (Band 3) - Miriam Rademacher

    Inhaltsverzeichnis

    Titel

    Informationen zum Buch

    Impressum

    Widmung

    Kapitel 1 - Überbringer schlechter Nachrichten

    Kapitel 2 - Neue Aufgaben

    Kapitel 3 - Verdachtsmomente

    Kapitel 4 - Lodernde Freundschaft

    Kapitel 5 - Gefahr erkannt, Gefahr gebannt?

    Kapitel 6 - So etwas wie Liebe?

    Kapitel 7 - Der Moment der Erkenntnis

    Kapitel 8 - Fehlschläge

    Kapitel 9 - Zwei Verhöre

    Kapitel 10 - Schokolade überwindet Welten

    Kapitel 11 - Nichts hören

    Kapitel 12 - Rot oder Grün?

    Kapitel 13 - Auf Glück ist kein Verlass

    Kapitel 14 - Nichts sehen …

    Kapitel 15 - Viele Brüder

    Kapitel 16 - Verrückte und Hintermänner

    Kapitel 17 - Allianzen

    Kapitel 18 - Der dritte Affe

    Kapitel 19 - Freund oder Feind

    Kapitel 20 - Scheiden tut weh

    Kapitel 21 - Wiedersehen und Abschied

    Kapitel 22 - Sinneswandel

    Kapitel 23 - Die roten Brüder

    Kapitel 24 - Countdown

    Kapitel 25 - Anders als geplant

    Dank

    Miriam Rademacher

    Ada

    Band 3: Die vergessenen Brüder

    Fantasy

    Ada (Band 3): Die vergessenen Brüder

    Unbemerkt von den Einwohnern wächst die Bedrohung für die Stadt London weiter. Ada und ihre Freunde ahnen, dass ihnen nicht mehr viel Zeit bleibt, um eine Katastrophe zu verhindern. Doch weit in Adas Vergangenheit wartet etwas darauf, wiederentdeckt zu werden. Damals, im Cottage eines berühmten Künstlers, war sie der Lösung schon ganz nah …

    Die Autorin

    Miriam Rademacher, Jahrgang 1973, wuchs auf einem kleinen Barockschloss im Emsland auf und begann früh mit dem Schreiben. Heute lebt sie mit ihrer Familie in Osnabrück, wo sie an ihren Büchern arbeitet und Tanz unterrichtet. Sie mag Regen, wenn es nach Herbst riecht, es früh dunkel wird und die Printen beim Lesen wieder schmecken. In den letzten Jahren hat sie zahlreiche Kurzgeschichten, Fantasyromane, Krimis, Jugendbücher und ein Bilderbuch für Kinder veröffentlicht.

    www.sternensand-verlag.ch

    info@sternensand-verlag.ch

    1. Auflage, September 2021

    © Sternensand Verlag GmbH, Zürich 2021

    Umschlaggestaltung: Juliane Schneeweiss

    Lektorat / Korrektorat: Sternensand Verlag GmbH | Natalie Röllig

    Korrektorat 2: Sternensand Verlag GmbH | Jennifer Papendick

    Satz: Sternensand Verlag GmbH

    ISBN (Taschenbuch): 978-3-03896-221-2

    ISBN (epub): 978-3-03896-222-9

    Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

    Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

    Den drei Musketieren.

    Lasst uns die Erinnerung bewahren und feiern.

    Kapitel 1 - Überbringer schlechter Nachrichten

    September 2019, Donnerstag: 9.45 Uhr

    ELLIOTT

    Es war der letzte Brief, den er heute abzuliefern hatte. Seit Stunden lief Elliott von einem Büro zum nächsten und übergab langweilige weiße Umschläge an graugesichtige Büromäuse. Sein Traumjob war dies bestimmt nicht, aber er erledigte ihn seit nunmehr drei Jahren gewissenhaft jeden Morgen.

    Anfangs war er davon ausgegangen, dass es aufregender sein würde, für den Geheimdienst zu arbeiten. Selbst wenn es nur ein Job als Bürobote war, konnte man wenigstens so etwas wie versiegelte Umschläge und ominöse Wappen erwarten, oder etwa nicht?

