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Ein fast perfekter Mord
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eBook328 Seiten3 Stunden

Ein fast perfekter Mord

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Über dieses E-Book

Die erfahrene Kriminalhauptkommissarin Lea Klamroth von der Mordkommission Aachen arbeitet an einem Fall, der im Laufe der Ermittlungen immer mehr Fragen aufwirft, statt Antworten zu geben. Das Mordopfer hatte kaum Freunde, doch im Umfeld der Ermordeten tun sich bald Risse auf, die niemand erwartet hätte. Aussagen widersprechen sich, Alibis wirken brüchig und Geschichten aus der Vergangenheit tauchen auf. Lea und ihr Team fragen sich bereits, ob sie es dieses Mal tatsächlich mit einem 'Perfekten Mord' zu tun haben, als kurz darauf noch zwei weitere Morde geschehen. Während Lea versucht, die vielen Puzzleteile zusammenzusetzen, verschwimmen für sie allmählich die Grenzen zwischen ihrem Beruf und ihrem Privatleben. Denn je komplizierter der Fall wird, desto deutlicher zeigt sich, dass es für Lea nicht nur um die Aufklärung der drei Morde geht.
SpracheDeutsch
HerausgeberDEUTSCHER LITERATUR VERLAG
Erscheinungsdatum10. Nov. 2025
ISBN9783691165135
Ein fast perfekter Mord
Autor

Nora Ahnen

Nach einem abgeschlossenen Germanistik- und Geschichtsstudium sowie langjährigen Auslandaufenthalten hat die Autorin mit dem Schreiben angefangen. Bisher sind von ihr zehn Taschenbuchromane (Frauenschicksale vor historischem Hintergrund sowie Krimis) von ihr unter Pseudonymen bei anderen namhaften Verlagen erschienen.

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    Buchvorschau

    Ein fast perfekter Mord - Nora Ahnen

    Ein fast perfekter Mord

    – 1 –

    Ein fast perfekter Mord

    Nora Ahnen

    1. Kapitel

    Dr. Anselm Sanders zuckte zusammen, als es an seiner Sprechzimmertür klopfte. Im Rahmen stand Angelika, seine Sprechstundenhilfe.

    »Frau Bremer hat gerade angerufen. Es ist was mit Frau Assenmacher. Sie sollen sofort kommen.«

    »Und was genau ist mit ihr?«, erkundigte sich der Landarzt.

    »Hat sie nicht gesagt. Nur, dass Sie schnell machen sollen.«

    »Na dann …« Anselm Sanders schaltete den Computer aus und griff nach seiner Arzttasche.

    Nur zwei Minuten später fuhr er aus der Garage. Auf der langen, wenig befahrenen Landstraße in Richtung belgische Grenze gab er Gas.

    Susanne Assenmacher …, überlegte er, während er mit seinem roten Fiat 124 Spider aus den 80er-Jahren elegant die Kurven schnitt. Mit zwanzig war sie seine Patientin geworden. Vor zweiunddreißig Jahre. Wenn sie gerade mal keine depressive Phase hatte, bastelte sie Puppen oder malte Landschaftsaquarelle. Immer wieder hatte er ihr ans Herz gelegt, zu einem Neurologen oder Psychologen zu wechseln, was sie kategorisch ablehnte. Über den Grund dafür schwieg sie sich beharrlich aus.

    Nach der nächsten Kurve sah Anselm das Anwesen der Assenmachers auf der Anhöhe liegen. In Kaltenweiher und Umgebung wurde es die Assenmacher Trutzburg genannt. Tatsächlich vermittelten die Alleinlage der Villa, ihre düster anmutende Fassade - Basalt aus den familieneigenen Steinbrüchen - sowie die Bruchsteinmauer einen wehrhaften Eindruck. Und Werner Assenmacher galt – wie früher so mancher Burgherr - als herrschsüchtig und kampflustig.

    Anselm fuhr die steinige Auffahrt hinauf, die zu beiden Seiten von Wacholder- und blühenden Ginsterbüschen flankiert wurde. Das schmiedeeiserne Tor stand offen. Vom gepflasterten Innenhof hatte man einen unverstellten Blick auf die bewaldeten Eifelhügel, die sich bis zu den Ardennen hintereinander aufstellten. Welch ein Anwesen … Mit beiden Händen strich er sich das weiße, immer noch volle Haar hinter die Ohren und stieg aus.

