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Diversitätskategorien in der Lehramtsausbildung: Ein Handbuch
Diversitätskategorien in der Lehramtsausbildung: Ein Handbuch
Diversitätskategorien in der Lehramtsausbildung: Ein Handbuch
eBook677 Seiten7 Stunden

Diversitätskategorien in der Lehramtsausbildung: Ein Handbuch

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Über dieses E-Book

Erste Basis
Das Handbuch der "Diversitätskategorien in der Lehramtsausbildung" soll eine erste Basis für das Grundstudium an der Pädagogischen Hochschule schaffen.

Ziele
Ziel ist es zu zeigen, inwieweit Teilbereiche wie Geschlechter-, Migrations- oder Inklusionsforschung im Zusammenhang mit Lernen und Lehren in der Grundschule stehen. Dieses einführende Handbuch bietet praxisrelevante Einblicke, aber auch wissenschaftlich fundierte Ansatzpunkte. Es soll außerdem eine Annäherung an die Hauptprobleme und Diskursstränge der behandelten Felder bereitstellen.

Die Themen
Um die Kreuzungspunkte für die Praxis sichtbar zu machen, werden Themen aus aus Soziologie, Erziehungswissenschaft und Psychologie sowie den verschiedensten Fachdidaktiken behandelt
SpracheDeutsch
HerausgeberStudienVerlag
Erscheinungsdatum3. Apr. 2019
ISBN9783706559904
Diversitätskategorien in der Lehramtsausbildung: Ein Handbuch

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    Buchvorschau

    Diversitätskategorien in der Lehramtsausbildung - StudienVerlag

    AutorInnen

    Vorwort

    Kategorien dienen in den Wissenschaften nicht nur dazu, um Phänomene und Objekte systematisch einteilen zu können, sondern auch, um mit den in der Kategorie ruhenden Konzepten Phänomene und Objekte kritisch zu erschließen. Der vorliegende Band versucht zentrale Differenzkategorien, also jene Kategorien, welche zum Verständnis von Verschiedenheit beitragen, vorzustellen. Auf diese Weise sollen sie Lehramtsstudierenden – insbesondere angehenden Primarstufenlehrerinnen und -lehrern – grundlegend zugänglich gemacht werden. Ziel ist es daher zu zeigen, inwieweit Teilbereiche der Diversity Studies (u. a. Geschlechter-, Migrations-, Inklusionsforschung) im Zusammenhang mit Lernen und Lehren in der Grundschule stehen. Dazu bietet der Band von seiner Konzeption her zwei verschiedene Typen von Zugängen. Eher theoretisch gehaltene Beiträge mit soziologischer, erziehungswissenschaftlicher oder psychologischer Ausrichtung stellen einzelne Differenzkategorien und ihre Einbettung in wissenschaftliche Zusammenhänge in den Mittelpunkt. Daneben regen aber verstärkt (fach)didaktisch ausgerichtete Beiträge die Nutzung der Kategorien in schulischen Kontexten an, um Kreuzungspunkte zwischen Theorie und Praxis aufzuzeigen.

    Diversitätskategorien denken zu können und sie in wissenschaftlichen Diskursen und pädagogischen Situationen zu berücksichtigen, ist ein erster Schritt, um in einem weiteren auch intersektionale Momente, also jene, in denen das Zusammenspiel mehrerer Diversitätskategorien beobachtbar ist, zu analysieren. Denn Bildungschancen hängen von verschiedenen Faktoren ab, nicht von einem. Vor allem definiert der soziale Status etwa zwischen Armut und Reichtum, dem Geschlecht, aber auch zwischen Migrationserfahrung und Mehrsprachigkeit, Fragen, die im Zusammenhang mit Sexualität und Körper, sexuellen Identitäten und Heteronormativität sowie Behinderung stehen, Alter und Religion – um hier zumindest einige der vielen Differenzlinien anzuschneiden – den Bildungserfolg einzelner Menschen.

    Arbeitet man mit Diversitätskategorien gilt es jedoch stets zu beachten, dass solche Kategorien in den Wissenschaften einen spezifischen Zweck erfüllen, der sich – wendet man ihn unreflektiert auf pädagogische Kontexte an – schnell negativ auswirken kann. Daraus ergibt sich ein stets zu reflektierendes Spannungsverhältnis zwischen engen sozialwissenschaftlichen Kategorien, wie sie etwa in der quantitativen Forschung benötigt werden, und der Nutzung von Kategorien als Reflexionshorizonte im pädagogischen Tun.

    Der Band versteht sich selbst als Ausgangspunkt für eine breitere Diskussion der vorgestellten Bereiche. Er gibt dazu grundlegende Orientierungslinien frei und will individuelle Vertiefungen zwischen Theorie und Praxis, die aus den vielfältigen pädagogischen Kontexten erwachsen, anregen. In diesem Sinn gilt es auch den Autorinnen und Autoren des Bandes für ihre dargelegten Perspektiven, angebotenen Zugänge und implizit mitzudenkenden Diskussionsanregungen zu danken.

    Ch. Kühberger/S. Kronberger/M. Oberlechner, April 2016

    ALTER

    Doreen Cerny

    Alter(n) und Schule: Bezugspunkte für ein professionelles Grundverständnis von LehrerInnen über Alter(n) von Kindern im schulischen Handlungsfeld

    Alter(n) und Schule – eine Einführung

    Der Beitrag beschäftigt sich mit dem Thema Alter(n) und Schule und zielt zum einen darauf, Alter(n) begrifflich zu fassen und grundlegende konzeptionelle Zugänge zum Alter(n) zu portraitieren. Zum anderen führt er an einem exemplarischen Beispiel in die Thematik der Transition ein.

