Über dieses E-Book
Der attraktive Wolfgang sorgt für Unruhe unter den allein reisenden Frauen, während Sammy und Kevin, die beiden Dart-Profis, für Abwechslung sorgen. Auch das Schiffspersonal ist guter Dinge – allen voran der geniale Koch Henri, der darauf brennt, zu zeigen, was er kann.
Timo Theobald, der Schiffsarzt, kann nach einer schweren Operation endlich wieder arbeiten. Doch das Glück darüber währt nicht lange, denn eines Nachts steht er mit dem Kapitän Reimar Holderbaum vor einer Leiche, die eindeutig nicht eines natürlichen Todes gestorben ist.
Fast gleichzeitig zieht eine Unwetterfront auf, die sich rasch nähert. Der Kapitän muss eine Panik verhindern, aber zugleich einen Weg finden, das Schiff und die ihm anvertrauten Menschen in Sicherheit zu bringen. Der Schiffsarzt möchte selbst Ermittlungen anstellen, auch wenn ihm dafür an Bord die Mittel fehlen. Er fängt trotzdem an – im Wissen, dass derjenige, der den Mord begangen hat, sich noch auf der Yemaya befindet …
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Buchvorschau
Tödliche Überfahrt - Beate Veldtrup
Tödliche Überfahrt
– 1 –
Tödliche Überfahrt
Beate Veldtrup
TEIL EINS
Atlantik zwischen Lanzarote und Madeira
13. November, 2:30 Uhr
Aus der Entfernung sah die Szene friedvoll aus: Ein Mensch, ausgestreckt auf einer Liege am Swimmingpool, sanft beschienen vom zunehmenden Mond am wolkenlosen Himmel und der Nachtbeleuchtung, mit der die weißgoldene Yemaya durch den Atlantik zwischen Lanzarote und Madeira glitt. Das Meer war ruhig, noch – sein leises, stetiges Rauschen die ideale Ergänzung für das Bild, das sich den Augen bot.
Sobald sie das Oberdeck erreicht hatten, waren die beiden Männer wie auf Kommando stehengeblieben, um das Unvermeidliche hinauszuzögern. Erst nach einigen Sekunden setzten sie sich wieder in Bewegung.
Sie blieben stumm, bis sie ihr Ziel beinahe erreicht hatten. Einen Meter vor der Liege blieben sie erneut stehen. Sie hatten gewusst, was sie erwartete, dennoch schraken sie vor dem Anblick, der sich ihnen bot, zurück. Die Beleuchtung war milde, aber sie sahen mehr, als sie zu sehen gewünscht hätten.
Die Leiche lag schräg auf der Liege. Erst jetzt erkannten sie, auf welche Art und Weise der Tod herbeigeführt worden war. Das hatte Sina nicht erwähnt. Oder doch? Ihr Bericht war schwer verständlich und unzusammenhängend gewesen, sie hatte kaum einen vollständigen Satz herausgebracht. Jetzt verstanden sie das, ihnen stockte ja selbst der Atem.
Vom Schatten in ihrem Rücken, der lautlos auftauchte und ebenso lautlos im nächsten Moment wieder verschwand, ahnten sie nichts.
Gran Canaria
Playa del Inglés
5. November - Acht Tage zuvor
Es war genug. Da stand er nun am weiten Strand zwischen Playa del Inglés und Maspalomas auf Gran Canaria, den ruhigen, nahezu unbewegten Atlantik vor sich, eine malerische Dünenlandschaft hinter sich, und wünschte sich nichts sehnlicher, als diesen Ort, der Jahr für Jahr viele Menschen unwiderstehlich anzog, endlich verlassen zu können. Es kam ihm so vor, als hätte er Monate hier verbracht, dabei waren es gerade einmal drei Wochen gewesen. Sie waren ihm mehr als lang geworden, trotz der vielen Krimis, die er in dieser Zeit gelesen hatte. Aber irgendwann half auch der beste Krimi nicht mehr gegen lange Tage, an denen es sonst nichts zu tun gab, außer maßvoll zu laufen und sich auszuruhen. Beides hatte er tun sollen, und dieser Aufforderung war er nachgekommen.