    Gerda Bremer, eine kleine, rundliche Frau Anfang sechzig, die normalerweise Wärme und Heiterkeit ausstrahlte, empfing ihn schluchzend auf der obersten Stufe der breiten Sandsteintreppe.

    »Wie gut, dass Sie da sind«, rief sie aus und schlug ein Kreuz vor der Brust. »Ich glaube, sie ist tot.«

    Anselm betrat die Eingangshalle. Kristalllüster, grauweißer Carrara-Marmor, großflächige, expressionistische Kunst an den Wänden … Einen so exzellenten Geschmack hatte er dem vierschrötigen Assenmacher gar nicht zugetraut. Wahrscheinlich war das Susannes Handschrift.

    »Wo ist sie?«

    »Hierher!«

    Er folgte der Haushälterin bis zu der geschnitzten Eichentür am Ende einer der drei Gänge, die von der Halle sternförmig abgingen. Auf der Türschwelle blieb er stehen.

    Susanne Assenmacher lag in einem weißen Jogginganzug auf einem Himmelbett, die Arme seitlich von sich ausgestreckt wie Flügel. Am Kopfende schmiegten sich über die gesamte Matratzenbreite etwa zehn lebensecht aussehende Babypuppen aneinander. Jungenpuppen. Alle lächelten ihre Schöpferin an, die mit aufgeschnittenen Pulsadern in einer Blutlache lag.

    »Lebt sie noch?«, flüsterte Gerda Bremer.

    Um diese Frage zu beantworten, hätte Anselm seine Patientin gar nicht erst untersuchen müssen. Wer so viel Blut verloren hatte, musste tot sein. Dennoch beugte er sich über sie – und wich sofort zurück. Ein extrem süßlicher Geruch drang ihm in die Nase. Er konnte ihn sofort zuordnen.

    Anselm streifte die Einmalhandschuhe über und legte zwei Finger an die Halsschlagader der Toten. Kein Puls. Kein Leben.

    »Sie ist tot.« Voller Mitgefühl sah er die Haushälterin an, die laut aufschluchzte. Dabei zeigte sie auf den Nachttisch.

    »Der Brief dort …«

    Da entdeckte auch er den weißen Umschlag.

    »Haben Sie ihn angefasst?«

    »Ich habe ihn doch gerade erst gesehen.«

    Anselm warf einen Blick auf das Kuvert. Abschiedsbrief. Er drehte sich zu Gerda Bremer um, die haltlos vor sich hin weinte.

    »Soll ich Ihnen etwas zur Beruhigung geben?«

    Sie schüttelte den Kopf.

    »Vielleicht trinken Sie ein Wasser oder einen Tee. Ich komme dann gleich zu Ihnen.«

    Mit zuckenden Schultern verließ die Haushaltshilfe das Schlafzimmer.

    Anselm atmete tief durch und betrachtete die Leiche. Der süße Geruch … Trotz des weit geöffneten Fensters, durch das die klare Frühlingsluft ins Zimmer wehte, hatte er ihn immer noch in der Nase. Er beugte sich wieder über die Tote und hob ihre Unterarme an. Die Haut fühlte sich kühl an. Nachdenklich betrachtete er die aufklaffenden, etwa fünf Zentimeter langen vertikalen Schnitte an der Innenseite der Unterarme. Dann fasste er die kleine Nagelschere näher ins Auge, die neben dem Körper in der Blutlache lag.

    Merkwürdig …

    Dr. Anselm Sanders überlegte einen Augenblick. Dann nahm er sein Handy aus der Arzttasche und rief die Mordkommission in Aachen an. Dort arbeitete seine Patentochter als Kriminalhauptkommissarin. Lea würde schon wissen, was jetzt zu tun sein würde.

    2. Kapitel

    Lea Klamroth stand auf und schulterte ihre Umhängetasche. Ben, der in ihrem Büro gerade etwas fotokopierte, weil der Drucker im Großraumbüro ausgefallen war, sah sie fragend an.

