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Das Sternbild des Alchemisten
Das Sternbild des Alchemisten
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eBook506 Seiten

Das Sternbild des Alchemisten

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Über dieses E-Book

Diebin Leia soll in eine unheimliche Villa eindringen und ganz bestimmte Unterlagen wiederbeschaffen. Zunächst ein Auftrag wie jeder andere. Doch dann findet sie in einem versteckten Raum ein mysteriöses Gemälde aus dem achtzehnten Jahrhundert. Und darauf ist der Hausherr selbst abgebildet, wie sie verstört feststellt, als dieser sie um ein Haar schnappt. Wie ist es möglich, dass er um kein Jahr gealtert ist? Beim Sichten der Beute entdeckt Leia ein uraltes Tagebuch, das Licht ins Dunkel bringen könnte. Es stammt vom Grafen de Saint Germain, ein bekannter Alchemist, der das Geheimnis der ewigen Jugend ergründet haben soll. Leias Neugierde ist geweckt, denn dieses Geheimnis könnte ihr dabei helfen, die Krankheit aufzuhalten, die ihren Körper in naher Zukunft zu zerstören droht. Kurzerhand behält sie das Tagebuch und wird dadurch zur Gejagten. Denn die Sache, in die sie da hineingeraten ist, ist viel bedeutsamer, als sie es sich jemals hätte vorstellen können – und wird nicht nur ihr Können auf die Probe stellen, sondern auch alles, woran sie je geglaubt hat.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum26. Apr. 2024
ISBN9783038963103
Das Sternbild des Alchemisten

