Gerechten Frieden predigen: "… und richte unsere Füße auf den Weg des Friedens"
Von Fernando Enns
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Über dieses E-Book
Eine große Bandbreite von Themen ist in diesem Predigtband zu finden: von der Versöhnung, von Konflikten, dem Zusammenhang von Frieden und Gerechtigkeit, der Mission, der Rolle der Religionen für den Frieden, Gewalt und Gewaltverzicht bis hin zur Flüchtlingsthematik. So liest sich dieser Predigtband auch als eine Ermutigung, auf dem "Pilgerweg der Gerechtigkeit und des Friedens", den der Ökumenische Rat der Kirchen ausgerufen hat, mutige Schritte zu gehen – verwurzelt in einer biblisch geprägten Spiritualität des Friedens, friedensethisch reflektiert und verbunden mit konkreten Erfahrungen auf dem Weg des Friedens. Vom Verlag für die Deutsche Wirtschaft wurde eine dieser Predigten als "Beste Predigt des Jahres" ausgezeichnet.
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Gerechten Frieden predigen - Fernando Enns
Meinem Vater
Abram Enns
(1936–2019)
Fernando Enns
Gerechten Frieden
predigen
»… und richte unsere Füße
auf den Weg des Friedens«
Fernando Enns, Dr. theol., geb. 1964, studierte Theologie in Deutschland und in den USA. Er hält die Stiftungsprofessur »Theologie der Friedenskirchen« an der Universität Hamburg und einen Lehrstuhl (Friedens-)Theologie und Ethik an der Vrije Universiteit Amsterdam, ist Mitglied im Zentralausschuss des Ökumenischen Rates der Kirchen, Vorsitzender der Internationalen Reference Group »Pilgrimage of Justice and Peace«. Er erhielt den Preis des Verlages für die Deutsche Wirtschaft für die »Beste Predigt des Jahres« (2007).
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
© 2019 by Evangelische Verlagsanstalt GmbH · Leipzig
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Cover: Mario Moths, Marl
Coverbild: Garten Gethsemane vor den Toren Jerusalems
(Foto: Fernando Enns)
Satz: 3w+p, Rimpar
E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2019
ISBN 978-3-374-06180-8
www.eva-leipzig.de
VORWORT
Im September 2016 fand in Bremen der Ökumenische Stadtkirchentag statt. Unter dem Thema »Richte unsere Füße auf den Weg des Friedens« trafen sich an einem Wochenende Christinnen und Christen vieler Kirchen, um sich des Friedens Gottes zu vergewissern, sich auszutauschen und mit aktuellen Fragen auseinanderzusetzen und ein Zeichen des Friedens in der Stadt zu setzen. Die Predigt im Abschlussgottesdienst auf dem Bremer Marktplatz hielt Fernando Enns. Sie ist in diesem Predigtband abgedruckt (75–80). Für viele Menschen auf dem Bremer Marktplatz war sie eine Ermutigung und Inspiration auf dem Pilgerweg der Gerechtigkeit und des Friedens.
Fernando Enns gelingt es in seinen Predigten, die Tiefe der biblischen Texte intensiv auszuleuchten und sie gleichzeitig für aktuelle Fragen und Themenkreise fruchtbar zu machen. »Wir wollen uns Weisung aus der Bibel holen« (41). An diesen Grundsatz hält sich Fernando Enns konsequent. Die Bibel ist für ihn nicht nur Text, sondern tatsächlich lebendiges Wort Gottes, Weisung und Richtschnur, Quelle einer Spiritualität des Friedens und Herausforderung, praktische Schritte des Friedens zu gehen.
Dabei schreckt er auch nicht vor schwierigen Texten zurück, die z. B. vom Gericht Gottes sprechen. Es gelingt ihm dabei, auch diese Texte für unsere Gegenwart zu erschließen.
Eine große Bandbreite von Themen ist in diesem Predigtband zu finden: von der Versöhnung, von Konflikten, dem Zusammenhang von Frieden und Gerechtigkeit, der Mission, der Rolle der Religionen für den Frieden, Gewalt und Gewaltverzicht bis hin zum Flüchtlingsthema.