    Auch dieser letzte Brief in seiner Hand war makellos weiß und trug nicht einmal einen Absender. Und doch musste es mit ihm eine besondere Bewandtnis haben, denn Elliott kannte den Adressaten nicht. Für gewöhnlich richteten sich Briefe, die hier im Sitz des MI6 eintrafen, an eine Person oder Abteilung. Und bis heute war es ihm auch immer gelungen, die Post an der richtigen Stelle abzuliefern.

    Dieses Mal jedoch stand Elliott vor einem Rätsel, denn von der Sandford Corporation hatte er noch nie im Leben gehört. Es musste sich um einen Irrtum der Post handeln, alles deutete darauf hin. Und doch brachte er es nicht über sich, den Brief mit einem Vermerk, dass der Empfänger unbekannt sei, einfach zurückzugeben.

    Seine einzige Hoffnung war Beatrice, die dickliche Empfangsdame im Kellerloch, wie er die Abteilung unterhalb des Erdgeschosses nannte. Was dort vor sich ging, wusste Elliott nicht, aber Beatrice, die fast blinde Klassefrau mit der Sekretärinnenbrille auf der spitzen Nase, wusste fast alles. Und so hatte Elliott den Fahrstuhlknopf für das Untergeschoss gedrückt und lauschte nun dem leisen Summen seiner Kabine.

    Als die Türen vor ihm mit einem leisen ›Ping‹ auseinanderglitten, hob Beatrice hinter ihrem Empfangstisch interessiert den blonden Lockenkopf, ließ ihn aber bei seinem Anblick enttäuscht wieder sinken.

    Elliott war daran gewöhnt. Jede Frau auf dieser Insel war von seinem Anblick enttäuscht, er vermutete, dass sogar seine Mutter ihre Enttäuschung nicht verbergen konnte, als man ihr vor dreiundzwanzig Jahren den kleinen Elliott Schuller in den Arm gelegt hatte. Elliotts Ohren waren eindrucksvoller als die von Prinz Charles, doch seine Nase hatte es kaum auf die Größe eines Knopfes gebracht und harmonierte dadurch wunderbar mit seinem schmächtigen Körper, dessen krummer Rücken ihn noch kleiner erscheinen ließ, als er in Wirklichkeit war.

    »Guten Morgen, Elliott.« Beatrice blickte für diese Begrüßung kein zweites Mal von ihrem Bildschirm auf. »Leg die Post einfach hierhin, ich kümmere mich später darum.«

    Elliott trat, seinen letzten Brief in der Hand drehend, näher und blieb unschlüssig in der Mitte des fensterlosen Vorzimmers stehen. Eine Weile betrachtete er die hellgraue Einrichtung, die dunkelgraue Auslegeware und die mittelgrauen Türen, welche den Flur schräg hinter Beatrice säumten und allesamt verschlossen waren.

    »Elliott?« Beatrice sah ihn über den Rand ihrer Brille hinweg fragend an. »Kann ich dir irgendwie weiterhelfen?«

    »Oh ja.« Er erwachte aus seiner Starre und stolperte auf ihren Schreibtisch zu. »Ich suche die Sandford Corporation. Denn weißt du, ich habe Post für diesen Verein, oder was immer das ist, und habe keine Ahnung, wo ich den Brief loswerden kann.«

    Mit einem Mal veränderte sich ihr Gesichtsausdruck. Sie riss leicht die Augen auf und hielt sich die Hand vor den Mund wie ein Stummfilmstar beim Anblick des Monsters aus dem Sumpf. Doch einen Wimpernschlag später hatte sie sich wieder in der Gewalt.

    »Da gehst du am besten zu Mister Overstream. Geradeaus bis zum Ende des Ganges, die letzte Tür. Klopf an, bevor du eintrittst.« Sie wandte sich wieder ihrer Arbeit zu und plante ganz offensichtlich, ihn für den Rest seines Aufenthalts zu ignorieren.

    Jetzt waren es Elliotts Augen, die sich vor Schreck weiteten. Er hatte Mister Overstream, den geheimnisvollen Mann mit dem stählernen Blick und dem militärisch anmutenden Bürstenschnitt, bisher nur ein einziges Mal gesehen, und zwar, als sich dieser einen Kaffee an einem der Automaten im zweiten Stock geholt hatte. Schon bei dieser einen Begegnung war es ihm kalt den Rücken runtergelaufen. Unter den einfachen Angestellten hieß der niemals lächelnde Overstream nur ›der Ghul‹, und jeder traute es dem schweigsamen Mann zu, dass er sich tatsächlich von Leichen ernährte.