    »Machst du Schluss für heute?«

    »Ich bin bei meinen beiden Onkeln zum Flammlachs mit grünem Spargel eingeladen.«

    Ihr Kollege grinste. »Klingt super. Nimmst du mich mit?«

    »Vielleicht beim nächsten Mal. Also dann … Dir auch einen schönen Feierabend.«

    Sie wollte sich gerade umdrehen, als ihr Diensttelefon klingelte. Eine unterdrückte Nummer.

    »Das war´s dann wohl mit dem Flammlachs«, feixte Ben, während er die Fotokopien sortierte.

    Lea verdrehte die Augen.

    »Mordkommission Aachen, Klamroth.«

    »Entschuldige, dass ich dich bei der Arbeit störe …«, hörte sie eine dunkle, raue Männerstimme mit italienischem Akzent sagen.

    »Rizzo!«, rief sie erstaunt aus. »Bist du nicht in Rotterdam?«

    »Doch, aber ich komme morgen Vormittag schon zurück. Nur kurz … Ich habe gerade erfahren, dass ich Freitagmorgen nach Kolumbien fliegen muss. Aus unserem Wanderwochenende wird also nichts. Aber wie wäre es, wenn ich morgen Abend zu dir komme, bei dir übernachte und am Freitag von Maastricht-Aachen-Airport fliege?«

    »Damit kann ich leben«, erwiderte Lea lächelnd.

    Inzwischen war sie es gewohnt, dass ihr Freund mehr Zeit in der Luft verbrachte als auf dem Boden - und kam damit bestens klar. Sie wollte es dieses Mal langsam angehen lassen.

    »Dann bis morgen«, verabschiedete sich Rizzo und sie hörte seiner Stimme an, dass er dabei zärtlich lächelte.

    »Dein neuer Lover?«, fragte Ben zwinkernd.

    »Lover ja, aber so neu ist er nicht mehr. Wir kennen uns jetzt schon zwei Monate.«

    »Erst zwei Monate? In dieser Zeit ist doch noch alles easy. Aber dann … Einmal Himmel und zurück, sage ich immer. Und das im Satellitentempo.«

    Sie lachte. »Mensch, Ben … Sei doch nicht immer so negativ.«

    Ihr Kollege winkte wissend ab. »Wir sprechen uns in einem halben Jahr wieder.«

    »Ciao, bis morgen.« Lea drehte sich um, doch da gebot ihr ihr Diensttelefon erneut Einhalt.

    »Wenn das so weitergeht, ist der Flammlachs verkohlt, wenn du in Kaltenweiher ankommst«, scherzte Ben.

    Auf dem Display stand die Handynummer ihres Patenonkels.

    »Vielleicht gibt es gar keinen«, konterte sie trocken, bevor sie den Hörer abnahm.

    »Willst du absagen?«, begrüßte sie Anselm Sanders.

    Sie hörte ihn am anderen Ende der Leitung kurz lachen.

    »Nein.«

    Erleichtert atmete sie aus. »Soll ich noch was mitbringen?«

    »Auch das nicht. Aber es wäre nicht verkehrt, wenn du jetzt schon losfahren würdest. Ich glaube, es gibt hier einen Tatort. Susanne Assenmacher. Wenn du mich fragst, ist es ein vorgetäuschter Selbstmord. Aufgeschnittene Pulsadern.«

    »Was?« Lea riss die graugrünen Augen auf. »Okay, ich bin schon unterwegs. Das heißt, wohin soll ich überhaupt kommen?«

    »Zur Trutzburg. Ich warte dort auf dich.«

    »In circa dreißig Minuten bin ich da.«

    Lea sah ihren Kollegen an, der natürlich alles gehört hatte.

    »Wir haben eine Leiche. In Kaltenweiher.«

    »In diesem idyllischen Örtchen?«

    Sie nickte, genauso verblüfft wie Ben.