Was Timo Theobald nun brauchte, war etwas anderes: Er wollte wieder arbeiten.
So früh am Morgen waren noch kaum Menschen unterwegs, deshalb kam er am liebsten um diese Zeit hierher. In einer Stunde würde der Strand sich zu füllen beginnen, er ergriff in der Regel schon vorher die Flucht. Er war gern unter Menschen, aber nicht hier. Der Strand war menschenleer am schönsten, jedenfalls für ihn.
Es versprach, ein weiterer sonniger Tag zu werden in diesem Spätherbst weit im Süden Europas. Die afrikanische Westküste war hier ja beinahe schon in Sichtweite. Er aber konnte das angenehme Klima nicht mehr genießen. Ihm ging der ewig blaue Himmel mit der immer strahlenden Sonne allmählich auf die Nerven. Als er noch müde und schwach gewesen war, von der Notoperation und den Schmerzen, war er dankbar dafür gewesen, doch diese Zeit lag hinter ihm. Ruhe hatte er jetzt mehr als genug gehabt.
Das Problem war: Er hatte keinen Job, in den er nun zurückkehren konnte, er musste sich erst wieder einen besorgen. Die Expedition nach Grönland, die für ihn ein Höhepunkt seiner bisherigen Berufslaufbahn gewesen wäre, hatte er verpasst – wegen seines Blinddarms. Das war keine einfache Operation gewesen, denn er hatte die Symptome schlichtweg ignoriert, obwohl er Arzt war, sogar Notfallmediziner.
Das war das Verrückte, er hätte es wissen müssen. Aber ihm war es gegangen wie vielen Kolleginnen und Kollegen: In Bezug auf eigene Erkrankungen waren sie blind, redeten die Symptome klein, fanden andere Erklärungen als die eine, richtige, die auch in seinem Fall auf der Hand gelegen hätte.
Wäre nicht Leon Laurin gewesen, ein Kollege aus München, den er erst kurz zuvor kennengelernt hatte … Er wollte lieber nicht weiter darüber nachdenken. Dieser jedenfalls hatte den richtigen Verdacht gehabt und war mit ihm nach Las Palmas gefahren. Letzten Endes hatte er ihn sogar selbst operiert, und da war es schon beinahe zu spät gewesen. Er hatte wahrhaftig Glück gehabt, in mehr als einer Beziehung. Denn nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus hatte er in Leons Bungalow wohnen können. Das war eindeutig ein Lichtblick gewesen nach der riesigen Enttäuschung wegen seines geplatzten Einsatzes auf dem Schiff nach Grönland.
Der Bungalow stand in einer Anlage, die ›Club Araucaria‹ hieß – nach den stacheligen, ausladenden Bäumen, die auf der Insel vor allem in den Bergen wuchsen und von ferne wie riesige Nadelbäume aussahen. Im Club waren sie auch gepflanzt worden, sie schirmten ihn an einer Seite vor neugierigen Blicken ab.
Timo war, zwischen zwei Jobs, eigentlich nur für eine Woche oder auch etwas länger zum Surfen nach Gran Canaria geflogen, denn dort gab es Strände mit hohen Wellen, die als Surferparadiese galten. Er hatte sich gedacht, dass es gut wäre, vor der Grönlandexpedition noch ein bisschen Sonne und Wärme zu tanken. Falsch gedacht, es war anders gekommen.
Nach einem letzten Blick über das ruhige Meer wandte er sich ab. Zeit, den Rückweg anzutreten und auf der Terrasse ›seines‹ Bungalows zu frühstücken. Er war auf dem Hinweg schnell unterwegs gewesen – joggen konnte man es nicht nennen, aber er hatte es mit einer Art Walking probiert, zum ersten Mal seit der Operation, und es war gutgegangen.
Er war eindeutig wieder fit, er konnte und wollte arbeiten, obwohl ihm dringend geraten worden war, sich lieber etwas länger Zeit zur Erholung zu gönnen, als zu früh wieder mit der Arbeit zu beginnen.