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    Buchvorschau

    Das Sternbild des Alchemisten - Katja Segin

    Inhaltsverzeichnis

    Titel

    Informationen zum Buch

    Impressum

    Widmung

    Prolog

    Kapitel 1

    Kapitel 2

    Kapitel 3

    Kapitel 4

    Kapitel 5

    Kapitel 6

    Kapitel 7

    Kapitel 8

    Kapitel 9

    Kapitel 10

    Kapitel 11

    Kapitel 12

    Kapitel 13

    Kapitel 14

    Kapitel 15

    Kapitel 16

    Kapitel 17

    Kapitel 18

    Kapitel 19

    Kapitel 20

    Kapitel 21

    Kapitel 22

    Kapitel 23

    Kapitel 24

    Kapitel 25

    Kapitel 26

    Kapitel 27

    Kapitel 28

    Kapitel 29

    Kapitel 30

    Kapitel 31

    Kapitel 32

    Kapitel 33

    Kapitel 34

    Kapitel 35

    Kapitel 36

    Kapitel 37

    Kapitel 38

    Kapitel 39

    Kapitel 40

    Kapitel 41

    Kapitel 42

    Kapitel 43

    Kapitel 44

    Kapitel 45

    Kapitel 46

    Kapitel 47

    Kapitel 48

    Kapitel 49

    Kapitel 50

    Kapitel 51

    Kapitel 52

    Kapitel 53

    Kapitel 54

    Kapitel 55

    Kapitel 56

    Kapitel 57

    Kapitel 58

    Kapitel 59

    Kapitel 60

    Kapitel 61

    Kapitel 62

    Kapitel 63

    Kapitel 64

    Kapitel 65

    Kapitel 66

    Kapitel 67

    Kapitel 68

    Kapitel 69

    Kapitel 70

    Kapitel 71

    Kapitel 72

    Epilog

    Dank

    Katja Segin

    Das Sternbild des Alchemisten

    Fantasy

    Das Sternbild des Alchemisten

    Diebin Leia soll in eine unheimliche Villa eindringen und ganz bestimmte Unterlagen wiederbeschaffen. Zunächst ein Auftrag wie jeder andere. Doch dann findet sie in einem versteckten Raum ein mysteriöses Gemälde aus dem achtzehnten Jahrhundert. Und darauf ist der Hausherr selbst abgebildet, wie sie verstört feststellt, als dieser sie um ein Haar schnappt. Wie ist es möglich, dass er um kein Jahr gealtert ist? Beim Sichten der Beute entdeckt Leia ein uraltes Tagebuch, das Licht ins Dunkel bringen könnte. Es stammt vom Grafen de Saint Germain, ein bekannter Alchemist, der das Geheimnis der ewigen Jugend ergründet haben soll. Leias Neugierde ist geweckt, denn dieses Geheimnis könnte ihr dabei helfen, die Krankheit aufzuhalten, die ihren Körper in naher Zukunft zu zerstören droht. Kurzerhand behält sie das Tagebuch und wird dadurch zur Gejagten. Denn die Sache, in die sie da hineingeraten ist, ist viel bedeutsamer, als sie es sich jemals hätte vorstellen können – und wird nicht nur ihr Können auf die Probe stellen, sondern auch alles, woran sie je geglaubt hat.

    Die Autorin

    Katja Segin, Jahrgang 1980, liebt Geheimnisse aller Art. Besonders gern verfasst sie deswegen geheimnisvoll-dramatische Fantasy- und Familiengeschichten mit einem historischen Hintergrund. Dafür durchforstet sie regelmäßig Geschichtsbücher und alte Fotoalben und sucht nach Inspiration.

    Privat lebt sie ganz ohne Drama mit ihrem Mann und zwei Schildkröten in der Altstadt von Paderborn.

    www.sternensand-verlag.ch

    info@sternensand-verlag.ch

    1. Auflage, April 2024

    © Sternensand Verlag GmbH, Zürich 2024

    Umschlaggestaltung: Alexander Kopainski

    Lektorat: Lektorat Laaksonen | Stefan Wilhelms

    Korrektorat: Sternensand Verlag GmbH

    Satz: Sternensand Verlag GmbH

    ISBN (Taschenbuch): 978-3-03896-309-7

    ISBN (epub): 978-3-03896-310-3

    Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

    Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

    Für Toni.

    Hab deinen Namen geklaut, weil du ihn nicht mehr brauchst.

    Prolog

    Baptiste

    Frankreich, 1999

    Der Aufschlag hallte noch in Baptistes Kopf nach, als das Geräusch schon längst verklungen war. Direkt neben dem Bein des überwältigten Mannes lag die Vase. Eine Geschmacklosigkeit aus massivem Bleikristall, Art déco oder so.

    Was hast du getan?

    Baptiste biss sich auf die Unterlippe, bückte sich und hob sie auf.

    Sie war erfreulicherweise nicht zerbrochen. Um sie an ihren Platz zurückzustellen, musste er über das Bein steigen.

    Wo genau hatte sie gestanden? Er ließ den Blick über die Kommode mit den angestoßenen Ecken schweifen. Sie fügte sich perfekt in das schäbige Hotelzimmer ein, zu dem er sich gerade Zutritt verschafft hatte. Zögernd stellte er das Gefäß wieder darauf. Er musste den richtigen Platz finden, Ordnung war wichtig.

    Doch hier stand es falsch, ganz falsch. Und wenn das schon falsch war, dann war auch alles andere falsch. Er hatte einfach danach gegriffen, ohne nachzudenken, und jetzt stimmte gar nichts mehr!

    Hektisch schob er die Vase hin und her. Da, ein Abdruck im Staub, so ein Glück. Mit dessen Hilfe konnte er sie richtig platzieren und sich dem anderen Problem zuwenden.

    Er drehte sich um und krempelte die viel zu langen Ärmel der Hoteluniform hoch. Dummerweise hatte er beim Wühlen in den Personalspinden des Hotels eine erwischt, die ihm zu groß war. Ein Witz, denn normalerweise war ihm Kleidung eher zu kurz. Am liebsten hätte er weitergesucht, doch er hatte nun mal keine Zeit zu verschwenden gehabt.

