Hasenjagd: Ein lustiger Schwank
Von Max P. Becker und Detlef Klewer
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Über dieses E-Book
Als eine der wenigen Einwohner Stonesfields erkennt die Strohwitwe Diane, dass sich ihre Heimat im Würgegriff krimineller Machenschaften befindet: Um die alleinige Herrschaft zu beanspruchen, geht der gewissenlose Großgrundbesitzer Trayton mit aller Härte gegen die vorherige Verbrecherbande vor – ein Krieg, für den ihm jedes Mittel recht ist.
Während sich die Gewaltspirale in Stonesfield immer weiter nach oben schraubt, kämpfen ihr Ehemann Winthrop und zwei Mithaftlinge bei einem Gefängnisausbruch um das nackte Überleben, um sich und seine Familie aus dem Kugelhagel zu retten. Doch längst sind sie zwischen die Fronten des Kleinkrieges geraten.
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Buchvorschau
Hasenjagd - Max P. Becker
Impressum
Copyright © Yellow King Productions 2022
Mario Weiß
Neuöd - Gewerbepark 12a
92278 Illschwang
E-Mail: info@yellow-king-productions.de
Web: www.yellow-king-productions.de
Autor: Max P. Becker
Lektorat: Mario Weiß, Kerstin Prügel
Cover: Detlef Klewer
E-Book: Axel Weiß
ISBN: 978-3-946309-20-8
Max P. Becker
Hasenjagd
Die Geschichte vom Häschen
Der Tritt in den Rücken brachte ihn auf den Boden. Man hätte sagen können, er brachte ihn auf den Boden der Tatsachen, aber das traute sich keiner: Auf allen Vieren glich der Bräutigam einem Tier.
Eine unter den Hochzeitsgästen, Diane Allison, sog den Atem ein. Die Hände schnellten zum Mund, und ihr Klageschrei riss ab. Die Feiergesellschaft tat nichts, als Sheriff Hubert Fitch dabei zu beobachten, wie er seiner Brutalität freien Lauf ließ. Diane war froh, dass sie ihre Tochter einem Nachbarn überantwortet hatte. Die Handschellen mussten dem am Boden kauernden Mann in die Haut schneiden. Niemand war fähig, die Veränderungen der Situation zu verarbeiten. Die Braut versuchte, etwas Bedeutungsvolles zu sagen, aber schaffte es nicht. Der Pfaffe Garfield tröstete mit allerlei Floskeln; sein Stammeln geriet jedoch ins Stocken. Der Bräutigam wollte nicht auf die Füße. Rotz und Wasser brachen Bahn; der Mund schnappte nach Luft. Ein Schlagstock sauste auf seine Schulter herab und der Aufprall hallte durch das Gotteshaus wie ein würdeloses Amen. Die Anwesenden erstarrten. Diane sprang auf, die Hände nach oben, strohblonde Strähnen glitten der Frau ins Gesicht. „Das kann nicht Ihr Ernst sein!", schrie sie. „Sheriff Fitch, in einer Kirche!"
Hubert Fitchs Kopf errötete. Diane wusste nicht, ob vor Scham oder Anstrengung. Er schlug noch einmal zu und wies mit dem Stock in ihre Richtung. „Halten Sie sich da raus, schnaubte der massige Kerl. Der Sheriffstern blitzte im Schein der Buntglasfenster auf. „Mr. McFrey ist …
„Was er ist, was er hat! Wen kümmert's denn? Die Blicke spießten die Frau auf. Alle hassten Diane. Sie war in Stonesfield ein Fremdkörper, eine vom Glück Gesegnete, Diane im Glück, liebe Güte, Herr im Himmel, schenke Gott mir einen Schimmel. Alles drehte sich und die Welt geriet aus den Fugen. Sie realisierte, dass sich niemand sonst dem Eingriff in die Hochzeit widersetzte – selbst die Braut nicht. Und wer war Diane schon? Ihre Stimme sank herab: „Bitte. Ein wenig Mäßigung.
Fitch brummte: „Mein Job ist es, Stonesfield sicher zu halten. 'Tschuldigen Sie vielmals die Störung." Er tippte sich mit herabhängenden Mundwinkeln an den Hut und klopfte den Staub von der braunen Uniform. Zwei Deputys, deren Namen Diane nicht kannte, trabten zum Bräutigam und hoben ihn auf die strampelnden Beine. Einer von ihnen musterte sie. Der andere flüsterte dem ersten etwas ins Ohr. Ruhe kehrte ein. Sie schleppten den Verlobten aus der Behütung Gottes. Die Tür ließen sie geöffnet.