Auf der Promenade kamen ihm schon Leute entgegen, die an den Strand wollten: leicht bekleidet und beladen mit Taschen, Schwimmreifen und Gummimatratzen. Viele kleine Kinder sah er, mit Eimerchen und Schaufeln. Es herrschte gerade Niedrigwasser, deshalb war der Strand besonders breit und bot gerade für kleine Kinder reichlich Platz zum Burgenbauen oder einfach zum Planschen im flachen Wasser. Zudem war es heute ideal zum Schwimmen, da würden sich auch ängstlichere Naturen ins Meer wagen.
Er selbst freilich liebte es, sich in die Brandung zu werfen, ihn langweilte es, wenn der Atlantik so still war wie ein See. Tatsächlich waren auch einige Surfer auf dem Weg zum Strand, was ihn wunderte. Was wollten sie an einem solchen Tag im Wasser? Es ging ja nicht der kleinste Windhauch, von Wellen war weit und breit nichts zu sehen. Aber das konnte natürlich noch kommen, meistens frischte es gegen elf Uhr ein wenig auf.
Er ging die Avenida de Francia entlang. Als er am Einkaufszentrum ›Cita‹ angelangt war, fiel ihm ein, dass er kein Obst mehr hatte. Also kaufte er ein, was er brauchte, bevor er seinen Weg zügig fortsetzte, denn nun hatte er tatsächlich Hunger. Vor allem sein Morgenkaffee fehlte ihm. Eilig überquerte er die Tirajana, die breite Verkehrsader, die fast den ganzen Ort durchschnitt und auf der auch jetzt schon der übliche Verkehr herrschte. Doch kaum hatte er sich ein wenig entfernt, da flaute der Lärm auch schon ab, und gleich darauf betrat er den Club Araucaria, wo er vom Geschrei der Papageien empfangen wurde, die sich in einer der Palmen in der Nähe eines Eingangs häuslich niedergelassen hatten. Wie immer blieb er kurz stehen, um einen Blick nach oben zu werfen. Es war wieder eine muntere Gesellschaft, die sich da oben versammelt hatte, aber es zog ihn heute schneller weiter als sonst.
Der Bungalow, den Leon Laurin zu seiner größten Verwunderung von einer seiner Patientinnen geerbt und eigentlich gar nicht hatte behalten wollen, lag weiter im Zentrum des Clubs, an einem der ruhigen Nebenwege. Hier war alles grün und mehr oder weniger üppig bepflanzt. Die Bungalows gehörten einer großen Gemeinschaft von Eigentümern, von denen viele vor allem die Wintermonate hier verbrachten, wenn es in Deutschland kalt und unwirtlich war. Die Kanaren hießen nicht umsonst ›Inseln des ewigen Frühlings‹, starke Ausreißer nach unten oder oben blieben bei den Temperaturen in der Regel aus, jedenfalls hier im Süden der Insel, der sich ganz dem Tourismus verschrieben hatte. Im Norden und in den Bergen sah es anders aus, hatte er gehört.
Timo wurde mehrmals gegrüßt auf seinem Weg, manchmal blieb er auch stehen und wechselte ein paar Worte mit jemandem. Es gab viele deutsche Eigentümer hier, auch ein paar Engländer und Spanier, aber die Deutschen waren in der Überzahl, sie fühlten sich hier erkennbar wohl.
Er winkte Wolfgang Cappus zu, der auf seiner Terrasse saß, einen Kaffee trank und freundlich zurückwinkte, bevor er sich wieder dem aufgeklappten Tablet auf dem Tisch vor ihm zuwandte. Timo wusste, dass er Zeitung las und dabei nicht gestört werden wollte.