    Der Fremde lag regungslos auf der Seite, mit dem Rücken zu ihm. Er war größer als erwartet, aber schmal gebaut, noch schmaler als Baptiste selbst. Sein Haar hatte denselben sehr dunklen Braunton wie seines, und sogar die Länge war ähnlich - bis über die Ohren.

    Das Gesicht des Mannes konnte er nicht sehen.

    War er bewusstlos? Hatte er die Augen geöffnet und wartete nur auf den richtigen Moment, um aufzuspringen und ihn anzugreifen?

    Oder war er tot?

    In Baptistes Hals baute sich Druck auf, der ihn zu ersticken drohte. Angestrengt versuchte er, zu schlucken.

    Im Gang vor dem Zimmer erklangen Schritte.

    Er fuhr herum. Die Zimmertür stand immer noch offen.

    Mit einem Sprung gelangte er zu ihr und schloss sie. Er presste sein Ohr gegen das Holz. Draußen ging jemand vorbei, ein Schlüssel wurde in einem Schloss gedreht, dann ein dumpfer Knall und Stille.

    Aufatmend wandte er sich um, und der Druck ließ ein wenig nach.

    Der Mann lag noch genauso da wie zuvor. In gebührendem Abstand bewegte sich Baptiste um ihn herum und hockte sich schließlich auf Höhe des Kopfes nieder.

    Die Augen waren geschlossen, die Züge entspannt und weich. Ein rotes Rinnsal floss von seiner Stirn über die Schläfe und tropfte in den Teppich. Sicherlich nicht das erste Mal, dass hier Blut versickerte, so fleckig wie der Flor aussah.

    Baptiste würgte bei der Vorstellung, selbst dazuliegen und den staubigen, metallischen Gestank einatmen zu müssen, den er bisher zum Glück nur erahnen konnte.

    Der Arm des Fremden lag völlig verdreht unter seinem Körper.

    Er hatte seinen Sturz nicht abgefangen, also musste er ohnmächtig gewesen sein, oder? Sonst hätten seine Reflexe dafür gesorgt, dass …

    Und wenn er doch tot war?

    Dann war er nicht der, für den Baptiste ihn hielt. Und wenn er der war, für den er ihn hielt, konnte er nicht tot sein.

    Wenn er tot ist, hast du einen Unschuldigen auf dem Gewissen.

    Baptiste strich sich mit beiden Händen durch die Haare. Seine Finger krallten sich fest, als suchten sie Halt.

    Warum hatte er nicht irgendwelche Söldner für die Drecksarbeit engagiert, wie es eigentlich sein Plan gewesen war? Männer, die einfach nur ihren Job machten und denen es egal war, ob dabei jemand draufging. Diese Überlegung kam zu spät. Für dieses Mal jedenfalls.

    Seine Arme sanken herab, und die Ärmel rutschten ihm abermals bis zu den Fingerspitzen. Verdammte Uniform, völlig unförmig. Die Menschen, die hier arbeiteten, konnten einem fast leidtun.

    Ohne die Knöpfe zu öffnen, zerrte er sie sich über den Kopf und schleuderte sie in eine Ecke. Staubflusen wirbelten auf und wehten unter das Bett, das aussah, als hätte es jemand vom Sperrmüll gerettet.

    Der Mann musste der Richtige sein. Er musste! Alle Spuren führten zu ihm, unmöglich, dass sich Baptiste geirrt hatte.

    Dann vergewissere dich, dass er noch lebt.

    Aber wie?

    Baptiste ließ sich auf alle Viere nieder und krabbelte näher an den Fremden heran. So wie der lag, konnte er nicht sehen, ob sich die Brust hob und senkte.

    Ohne die Augen des Mannes aus dem Blick zu lassen, leckte Baptiste seinen Zeigefinger an und hielt ihn dem anderen unter die Nase. Er spürte keinen Lufthauch. Die Lider blieben geschlossen.