    Im Studium und in späterer Folge im Beruf stellt die Reflexion über das eigene Handeln einen wichtigen Bezugspunkt für professionelles Handeln dar. Im Zuge dieses Reflexionsprozesses ist es wichtig, Alter(n) aus einer intersektionalen Perspektive zu betrachten. Durch die „Intersektionalitätsbrille" (Riegraf, 2010, S. 47) zu blicken meint, jene Überkreuzung einer gedachten Kategorie mit anderen, einer Person zugeschriebenen Eigenschaften in die eigene Sichtweise einzubeziehen: Auf welchen verschiedenen Ebenen können Menschen Andere (z. B. SchülerInnen, Eltern) denken? Wie gelingt es, Ausgrenzungs-, Diskriminierungs- bzw. Missachtensstrukturen sowie eindimensionale Sichtweisen auf eine Person z. B. aufgrund des zugeschriebenen Alters oder Geschlechts, des Gesundheitszustands, der kulturellen, sozialen Hintergründe, der religiösen Orientierung bewusst werden zu lassen und stattdessen Anerkennungsvarianten und Verständnisräume des So-Seins bzw. des So-geworden-Seins einer Person als auch Aneignungsgelegenheiten für Individuen zu ermöglichen? Das Bild der Überkreuzung verweist auf das von Crenshaw (zitiert nach Riegraf, 2010, S. 40) geprägte Bild einer Straßenkreuzung, welches die

    Verwobenheit von Ungleichheiten und Differenzen, die sich wechselseitig verstärken, abschwächen oder auch verändern können [, betont]. Demnach lassen sich gesellschaftliche Ungleichheitslagen nicht angemessen erfassen, solange jeweils eine Dimension isoliert betrachtet wird, da sich Machtwege gegenseitig kreuzen, überlagern und überschneiden.

    Den Beitrag begleiten Fragen und Aufgaben, welche die StudentInnen dazu anregen sollen, selbstständig während des Studiums über die Kategorie Alter(n) nachzudenken, Alter(n) für ihr professionelles Handeln auszubuchstabieren und Wechselbeziehungen von Alter(n) mit anderen Dimensionen (z. B. soziale, kulturelle, religiöse Orientierungen, Geschlecht, Gesundheit, Beeinträchtigungen, Körper, Bildung) für das LehrerInnensein herauszuarbeiten.

    Zugänge zum Alter(n): Begriffe und konzeptueller Rahmen für ein Verständnis von Alter(n)

    Die (angehenden) LehrerInnen richten bereits in den Praxisphasen ihres Studiums ihre Bildungsbemühungen auf das Kind in der Schulklasse aus. Die LeserInnen stimmen sicher mit der Autorin darin überein, dass ihr Hauptklientel – die SchülerInnen – „(…) eine zentrale Ressource der Gesellschaft [bilden] und die Bedingungen des Aufwachsens von Kindern [eine; D. C.] Voraussetzung für die Bildung und für die zukünftige Gestaltung einer Gesellschaft dar[stellen]." (GlogerTippelt, 2002, S. 479) Schule wird bspw. neben der Familie und den Peers als eine wesentliche Sozialisationsinstanz verstanden, in der institutionelle Bildung vollzogen wird. Diese Instanz rahmt das Aufwachsen der Kinder, indem sie etwas lernen, heranreifen und auch erzogen werden. Die Institution Schule macht etwas mit den Kindern, sie werden nicht ausschließlich, aber auch durch Schule zu „(…) universalisierten und individualisierten Personen. Der Handlungsraum von Kindern wird durch Familie und Schule [u. a. auch durch Peers oder Medien; D. C.] bestimmt." (Schlemmer, 2004, S. 19) Die Auseinandersetzung mit dem Begriff der Bildung, vor allem aber mit der Nutzung dieses Begriffs für das Konzept der Kindheit ist multidimensional und komplex und soll nicht in aller Ausführlichkeit an dieser Stelle geführt werden. Für das Lehramtsstudium ist es unerlässlich, die wesentlichen Begriffe (darunter: Erziehung, Bildung, Sozialisation, Individuation), die mit Bildung und Alter(n) im Schulkindalter verwoben sind, zu kennen und voneinander unterscheiden zu können. Zur Klärung der Grundbegriffe kann den LeserInnen Seel und Hanke (2015, siehe vor allem S. 9ff. und S. 481ff.) empfohlen werden.

    Auf den ersten Blick ist Alter(n) ein Prozess, dem alle Individuen ausgesetzt sind. So gibt es einen Beginnpunkt des Alter(n)s beim Menschen, der sich spätestens mit der Geburt manifestiert, und einen Endpunkt des menschlichen Alter(n)sprozesses, den Tod. Alter(n) betrifft alle Menschen und ist zudem „(…) eng an die biologische Entwicklung des menschlichen Organismus gebunden (…) (Burkart, 2008, S. 533); Alter(n) ist somit eine Kategorie, die zunächst biologisch gefasst werden kann. In dieser Lesart resultiert das biologische Alter „(…) aus einer ‚genetischen Programmierung‘ [Hervorhebung im Zitat] als auch aus den erfahrenen äußeren Einflüssen (Gerling & Naegele, 2005, S. 30) und kann als diskontinuierlich verlaufender Reifungsprozess des Organismus (Burkart, 2008, S. 534) gefasst werden. Die Anzahl der Kalenderjahre und das kontinuierliche Voranschreiten von Tag zu Tag, Monat zu Monat, von Jahr zu Jahr beschreibt hingegen das kalendarische Alter (Burkart, 2008, S. 534).

    Welche äußeren Einflüsse bestimmen Alter(n)sprozesse und inwiefern sind diese Einflüsse für das (außer-)schulische Handlungsfeld relevant? Halten Sie Ihre Ergebnisse graphisch fest. Platzieren Sie die Kategorie Alter(n) in die Mitte Ihrer Grafik und versuchen Sie anhand einer Mindmap die Einflüsse mit der Kategorie Alter(n) in Beziehung zu setzen.