Diane bemerkte, dass sie immer noch stand. Sie nahm Platz und wünschte sich, ihr Mann Winthrop kehre bald heim. Die Zähne zerbissen die schmale Unterlippe. Sie faltete die Hände und schloss die Augen. Der Herrgott konnte einen in der Kirche besser hören. Die Gäste sprachen kein Wort, und Gott tat es ihnen gleich. Die meisten Anwesenden starrten in ihren Schoß. Die Fassungslosigkeit hielt eine geraume Zeit an. Das einzig Hörbare war das Wehklagen der Braut. Diane bekam nicht mehr mit, wie sich die restlichen Eingeladenen verabschiedeten. Sie verließ die Hochzeit vor allen anderen.
Die Sonne stand hoch am Himmel und trocknete die feuchte Erde. Insekten schwirrten über den Pfützen der Vortage. Einige der Lachen waren groß wie Tümpel. Die Reifenspuren der Polizeiwagen zeichneten sich an ihren Rändern ab. Diane stieg die Treppenstufen herab auf den Vorplatz und hing ihren Gedanken nach. Sie stolperte und stieß dabei einen Kieshügel ins Wasser. Ein Arm packte sie und hielt sie auf den Beinen. Pfarrer Garfield sagte: „Mrs. Allison? Alles in Ordnung?"
Diane nickte und schlug die Augen nieder. Sie hatte nicht bemerkt, dass er ihr gefolgt war. Die Anwesenheit des Geistlichen erfüllte die Strohwitwe mit Demut. Sie erinnerte sich an ihre Kommunion, ihre zwei Hochzeiten, die Beerdigung ihres Vaters, Tiffs Taufe. Ein Pfarrer hielt einem ein Leben lang den Arm; er war so etwas wie der verlängerte Arm Gottes. Sein Gesicht war zerfurcht wie ausgedörrte Erde, die Augen zwei Wachtposten. Die Strahlen der Sonne blendeten ihn. Er faltete die Hände vor dem Gewand.
„Das hätte nicht passieren dürfen", hauchte sie und meinte damit nicht ihren Sturz.
„Seien Sie in Zukunft achtsamer. Der Pfarrer klopfte ihr auf die Schulter. Seine Mundwinkel versuchten sich an einem Lächeln. Die Falten verbargen das meiste davon. Er räusperte sich. Was hätte er noch sagen sollen? Die rastlosen Hände deuteten einen Widerstreit in ihm an. Der Ausgang war unklar, entschied jedoch über seine Stellung zu dem gewaltsamen Zugriff auf der Hochzeit und die seltsamen Vorgänge in ihrer Heimatstadt. „Er hatte Schulden. Mr. McFrey.
„Sicherlich. Seine entschuldigende Reaktion enttäuschte Diane mehr, als sie erwartet hätte. Sie wechselte ihre Handtasche von einer Hand in die andere. „Ich muss zu Tiffany.
„Besuchen Sie heute Ihre Mutter im St. Hamston?"
Diane mahlte mit dem Kiefer, hoffte, er würde es nicht merken, wollte unbekümmert klingen: „Natürlich. Jetzt, da die Hochzeit abgesagt ist."
Er bedachte die Frau mit einem Nicken. „Gut, gut. In letzter Zeit machte sie einen frischen Eindruck auf mich. Vital. Das Heim tut ihr gut."
Sie wartete, ob er das Thema auf den Anfang ihres Gesprächs zurücklenkte, und schloss dann: „Wir werden sehen. Bis bald, Pfarrer."
„Passen Sie auf sich auf."
Diane trat den Rückweg an und spürte Garfields Blicke in ihrem Rücken. Wenigstens blieb ihr das Tuscheln ihrer 'Freunde und Nachbarn' erspart. Ihr Mann Win hätte ihr geraten, für jede Kleinigkeit dankbar zu sein.
Der winzige Stadtpark tauchte rechts neben Diane auf. Der Flecken Grün war wie ausgestorben und von irgendwo her drang der Geruch alten Fetts zu ihr herüber.