Er schätzte, dass Wolfgang Cappus etwa zehn Jahre älter war als er selbst, also Anfang bis Mitte fünfzig: ein stets lässig-elegant wirkender, attraktiver Mann, schlank und sportlich, die dunklen Haare von Silberfäden durchzogen. Wie ein Bruder von George Clooney, hatte er bei der ersten Begegnung gedacht. Es wunderte ihn deshalb nicht, dass es etliche Frauen im Club gab, die nur zu gern Cappus‹ nähere Bekanntschaft gemacht hätten. Bislang war aber keine von ihnen sehr weit gekommen, der Mann war offensichtlich in festen Händen, denn er wurde öfter von einer eleganten Dunkelhaarigen besucht, die aber nicht im Club wohnte. Die beiden waren auch schon zusammen in einigen der teureren Lokale der Stadt gesehen worden. Die Tatsache, dass niemand Genaueres über ihr Verhältnis und über die Frau wusste, hatte natürlich dazu geführt, dass jede Menge Geschichten darüber im Umlauf waren.
Timo amüsierte das. In dieser Hinsicht ähnelte der Club einem Dorf oder einer kleinen Stadt. Es wurde viel geklatscht und getratscht, auch über ihn, wie ihm zu Ohren gekommen war. Doch es kümmerte ihn so wenig wie offenbar Wolfgang Cappus.
Dieser hatte ihn eines Abends zu seinem Erstaunen auf ein Glas Wein eingeladen. Sie hatten sich sofort gut verstanden. Cappus war klug und gebildet, es hatte ihnen nicht an Gesprächsstoff gefehlt. Timo hatte die Begegnung in rundum angenehmer Erinnerung. Das war wenige Tage nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus gewesen.
Seitdem unterhielten sie sich immer mal wieder bei einem Kaffee, nachmittags, im Schatten, entweder auf Timos oder auf Wolfgang Cappus‹ Terrasse, und jedes Mal fand Timo die Gespräche anregend, obwohl ihm aufgefallen war, dass sein Gesprächspartner zwar kundig über Literatur, Kunst und Politik sprach, aber nur selten eine persönliche Bemerkung machte und auch Timo keine Fragen nach seinem Privatleben stellte. Er hielt Distanz, ohne dabei jemals abweisend oder uninteressiert zu wirken – und er duzte sich mit niemandem, was im Club die große Ausnahme war.
Timo hatte seinen Bungalow schon fast erreicht, als er seinen Namen hörte, also drehte er sich um und sah eine Frau winken, die einige Bungalows weiter wohnte. Sie hieß Selma und war eine muntere und hübsche, etwas mollige Blondine mit warmen braunen Augen, vielleicht etwas jünger als er selbst und einem Flirt offensichtlich nicht abgeneigt.
Sie war kontaktfreudiger, als die Freundinnen, mit denen sie hier Urlaub machte. Die grüßten zwar höflich, aber das war’s dann auch. Dabei fand er die mit den schrägen grauen Augen, die so kühl gucken konnte, durchaus interessant. Aber sie würden sowieso bald abreisen. Erst vor zwei Tagen hatte Selma ihm mit Kaffee ausgeholfen, den er beim Einkauf vergessen hatte, und bei der Gelegenheit erzählt, dass sie und ihre Freundinnen in einigen Tagen auf eine Schiffsreise gehen würden, auf die sie sich sehr freuten: über Fuerteventura und Lanzarote nach Madeira und über La Palma, Gomera und Teneriffa zurück nach Gran Canaria.
Er hatte sich seinen Neid nicht anmerken lassen.
»Da bist du ja endlich, Herr Doktor!«, sagte sie, während sie ihre Terrasse verließ und auf ihn zukam. Herr Doktor? Er erinnerte sich nicht, ihr gegenüber seinen Titel erwähnt zu haben, denn das tat er nie, wenn er nicht arbeitete.