    »Soll ich mitfahren?«, fragte ihr Kollege erwartungsvoll. »Danach könnte ich vielleicht doch noch in den Genuss des Flammlachs kommen«, fügte er augenzwinkernd hinzu. »Wenn ich schon mal dort bin …«

    »Das mache ich allein. Du musst noch den Bericht zu Ende schreiben«, bestimmte Lea, die als Kriminalhauptkommissarin die Ranghöhere von beiden war. »Wenn du hier fertig bist, drück bitte die Tür richtig ins Schloss. Die ist zurzeit ein bisschen locker.«

    »Aye, aye, Chefin!«, rief Ben ihr hinterher.

    3. Kapitel

    Lea fuhr auf der Trierer Straße nach Süden in Richtung Monschau. Da sie zeitlich lange vor dem Berufsverkehr unterwegs war, kam sie schnell voran. Schon bald wurde die Umgebung ländlicher, wurden die Straßen steiler und kurvenreicher. Hellgrün bewaldete Hügel, frühlingsbunte Wiesentäler, dunkle Fichtenwälder und weite Moore prägten die Landschaft. Es ging über alte Steinbrücken und durch kleine Dörfer, wo meterhohe Buchenhecken die alten Bruchsteinhäuser gegen den ruppigen Eifelwind schützten.

    Doch an diesem sonnigen Nachmittag hatte Lea keine Augen für ihre Umgebung. Was wusste sie über die Assenmachers? Nicht viel, musste sie zugeben, obwohl sie aus Kaltenweiher stammte und dort lebte. Ihr Freundes- und Bekanntenkreis jedoch war in Monschau, Aachen und Köln angesiedelt. Ihr war nur bekannt, dass Susanne Assenmacher wegen Vegetativer Dystonie Dauerpatientin in der Landarztpraxis gewesen war und wenig Kontakte gehabt hatte. Ihr achtzehn Jahre älterer Ehemann Werner galt als unangenehmer Zeitgenosse, der in Zeiten des Baubooms durch seine Steinbrüche und Wälder zu Reichtum gekommen war. Sein Sohn Friedrich, Susannes Stiefsohn, war eine verkrachte Existenz. Letztendlich war es ein offenes Geheimnis in Kaltenweiher, dass die drei ein sehr schlechtes Verhältnis zueinander hatten. Und jetzt war Susanne Assenmacher - anscheinend - ermordet worden. So wie die Sache aussah, schien der Täterkreis ja ziemlich überschaubar zu sein.

    Freu dich nicht zu früh, warnte eine innere Stimme sie da. Manchmal erwiesen sich gerade die Fälle, deren Lösung zuerst so einfach erschienen, im Laufe der Ermittlungen als besonders kompliziert.

    4. Kapitel

    Lea hielt vor dem rot-weißen Plastikstreifen an. Hinter dem Absperrband hatte sich Polizeikommissar Markus Schmitt von dem kleinen Polizeirevier in Kaltenweiher positioniert, mit schulterbreit auseinanderstehenden Beinen und verschränkten Armen. Als er sie erkannte, ließ er sie durch.

    »Mannomann!«, rief er aus, als er auf sie zuging. Dabei nahm er seine Polizeimütze ab und wischte sich mit dem Handrücken über die glänzende Stirn. »Als du mich angerufen hast, habe ich gedacht, du willst mich veräppeln.«

    »Ich würde doch niemals die Polizei veräppeln«, erwiderte Lea zwinkernd.

    »Ein Mord hier bei uns?« Markus schüttelte den Kopf, den bereits ein hellblonder, dünner Haarkranz zierte. »Seit ich denken kann, hat´s das noch nicht gegeben. Einbrüche, Brandstiftungen, Schlägereien bei Dorffesten, Fahrerflucht ja, aber so was?«

    »Das habe ich mir bis jetzt auch nicht vorstellen können. Aber im Augenblick reden wir erst nur von einem mutmaßlichen Mord«, korrigierte Lea ihren entfernten Verwandten. Sie blickte sich um. »Sind die Spurensicherung und Rechtsmedizin noch nicht hier? Die habe ich doch auch sofort informiert.«

    »Keine Ahnung. Dein Patenonkel ist jedenfalls noch drin.«

    »Kannst du mir schon mal was zu der Familie sagen? Du kennst hier doch alle besser als ich.«

    Markus straffte seine untersetzte Gestalt. »Die Assenmachers leben ziemlich abgeschieden von den Leuten im Ort. Die Frau war psychisch krank und hatte, wie Jenny sagte, weder Freundinnen noch Bekannte.«

    Jenny … Markus Ehefrau, eine gelernte Friseurin, die ihren Mann und die beiden zehnjährigen Jungs voll im Griff hatte, war die größte Tratsche in Kaltenweiher. Dass sie als ernst zu nehmende Informantin hilfreich sein könnte, bezweifelte Lea.