    Niemand wusste, was er hier tat, keiner kannte seinen Aufgabenbereich oder sein Fachgebiet. Doch jedem war bekannt, dass Lance Overstream seit Jahrzehnten ganz unten im Keller im hintersten Büro saß und arbeitete.

    Über das, was er dort trieb, gab es wilde Spekulationen. Tess, das Mädchen aus der Teeküche, behauptete, Overstream würde in seinem Büro an einem Erdschiff bauen, mit dem man unterirdisch bis nach Australien reisen konnte. Andere waren sich sicher, dass er auf einer gigantischen Bombe saß, die eines Tages alle Kontinente hinwegfegen würde.

    All das war, wie bereits erwähnt, reine Spekulation. Denn niemand außer Overstream hatte das Büro am Ende des Ganges jemals betreten. Und Elliott war ganz gewiss nicht scharf darauf, dieses Geheimnis zu lüften, ganz egal, wie sehr er sich auch ein bisschen mehr Spannung in seinem Arbeitsalltag wünschte.

    »Ja?« Beatrice hob noch einmal den Kopf vom Bildschirm und setzte eine betont gelangweilte Miene auf.

    Elliott wagte einen Vorstoß. »Könntest du nicht, ich meine, du kennst dich hier viel besser aus, bist sicher mit allen vertraut und so weiter. Ich habe nämlich noch eine Menge zu erledigen und …« Er sah auf seine Hände hinab, die den einzelnen letzten Brief hielten, und er wusste, auch Beatrice war völlig klar, dass er log.

    »Die letzte Tür, Elliott. War schön, dich kennengelernt zu haben.« Sie tippte energisch auf ihrer Tastatur herum.

    »Warum, ich meine, was meinst du damit?« Er stand wie festgewachsen in diesem blöden Vorzimmer und war kurz davor, sich in die Hosen zu machen.

    Noch einmal schenkte sie ihm einen ihrer abschätzigen Blicke über den Brillenrand hinweg. »Sandford Corporation. Das ist Overstreams Spezialgebiet. Und niemand außer ihm, der etwas damit zu tun hatte, ist je wieder hier unten gesehen worden. Sie verschwinden alle. Der Erdboden verschluckt sie. Tut mir leid für dich.«

    Elliott schluckte den Kloß in seinem Hals hinunter und versuchte zu lächeln. »Du verarschst mich doch, oder?«

    »Letzte Tür am Ende des Ganges, Elliott«, wiederholte sie und sah ihn streng an.

    Langsam setzte er sich in Bewegung. Jetzt konnte er nicht mehr zurück, ohne in ihren Augen für alle Ewigkeit ein Feigling zu sein. Blieb nur noch das Problem, dass Elliott Schuller ein Feigling war.

    Das Herz schlug ihm bis zum Hals, als er unter ihrem strengen Blick den langen Weg durch den schlecht beleuchteten Flur antrat. Die letzte Tür schien viel zu schnell näher zu kommen, wie sehr er das Tempo seiner Schritte auch verlangsamte.

    Unausweichlich näherte er sich der wohl geheimnisvollsten Tür des ganzen Geheimdienstes, und als er sein Ziel erreicht hatte, brachte er es kaum über sich, die Hand zur Faust zu ballen. Sein Anklopfen glich einem Trommelwirbel, so sehr hatte das ängstliche Zittern von ihm Besitz ergriffen. Einen Augenblick später rief eine männliche Stimme ihn dazu auf, einzutreten.

    Das tat Elliott. Und als sein Blick auf die schwarze Gestalt hinter dem Schreibtisch fiel, stieß er einen markerschütternden Schrei aus. Eine Sekunde später schlossen sich weiße Finger um sein Handgelenk und zogen ihn ins Innere des Büros. Nachdem die Tür hinter ihm ins Schloss gefallen war, war Elliott davon überzeugt, nie wieder Tageslicht zu sehen.

    Mai 1988

    ADA

    Ada stieg, ihr kleines Handköfferchen in der einen und eine Ledermappe, angefüllt mit ihren Zeugnissen und Empfehlungen, in der anderen Hand, den Hügel zu einem einsam gelegenen Cottage hinauf. Das Haus stand zwischen blühenden Wiesen, in denen an diesem sommerlichen Morgen Scharen von Insekten summten.