    Auf den zweiten Blick ist Alter(n) nicht eindeutig festgelegt und verläuft nicht in allgemeingültigen Bahnen, denn „(…) die Ausgestaltung von Lebensalter, Lebensphasen und Lebenslauf hängt von sozialen Regeln und kulturellen Deutungen ab und kann daher von Gesellschaft zu Gesellschaft, von Kultur zu Kultur erheblich variieren." (Burkart, 2008, S. 533) Ein markantes Beispiel für die soziale Konstruktion des Alter(n)s ist das Hochzeitsalter, die mit der Hochzeitszeremonie rituell gerahmte Beendigung der Kindheit und damit der Übergang in das Erwachsenenleben, das in verschiedenen Kulturen und in Abhängigkeit von gesellschaftlichen Entwicklungsprozessen, religiösen Verhaftungen oder auch politischen Interessen einem Wandel unterlag. Alter(n) wird aber demgegenüber auch als ein Konstrukt betrachtet, das abhängig ist von äußeren Umständen wie Gesetzen, persönlichen oder gesellschaftlichen Auffassungen. Die Einteilung in Lebensalter ist dabei kein modernes Phänomen und ist gesellschafts- und kulturübergreifend:

    Alle Gesellschaften nehmen eine Einteilung in Altersstufen und Lebensphasen vor, denn alle Gesellschaften sind mit der Frage konfrontiert, wie sie das Zusammenleben der verschiedenen Altersgruppen organisieren, wie sie mit Altern und Sterben der Individuen, dem historischen Wandel durch das Wegsterben der Generationen der Alten und das Nachfolgen von jungen Generationen umgehen; wie sie Lebensaltersstufen und damit auch Altersgruppen und Generationen voneinander unterscheiden wollen. (Burkart, 2008, S. 534)

    Die Einteilung in Altersstufen und Lebensphasen kann nach der Lesart Burkarts bedeutsam für den Systemerhalt sein. Abseits der Diskussion um die Generationenverhältnisse ist an dieser Stelle zu hinterfragen, warum LehrerInnen eine Einteilung in Altersstufen und Lebensphasen vornehmen.

    Ist es sinnvoll, als Lehrperson bei den Schulkindern eine Einteilung in Altersstufen vorzunehmen? Erstellen Sie eine „Pro-&-Kontra-Liste", in der Sie in aussagekräftigen Stichworten auf der Pro-Seite darlegen, dass eine Altersstufeneinteilung angemessen ist. Auf der Kontra-Seite erarbeiten Sie, dass eine Altersstufeneinteilung unangemessen erscheint. Begründen Sie Ihre jeweiligen Standpunkte und beziehen Sie selbst Position!

    Wie die LeserInnen an der Diskussion mit ihren KommilitonInnen bzw. im stillen Dialog mit sich selbst anzunehmenderweise feststellen konnten, steht ein Gedankengang im Mittelpunkt der Diskussion: Eine Einteilung in Altersstufen kann für LehrerInnen als Orientierung dienen, die Schulkinder in der Klasse bezüglich ihrer Leistung oder auch ihrer sozialen oder emotionalen Entwicklung einzuschätzen: Lehrpersonen schreiben Schulkindern bestimmte Eigenschaften altersabhängig zu. Diese Zuschreibungen entstehen mit der Perspektive auf das Lehramtsstudium im besten Fall aus den erlernten Theorien oder Konzepten aus dem Studium, die im Praxisfeld wiedererkannt und/oder hinterfragt werden (im schlechten Fall kommen diese Zuschreibungen ausschließlich aus Alltagsannahmen oder aus unreflektierten, tradierten verallgemeinerten Erwartungen und Erfahrungen). Die Frage stellt sich jedoch, welche Theorien sagen den angehenden LehrerInnen was über das Alter(n) und welche ist eine passende Theorie, um das Individuum angemessen betrachten zu können? Schließlich: Welche Rolle spielt das Alter, wenn sich LehrerInnen ein Bild von einer Person – von einem Schulkind – machen, und welche Merkmale, die eben prominent auf das Alter zugeschrieben werden, lösen bei den Erziehenden und Lehrpersonen ein förderliches oder hemmendes Bildungsengagement aus (Gloger-Tippelt, 2002, S. 480)?

    Einerseits sind die theoretischen Basics, die Fachbegriffe und gleichsam auch die gesammelten Erfahrungen aus dem schulischen Handlungsfeld unverzichtbare Grundlagen dafür, eine professionelle Haltung als LehrerIn zu entwickeln. Aufmerksame LehramtskandidatInnen werden bemerkt haben, dass im Curriculum für das Lehramt einerseits Theorien und Begriffe bedeutsam für dieses Studium sind. Andererseits spielt aber die praktische Erfahrung eine ebenso wichtige Rolle für das Verständnis der LehrerInnen-Profession. Beide Erkenntniszugänge (Theorie und Praxis) zu einer Profession sind nicht als weit voneinander entfernte Pole zu verstehen, sondern als ineinander verschränkte Zugänge, aus denen dann auf Grundlage eines gelungenen Theorie-Praxis-Transfers eine professionelle Grundhaltung von LehrerInnen entstehen kann. Die für LehramtsstudentInnen unverzichtbare, mitunter vielleicht auch herausfordernde Auseinandersetzung mit wissenschaftlicher Literatur und Fachmeinungen gehört zu der professionellen Grundhaltung von angehenden LehrerInnen, um Alter(n)skategorien, -bilder und -prozesse der Schulkinder möglichst umfassend zu begreifen und mit ihnen umgehen zu können. Die unterschiedlichen fachlichen Positionen, begrifflichen Konzepte wie auch Theorien helfen und stabilisieren während des Lehramtsstudiums, die eigene – nicht ausschließliche, vielleicht aber auch unbewusste – Orientierung an selbstverständlichen und gesellschaftlich vermittelten Altersnormen und Altersrollen zu hinterfragen.