    »Der Bruder des Opfers sitzt seit zwei Jahren im Knast, der Vater ist seit Jahrzehnten Alkoholiker und lebt inzwischen im Pflegeheim. Die Mutter ist schon lange tot.«

    »Dann scheiden die drei als Täter ja schon mal aus«, entgegnete sie trocken.

    Markus lachte wiehernd. »Es gibt noch eine fünf Jahre jüngere Schwester des Opfers. Die soll aber keinen besonders guten Ruf haben, wie Jenny mir eben gesagt hat.«

    Lea zog die Stirn zusammen. »Hast du deiner Frau schon davon erzählt?«

    »Klaro. Während ich hier auf dich gewartet habe, habe ich sie angerufen.«

    O nein!

    »Markus, dir ist doch hoffentlich klar, dass alles, was wir hier ermitteln, erst einmal streng geheim bleiben muss. Und gerade Jenny …« Schnell bis sie sich auf die Lippe. Aber zu spät.

    »Gerade Jenny? Was soll das denn heißen?«

    »Du weißt doch selbst, wie sie ist. Sie teilt der Welt halt gerne alles mit. Aber als Teil des Ermittlerteams bist du während der Ermittlungen zum Stillschweigen verpflichtet, um ebendiese nicht zu gefährden.«

    Markus seufzte bekümmert auf. »Mannomann, das wird aber Ärger zu Hause geben.«

    »Sag deiner Frau, dass du sonst deine Karriere aufs Spiel setzt. Sie will doch unbedingt, dass du befördert wirst.«

    Da hellte sich sein Gesicht, dessen Nasenspitze keck gen Himmel wies, wieder auf.

    »Mann, das ist ein schlagkräftiges Argument«, erwiderte er erleichtert. »Als Teil des Ermittlerteams muss ich mich doch bestimmt auch in den kommenden Tagen öfter beim Stammtisch im ›Wilden Eber‹ sehen lassen. Oder in der Reno-Bar an der Grenze. Ein bisschen umhören und so … Oder?«

    Lea musste lachen. »Das ist sogar eine Dienstanweisung«, erwiderte sie mit übertriebenem Ernst.

    »Du, da fällt mir was ein«, fuhr Markus mit einem Mal ganz engagiert fort. »Ich habe heute Morgen eine Radarfalle auf der Landstraße in beide Richtungen eingerichtet. Ihr könntet euch den Film mal ansehen. Wegen fremder Autos oder so … Irgendwie muss der Täter ja hierhin gekommen und auch wieder weggefahren sein.«

    »Das ist wirklich ein hilfreicher Hinweis.«

    »Sofern der Täter nicht zum familiären Umfeld gehört«, gab Markus mit bedeutsamem Blick zu bedenken.

    »Apropos familiäres Umfeld. Sind Herr Assenmacher und sein Sohn nicht da?« Sie blickte sich auf dem Hof um. »Ich sehe gar keine Autos.«

    »Wie Frau Bremer sagte, sind beide nach dem Mittagessen gegen halb zwei getrennt voneinander weggefahren.«

    »Super. Deine Idee von der Kamera an der Landstraße kann uns helfen, deren Alibi zeitlich zu überprüfen.« Lea hob die Hand. »Okay, wenn die Spusi und die Gerichtsmedizin eintreffen, schick sie bitte rein. Ich schau mir jetzt mal den Tatort an.«

    5. Kapitel

    In der Eingangshalle war es wesentlich kühler als draußen in der prallen Sonne. Lea blieb stehen und sah sich um. Von links drangen Stimmen zu ihr herüber, von denen sie eine als die ihres Onkels erkannte. Sie ging ihnen entgegen und blieb vor einer offenen Tür stehen. Sie führte in eine schätzungsweise vierzig Quadratmeter große, sonnendurchflutete Landhausküche mit Hightech-Ausstattung.