    Der Busfahrer hatte ihr versichert, dass es nicht weit zu gehen sei. Nur quer durch ein Wäldchen, danach über die Brücke und durch noch ein Wäldchen, dann würde sie das Wallis-Haus schon sehen können. Ada schwor sich, diesem Mann bei ihrer nächsten Begegnung den Absatz ihrer zierlichen Sandalen über den Schädel zu ziehen, und beglückwünschte sich selbst zu der Entscheidung, den Großteil ihres Gepäcks am Bahnhof in einem Schließfach zurückgelassen zu haben.

    Die Sonne gab sich an diesem Vormittag alle erdenkliche Mühe, ihr so richtig einzuheizen, und Ada musste einsehen, dass ihr neues Kostüm in modischem Rot und Schwarz zwar schick, aber zu warm für diesen Tag war. Trotzdem war sie fest entschlossen, auf ihren neuen Arbeitgeber den bestmöglichen Eindruck zu machen.

    Richard Blunt, dessen Sohn Teddy sie bis vor Kurzem betreut hatte, war bei dieser neuen Arbeitsstelle als Vermittler aufgetreten. Seiner Meinung nach brauchte Updike Wallis nicht nur Hilfe für seine große Kinderschar und im Haushalt, sondern auch Unterstützung der besonderen Art. Und Ada, die im Haus der Blunts eine ganze Menge über Hausgeister dazugelernt hatte, war einverstanden gewesen.

    Teddy, ihr pausbäckiger Liebling, brachte ohnehin nun mehr Zeit in der Schule als zu Hause zu und würde ohne sie gut zurechtkommen. Umso gespannter war sie auf das, was sie im Hause Wallis erwartete. Richard Blunt war mit Details eher sparsam gewesen und wollte offensichtlich über die Situation, in der Updike Wallis sich befand, nicht mehr als nötig sagen. Ada war das nur recht gewesen. Sie würde sich selbst ein Bild von der Lage machen, auf Hörensagen gab sie ohnehin nicht viel.

    Die Zufahrt zum Cottage war vor langer Zeit einmal gepflastert gewesen, jetzt aber hatte die Natur sich mithilfe von Sand, Moos und Unkraut das ihrige zurückgeholt. Auch das Cottage schien seine besten Jahre hinter sich zu haben. Auf dem Reetdach wucherten Gräser und Farne, die bestimmt niemand dazu aufgefordert hatte, dort Wurzeln zu schlagen.

    Während Ada sich mit der einen Hand den Schweiß von der Stirn wischte und mit der anderen den kleinen Koffer auf die Fußmatte stellte, suchte sie nach einer Klingel oder einem Türklopfer. Beides war nicht vorhanden, so hieb sie energisch mit der Faust auf das Türblatt ein.

    Irgendwo im Innern schlug ein Hund an, wurde zur Ordnung gerufen und war besser erzogen als die Schar Kinder, deren Stimmen sie jetzt deutlich durcheinanderreden hörte. Im Hause Wallis herrschte große Aufregung. Offensichtlich erwartete man sie.

    Nun wurde ihr geöffnet und ein etwa achtjähriges Mädchen mit Haaren, so hell wie der Sonnenschein, erschien barfuß und nur mit einem Badeanzug bekleidet im Türrahmen. Hinter ihr drängten sich zwei weitere Mädchen, Zwillinge allem Anschein nach und vielleicht ein oder zwei Jahre jünger. Auch sie waren blond und blauäugig und trugen nicht einmal Badeanzüge. Ada spürte, wie sich ihre Mundwinkel zu einem Lächeln verzogen.

    »Hallo, ich bin Ada Lippnik. Und ihr seid wohl gerade aus dem Swimmingpool gehüpft, um mich zu begrüßen, richtig?«

    Die Älteste lachte vergnügt, hielt eine grau-weiße Promenadenmischung zurück, die nun ebenfalls den Neuankömmling begrüßen wollte, und verkündete: »Wir haben keinen Pool, aber einen Rasensprenger. Onkel Updike hat ihn aufgestellt. Komm mit, wir sind alle im Garten.«

    Ada gehorchte, schob ihr Handköfferchen mit dem Fuß über die Schwelle und begrüßte gleich nach ihrem Eintreten den Hund, der fröhlich mit dem Schwanz wedelte und vom Schicksal wohl mehr zum Fußwärmer als zum Wachhund bestimmt war.