    Prämisse 1: Theorien sind Helfer und Stabilisatoren während des Studiums, denn durch sie können eindimensionale Grundhaltungen sowie Annahmen, z. B. über eine Person/Gruppe oder Situation, hinterfragt werden.

    Prämisse 2: Es gibt nicht die „richtige" Theorie. Theorien ermöglichen aus ihrem jeweiligen Hintergrund eine mögliche Sichtweise z. B. auf eine Person oder ein Setting. Je nach Theorieherkunft können sich diese Sichtweisen voneinander unterscheiden oder sich gegenseitig unterstützen.

    Prämisse 3: Theorie und Praxis bedingen sich gegenseitig: Professionelles Handeln in der Praxis kann durch theoretisches Wissen entstehen oder auch abgesichert werden; Theorien können sich u. a. aus praktischem Handeln weiterentwickeln.

    Nach den bisherigen Ausführungen ist als Zwischenfazit festzuhalten: LehramtsstudentInnen finden sicher nicht die eine „richtige Theorie, mit der sich Verhaltensweisen, Prozesse oder Situationen erklären lassen. Vielmehr sind die angehenden Lehrpersonen diejenigen AkteurInnen im Studium und später im Beruf, die mit den Theorien und Konzepten arbeiten und diese als Tools nutzen können. Die Reduktion auf die Konzeptionen des biologischen Alters als auch auf das kalendarische Alter würde den AkteurInnen in der Schule, den Schulkindern, in keiner Weise gerecht werden. Alter(n) „(…) als bloße biophysische Erscheinungen zu verstehen, wäre unterkomplex und deshalb ein reduziertes Altersverständnis. (Schroeter & Künemund, 2010, S. 396)

    Um hinter den Konstruktionsprozess von Alter(n) zu sehen und es aus mehreren (theoretischen bzw. konzeptionellen) Positionen heraus zu betrachten, ist es notwendig, die bisherig dargestellten Alter(n)szugänge zu erweitern: Jede Person hat ihre Alter(n)svorstellung von sich selbst (Selbstbilder des Alter(n)s) und anderen Personen (Fremdbilder des Alter(n)s). In diesem Zusammenhang werden das psychologische Alter und das psychisch-intellektuelle Alter, meist synonym verwendet, in der Literatur verhandelt. Es entsteht aus dem

    komplexen Zusammenwirken (…) von Anlage und Umwelt. Die vorangegangenen Sozialisations- und Personalisationsprozesse stecken dabei den Verhaltensspielraum ab, und Einstellungen bzw. Handlungen zu sich selbst als alterndem Menschen, zum Alter generell und auch zu Tod haben Einfluss darauf, ob man bspw. eher aktiv oder eher zurückgezogen altert. (Reimann & Reimann, zitiert nach Gerling & Naegele, 2005, S. 30)

    Das psychologische Alter ist eng an die Selbstsicht der Person über das eigene Alter gebunden. Hingegen verweist das soziale Alter vor allem auf die Fremdsicht von anderen Personen auf das Alter(n) des Individuums: In diesen sozialen Prozessen manifestieren sich sowohl gesellschaftlich vorherrschende Erwartungen und Ansprüche als auch zugewiesene Rollen und Normen das Alter(n) (siehe dazu auch Gerling & Naegele, 2005, S. 30; Burkart, 2008, S. 534; Schroeter & Künemund, 2010, S. 398). Folgende Beispiele sollen die Konstruktion des sozialen Alter(n)s verdeutlichen: So gelten beispielweise Nadine Angerer als Europas Fußballerin des Jahres 2013, zweimalige Weltmeisterin und fünffache Europameisterin sowie der italienische Fußballspieler und viermalige Welttorhüter Gianluigi Buffon (beide Jahrgang 1978) für den aktiven Profisport auf dem Fußballrasen bereits als relativ alt. In der Funktion als BundespräsidentIn würden beide im Jahr 2015 – mit 37 Jahren – jedoch als relativ jung bezeichnet werden (Gerling & Naegele, 2005, S. 30; zur Thematik der Deutungen und Relativität des sozialen Alters siehe auch Kielmansegg & Häfner, 2012). Ein Beispiel für den Einfluss von geschlechtsspezifischen Rollenerwartungen im sozialen Alter(n) von Frauen und Männern ist die PartnerInnenwahl (hier am Bsp. heterosexueller Paare): So verwundert es nicht, wenn sich Männer, z. B. in Mitteleuropa, mit (erheblich) jüngeren Frauen liieren; Erstaunen rief bzw. ruft es demgegenüber hervor, wenn Frauen Beziehungen mit (erheblich) jüngeren Männern führen. An beiden Beispielen zeigt sich, dass Alter(n) über Zuschreibungen erfolgt, relativ gedacht werden kann und durch geschlechtsspezifische Normierungen erfolgt.

    Inwiefern eine altersabhängige Wirklichkeit über das Schulkind entsteht, ist abhängig von den AkteurInnen (z. B. Lehrpersonen) im institutionellen Bildungsraum (z. B. Schule) und ihren Vorverständnissen zur Thematik Alter(n). Kurzum: Alter(n) ist als soziale Konstruktion zu verstehen, die von Zuschreibungen abhängt, d. h. „(…) zu einem großen Ausmaß von moralisch-ethischen Kodizes, von normativen Setzungen, aber auch von sozialen Faktoren, von ökonomischen Verhältnissen und technisch-zivilisatorischen Errungenschaften (…)." (Wieser, 2015, S. 114)

    In der nachfolgenden Übersicht werden die Altersdefinitionen aus diesem Kapitel zusammengefasst:

    Abbildung 1: Übersicht zu den Altersdefinitionen aus diesem Kapitel

    Alter(n) als soziale Konstruktion – am Beispiel des Übergangs vom Kindergarten in die Volksschule