    Anselm saß an dem langen Holztisch.

    »Da bist du ja.« Er stand auf und zeigte auf die Haushälterin. »Frau Bremer kennst du ja bestimmt.«

    Lea lächelte die ältere Frau herzlich an. »Klar. Wir sehen uns manchmal in Lottes Lebensmitteleck.« Sie seufzte mitfühlend. »Das war bestimmt ein Schock für Sie.«

    Aufschluchzend wischte sich Gerda Bremer mit dem Taschentuch über die geröteten Augen. »Ich habe sie so gemocht. Egal, welchen Ruf sie früher gehabt hat, aber sie war ein lieber und guter Mensch. Und sie hatte es hier weiß Gott nicht leicht.«

    »Ich muss jetzt zum Tatort, aber ich komme gleich noch einmal zu Ihnen«, sagte Lea sanft, bevor sie ihrem Onkel hinterher eilte.

    »Und du glaubst wirklich an Mord?«, fragte sie, als sie außer Hörweite waren.

    »Davon werde ich dich gleich überzeugen. Komm! Da hinten liegen die Räume von Frau Assenmacher. Sie und ihr Mann schliefen getrennt.«

    Als sie am Ende des Ganges angekommen waren, blieb Lea überrascht auf der Schwelle zum Schlafzimmer stehen.

    »Was machen denn die ganzen Puppen hier?«

    »Die hat sie alle selbst gemacht.«

    »Vermutlich hat sie unter ihrer Kinderlosigkeit sehr gelitten«, murmelte Lea nachdenklich.

    »Möglich.«

    »Irgendwie makaber. Findest du nicht?«

    »Hmm. Die haben sogar ein eigenes Kinderzimmer. Gleich nebenan.«

    Lea schüttelte den Kopf. Dann trat sie vorsichtig an das lichtblaue Himmelbett heran.

    »Ich habe sie bestimmt schon drei Jahre nicht mehr gesehen«, sagte sie mit unterdrückter Stimme. »Sie war ja immer sehr schön. Selbst jetzt in ihrem Alter und im Tod noch …«

    »Das war bestimmt auch ein Grund dafür, warum Assenmacher sie damals unbedingt hatte haben wollen.«

    »Kannst du sagen, wann ungefähr der Tod eingetreten ist?«

    »Die Assenmachers haben bis kurz nach eins zusammen gegessen. Danach ist Susanne auf ihr Zimmer gegangen. Gehen wir mal davon aus, dass der Mörder frühestens ab halb zwei zugeschlagen hat. Gegen halb drei wurde sie von Frau Bremer gefunden. Dann ist sie jetzt – wir haben halb vier – höchstens zwei Stunden tot. Das deckt sich auch mit der Leichenstarre, die zwei bis acht Stunden nach einem Herz-Kreislauf-Stillstand eintritt und jetzt noch nicht voll ausgeprägt ist. Ebenso mit den Totenflecken. Sie bilden sich etwa zwanzig bis dreißig Minuten nach Eintritt des Todes und erreichen binnen sechs Stunden erst ihre volle Ausprägung. Bei ihr sind sie schon zu erkennen.«

    »Wie lange hat es wohl gedauert?«, fragte Lea innerlich schaudernd.

    »Du meinst, bis sie tot war?«

    »Hmm.«

    »Ich denke, zehn Minuten bis eine halbe Stunde. Wenn die Pulsader vertikal aufgeschnitten wird, so lang und tief wie hier, kann man sehr schnell verbluten.«

    Lea biss sich auf die Lippe und schwieg.

    »Sag mal, riechst du nichts?«, fragte ihr Onkel.

    Sie hob die Nase, schnüffelte. »Chloroform?«

    »Genau. Für einen Selbstmord doch recht ungewöhnlich, oder?«

    »Sogar unmöglich. Wenn ich betäubt bin, kann ich mir nicht mehr die Pulsadern aufschneiden. Obwohl der Abschiedsbrief dort …« Vorsichtig nahm sie den Umschlag vom Nachttisch und entnahm ihm ein Blatt Papier. ›Ich will schon lange nicht mehr leben. Heute beende ich es. Susanne‹, las sie leise vor.