    »Der heißt Vincent«, klärte eines der Zwillingsmädchen sie auf. »Wie Vincent van Gogh, weißt du?«

    »Ein hübscher Name«, bestätigte Ada und strich dem Tier über den Kopf. »Habt ihr drei auch Namen?«

    »Heidi«, rief die Älteste aus, versuchte sich an einem Knicks und landete zur Freude der Jüngeren ungelenk auf dem Flurteppich.

    Die Zwillinge stellten sich rasch als April und Rose vor und winkten Ada über einen Berg unsortierter Schuhe hinweg durch eine lichtdurchflutete Küche, wo sich noch das Frühstücksgeschirr auf dem Esstisch stapelte.

    Ada trat, den Kindern folgend, durch eine weitere offene Tür und befand sich wieder im Freien. Eine große Rasenfläche, umkränzt von Beeten, in denen alles, was blühen konnte, friedlich vor sich hin wucherte, verwandelte sich gerade dank eines Rasensprengers in einen Sumpf. Und in der letzten trockenen Ecke dieses lauschigen Plätzchens entdeckte Ada einen bärtigen und langhaarigen Mann hinter einer Staffelei.

    Sie schloss messerscharf, dass es sich bei ihm um den Hausherrn handeln musste, und glaubte nun auch zu wissen, warum der Hund den Namen eines niederländischen Meisters trug. Hinter dem linken Ohr von Updike Wallis klemmte ein Pinsel, sein Unterhemd, das er anstelle eines Hemdes trug, war voller Farbspritzer und seine Jeans bestand zu einem erheblichen Teil aus Flicken. Updike Wallis war ein Künstler, wie man ihn sich vorstellte. Und ganz offensichtlich entstand an diesem herrlichen Tag auf seiner Leinwand mittels Wasser und Farbe sein neues Werk.

    Ada sah ein, dass sie für dieses Vorstellungsgespräch die falsche Kleidung gewählt hatte. Sie wäre besser in ihrem ältesten Kleid erschienen oder noch besser: in ihrer Unterwäsche. Mehr Garderobe erwartete man hier allem Anschein nach nicht.

    Sie zupfte ein paar Strähnen ihres roten Haares aus dem Knoten in ihrem Nacken, um einen weniger perfekten Eindruck zu erwecken, und zog die ohnehin unbequemen Sandalen aus.

    »Wunderschön«, hörte sie eine Männerstimme sagen. »Könnten Sie für eine Weile so stehen bleiben?«

    Ada, die sich gerade gebückt hatte, um die letzte Schnalle an ihrer Sandale zu lösen, wandte den Kopf und warf dem Mann hinter der Staffelei einen fragenden Blick zu. »Ist das Ihr Ernst?«

    »Mein voller Ernst, gnädiges Fräulein.« Er kramte einen Skizzenblock und einen Bleistift hervor und ließ die Spitze über das Papier tanzen. »Kolorieren kann ich es später, damit Ihr Haar auch die gleiche Leuchtkraft wie in natura erhält. Die Bewegung allerdings muss ich festhalten. Sie ist anmutig, natürlich und doch irgendwie ungeschickt. Das mögen die Menschen.«

    Ada runzelte die Stirn. ›Ungeschickt‹ war nicht unbedingt ein Adjektiv, das sie für sich selbst anstrebte. Aber wenn es Updike Wallis glücklich machte, würde sie einen Moment in dieser gebückten Haltung verharren.

    »Mögen Sie Limonade?« Heidi, die Älteste, beugte sich zu ihr herunter und suchte Blickkontakt. »Ich presse sie selber aus Orangen und Zitronen.«

    »Das klingt wunderbar.« Ada spürte, wie ihr das Blut in den Kopf lief und ihre sommersprossige Haut zum Glühen brachte. »Was ist nach deiner Erfahrung schneller fertig? Deine Limonade oder die Skizze deines Vaters?«

    »Er ist mein Onkel«, stellte Heidi klar und Ada erinnerte sich, dass dies auf der Fußmatte bei ihrem Eintreten bereits kurz erwähnt worden war. »Wir leben alle bei Onkel Updike, seit Mama verrückt geworden ist.«

    Ada dachte an Richard Blunt, der so taktvoll die Details aus dem Privatleben ihres neuen Arbeitgebers übersprungen hatte. Viel ungeschickter hätte er es auch nicht ausdrücken können.