    Für LehramtsstudentInnen ist es unumgänglich, sich mit der Thematik Alter(n) auseinanderzusetzen. Sie sind direkt mit dieser Diversitätskategorie in ihrem Berufsfeld konfrontiert, denn Schule ist (1.) ein komplex zu denkender sozialer Raum, in dem Interaktionen stattfinden und in dem SchülerInnen, LehrerInnen oder auch Eltern verschiedene Rollen einnehmen (siehe dazu auch Pitsch & Ayaß, 2008, S. 979). Die Sichtweise der LehrerInnen auf das Alter(n) der Schulkinder ist nicht ausschließlich auf das unterrichtliche Geschehen beschränkt. So erhalten LehrerInnen beispielweise zusätzliche Informationen über das Kind aufgrund von Elterngesprächen, in Notenkonferenzen mit KollegInnen oder über Beobachtungen des Kindes im außerunterrichtlichen Geschehen (z. B. auf dem Pausenhof, während des Wandertags). (2.) Das Alter(n)sbild ihrer schulischen HauptakteurInnen – der Volksschulkinder – ist von institutionellen Vorgaben (Festlegung des Schuleintritts) und Gesetzen (Schulpflicht) geprägt und gesteuert (siehe auch Burkart, 2008, S. 533). (3.) Außerdem sind LehrerInnen relevante PartnerInnen in Übergangsphasen, wie z. B. vom Kindergarten in die Schule. Nach dem Übergang der Kinder in die Volksschule stehen LehrerInnen im Hinblick auf das Schulalter der Kinder durchgängig bis zum nächsten Übergang in der Schulkarriere des Kindes vor multiplen Erwartungshaltungen z. B. der Eltern. Sie haben den SchülerInnen altersgemäß den Inhalt des Lehrplans zu vermitteln. Sie sollen altersgerecht kommunizieren. Sie mögen das Kind ressourcengestützt bis zur nächsten Statuspassage begleiten und ihnen wird die Kompetenz zugesprochen, eine möglichst umfassende Einschätzung über die passende nächstfolgende Schulform abzugeben. Sie sind damit ein einflussreicher Player in der Biographie der Schulkinder. Ihnen wird eine bedeutsame Rolle in diesem Transitionsprozess bspw. in der Zusammenarbeit mit den Eltern und im fachlichen Austausch zugeschrieben: Die differenzierte Betrachtung der Transitionsprozesse von Fageth & Breitfuß-Muhr (in diesem Band) soll einerseits verdeutlichen, wie stark der Übergang vom Kindergartenalter in die Volksschule vom Entwicklungsalter und den daran geknüpften Normalitätserwartungen dominiert wird. Andererseits zeigen die beiden AutorInnen auf, welche systemischen und institutionellen Überlegungen zum Übergang derzeit zur Umsetzung anstehen.

    Transition wird als Fachbegriff genutzt, der einen Übergang im Sinne einer komplexen „(…) Schnittstelle von individuellen Handlungs- und Bewältigungsvermögen und gesellschaftlichen Handlungsvorgaben und -anforderungen" beschreibt (Welzer, zitiert nach Schaupp, 2012, S. 132). Im Folgenden soll am Beispiel der Transition ein Blick auf die soziale Konstruktion Alter(n) beim angehenden Schulkind Toni geworfen werden:

    Toni sitzt gemeinsam mit den Eltern am Abendbrottisch – Toni freut sich auf diesen Sommer, denn es wird zwei große Feste geben. Eines mit der ganzen Wackelzahngruppe diese Woche. Und das andere mit ihren/seinen besten Freunden und den Verwandten später. Die Koboldgruppe wollte zwar gern mitfeiern, die Kinder sind aber noch zu klein. Stolz verkündet sie/er, dass sie/er ja bald in die Schule kommt und nun schon groß ist und sich schon jetzt fragt, was wohl alles in der Zuckertüte zu finden ist. Toni möchte in ein paar Jahren nach der Schule PilotIn werden, das weiß sie/er schon ganz genau.

    An dem fiktiven Fallbeispiel sollen im Folgenden drei wesentliche Aspekte erläutert werden, anhand derer sich der Konstruktionsprozess Alter(n) am Beispiel der Transition dokumentiert:

    (1.) Aus der Eigensicht Tonis erfolgt der Übergang zunächst einmal in die Schule hinein. Herausgehoben wird in Tonis Bericht, dass zwei Feste gefeiert werden und dem Kind etwas mitgegeben wird in die neue Lebensphase (dt. Zuckertüte/österr. Schultüte). Ob mit oder ohne Zuckertüte, in den unterschiedlichen Kulturen wird der Übergang zur Schule durch einen Ritus gefeiert. Auch die Beendigung der Schule, der Berufsausbildung oder des Studiums werden durch Zeremonien markiert: die Abschlussfeier, die feierliche Übergabe des Zertifikats an LehramtstudentInnen, die erste große Reise (mit Freunden, ggf. ohne die Eltern). Die soziale Konstruktion Alter(n) entsteht somit zum einen über den Lebenslauf oder -ablauf als eine strukturelle Dimension. Im sog. Normallebenslauf wird das seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts vereinheitlichte Einschulungsalter (siehe Burkart, 2008, S. 537) als auch der Schulbesuch als etwas Selbstverständliches im Leben eines Kindes mitgedacht, weil der vorgelagerte Besuch einer Schule für das Erlernen eines Berufs gesellschaftlich als notwendig erachtet wird.