    Er schluckte, der salzige Geschmack seines eigenen Schweißes haftete ihm weiterhin auf der Zunge. Er verschwand auch nicht, als er sich über die spröden Lippen leckte.

    Der Schlag war nicht so fest und die Vase nicht schwer genug gewesen. Der konnte nicht tot sein, auch wenn er sich geirrt hatte und der Fremde nur ein normaler Mensch war. Unmöglich.

    Baptiste faltete den Hemdskragen aus dem Weg und tastete am Hals des anderen nach dessen Puls. Die Haut war weich und fühlte sich warm an. Doch da war nichts, kein Herzschlag.

    Er nagte an seiner Unterlippe und versuchte, zu entscheiden, was schlimmer war: dass er jemanden umgebracht hatte oder dass er falsch lag und seine gesamte Suche umsonst gewesen war.

    Seine Gedanken wirbelten wild durcheinander und ließen sich nicht fangen, deshalb atmete er tief ein und saß ganz still. Stille im Körper erzeugte Stille im Geist, und er brauchte einen ruhigen Geist, um zu entscheiden, wie er weiter vorgehen sollte.

    Es half, einer seiner Gedanken wurde greifbar. Eine Frage vielmehr: Ertastete man den Puls nicht auf der anderen Seite des Halses?

    Er schob seinen Zeigefinger noch einmal zwischen Kinn und Schulter, fuhr mit der Fingerspitze auf und ab, vor und zurück.

    Dicht unter dem Ohr spürte er ein leichtes Flattern. Er drückte fester. Pockpock. Pockpock. Pockpock. Ganz sacht, aber das Herz schlug.

    Rückwärts kroch Baptiste zurück, bis er sich gegen den Bettpfosten lehnen konnte. Er presste sich so sehr dagegen, dass er das harte Holz an jeder einzelnen Rippe spürte, bis es beinahe schmerzte. Dann erst atmete er auf. Sein eigenes Herz klopfte heftig gegen die Rippen. Pockpock. Pockpock. Pockpock. Wie bei dem anderen, nur kräftiger.

    Der Mann lebte, also könnte er es wirklich sein. Baptiste könnte ihn endlich gefunden haben. Er brauchte allerdings Gewissheit.

    Er zog sich am Bett hoch. Neben dem Kopf des Bewusstlosen lag dessen Jackett. Das hatte er in der Hand gehalten, kurz bevor ihn die Vase traf.

    Baptiste hob es auf und durchsuchte die Taschen. Ein Portemonnaie in der Innentasche, sonst nichts. Er warf das Jackett auf den Stuhl und öffnete es. Ein paar Geldscheine in D-Mark und Franc, außerdem tschechische Kronen. Keine Ausweispapiere.

    Hatte er überhaupt so etwas wie einen Ausweis? Wenn ja, dann war er sowieso gefälscht. Er konnte keinen Ausweis auf seinen echten Namen besitzen, das war unmöglich.

    Ein gutes Zeichen.

    Baptiste legte die Börse auf das Jackett. An der Stelle, wo es sich befunden hatte, lag ein Briefumschlag. Er war leer, und Baptiste ließ ihn zu Boden flattern. Dann sah er sich etwas genauer im Zimmer um.

    In so einer Absteige hätte er ihn nicht vermutet. Die Einrichtung war auf das Nötigste beschränkt: Bett, Kommode, Stuhl und die scheußliche Vase als einzige Dekoration. Alles war verwohnt, verstaubt und ungemütlich, kein Ort zum Wohlfühlen. Es war ein Ort, an dem man sich versteckte, wenn man auf der Flucht war, weil hier niemand Fragen stellte.

    Auf der Tagesdecke lag ein Koffer. Wie es aussah, war der Mann gerade dabei gewesen, zu packen. Morgen hätte Baptiste seine Spur vielleicht wieder verloren … nicht auszudenken.