    »Kommen Sie mal her und schauen Sie es sich an. Ich habe Sie großartig getroffen«, hörte sie da den Künstler rufen.

    Das ließ sich Ada nicht zweimal sagen. Sie richtete sich zu ihrer vollen bescheidenen Größe auf und marschierte barfuß und mit ausgestreckter Hand auf den Mann zu. »Ich bin Ada Lippnik. Richard Blunt hat …«

    »Ah ja, der gute Richard.« Mister Wallis wischte sich die farbenfrohe Hand rasch an seinem Unterhemd sauber und ergriff die ihre. »Er ist ein großer Bewunderer der Arbeiten meines Vaters, und er hat behauptet, Sie wären so eine Art gute Fee. Eine Mary Poppins mit untrüglichem Instinkt für besondere Haushalte. Nun, dies ist ein besonderer Haushalt, Miss Lippnik. Ich schätze, daran besteht schon jetzt kein Zweifel mehr.«

    Ada, die mit einem Blick auf den Block feststellte, dass Updike Wallis in erster Linie ihren Po skizziert hatte, sah ihn ernst an. »Ich glaube, ich bin noch nie so dringend gebraucht worden wie hier in diesem Haus. Wollen Sie meine Zeugnisse sehen?«

    »Wozu? Sie bekommen den Job.« Er grinste und hielt noch immer ihre Hand. »Es wird ihn sonst niemand haben wollen.«

    »Onkel Updike, ich finde keine Orangen mehr, und Vincent kotzt soeben in die Küche. Ich glaube, Rose und April haben ihn mit Schokolade gefüttert«, rief Heidi von der Küchentür her.

    Ada stieß einen Seufzer aus und befreite sich aus dem Griff ihres neuen Arbeitgebers. »Ich schätze, ich fange dann gleich mal an. Wo verwahren Sie denn Ihre Scheuertücher, Mister Wallis?«

    Anstatt zu antworten, zog er sich das fleckige Unterhemd über den Kopf, präsentierte eine fast haarlose, braun gebrannte Brust und reichte ihr das noch körperwarme Stück Stoff.

    »Praktisch.« Ada drehte sich um und lief zurück zum Haus, um Heidi beizustehen. Ihre innere Stimme flüsterte ihr zu, dass sie hier sehr glücklich sein würde.

    Nachdem sie den Boden gewischt, den Frühstückstisch abgeräumt und alle schmutzigen Teller in ein Schaumbad geworfen hatte, saß sie neben Heidi auf einer Bank neben der Küchentür und genoss eine kalte Zitronenlimonade. Heidi rührte die ihrige permanent mit dem Strohhalm um und ließ die Eiswürfel klirren.

    Ada schaute zu den Zwillingen hinüber, die noch immer kreischend unter dem Rasensprenger herumhüpften und großen Spaß hatten.

    »Deine Mutter ist also verrückt geworden.« Ada sah nicht ein, warum sie um den heißen Brei herumreden sollte, wenn die Kinder es nicht taten. »Und was ist mit eurem Vater? Kümmert er sich um sie, während ihr hier bei eurem Onkel verlängerte Ferien genießt?«

    Heidi hörte auf, im Glas zu rühren, und blickte Ada mit ihren blauen Augen an. »Wir machen keine verlängerten Ferien, wir bleiben jetzt für immer hier. Unser Vater fährt zur See und kann sich nicht um uns kümmern. Mama muss in der Klinik bleiben, vielleicht für immer, und sonst will uns niemand haben. Der Einzige, der uns aufnehmen wollte, war Onkel Updike. Mums Bruder.«

    »Er ist ein sehr großzügiger Mann.« Ada versuchte, sich vorzustellen, wie es sich anfühlte, wenn einem die eigene Schwester mir nichts, dir nichts drei Kinder vererbte und selbst in ein Sanatorium ging.

    Was für ein Typ Mensch musste man sein, um diese Herausforderung anzunehmen? ›Heldenhaft‹ war ein Wort, das die Situation ganz gut traf. ›Mutig‹ und ›verrückt‹ kamen aber auch infrage. Nun, immerhin war er klug genug gewesen, sie einzustellen.