Jeden Tag hatte sie dort eine Zeitung gekauft. Jeden Tag hatte sie Geoffrey, dem britischen Immigranten, in die Augen geschaut, bevor sie das Geld gezückt und er ihr die Zeitung gereicht hatte. Jeden Tag hatte das Papier verheißungsvoll geraschelt, um mit banalem Schwank die Spannung zu enthaupten. Seit Win fortgegangen war, hatte sie das Spiel mitgespielt. Jeden Tag. Außer Heute. Es war ihr zu viel. Diane vergeudete keine Zeit mehr, holte ihre Tochter ab und ging ohne Zeitung nach Hause. Ihre geheimen Erwartungen schmälerte das genauso wenig wie die Hoffnung oder die Panik. Ihr Leben konnte sich jeden Tag auf einen Schlag verändern. Mit einem Brief – oder mit einem Tritt. Zum Guten wie zum Schlechten.
Win war fort. Diane ahnte nichts von den näheren Umständen. Er hatte ihr geschworen, innerhalb einer unbestimmten Zeit zurückzukehren: „Koste es, was es wolle." Sie wusste selbst, wie viele Strohwitwen sich einredeten, der Liebste habe ihnen die Wahrheit gesagt. Sein Blick allerdings hatte Bände gesprochen. Sie hoffte, nein, zweifelte nicht einen Moment daran, dass er alles tat, um zu ihr und ihrer Tochter heimzukehren. Er liebte sie.
Welch Ironie des Schicksals wäre es, wenn er in einem Sack nach Stonesfield zurückkäme? Ein Soldat aus dem Niemandsland, der dem Wüten des letzten Krieges von Panzerschock zu Gasangriffen entronnen war. Der seinen Opfern in die Augen gesehen hatte, bevor diese ihren letzten Weg beschritten. Und Win sah sie noch heute vor sich – all seine Opfer. Acht hatte er gezählt.
Krieg war Wahnsinn. Er stahl sich in die Köpfe der Soldaten und beraubte sie ihrer Unschuld, ein unwiderruflicher Verlust. Win hatte nachts im Schlaf manchmal so laut geschrien, dass seine Frau hochschreckte. Alpträume von einem Pesthauch, Nägeln gleich Rasiermessern, einer Operation ohne Betäubung. Am markantesten jedoch war das Zittern. Er zitterte nicht – nein, er selbst blieb ruhig: Er packte sie, nicht liebevoll, sondern als sei sie dem Tode nah. Seine Augen waren dabei weit geöffnet. Wie viel von dem, was um ihn herum vorging, bekam er in dieser Verfassung mit? Wenn Diane eine Weile mit ihm geredet hatte, schlief er ein und sein Zustand besserte sich. Doch was half ihr das im Augenblick? Er war fort und sie allein – das heißt, nicht allein; Tiff leistete ihrer Mutter Gesellschaft. Sie war ein stilles Kind. Half Diane gelegentlich im Alltag, hatte Spaß daran, Dianes Zeitungsstapel zu richten, ihre Spielsachen aufzuräumen oder den Müll rauszubringen. Sie besaß die Augen ihres Vaters. Eine bemerkenswerte Kreativität und Intelligenz sprachen aus ihrem Verstand. Diesen Sommer würde sie sechs werden und sie war sehr artig. Das beruhigte Diane.
Jeder ihrer Tage glich im Grunde dem anderen. Die Zeit besah sich im Spiegel und befand sich, ohne Interesse zu zeigen, für hässlich. Geduld blieb Dianes Tugend, stille Zufriedenheit ihr Notbehelf. Was an der einsamen Mutter fraß, war die Unwägbarkeit ihrer Situation. Sie hatte das Gefühl, dass irgendein Detail ihrer Aufmerksamkeit entgehen könnte. Sie bangte, sie harrte in einer Welt aus, deren falsche Hoffnung ihr den Mund verbot. Diane wollte allen Frust herauslassen, wollte schreien, wollte ihren Ex-Mann Dwight packen und schütteln, wie Winthrop sie für das geschüttelt hatte, was er durchstehen musste.