»Ich wollte dir das gestern Abend schon sagen, aber du warst nicht da. Ein Mann war hier, der dich dringend sprechen wollte.«
Timo ging ihr entgegen. »Stimmt, ich war unterwegs und bin erst spät zurückgekommen«, erwiderte er überrascht. »Aber ich kenne hier niemanden, bist du sicher, dass der Mann zu mir wollte?«
Sie lächelte verschmitzt. »Sonst hätte ich doch gar nicht gewusst, dass du ein Doktor bist. Du selbst hast das ja für dich behalten.«
Jemand hatte ihn sprechen wollen, der wusste, dass er Arzt war? Er las den Namen auf der Visitenkarte, die sie ihm überreichte: Enrique Hernandez, doch der sagte ihm nichts. »Keine Ahnung, wer das ist.«
»Er hat nur gesagt, dass seine Firma dringend auf der Suche nach einem Arzt ist, der für einen erkrankten Kollegen einspringen kann. Falls ich das richtig verstanden habe, er hat nämlich mit starkem Akzent Englisch gesprochen. Und er hätte gehört, dass hier ein Arzt wohnt, der vielleicht dazu bereit wäre, weil er gerade keinen anderen Job hat.«
Timo war so verblüfft, dass er zunächst nichts erwiderte, sondern nur den Kopf schüttelte, bevor er schließlich sagte: »Aber von wem könnte er das gehört haben?«
»Du bist doch noch in Behandlung, oder?« Sie deutete seinen Blick richtig und erklärte schnell: »Einer der Gärtner hat mir von deiner Notoperation erzählt. Also wird Herr Hernandez es von einem deiner Ärzte erfahren haben.«
Das war eine naheliegende Erklärung. Wobei er eigentlich sicher war, dass ein Arzt, der über einen seiner Patienten solche Auskünfte an Fremde weitergab, damit das ärztliche Schweigegebot verletzte – und das galt ja wohl auch in Spanien? Aber diesen Gedanken wollte er nicht weiterverfolgen, dazu war er viel zu sehr an einem Gespräch mit Enrique Hernandez interessiert. Vielleicht hatte ja eine höhere Macht Mitleid mit ihm und seiner Langeweile und ihm diesen Mann geschickt?
»Was für ein Job soll das denn sein?«
»Keine Ahnung. Ruf ihn an, dann weißt du‹s. Du bist also tatsächlich Arzt.«
Timo nickte.
»Ein Arzt ohne Job? Gibt’s das überhaupt?«
Er seufzte, fühlte sich aber verpflichtet, ihr zumindest eine knappe Erklärung zu liefern. »Ich bin nirgends angestellt und habe keine Praxis, sondern springe dort ein, wo ich gebraucht werde – ganz einfach. Ich brauche Abwechslung. In den letzten Wochen war ich krank, also konnte ich nicht arbeiten. Sag mal, welcher von den Gärtnern hat dir von meiner Not-OP erzählt?«
»Das weiß ich nicht mehr«, behauptete Selma.
Er glaubte ihr nicht, hakte aber nicht nach.
»Was für ein Arzt bist du denn? Ich weiß, ich klinge neugierig, aber es interessiert mich wirklich.«
»Hauptsächlich Allgemeinarzt, aber auch Notfallmediziner und Anästhesist.«
»Wow!«, sagte sie.
Er musste lachen. »So besonders ist das nun auch wieder nicht. Für die Art, wie ich arbeite, ist es eine gute Kombination von Qualifikationen. Ich bin schon im Rettungswagen mitgefahren, war in Kriegs- und Erdbebengebieten im Einsatz, habe in Flüchtlingscamps gearbeitet, und ich springe ab und zu auch mal in Krankenhäusern oder Praxen ein, aber immer nur für eine begrenzte Zeit. Wenn ich zu lange an einem Ort bleibe, werde ich nervös.«
Sie sah ihn mit einem prüfenden Blick an. »Und jetzt bist du’s?«
Dumm war sie nicht, dachte er. »So langsam werde ich’s.«
»Deshalb«, erwiderte sie nachdenklich.
