Die Dame mit dem maghrebinischen Hündchen: Novelle
Von Dana Grigorcea
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Über dieses E-Book
Die Dame mit dem maghrebinischem Hündchen erzählt von einer ungewöhnlichen Liebe in Zürich, aus dem Herzen einer Gesellschaft, die dem schönen Leben frönen will. In einer hellen, flirrenden Atmosphäre entsteht das Bild einer heterogenen Gesellschaft, in der Exotik und Zugehörigkeit sowie die Rolle der Kunst neu ausgehandelt werden.
Eine hinreißende Geschichte über die Sehnsucht nach Sinn und Sinnlichkeit und über die Zeiten hinweg eine Hommage an Anton Tschechow.
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Buchvorschau
Die Dame mit dem maghrebinischen Hündchen - Dana Grigorcea
Buch
Dana Grigorcea
Für Perikles
I
Es war an einem dieser betriebsamen Werktage, an denen die Seepromenade trotz der ersten Frühlingssonne menschenleer geblieben war.
Auf dem glitzernden Wasser trieben Boote mit weißen Segeln, dort vorn glitt ein Schwan vorbei.
Durch die grünen Laubhecken drang ein gleichmäßiges leises Rauschen von der Bellerivestraße herüber. Es rührte vom dahinfließenden Stadtverkehr her. Zürich, doch mit geschlossenen Augen wähnte Anna sich am Meer.
Als sie die Augen öffnete, erblickte sie am Nebentisch einen Mann, der ihren Hund anzulocken versuchte.
»Er wird nicht kommen«, sagte sie.
Der Mann hob den halben Keks auf, den er mit einer Bewegung des Handgelenks dem Hund zugeworfen hatte.
»Kommen Sie öfters her?«
Anna rührte ihren Kaffee um, den sie ohne Sahne und ohne Zucker nahm.
»Wenn ich in der Nähe bin«, sagte sie.
Sie konnte ihre Wirkung auf Männer längst einschätzen. Das Interesse an ihrer zierlichen Erscheinung ermutigte sie zusätzlich mit grazilen, getakteten Gesten.
Als Ballerina, die sie schließlich noch war, obschon sie nur noch Charakterrollen – thronende Königinnen, ehrwürdige Mütter und Ammen – tanzte, hatte sie ein Gefühl für den Pas de deux.
Anna hatte sich für die ehrwürdigen Ballettnebenrollen entschieden, bevor man sie ihr hatte nahelegen müssen. Ein paar Jahre war das nun her. Auf den Empfängen – die sie mit ihrem Mann, einem gestandenen Arzt, des Öfteren gab – scherzte sie, dass sie nun, als Nebenrolle, dem Solistentanz näher sei als früher, als sie selbst noch Solistin war. Von außen lässt sich alles viel besser beobachten.
Die Gäste hörten ihr andächtig zu. Sie schätzten die Künste; zumindest mochten sie es, von sich zu sagen, dass sie die Künste überaus schätzten, auch wenn sie als Juristen oder Ökonomen in Kunstdingen meist ahnungslos waren. Nach den Toasts sprach man von der einen oder anderen Rolle Annas, wann und mit wem sie getanzt, wer dabei dirigiert hatte, wie das Wetter am Abend der Premiere gewesen war.
Anna hatte mit wechselnden Tanzpartnern überall auf der Welt das verliebteste Bühnenpaar gegeben. Und auch jenseits der Bühne bewies sie stets Taktgefühl für den schönen Abgang, damit ihr Liebhaber sie in teurer Erinnerung behielt.
Ihr Gatte hatte eine Praxis, die wie eine Wohnung eingerichtet war, mit gerahmten Aufnahmen aus Annas Ballettaufführungen an der Wand. Er trat mit einer Steifheit auf, die er für vornehm hielt und durch die er sich der Körperspannung seiner Frau anzupassen suchte. Zu den Premieren sandte er ihr einen riesigen Blumenstrauß in die Garderobe, der inzwischen unangemessen groß ausfiel – sehr zur Belustigung der Garderobieren und Maskenbildnerinnen.
Die jüngeren Tänzer bewunderten Anna sehr, wenn sie, mit kerzengeradem Rücken und raumgreifenden Schritten, den Blumenstrauß über den Arm gelegt, in Begleitung ihres Hündchens das Opernhaus verließ.
Es war Annas Art, so manche Verehrung, den Austausch von zärtlichen Gesten, zu befeuern und dabei so zu tun, als würde ihr die Kontrolle über die Situation entgleiten. So half sie dem Liebhaber, seinen Platz als eifriger Verehrer einzunehmen, der ihr bald auf Schritt und Tritt folgte. Erst dann gab sie sich ihm hin, wie sie sich nur einem einzigen hingeben wollte: dem Jeweiligen.
Sie tue das für die Liebe, sagte sie sich, um dem Leben nichts schuldig zu bleiben.
Sie spürte nun wieder den musternden, abschätzenden Blick des fremden Mannes vom Nebentisch.
»Es ist noch sehr kühl. Trotz der Sonne«, sagte sie, den Blick auf den See gerichtet.
»Ach, dieses Wetter«, sagte er scherzhaft. »Immer gegen uns.«
Sie lachte leise. Er fing ihren Blick auf und lachte mit. Dann rührten sie beide in ihren Tassen und tranken, schauten auf den glitzernden See.
Nach dem Kaffee standen sie gleichzeitig auf, in perfekter Synchronizität, und gingen in Richtung der Quaibrücke nebeneinanderher. Und es begann dieses beschwingte Geplauder zufriedener Menschen, die nichts als einsehen, dass es ein schöner Tag ist, mit einer hellen Sonne und weißen Schwänen auf dem See, in einer der schönsten Städte der Welt, mit freundlichen, sorglos wirkenden Menschen. Sie redeten und liefen die Promenade hinauf, den Zürichsee entlang. Die Reflexe auf dem Wasser blendeten sie, und die wenigen Passanten hatten leuchtende Konturen.
Anna erzählte von ihrem Hündchen, das ihr in Algerien am Strand zugelaufen war. Es hatte sie angeschaut, als hätte es auf sie gewartet. Sein Fell war gelb wie der Sand – es musste nur die Augen schließen, und man konnte es nicht mehr unterscheiden. Der zierlichen Statur nach musste es sich um eine Mischung aus einem maghrebinischen Windhund und einem dahergelaufenen Spitz handeln. Sie möge die Bezeichnung Promenadenmischung für ihr Hündchen, das klinge so antiquiert. Sie hatte es in ihr Hotelzimmer geschmuggelt und schließlich nach Zürich mitgenommen.
Und dann erzählte Anna, dass sie Balletttänzerin war und sich auch als Choreografin auf der Studiobühne des Opernhauses versuchte. Und dass ihr Mann Arzt war, mit einer eigenen Praxis, Hausarzt, falls er einen guten suchen sollte.
Von ihm erfuhr sie, dass er Kurde war, aus der Türkei, aus einem kleinen Dorf an der Grenze zu Syrien, und dass er im Gartencenter in L. arbeitete, als Gärtner und Zulieferer. Vor kurzem war er zum Projektleiter bei der Begrünung des oberen rechten Zürichseeufers befördert worden, vom Bellevue bis zum Zürichhorn. Sie pflanzten vor allem Immergrün, Wetterfestes,