Dwight hatte sie vor vielen Jahren ziehen lassen. Dianes Fehler war gewesen, anzunehmen, dies sei aus Vernunft geschehen – aus Vernunft und gutem Willen. Sie hatte als geschiedene Frau den Verlust ihres gesellschaftlichen Ansehens mit Würde getragen. Schlimmer jedoch war, dass Dwights Fehler sie nie wieder verließen. Er hatte hinter ihrem Rücken mit einem namenlosen Tyrannen paktiert und Win beglich die Schuld nun an seiner statt. Jener kriminelle Unbekannte beherrschte Dianes neugegründete Familie aus dem Verborgenen heraus. Eine Figur im Schatten, die seine Schergen und Herumtreiber an Strippen dirigierte. Ein Pragmatiker ohne Gefühlsregung, der Konkurrenz hasste. Ein Gesicht ohne Konturen. Auch ihn hasste sie. Er war der erste Mensch auf Erden, den sie in der Hölle wissen wollte. Jesus Christus, Amen.
Seine einzige Konkurrenz um die kleinstädtische Vormachtstellung bildete der Chirurg und Großgrundbesitzer Hugh Trayton. Und von ihm wusste Diane sicher, dass die Hölle auf ihn wartete – ganz gleich wie viele Hochzeiten er seinen Mitbürgern finanzierte. Trayton lebte seit einigen Jahren in Stonesfield und bezog eine Praxis im Zentrum der Stadt. Er hatte sich die allgemeine Ehrfurcht mittels gönnerhafter Investitionen und Spenden gesichert: Renovierungsarbeiten an der kleinen Kirche am Hügel und der im Süden sowie den Bildungseinrichtungen, aber auch die Errichtung von Naturschutzgebieten und das jährliche Stadtfest waren einige Beispiele für seine Generosität. Die Achtung der Stadt mochte ihm sicher sein, aber Diane ließ sich nicht täuschen. Trayton kaufte sich nur in das beschauliche Leben Stonesfields ein. Vereinzelte Gerüchte besagten auch, seine Finger steckten in jeder Übeltat, die einem Menschen möglich und dem Geld zuträglich schien. Bisher war das Städtchen von Katastrophen weitgehend verschont geblieben, die geplatzte Hochzeit hingegen ließ Übles erahnen.
Stonesfield hatte wenig Interessantes zu bieten. Die Steinbrüche am Südhügel beherbergten Mären jeder Natur, seitdem sie Halligan und seiner Bande vor vielen Jahren als Unterschlupf und Lagerraum dienten. Die Stadt besaß eine Gemeindeschule, eine kleine Universität mit angeschlossener Zeitungsredaktion namens Northway Herald, einen Marktplatz und ein großes Sägewerk. Die Forstwirtschaft stellte neben der Pferdezucht Stonesfields Haupteinnahmequelle dar. Einige Touristenhütten weilten am nahegelegenen See. Die Jäger erreichten die Kleinstadt pünktlich zur Jagdsaison. Ansonsten war Stonesfield das Paradebeispiel eines beschaulichen, amerikanischen Städtchens. Der Wettstreit zwischen ihrem namenlosen Tyrannen und Trayton spielte sich hinter dem Idyll ab.
Diane fürchtete, ihr Mann sei endgültig zwischen die Fronten gedrängt worden.
***
Simon Fresker, der die Hochzeit nicht hatte besuchen können, war er doch indisponiert, spürte Märzluft um ihn herum wehen. Die Brise streifte durch seinen Gefängnisoverall und verursachte dort Gänsehaut, wo Eisenketten auf Haut scheuerten. Er wusste zwar nichts von der Hochzeit, war aber in Wahrheit längst Teil der Ereignisse in Stonesfield. Der Sträfling sog die Luft ein wie eine Droge, die diesen ganzen Unsinn erträglich machte, und fuhr sich mit der Hand durch das fuchsrote Haar. Er grinste trotz der Kälte, trotz des Morgendunstes, trotz der verkniffenen Fratze des Wärters, während er von der Ladefläche des Gefangenentransporters stieg, und beschaute sich die Landschaft. Er pfiff. Ein Hase spitzte die Löffel. „Ein Wald voller Bäume, Täler und Wiesen. Wer von euch Jungs will mir den Tag vermiesen?"
„Maul halten und anfangen!" Cole Keaton alias Oberst Miesepeter stieß ihm in die Rippen, sodass er beinahe zurück in den Wagen getaumelt wäre. Die anderen Häftlinge federten den Rückstoß ab und murrten. Der Hase hoppelte zurück ins Unterholz.