»Was meinst du?«
»Ich hatte in den letzten Tagen öfter den Eindruck, dass du irgendwie nervös warst.«
»Wir haben uns doch kaum gesehen! Und dies ist unser erstes Gespräch, das ein wenig länger dauert. Wie willst du denn bemerkt haben, ob ich nervös bin oder nicht!«
»Vielleicht weibliche Intuition?«
Ihr Lächeln war eine Einladung zum Flirt, die er nicht annehmen wollte. Er fand sie nett, nicht mehr. Trotzdem erwiderte er ihr Lächeln, sorgte aber dafür, dass es angemessene Zurückhaltung ausdrückte. »Die hat dich nicht getrogen, ich will wieder an die Arbeit.«
»Dann ruf den Mann an!«
»Das werde ich tun. Und: vielen Dank, Selma.«
»Dafür nicht. Ich überbringe gern gute Nachrichten. Und ich wünsch‹ dir viel Erfolg!«
Er dankte ihr und betrat endlich seinen Bungalow, um zu frühstücken. Während er das tat, studierte er die Rückseite der Visitenkarte und entdeckte, dass Enrique Hernandez offenbar für eine Schifffahrtsgesellschaft arbeitete. Sein Herzschlag setzte einen Moment aus. Gut, den Job auf dem Schiff nach Grönland hatte er verpasst, aber vielleicht bot sich ihm hier, wenn schon kein Ersatz, dann vielleicht zumindest eine kleine Entschädigung für das, was ihm entgangen war?
***
»Timo ist tatsächlich Arzt«, sagte Selma, als sie zu ihren Freundinnen Anne und Luisa an den Frühstückstisch zurückkehrte. Sie waren gerade dabei gewesen, Pläne für den Tag zu machen, als sie Timo hatten auf seinen Bungalow zusteuern sehen.
»Außerdem ist er richtig nett«, setzte Selma hinzu.
»Und du bist scharf auf ihn«, stellte Anne trocken fest, »aber du hast dir den Falschen ausgesucht, er ist nicht auf der Suche.«
»Stell dir vor, das habe ich auch schon gemerkt.«
»Er hat schöne Augen«, sagte Luisa. »Da ist so ein bisschen Grün drin, habt ihr das bemerkt?«
Die beiden anderen hätten überraschter nicht sein können.
»Du hast aber genau hingesehen«, stellte Anne fest. »Das sieht dir gar nicht ähnlich, Lu.«
Luisa errötete prompt. Sie war mit ihren siebenundzwanzig Jahren die Jüngste des Trios, Anne war siebenunddreißig, Selma vierundvierzig. Aber trotz ihres unterschiedlichen Alters waren sie Freundinnen geworden. Noch war es eine junge Freundschaft, dies war ihr erster gemeinsamer Urlaub – eine Art Testlauf.
Anne war eine schlanke Dunkelhaarige mit kühl blickenden, schräg gestellten grauen Augen, die ihrem schmalen Gesicht eine ganz eigene Faszination verliehen. Sie wirkte streng, bis sie lächelte, dann schien sie sich in eine andere Person zu verwandeln. Sie arbeitete als Veranstaltungstechnikerin in einem Team, das außer ihr ausschließlich aus Männern bestand, was vielleicht eine Erklärung für ihre ›stachelige‹ Art war, wie Selma dazu sagte.
Luisa, eine zarte Rotblonde mit heller Haut und vielen Sommersprossen, war Geigerin in einem mittelgroßen Orchester. Die Reise war ihr von ihren vermögenden Eltern geschenkt worden. Sie war schüchtern und unsicher, weshalb sie Anne und Selma oft um Rat fragte, auch wenn es sich in deren Augen um Probleme handelte, die diesen Namen nicht verdienten. Sie war sehr auf Harmonie bedacht und hörte lieber zu, als selbst zu reden.