    (2.) Toni berichtet, dass ihre/seine Gruppe und nicht die jüngeren Kindergartenkinder an dem Verabschiedungsfest im Kindergarten teilnehmen. Diese explizit geäußerte Gruppendifferenz ist als Beispiel für das Durchlaufen einer Statusbiographie zu beschreiben, d. h. als „(…) eine geregelte Abfolge von Positionen, deren Übernahme stark von der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Altersgruppe abhängt" (Burkart, 2008, S. 536). Erst in einem bestimmten Alter kommen die Kinder in die Gruppe der sog. großen Kinder und werden sukzessive auf den Schulbesuch vorbereitet. Die PädagogInnen und in späterer Folge die LehrerInnen sind aus der strukturellen Perspektive heraus betrachtet allgemein anerkannte Autoritäten, die die Kinder im Übergang und später hin zum erfolgreichen Schulabschluss begleiten sollen.

    (3.) Wenn Alter(n) angemessen betrachtet werden soll, ist neben der strukturellen Dimension auch die subjektive Deutung und die Verarbeitung des Lebens(ver) laufs mitzudenken. In der Erzählung Tonis wird deutlich, dass sich nicht erst im Jugend- oder Erwachsenenalter biographische Orientierungsschemata ausbilden, sondern die „[b]iographischen Reflexionen schon in frühen Lebensphasen mit Überlegungen zur eigenen Zukunft [beginnen]" (Burkart, 2008, S. 543) – der Berufswunsch PilotIn steht als subjektive Deutung, die prospektiv (vorwärts) ausgerichtet ist. Individuen können ihre Biographie in die Zukunft ausgerichtet entwerfen: Dies wird spätestens dann besonders virulent, wenn sich die Kinder in der vierten Volksschulstufe befinden und sie selbst, vor allem die Eltern als auch die LehrerInnen, mit der Entscheidung für die weiterführende Schulform die Lebensplanung (falls sich der Berufswunsch Tonis verfestigt) beeinflussen.

    Die Autorin erinnert hier an das von Crenshaw geprägte Bild der Straßenkreuzung, welches zu Beginn des Beitrags skizziert wurde und auf die Lebenslage von Kindergartenkindern im Übergang zur Schule übertragen werden kann. LehrerInnen bewegen sich in den Worten Crenshaws auf „Machtwegen [, die sich; D. C.] gegenseitig kreuzen, überlagern und überschneiden" (Crenshaw, zitiert nach Riegraf, 2010, S. 40). In dem hier geschilderten Beispiel dokumentiert sich Macht als (mögliche) einflussreiche Rolle, die LehrerInnen von außen zugeschrieben wird oder die sie sich selbst zuschreiben. Das zeigt sich z. B. auch an Steuerungsprozessen im unterrichtlichen (z. B. Aufrufverhalten der LehrerIn), aber auch außerunterrichtlichen Handeln (z. B. Empfehlungen des weiterführenden Schultypus).

    Die Auseinandersetzung mit der Thematik Macht und Schule soll an dieser Stelle nicht ausführlicher erfolgen, es sei diesbezüglich auf Fend (2006), Jäckle (2009) sowie auf Ricken & Rieger-Ladich (2004) verwiesen. Individuen können jedoch auch ihre Biographie rückblickend entwerfen: So bilanziert z. B. der Namensgeber für die Pädagogische Hochschule Stefan Zweig in seinem Werk „Die Welt von Gestern seine Biographie, insbesondere seine Schulerfahrungen wie folgt: „Und der einzige wirklich beschwingte Glücksmoment, den ich der Schule zu danken habe, wurde der Tag, da ich ihre Tür für immer hinter mir zuschlug. (Zweig, [1944] 2013, S. 50) So eint Stefan Zweig und Toni zum einen ein vorgegebener Verlauf eines Lebensausschnitts, der sich sowohl mit Erwartungen an und der Reflexion über die Schulkarriere verstehen lässt. Wie sich Stefan (rückblickend) und Toni (erwartend) mit „(…) ihrer persönlichen Befindlichkeit mit diesen sozialintegrativen Erwartungen auseinandersetzen, wie sie sich dabei fühlen, erleben und betroffen sind, macht ihr ‚Sein‘ aus". (Böhnisch, 1998, S. 68)

    An diesem Beispiel wird deutlich, wie stark Alter(n), Schule und der Bildungsprozess miteinander verwoben sind und im Sinne der intersektionalen Perspektive als „interdependente Kategorien" (siehe Walgenbach, 2010, S. 248) verstanden werden müssen.

    Am Fallbeispiel Toni wird somit deutlich, dass das Sprechen über das Alter(n), z. B. von angehenden Schulkindern, konzeptionell auf verschiedenen Ebenen stattfinden kann. In der nachfolgenden Tabelle sind die wichtigsten Begriffe, über die Alter(n) erfasst wird, skizziert:

    Bezugspunkte für ein professionelles Grundverständnis von LehrerInnen über Alter(n) aus intersektionaler Perspektive – ein Fazit

    Aus den Ausführungen in diesem Beitrag ergeben sich Bezugspunkte für die Ausbildung bzw. Vertiefung des professionellen Grundverständnisses von LehrerInnen, die Kategorie Alter(n) angemessen zu betrachten. Mit Hilfe der „Intersektionalitätsbrille" (Riegraf, 2010, S. 47) kann der Blick auf das Alter(n) geschärft werden.