    Er durchwühlte den Inhalt des Gepäcks und fand nichts außer Kleidung, Rasierzeug, sowie eine Zahnbürste. Aber da musste doch mehr sein, irgendwelche persönlichen Gegenstände, irgendetwas, das Aufschluss über seine Identität gab.

    Kurzerhand hob er eine Seite des Koffers an und schüttete den Inhalt aufs Bett. Unterhemden, Hosen, Socken, ein Hemd. Ein Paar Hausschuhe. Das war’s.

    Der Koffer lag leer vor ihm. Er schloss ihn, kippte ihn auf die andere Seite und untersuchte ihn rundherum. Es gab kein Reißverschlussfach, weder innen noch außen.

    Er öffnete ihn erneut und runzelte die Stirn, als ihm etwas auffiel.

    War diese Hälfte des Koffers nicht schwerer als die andere?

    Er hob beide Fächer nacheinander an. Tatsächlich, der rechte Boden schien dicker zu sein.

    Mit den Fingerspitzen fuhr er über das Innenfutter und fühlte eine glatte Oberfläche, vielleicht Pappe. Wenn er an verschiedenen Stellen dagegen drückte, gab sie unterschiedlich stark nach.

    Da war etwas versteckt, ein doppelter Boden, ein Geheimfach möglicherweise.

    Den Mechanismus, mit dem er das Fach öffnen konnte, sah er in dem Moment, als er die Pappe mit seinem Taschenmesser aufschnitt.

    Zum Vorschein kamen mehrere Bündel Bargeld verschiedener europäischer Währungen, eine Papprolle, eine Dokumentenmappe und ein in Leder gebundenes Buch. Es war mit einem Band umwickelt, damit die zahlreichen losen Seiten nicht herausfallen konnten.

    Das Geld interessierte ihn nicht, davon hatte er selbst mehr als genug. Es war etwas anderes, auf das er es abgesehen hatte.

    Mit zitternden Fingern wickelte er das Band ab. Ein gefaltetes Papier, ein Brief vielleicht, segelte heraus, als er das Buch öffnete. Er ignorierte es. Seine ganze Aufmerksamkeit galt der ersten Seite. Baptiste las, und sein Mund verzog sich zu einem Lächeln.

    Endlich! Nach Jahren der Suche und der Jagd, dem Durchforsten alter Schriften und Überlieferungen, kurz bevor er aufgeben wollte, hatte er ihn gefunden!

    Ein Geräusch, kaum hörbar, ließ ihn herumfahren. Es war ein Stöhnen, wenig mehr als ein lauter Atemzug. Die Augenlider des Fremden flatterten.

    Baptiste klappte das Buch zu. Der Druck im Hals kehrte zurück und schnürte ihm jetzt fast die Luft ab.

    Schnell weg, bevor er ganz aufwachte. Behutsam, wie um sein Opfer nicht weiter zu stören, ging er in die Knie und tastete nach dem Brief. Dabei ließ er den Mann nicht aus dem Blick.

    Dessen Augen öffneten sich genau in dem Moment, als seine Finger das Papier berührten. Wie in Zeitlupe drehte er den Kopf und sah Baptiste direkt an.

    Mach, dass du hier herauskommst!

    Baptiste griff nach dem Blatt, stieß es dabei weiter weg und beugte sich tiefer.

    Wo war es? Seine Handflächen fuhren über den Teppich, fühlten Krümel und Knäuel fremder Haare.

    Lass es hier!

    Und wenn es wichtig war?

    Dann hatte er es. Er zog es hervor, sprang auf und klemmte sich die Papprolle und die Mappe unter den Arm. Der Mann hatte inzwischen seine Hände nach vorn geschoben und drückte seinen Oberkörper nach oben.

    Wie konnte der sich so schnell erholen? Gerade war er noch fast tot gewesen.

    Sein Blick fiel auf das Buch in Baptistes Hand, und seine Augen sprühten Funken.

    Mit einem Satz hechtete Baptiste über das Bett und war eine Sekunde später an der Tür. Er riss sie auf und warf einen Blick zurück.