Nach Annes letzter Bemerkung war das Gespräch kurz ins Stocken geraten. Luisas Wangen waren noch immer gerötet, als sie sagte: »Du findest bestimmt auf dem Schiff einen Mann zum Flirten, Selma.«
»Von mir aus könnte die Schiffsreise ausfallen.« Anne streckte sich ausgiebig. »Hier haben wir alles, was wir brauchen – und noch mehr. Der Club ist toll, der Strand riesig, der Atlantik warm genug zum Baden, man kann hier gut essen. Und es ist weder zu kalt noch zu heiß. Wer weiß, wie es uns auf dem Schiff gefällt.«
»Das wird toll«, sagte Selma mit Nachdruck, denn die Schiffsreise war ihre Idee gewesen. »Wir kriegen richtig viel zu sehen.«
»Das ist es doch gerade! Hier ist es ruhig, man kann abhängen und muss nichts tun, wozu man keine Lust hat. Ich bin urlaubsreif, ich muss mich erholen, und immerhin ziehe ich jeden Morgen meine Bahnen im Pool. Ehrlich, ich frage mich, warum ich mich zu einer Schiffsreise habe überreden lassen. Zwei weitere Wochen hier, und ich wäre glücklich.«
»Erholen kannst du dich auf dem Schiff auch. Niemand zwingt dich, etwas zu tun, was dir nicht passt. Außerdem musstest du nicht überredet werden, du warst Feuer und Flamme, von Anfang an. Stimmt’s, Lu?«
Luisa hasste es, in die Kabbeleien der beiden anderen hineingezogen zu werden, aber in diesem Fall musste sie gar nichts sagen, weil Anne bereits rief: »Spinnst du? Wie soll ich mich denn erholen, wenn wir überall anlegen und ich dauernd was besichtigen muss?«
»Du musst gar nichts«, erwiderte Selma ungerührt.
»Da wird gnadenlos sozialer Druck ausgeübt und gefragt, ob man auch brav alle Sehenswürdigkeiten besucht hat«, behauptete Anne.
»Seit wann kümmerst ausgerechnet du dich um sozialen Druck?«
Annes graue Augen funkelten. Sie hatte Spaß an diesem kleinen Wortgefecht, Luisa jedoch nicht, und so kam sie Annes Erwiderung zuvor. »Anne macht nur Spaß. Du kennst sie doch, Selma.«
Anne verdrehte die Augen, Selma grinste, und damit war die Diskussion beendet. Sie stritten fast nie ernsthaft, nur verstand Luisa das nicht, obwohl sie es ihr schon oft erklärt hatten.
»Wo bleibt Janine bloß?«, wunderte die sich, froh, dass die Gefahr eines Streits, die in ihren Augen durchaus bestanden hatte, erst einmal gebannt war.
Als hätte sie die Frage gehört, tauchte in diesem Augenblick hinter dem Granatapfelbaum auf dem Nachbargrundstück eine zierliche Person mit kurzen dunklen Haaren auf und rief: »Seid ihr mit dem Frühstück fertig?«
»Komm rüber, Janine!«, antwortete Selma. »Wir überlegen gerade, was wir heute unternehmen. Es ist noch Kaffee da.«
Janine war, so hatte Selma es kürzlich ausgedrückt, die Vierte im Bunde, aus ihrem Trio war zumindest für die Zeit ihres Urlaubs ein Quartett geworden. Die drei Freundinnen hatten Janine unmittelbar nach ihrer Ankunft in Playa del Inglés kennengelernt, weil sie im Nachbarbungalow wohnte. Die zierliche Frau mit den traurigen dunklen Augen war ihnen sofort sympathisch gewesen – und sie hatte in jeder von ihnen den Wunsch geweckt, sie zu beschützen und ihr etwas von ihrer Trauer abzunehmen.
Janine war seit einem Jahr Witwe. Ihr Mann war überraschend an Herzversagen gestorben, sie versuchte nun, so hatte sie selbst es ausgedrückt, sich ein Leben ohne ihn aufzubauen. Aber noch immer, auch das hatte sie ihnen gestanden, trug sie schwer an ihrem Verlust. Janine war neununddreißig Jahre alt – fünfzehn davon war sie verheiratet gewesen. Kinder hatten sie und ihr Mann leider nicht bekommen, auch deshalb fühlte sie sich jetzt so verloren. Der Urlaub auf Gran Canaria war ihr Versuch, wieder zu sich selbst zu finden.
Selma war schon bald auf die Idee gekommen, Janine solle sich ihnen auf der Schiffsreise einschließen – es gab nämlich noch freie Kabinen. Janine hatte von dieser Idee zunächst nichts wissen wollen, aber dann plötzlich doch ihre Meinung geändert, zur Freude der drei anderen.
Sie hatten erst kürzlich darüber gesprochen, wie merkwürdig es war, dass keine von ihnen einen