Seine mennonitische Herkunft und Verwurzelung leuchtet immer wieder auf – vor allem, wenn er sich auch mit der Auslegungsgeschichte der Texte und den Entwicklungen beschäftigt, die sich im Zuge der Reformation gezeigt haben – oder, wenn er an die Märtyrer der Reformationszeit erinnert, zu denen auch eine große Zahl aus den Friedenskirchen gehört.
Die Predigten sind durchzogen von der Suche nach einem Frieden, der auf gewaltfreie Weise gewonnen wird. Dabei geht es nicht um einen oberflächlichen oder gar naiven Gewaltverzicht. »Gewaltverzicht ist nichts für Schwache«, kann Fernando Enns formulieren und verweist auf die vielen Erfahrungen in der Ökumene. Zu diesen Erfahrungen, die Fernando Enns geprägt haben, gehört der eigene Weg in der ökumenischen Bewegung. Die »Dekade zur Überwindung von Gewalt«, die »Friedenskonvokation« 2011 in Kingston/ Jamaika und die Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen 2013 in Busan/Südkorea sind wichtige Wegmarken für ihn und finden auch in seinen Predigten Erwähnung. So liest sich dieser Predigtband auch als eine Ermutigung, auf dem »Pilgerweg der Gerechtigkeit und des Friedens«, den der Ökumenische Rat der Kirchen ausgerufen hat, mutige Schritte zu gehen – verwurzelt in einer biblisch geprägten Spiritualität des Friedens, friedensethisch geprägt und verbunden mit konkreten Erfahrungen auf dem Weg des Friedens.
Ich wünsche dem Buch viele geneigte Leserinnen und Leser, die sich inspirieren und ermutigen lassen auf dem Pilgerweg.
Renke Brahms
Friedensbeauftragter des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD)
EIN WORT DES DANKES
Ich danke meinen Mitarbeiterinnen in der Arbeitsstelle Theologie der Friedenskirchen an der Universität Hamburg für die Ermutigung, dieses Buch zu publizieren, für die Auswahl der Predigten sowie für die Fertigstellung zur Drucklegung. Ohne Julia Freund, Laura Hoolt und Johanna Schade würde es diesen Band nicht geben.
Der Arbeitsgemeinschaft Mennonitischer Gemeinden in Deutschland danke ich für den Druckkostenzuschuss.
Fernando Enns
Bibeltexte sind – wenn nicht anders angegeben – zitiert nach: Die Bibel nach Martin Luthers Übersetzung. Lutherbibel revidiert 2017, herausgegeben von der Evangelischen Kirche in Deutschland. Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart 2016.
INHALT
Cover
Titel
Über den Autor
Impressum
Vorwort
»Du siehst mich!« – Im Angesicht des Feindes
Genesis 33,1–17
Tamar und die Gerechtigkeit Gottes
Genesis 38
Zuerst kommt das Beten!
Psalm 85
»Höret des Herrn Wort, Ihr alle von Hamburg«
Jeremia 7,1–7
Im Haus des Widerspruchs
Ezechiel 12,1–12
Teilhabe am Gerechten Frieden
Matthäus 10
»Sündigt aber dein Bruder an dir …«
Matthäus 18,15–22
Sanftmütig und widerständig
Matthäus 21,1–17
Die Jünger verstehen es nicht!
Matthäus 26,47–56
Wie kriegt man ein Kamel durchs Nadelöhr?
Markus 10,17–27
ER richtet unsere Füße auf den Weg des Friedens
Lukas 1,70–79
Ehre sei Gott – und Friede auf Erden
Lukas 2,1–21
Epiphanias – Ein (Missions‐)Fest der vertauschten Rollen
2. Korinther 4,3–6
Kann man Erinnerungen heilen?
Epheser 4,1–7
Die Zeichen der Zeit lesen
Offenbarung 21,1–6
Gewalt und Frieden in den Religionen
Makkabäerbücher
Weitere Bücher
Endnoten
»DU SIEHST MICH!« – IM ANGESICHT DES FEINDES
EINE REISE DER VERSÖHNUNG
GENESIS 33,1–17
¹
Liebe Kirchentagsbesucher und
-besucherinnen
!
»Du siehst mich!« – so lautet die trostvolle Kirchentagslosung. Hagar spricht sie in der Hebräischen Bibel zuerst aus. »Du bist ein Gott, der mich sieht!« (Gen 16,13) – sagt die Frau, die Sklavin, die Fliehende. Sie wird angesehen – von Gott – und sieht daher mit neuen Augen. Und viele werden in der Folge in dieses Bekenntnis einstimmen, weil auch sie die Erfahrung machen: »Du bist ein Gott, der mich sieht!« Der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs – und Hagars!