    Der andere war schon auf den Füßen. Er schwankte, stützte sich an der Kommode ab, aber er stand.

    Schneller!

    Baptiste rannte den Gang entlang zum Aufzug. Ein Schild mit der Aufschrift ›en panne‹ klebte quer über dem altmodischen Metallgitter. Diesem Relikt hätte er ohnehin nicht getraut.

    Wo befanden sich noch gleich die Treppen? Von wo war er gekommen? Er war in den letzten Wochen und Monaten durch so viele Hotelflure geschlichen, dass sie alle zu einer einzigen Erinnerung verschmolzen.

    Schritte hinter sich ließen ihn weiterrennen. Um die Ecke, dann noch einmal links, und er stand vor der Tür zum Treppenhaus. Immer zwei Stufen auf einmal nehmend, sprang er hinab, eine Etage, noch eine.

    In der Lobby bekam er kaum noch Luft. Er keuchte wie ein alter Mann, der sein Leben lang geraucht hatte, dabei war er doch so jung. Ein weiterer Grund, das nächste Mal jemanden für eine solche Aktion anzuheuern.

    Sein Blick glitt zum Ausgang. Ein Taxi wartete davor und dem leuchtenden Schild auf dem Dach nach zu urteilen, war es frei.

    Was würde der Fahrer sagen, wenn er sich völlig abgehetzt auf die Rückbank warf?

    Er stützte die Hände auf die Knie und atmete tief in den Bauch.

    Nur kurz zu Atem kommen.

    Den Portier konnte er nirgends entdecken und auch sonst niemand. Von der Treppe her erklangen keine Schritte.

    Natürlich nicht. Der Fremde konnte ihn nicht einholen, nicht in seinem Zustand. So schnell konnte selbst er sich nicht regenerieren.

    Woher willst du das wissen?

    Baptiste richtete sich auf und ging gemessenen Schrittes zur Tür, Buch, Mappe und Rolle unter dem Arm. Wenige Meter trennten ihn von dem rettenden Ausgang. Der Aufzug lag noch ein paar Meter vor ihm, als der Gong ertönte.

    Unmöglich. Der ist defekt.

    Das Gitter wurde beiseitegeschoben und gab den Blick auf das Innere der Kabine frei. Baptistes Augen weiteten sich.

    Dann rannte er los.

    Kapitel 1

    Leia

    Deutschland, 2021 – Gegenwart

    »Du bist ein Arsch, Mick.« Gähnend ließ sich Leia am Küchentisch nieder und strich die dunkelblonden Locken zurück, die schon wieder nachdrücklich damit drohten, ihr in die Augen zu fallen.

    Der Tisch wackelte, als sie dagegen stieß, und der Stuhl knarrte unter ihrem Gewicht. In dieser Wohnung war wirklich alles schrottreif, und sie selbst ganz vorn mit dabei. Wie so oft checkte sie ihren Körper auf Symptome, doch sie fühlte nichts, was sich nicht durch die vergangene Nacht erklären ließ.

    »Ich bin was?«, erklang es aus dem Bad.

    Das konnte sie gut orten, denn seine Stimme hallte von den hässlichen hellblauen Wandfliesen wider, die so gar nicht zu dem Boden mit Schachbrettmuster passten.

    Dann erklangen seine Schritte im Flur.

    »Du hast es garantiert richtig verstanden«, sagte sie und verkniff sich ein Grinsen. Sie hatte schließlich laut genug gesprochen, und das Bad war nicht weit entfernt in ihrer winzigen Zweizimmerwohnung. »Was sollte der Lärm so früh?«, fügte sie etwas versöhnlicher hinzu und sah ihrem Mitbewohner entgegen, der in diesem Moment die kleine Küche betrat.