    So gibt es (1.) nicht das oder ein Alter(n), sondern viele Varianten des Alter(n)s, die mit anderen Dimensionen in Beziehung stehen. Die Zuordnung von bestimmten Handlungen der SchülerInnen in das Entwicklungsalter mag für LehrerInnen von Nutzen sein, denn diese Zuordnung verspricht eine (gewisse) Sicherheit bzw. Orientierung für das eigene professionelle Ausgestalten des Unterrichts oder in der Beratung mit den Eltern. Wenn die LeserInnen bei der Metapher des Blickfelds verbleiben, so stellen sie sich ein Kaleidoskop vor. Durch das Verändern der jeweiligen Optik (Drehbewegung) verzahnen sich wiederum andere Formen und Muster ineinander und ergeben ein komplexes Gesamtbild. In dieses Gesamtbild gehört (2.) der aufmerksame Blick z. B. auf die machtvolle Position der LehrerIn. Wie dargelegt, bedeutet Macht in diesem Zusammenhang z. B. Steuerungsprozesse zu initiieren oder an diesen (un-)bewusst beteiligt zu sein. In der Reformulierung der klassischen schulbiographischen Deutung Böhnischs (1998, S. 68) können die Vorstellungen der LehrerInnen über das Kind und die daraus entstehenden Handlungsvollzüge für die Schulkinder im ungünstigen Fall dafür sorgen, dass sich biographische Chancen für sie verstellen und dass die Kinder so den Anschluss an die modernisierte Gesellschaft und die ihr eingelagerten Herausforderungen nicht bekommen oder verlieren. Im günstigen Fall können die ausagierten Vorstellungen der LehrerInnen aber auch dafür sorgen, dass Schulkindern Wege eröffnet werden und sie aus der institutionellen Lebenslaufperspektive etwas machen (können). (3.) Alter(n) ist somit biographisiert zu verstehen: Schulkinder haben je ihre biographischen Erfahrungen, auch wenn sie diese noch nicht so dezidiert erzählen können, wie es ältere Personen vermögen. Die LeserInnen erinnern sich an dieser Stelle an Toni. In ein paar Jahren nach der Schule, so Toni, möchte sie/er PilotIn werden. Unter vielen anderen Voraussetzungen benötigt Toni einen formalen Bildungsabschluss, um diesen Beruf erlernen zu können. Toni befindet sich am Beginn des Schulkindseins in der „(…) Spannung zu den gesellschaftlichen Lebensaltern und denen in ihnen erhaltenen Erwartungen selbst zu bewältigen und zu gestalten (…). Die Biographie [gleicht] als Medium der subjektbezogenen Steuerung und Selbstthematisierung einem ungeraden und nicht absehbaren Weg durch einen Lebenslauf, der institutionell zwar vorgegeben scheint, der aber an Übersichtlichkeit und Kalkulierbarkeit eingebüßt hat." (Böhnisch, 1998, S. 74)

    Summa summarum: M. E. gehört es zu der professionellen Rolle der LehrerInnen, mögliche „Un/Sichtbarkeiten von Wechselbeziehungen" (Walgenbach, 2010, S. 247) von Alter(n) mit anderen Dimensionen (z. B. sozialer, kultureller Hintergrund, religiöse Zugehörigkeit, Gesundheit, Geschlecht) zu identifizieren. Die Fragen danach, (a) welche Rolle das Alter spielt, wenn sich LehrerInnen ein Bild von einer Person – von einem Schulkind – machen, und (b), welche Merkmale, die eben prominent auf das Alter zugeschrieben werden, bei den Erziehenden und LehrerInnen ein förderliches oder hemmendes Bildungsengagement auslösen (Gloger-Tippelt, 2002, S. 480), sowie (c), wie mit diesen Zuschreibungsprozessen umzugehen sei, sind immer wieder zu stellende. Die LeserInnen ahnen den abschließenden Gedanken dieses Beitrags: (Angehende) LehrerInnen sind im Sinne des professionellen LehrerInnenwerdens, -seins und -bleibens immer wieder dazu aufgefordert, sich selbst Fragen – hier: zum Umgang mit Alter(n) in der Schule – zu stellen. Sie sind eigens in einem Bildungsprozess verhaftet, in ihrem beruflichen Professionalisierungsprozess. Bildung heißt im humboldtschen Sinn, sich mit sich selbst und in diesem Rahmen der (Schul-)Welt mit ihren AkteurInnen auseinanderzusetzen, z. B. eigenverantwortlich PartnerInnen für die Ausgestaltung des (Berufs-)Weges zu finden, sich kritisch mit Theorien, Konzepten und der eigenen Praxiserfahrung auseinanderzusetzen, letztendlich: sich selbst in verschiedenen Rollen zu entwerfen und zu verstehen, dass und warum es diverses Alter(n) gibt.

    Literatur

    Amrhein, L., Backes, G. M., Harjes, A. & Najork, C. (2014). Alter(n)sbilder in der Schule. Wiesbaden: Springer.

    Böhnisch, L. (1998). Das Generationenproblem im Lichte der Biografisierung und der Relativierung der Lebensalter. In: J. Ecarius (Hrsg.), Was will die jüngere mit der älteren Generation? (S. 67–79). Wiesbaden: Springer.

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    Zweig, S. ([1944], 2013). Die Welt von Gestern – Erinnerungen eines Europäers. Köln: Anaconda.

    Barbara Fageth/Gabriele Breitfuß-Muhr

    Der Transitionsprozess – Entwicklungsgerechte Gestaltung des Übergangs vom Kindergarten in die Schule

    Der folgende Beitrag fokussiert eine systemische Sicht auf aktuelle schulpraktische Entwicklungen zur Thematik der Übergangsgestaltung vom Kindergarten in die Grundschule.

    Der Schuleintritt im Alter von sechs Jahren ist in Österreich für alle Kinder unabhängig von ihrem Entwicklungsalter oder sozialen Alter verpflichtend. Dabei handelt es sich um ein mehr oder weniger willkürlich festgesetztes Schuleintrittsalter, das sich im weitesten Sinne zum Beispiel am biologischen Alter orientiert, jedoch die intraindividuellen und interindividuellen Entwicklungsunterschiede nicht berücksichtigt. Daraus ergibt sich für die Schulpraxis die Notwendigkeit, u. a. mittels Individualisierung und Differenzierung den Übergang vom Kindergarten in die Grundschule bewusster und kindspezifischer zu gestalten. Eine Voraussetzung dafür ist die verstärkte Kooperation von Pädagoginnen und Pädagogen in Kindergarten und Grundschule.