Fresker schnarrte: „Obacht, Meister! Sie verknittern den Stoff!" und fing sich dafür sofort einen wohlverdienten Schlag ein. Fresker erhob sich aus dem Unterholz. Der Wald klebte an ihm, Pflanzenkunde, nass, feucht und belebend. Ein guter Tag zur körperlichen Ertüchtigung.
Miesepeter hob den schwulstigen Finger und fuhr fort: „Die Ketten an deinen Händen und Füßen, Fresker, sind das Beste, was dir passieren konnte. Auf offener Straße hätte ich dich zu Klump getreten wie ein Stück –"
„Ich schätze Ihre Gegenwart ebenfalls, Sir. Danke und guten Tag." Er verbeugte sich und wusste um das luchsartige Leuchten, welches seinem Gegenüber in die Augen trat. Cole schätzte eine Partie 'Hearts' wie kein anderer, er liebte Spaziergänge im Sonnenuntergang und – das war am wichtigsten – er hatte ein halbes Dutzend Anzeigen wegen schwerwiegender Körperverletzung am Hals. Seine Muskeln sprachen eine eindeutigere Sprache, als er sie je hätte artikulieren können, und so nutzte er, womit ihn der Herrgott gesegnet hatte. Man setzte die Vorgesetzten über seine Aggressionsprobleme in Kenntnis. Bitte – danke.
Auf der Schulter des Aufsehers lag eine breite Hand, als Fresker hinaufschielte. „Lass ihn schuften. Dann wird ihm der Spaß schon vergehen."
Fresker nahm – ein wenig enttäuscht – die ihm hingehaltene Axt entgegen und wurde angewiesen, alles Holz zu teilen, mundgerecht, „damit wir dir notfalls ein, zwei Hölzer durch den Arsch in das Maul schieben können, um unsere Ruhe zu bekommen."
So begann die Plackerei aufs Neue und war an diesem Märztag atemberaubend. Freskers Muskeln spannten sich bei jedem Schwung und Schlag wie Telefondrähte. Er war schlank und groß gewachsen. Seine Statur täuschte über die Kraft hinweg, die in ihm steckte. Fresker langte unbeeindruckt vom Plärren und Seufzen der anderen Sträflinge voll zu. Das Gesicht lief rot an. Diese Strafkolonie war sein Dealer, die Luft seine Droge und er, oh ja, er war ein verdammter Junkie. Verrückter als eine Scheißhausratte. Flink. Unberechenbar. „Ein Waldmensch. Ein Waldkind. Ein Waldmann", summte er und drosch auf die Äste ein. Er lauschte dem Zwitschern der Vögel. Dieses Zwitschern versüßte jede Monotonie. Fresker stimmte seine Schläge in ihr Lied ein und hackte und hackte. Die Schönheit gab der Plackerei den Reiz; die Plackerei aber nahm der Schönheit ihren Reiz. Es war ein Geben und ein Nehmen. Er blies weiße Wölkchen in den Morgen und vertiefte sich in seine Aufgabe. Sie machte ihm Freude. Er hatte keinen Durst, wenn es zu trinken gab, trank er nicht. Eine abrupte Bewegung mochte die Vögel, seine Zuschauer, aufschrecken. So ging es weiter, hoch und runter, unbezahlter Henker toter Zweige, weh den Toten, Tod den Lebenden! Freskers Ausdruck ergrimmte.
Irgendwann zur Mittagsstunde stieß jemand zu ihm, sodass er innehielt, die Axt im Anschlag am nächsten hölzernen Hals. Ein unrasierter Durchschnittstyp mit runder Brille stand vor ihm, leicht gebeugt von all der Arbeit, nicht dem Alter. Ein Zucken kringelte sich dem Kerl durch die linke Gesichtshälfte, welches wohl ein Lächeln darstellen sollte. Der Mann sagte: „Cole hat mich rübergeschickt. Wir sollen –" Fresker legte einen Finger auf den Mund.
Der Neue fragte: „Was -?"
„Pssst."
Die Miene des anderen verfinsterte sich. „Was ist denn nur lo-?"
Fresker lächelte. „Ich mag es nicht, wenn du redest." Der Neuankömmling runzelte die Stirn. Danach packte er einen Ast, um ihn vom Stamm zu spalten. Seine kreisrunde Brille verrutschte, er setzte sie auf ihren Platz zurück und erhöhte sein Arbeitstempo. Sie waren zu zweit und rackerten sich ab, während die Vögel weiterhin