Heute geht es um die Erfahrung zweier Männer! Jakob und Esau. Und die zerbrochene Beziehung zwischen diesen beiden Brüdern, die Gott sieht.
Lesen wir zunächst den vorgegebenen Bibeltext: Genesis 33,1–17²:
¹Jakob blickte auf, und siehe: Da kam Esau und mit ihm 400 Mann. Da verteilte er die Kinder auf Lea, Rahel und die beiden Sklavinnen. ²Er stellte die Sklavinnen und deren Kinder nach vorn, Lea und ihre Kinder hinter sie, dahinter Rahel und Josef. ³Er selbst ging ihnen allen voran. Siebenmal warf er sich zu Boden, während er sich seinem Bruder näherte. ⁴Da lief Esau ihm entgegen, umarmte ihn und fiel ihm um den Hals. Er küsste ihn, und sie weinten. ⁵Als Esau aufblickte, sah er die Frauen und Kinder und fragte: »Wen hast du da alles bei dir?« Da antwortete Jakob: »Es sind die Kinder, durch die Gott mir, deinem Diener, seine Gunst gezeigt hat.« ⁶Da kamen die Sklavinnen und Kinder herbei und warfen sich zu Boden. ⁷Danach kamen auch Lea und ihre Kinder herbei und warfen sich zu Boden. Und schließlich kamen Josef und Rahel herbei und warfen sich zu Boden. ⁸Da fragte Esau: »Was willst du mit der ganzen Herde, der ich begegnet bin?« Jakob antwortete: »Gunst finden in deinen Augen, mein Herr.« ⁹Esau aber sagte: »Ich besitze selber viel, mein Bruder. Was dir gehört, behalte.« ¹⁰Da sagte Jakob: »Nicht doch! Wenn ich Gunst in deinen Augen gefunden habe, so nimm mein Geschenk aus meiner Hand. Denn ich habe dein Gesicht gesehen, als sähe ich Gott. Und du bist mir wohlwollend begegnet. ¹¹Nimm doch meinen Segen an, der dir gebracht wurde, denn Gott hat mir Gunst erwiesen, und ich habe von allem reichlich.« So drängte er ihn, bis er es annahm. ¹²Da sagte Esau: »Lass uns aufbrechen und losziehen. Ich werde an deiner Seite gehen.« ¹³Jakob sagte aber zu ihm: »Mein Herr, du weißt, dass die Kinder noch klein sind. Außerdem habe ich für einige Schafe und Rinder zu sorgen, die noch säugen. Wenn man sie nur einen Tag heftig antreibt, stirbt die ganze Herde. ¹⁴Ziehe du doch deinem Diener voran, mein Herr. Dann kann ich langsam hinterherkommen, so schnell das Vieh und die Kinder es zulassen, bis ich zu dir nach Seïr komme, mein Herr.« ¹⁵Da sagte Esau: »Dann will ich wenigstens einige von den Leuten bei dir lassen, die bei mir sind.« Jakob aber fragte: »Wozu das? Lass mich nur Gunst in deinen Augen finden, mein Herr.« ¹⁶So kehrte Esau an jenem Tag auf seinem Weg nach Seïr zurück. ¹⁷Jakob aber zog weiter nach Sukkot und baute sich ein Haus.
I.DIE VORGESCHICHTE: DER KONFLIKT – UND DIE FLUCHT
Eine wunderbare Versöhnungsgeschichte! Doch um sie in ihrer Tiefe zu verstehen, müssen wir an den Ort des Konfliktes zurück. Es gibt keine Heilung ohne die Erinnerung an das Böse.
Die Ursachen für diesen Konflikt liegen mehr als 20 Jahre zurück. Eine lange Zeit! Ein Konflikt, nicht nur zwischen zwei Brüdern, sondern zwischen zwei Familien – ein Familiendrama! Und ein Konflikt zwischen zwei Brudervölkern: Jakob wird »Israel« und Esau wird »Edom« (Gen 36,8).