    Im Beitrag wird einerseits ein differenzierter Überblick über die anschlussfähigen Aspekte von Kindergarten und Schule in curricularer und organisatorischstruktureller Hinsicht gegeben, andererseits werden praktische Möglichkeiten einer anschlussfähigen Bildungsdokumentation aufgezeigt, die den intraindividuellen Entwicklungsunterschieden Rechnung tragen können.

    Übergänge stellen ganz allgemein im Leben eines jeden Menschen wiederholt bedeutsame Ereignisse im Lebenslauf dar, die jeweils unterschiedlich große Veränderungen mit sich bringen. „Mit Übergängen sind einerseits Ablösungen von einem bisher vertrauten Lebenszusammenhang verbunden und gehen andererseits Anpassungen an eine neue, wenig vertraute Lebenssituation einher" (Graßhoff et al., 2013, S. 14). Bei der Bewältigung dieser Übergänge entstehen immer wieder neue Herausforderungen und es wird ein fortwährendes Wechselspiel zwischen Verlusten und Gewinnen in einem dynamischen Prozess durchlebt. Zentral für die moderne Gerontologie (Alterswissenschaft) ist die Annahme, dass diese Dynamik nicht einseitig nur in Richtung von Verlusten weist, sondern dass es auch zu Gewinnen kommen kann.

    In den vergangenen zehn Jahren ist der Übergang vom Kindergarten in die Grundschule vermehrt in den Blickpunkt bildungspolitischer, bildungswissenschaftlicher und bildungspraktischer Diskussionen gerückt (vgl. u. a. Hanke, Backhaus & Bogatz, 2013; bmwfj, 2010; Wustmann, 2010) und ist damit für jede Lehrerin und jeden Lehrer im Schuleingangsbereich ein wichtiges Thema.

    Abbildung 1: Transition im ko-konstruktiven Prozess (Griebel & Niesel, 2011)

    Der Transitionsprozess vom Kindergarten zur Grundschule wird nach Griebel und Niesel (2011) als „Prozess verstanden, in dem das Kind, die Familie, die beteiligten Institutionen (Kindergarten, Grundschule) und die Gemeinschaft über einen bestimmten Zeitraum in einer spezifischen Verbindung stehen. Sie gestalten als Akteure gemeinsam diesen Prozess" (vgl. Abbildung 1).

    D. h., die Bewältigung des Übergangs soll nicht durch das Kind alleine stattfinden, sondern über das Zusammenwirken aller am Prozess Beteiligten. Dies schließt sowohl die Familie (Eltern, Geschwister, Großeltern), die Kindergartenpädagoginnen und -pädagogen und Lehrerinnen und Lehrer, andere Kinder (z. B. im Kindergarten und in der Grundschule) sowie Freunde und Bekannte mit ein. Griebel und Niesel (2011, S. 37) sprechen hierbei von Ko-Konstruktion und verstehen darunter die „Interaktion des Individuums mit der sozialen Umgebung" zur Bewältigung der mit Übergängen verbundenen Lern- und Entwicklungsprozesse. Im Mittelpunkt dieses Modells stehen daher die Kommunikation zwischen und die Partizipation aller am Übergang Beteiligten in allen Phasen des Übergangsprozesses (Vorbereitung – Bewältigung – Abschluss). In diesem Prozess kommt wiederum dem Konstrukt des Alter(n)s insofern Bedeutung zu, da es sich bei Altersprozessen in vielen Bereichen um ein Produkt von persönlichen Faktoren und sozial-räumlicher Umwelt handelt. Eine gute Passung von Person und Umwelt ist ein zentraler Faktor für ein hohes Wohlbefinden oder eine hohe Selbstständigkeit im Alter.

    Auf subjektiver Ebene stellt der Übergang vom Kindergarten in die Grundschule für Kinder und deren Eltern ein wichtiges biografisches Ereignis dar. Sowohl die Buben und Mädchen als auch ihre Eltern sind mit einem veränderten Rollenbild – vom Kindergartenkind zum Schulkind und von Eltern eines Kindergartenkindes zu Eltern eines Schulkindes – konfrontiert. Nicht selten gehen damit auch Problembelastungen und Sorgen einher, wie etwa: „Wird mein Kind den Übertritt gut schaffen?, „Wird es meinem Kind in der Schule gefallen?.

    Aber auch die beteiligten Pädagoginnen und Pädagogen sind in der Gestaltung des Transitionsprozesses gefordert, bestehende Glaubenssätze der jeweils „anderen zu reflektieren, und sehen sich in der Zusammenarbeit sowohl mit den Unterschieden als auch den Gemeinsamkeiten konfrontiert. Häufig werden überwiegend die „fundamentalen Unterschiede zwischen Kindergarten und Volksschule herausgestellt: hier der freiwillige Besuch, dort die Schulpflicht, hier das spielerische Lernen, dort der Lehrplan, hier flexibles Ankommen, Frühstück nach Bedarf und Freispiel nach eigener Entscheidung, dort die relativ festen Zeitstrukturen, womöglich im 45-Minuten-Takt und Schulglocke, hier die altersgemischte Gruppe, dort die altershomogene Gruppe. Aus dieser Sicht ist der Übergang vom Kindergarten in die Grundschule für das einzelne Kind ein gravierender Einschnitt und eine grundlegende Änderung im Leben und Lernen des jungen Menschen. Auf der institutionellen Ebene bedeutet der Übergang für Pädagoginnen und Pädagogen sowohl im Kindergarten als auch in der Schule ohne Zweifel eine große Herausforderung. In professioneller Hinsicht steht primär der Auftrag im Vordergrund, die Bildungsprozesse der Kinder gemeinsam zu gestalten. Wenn wir uns also mit Transition befassen, schwingt dabei auch immer das Thema der Professionalisierung pädagogischer Praxis mit.

    Vor diesem Hintergrund findet aktuell ein Paradigmenwechsel von der Betonung der Unterschiedlichkeiten der Bildungsinstitutionen Kindergarten und Schule hin zu einer Fokussierung der

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