    Während die Zwillinge sich amüsierten und Updike Wallis den Pinsel schwang, plauderte Ada weiter mit Heidi und erfuhr, dass sie schon neun und ihre beiden Schwestern sieben Jahre alt waren, und sie alle am liebsten Nudeln mit Ketchup aßen. Ada hoffte sehr, dass sich im Kühlschrank noch weitere Lebensmittel finden ließen, ansonsten würde sie hier neue Sitten einführen müssen.

    Allein der Gedanke an Nudeln mit Ketchup ließ sie erschauern. Sie war jetzt über dreißig und hatte ihre Nudel-Ketchup-Phase lange hinter sich. Kurz nachdem sie selbst ihr Elternhaus verlassen und ihre Ausbildung zum Kindermädchen begonnen hatte, hatte es mal so eine Zeit gegeben, in der sie sich neben Schokolade hauptsächlich von Nudeln ernährt hatte. Doch seit einer Weile versuchte Ada auf ihre Linie zu achten. Mit mäßigem Erfolg, wie sie sich eingestehen musste.

    »Heute ist Montag, und es ist noch nicht einmal Mittag«, stellte sie fest. »Warum seid ihr nicht in der Schule?«

    »Das Auto ist kaputt und es sind ja ohnehin bald Ferien«, meinte Heidi und zuckte mit den Schultern. »Aber im Herbst gehen wir wieder hin.«

    Ada schlug sich kurz mit der flachen Hand vor die Stirn. »Mein liebes Kind, ich fürchte, ihr werdet morgen wieder hingehen. Ich bin überzeugt, dass sich ein Weg finden lässt.«

    »Na gut.« Heidi rührte wieder ihre Eiswürfel um und summte zufrieden vor sich hin. Zumindest schien der Gedanke an den Schulbesuch sie nicht zu schrecken.

    Ada lehnte sich zurück und sah hinab auf ihre nackten Zehen. »Ein Künstler, ein Hund und drei kleine Kinder. Tja, ich denke, das ist zu schaffen.«

    »Vier.« Heidi rührte noch immer, ohne aufzublicken. »Du hast Jordan vergessen.«

    »Wer ist Jordan?«, wollte Ada wissen und hob die Augenbrauen.

    »Unser kleiner Bruder. Willst du ihn sehen?« Heidi lächelte sie an.

    »Natürlich will ich das. Wo steckt er denn?« Ada schaute sich um.

    Hatte sie wirklich ein Kind übersehen?

    »Der ist bestimmt oben.« Heidi deutete auf das Reetdach des Cottages. »Aber ich warne dich. Jordan ist ein bisschen seltsam.«

    Ada blickte zu Updike Wallis hinüber, der, einen Pinsel hinter dem Ohr und einen zwischen den Zähnen, noch immer ganz in seine Arbeit vertieft war, und fragte sich, was einem Mädchen, dessen Mutter verrückt und dessen Onkel ein Chaot war, seltsam erscheinen konnte. Dann dachte sie wieder an Richard Blunt und überlegte, ob Jordan der eigentliche Grund war, warum ausgerechnet sie der Familie Wallis empfohlen worden war.

    Kapitel 2 - Neue Aufgaben

    September 2019, Donnerstag: 9.55 Uhr

    ELLIOTT

    »Du hörst sofort mit dieser Schreierei auf, ist das klar?«

    Elliott klappte den Mund zu und versuchte, zu nicken. Doch dies misslang, weil eine kräftige Hand ihn am Kinn gepackt und gegen die geschlossene Tür gedrückt hatte. Die Hand gehörte Lance Overstream, dessen farblose Augen in dem ausdruckslosen Gesicht jetzt ganz dicht vor Elliotts waren, während hinter dem Schreibtisch noch immer dieses furchtbare Wesen stand, eine Art schwarze Echse mit spitzen Ohren auf dem hundeähnlichen Schädel, und sich nicht rührte.

    »Dir bleiben genau zwei Möglichkeiten.« Overstreams Stimme klang völlig ruhig. »Entweder du verlässt mein Büro und vergisst, was du gesehen hast, oder du steigst vier Gehaltsklassen auf und tust, was ich dir sage. Wie willst du es haben?«

    Elliott, dessen Herz in die Hose gerutscht war und dort kräftig auf seine Blase zu drücken schien, hätte nichts lieber getan, als augenblicklich

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1