Alles begann bereits während der Schwangerschaft von Rebekka, der Frau Isaaks. Damals spürte die werdende Mutter – deren Kinderwunsch so lange unerfüllt geblieben war, bis Gott sie gnädig ansah – einen Kampf in ihrem Leib: zwischen den beiden Zwillingen. Rebekka fragte im Gebet Gott, was das zu bedeuten habe.
Und Gott antwortet:
Zwei Völker sind in deinem Leib, zwei Nationen trennen sich bereits in deinem Schoß.
Eine Nation ist der anderen überlegen, und der Ältere wird für den Jüngeren arbeiten. (Gen 25,23)
Das trägt Rebekka nun in sich. Und tatsächlich: beide Söhne sind sehr verschieden! Esau – der Ältere – wird ein Jäger, sehr zum Gefallen seines Vaters Isaak. Jakob, der Jüngere, bleibt bei den Zelten – und ist der ganze Stolz der Mutter.
Wir wissen, dass Esau in einer schwachen Stunde, noch in den Teenager-Jahren, sein Erstgeburtsrecht an den listigen Jakob abtritt, für ein Linsengericht! Der unbekümmerte Esau hat schlicht Hunger, der vorausblickende Jakob nutzt das aus. – Hier deutet sich der Konflikt bereits an: Die Sache mit dem erschlichenen Vater-Segen:
Der gebrechliche Isaak, Vater der beiden Söhne, lässt sich auf seinem Totenbett von Jakob (und dessen Mutter Rebekka) täuschen und erteilt seinen Segen dem jüngeren Jakob. Mit allem, was dazugehört! Für Esau bleibt nichts übrig! – Das Drama nimmt seinen Lauf:
»Und Esau erhob seine Stimme und weinte« (Gen 27,38), wird berichtet, als dieser merkt, dass er betrogen wurde und dass dieses Vergehen nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Tränen des Schmerzes, sicherlich auch der Enttäuschung über den Bruder, gewiss auch Tränen voller Wut.
Der Vater Isaak, selbst entsetzt über die Verstrickung in diesen Verrat, hat kaum beruhigende Worte für den Erstgeborenen übrig: »Durch dein Schwert musst du leben und für deinen Bruder sollst du arbeiten.« Zu der Verletzung kommt auch noch die Demütigung! Der Weg scheint vorgezeichnet: Esau wird ein Krieger! – Doch der Vater prophezeit ihm auch: »… bei deinem Umherirren wirst du sein Joch von deinem Hals abwerfen … Da wurde Esau zum Feind Jakobs wegen des Segens« (Gen 27,40 f.), berichtet die Bibel. Von nun an sinnt Esau darauf, sich zu rächen, Jakob zu töten!
Und die Mutter Rebekka? Man mag sich kaum vorstellen, wie es ihr erging. Eine zerrüttete Familie. Jetzt Witwe, verliert sie auch noch beide Söhne, der eine ist besessen von Rachegefühlen, der andere flieht. Und sie wird ihn nie wiedersehen. – Rebekka wird in der fortlaufenden Geschichte nicht mehr erwähnt.
Jakob ist von nun an auf der Flucht! Fluchtursache: Bedrohung des eigenen Lebens. Es gibt viele Fluchtgründe. Bei Jakob ist es ein Familiendrama! Ein Bruderzwist, in den die ganze Familie involviert ist. Die große Täuschung war das Letzte, was er mit seinen Eltern und seinem Bruder erlebt hat. Ein Trauma, das von nun an sein Leben überschattet! Aber: Überleben ist jetzt zunächst das Wichtigste.
Seine Mutter hatte ihm noch geraten: »gehe zu meinem Bruder Laban, biete dich deinem Onkel als Knecht an«. – Und Jakob macht seinen Weg, als Flüchtling. Arbeitet sich hoch, gewinnt schließlich Frauen, Kinder, Tierherden. Dabei muss er selbst Täuschungen erfahren von seinem Onkel Laban. Es ist kein leichter Weg.
Von Esau erfahren wir nur, dass auch er heiratet. Er geht zu Ismael, jenem verschmähten Sohn seines Großvaters Abraham, und der Hagar – die von Gott gesehen worden war – und heiratet eine von dessen Töchtern, Mahalat!
Viel Zeit vergeht, 20, 25 Jahre. Kein Kontakt zwischen den Brüdern! Jakob wächst an Erfahrung, Wissen, womöglich auch Einsicht. Er emanzipiert sich allmählich gegenüber seinem Onkel Laban. Aber er