    »Den wird die Kriminaltechnik mit Sicherheit als gefälscht entlarven«, erwiderte Anselm unberührt. »Schau dir mal die Schnitte hier an.« Er zeigte auf die beiden klaffenden Wunden.

    Lea ließ sich bei der Betrachtung Zeit.

    »Du hast Recht. Das kann kein Selbstmord sein. Die Schnittkanten sind viel zu glatt und die Schnittführung viel zu tief und zu gerade, um sie mit dieser kleinen Nagelschere so hinzubekommen. Da war ein scharfes Messer am Werk. Oder eine Rasierklinge.«

    »Oder ein Skalpell.«

    »Genau. Und die Schnitte sind auch beide mit gleicher Kraft ausgeführt worden. Bei einem Selbstmord hätte die verletzte Hand doch gar nicht mehr die Kraft gehabt, am anderen Arm den exakt gleichen Schnitt zu wiederholen.« Lea beugte sich noch einmal über das Gesicht der Toten. »Aber immerhin war der Mörder so gnädig und hat sie vorher chloroformiert.«

    »Wobei Chloroform allein nicht so schnell wirkt. Das ist nicht so wie im Fernsehkrimi: Dem Opfer wird ein Lappen aufs Gesicht gedrückt und schon ist der Mann ohnmächtig«, wandte ihr Onkel ein. »Bis zur Wirkung dauert es ein paar Minuten, in denen das Opfer sich normalerweise wehrt, schreit oder um sich schlägt. Aber Frau Bremer hat angeblich nichts gehört. Sie sagte, dass Susanne nach dem Mittagessen jedes Mal für ihren Mittagsschlaf eine Schlaftablette genommen hat. Wahrscheinlich wird die Gerichtsmedizin davon ein paar mehr in ihrem Köper finden, sodass sie vor dem Chloroform schon sediert war und sich nicht mehr wehren konnte. Denn ich habe keine Abwehrspuren gefunden.«

    Lea sah ihren Patenonkel nachdenklich an.

    »Die muss ihr dann jemand unters Essen gemischt haben.«

    Anselm nickte.

    »Nehmen wir das alles mal als Ausgangsbasis, dann kann sich der mutmaßliche Täter eigentlich nur unter den Hausbewohnern befinden. Der Ehemann, der Sohn oder Frau Bremer.«

    »So sieht´s zunächst aus, würde ich als Laie sagen. Zum Mittagessen waren keine Gäste da. Danach habe ich schon gefragt. Und obwohl das Schlafzimmerfenster ebenerdig und geöffnet ist, kann von außen niemand eingestiegen sein, weil das Fliegengitter absolut intakt ist.«

    Lea lachte. »An dir ist ein Detektiv verloren gegangen.«

    »Vergiss nicht, dass ich seit fast sechzig Jahren mit einem LKA-Ermittler befreundet bin. Das färbt ab. Ich bin jetzt schon darauf gespannt, was Ralf heute Abend zu dem Fall sagen wird.«

    »Onkel Anselm!«, rief Lea entsetzt aus. »Gerade noch habe ich Markus erklärt, dass solche Ermittlungen streng geheim bleiben müssen.«

    »Mein liebes Mädsche …«, ihr Onkel verfiel in den Eifler Dialekt und lächelte sie liebevoll an, »Ralf ist doch sozusagen ein Kollege von euch. Und ich als Arzt stehe sowieso unter Schweigepflicht. Lass zwei gelangweilte, alte Männer doch ein bisschen an der Aufklärung teilhaben. Vielleicht können wir sogar noch ein paar Erfahrungen oder wichtige Informationen beisteuern.«

    Lea atmete tief durch – und schwieg.

    Damit hätte sie eigentlich rechnen müssen.

    Aber warum nicht die Vorteile nutzen? Ein anderer Landarzt hätte wahrscheinlich ohne viel zu überlegen einen Totenschein ausgestellt und der Mörder würde fortan für immer frei herumlaufen. Und vielleicht würde sie tatsächlich im Laufe der Ermittlungen

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