    Er sah viel weniger verschlafen aus, als sie sich fühlte. Aber er wirkte ohnehin stets jünger und frischer. Glatte Haut, glänzendes, schulterlanges Haar und minimaler Bartwuchs sorgten dafür, dass er optisch nicht zu altern schien, seit sie vor sieben Jahren die Schule gemeinsam hinter sich gebracht hatten. Wer ihn nicht kannte, würde ihn immer noch auf achtzehn schätzen.

    Sie dagegen fühlte sich wie einundachtzig. Es war einfach ungerecht.

    »Früh?« Mick warf sich auf den zweiten Stuhl und legte ein paar Blatt Papier vor sich. »Wir haben Mittag. Warum kommst du nicht mal direkt nach der Arbeit nach Hause und schläfst, anstatt dich noch stundenlang irgendwo herumzutreiben? Das Sappho war schon um zwei dicht.« Er grinste sie herausfordernd an und sah dadurch noch mehr wie der Junge aus, mit dem sie schon früher als Kind Räuberbande gespielt hatte.

    Das war stets ein Zeichen dafür, dass er etwas ausheckte.

    »Und?« Herausfordern konnte sie genauso gut wie er.

    Er streckte sich genüsslich. »Und du warst erst kurz vor fünf hier.«

    »Spionierst du mir nach?« Sollte sie davon genervt sein oder eher gerührt, dass er sich so um sie sorgte?

    Sie entschied sich für genervt, denn mit dieser Empfindung war sie schon seit jeher besser klargekommen. Rührung bewegte sich viel zu nah an Trauer.

    Er schüttelte den Kopf. »Quatsch. Ich wollte mit Hanne noch was bei dir trinken. Deshalb weiß ich das.«

    Jetzt war sie wirklich genervt. Dass er sich mit der braven Hanne herumtrieb, gefiel ihr nicht. Die passte einfach nicht in ihr gemeinsames Leben, dafür war sie zu neugierig, zu aufdringlich und redete zu viel. Doch bei Mick hatten Frauenbekanntschaften ohnehin keine lange Halbwertszeit. Sie würde es einfach aussitzen.

    Also sollte sie lieber diplomatisch antworten. »Du warst um fünf ja auch noch wach, sonst hättest du mich wohl kaum gehört. Ich war still wie ein E-Roller.« Sie scannte die Umgebung nach Kaffee ab, die Maschine war aber aus, die Kanne leer.

    »Eher wie ein Kettenbagger Außerdem war das kein Lärm vorhin. Es war der Drucker. Im Gegensatz zu dir hab ich nämlich schon gearbeitet.«

    Müde rieb sie sich die Stirn. »Ohne Kaffee?«

    Manchmal hatte sie das Gefühl, Mick schlief überhaupt nicht. Oder wie Einstein, immer nur zwei Stunden am Stück. Das war doch Einstein gewesen, der das so gemacht hatte? Oder war es Steve Jobs?

    Er seufzte und seine braunen Augen ruhten für zwei Atemzüge auf ihrem Gesicht. »Wenn ich dir Kaffee mache, hörst du mir dann zu?«

    Sie beugte sich vor, legte den Kopf auf die Tischplatte und schloss die Augen. »Vielleicht.«

    Mick stand auf, der Stuhl scharrte über den Boden. »Na, hoffentlich hat sich die Nacht gelohnt.«

    Sie erinnerte sich an weiche Haut, einen duftenden Hals und schwarze Locken, die sie kitzelten, und grunzte zustimmend.

    Während das Wasser aus der Filterkanne in den Behälter der Maschine plätscherte, sagte er: »Du solltest vorsichtig sein. Irgendwann gerätst du mal an den Falschen.«

    Sie öffnete die Augen wieder.

    Er drehte ihr den schmalen Rücken zu, allerdings kannte sie seinen Gesichtsausdruck, wenn er so etwas sagte: gerunzelte Stirn und zusammengezogene Brauen.

    Diese Vorstellung sorgte dafür, dass auch sie die Stirn runzelte. »Ich kann dich beruhigen. Sie war mir körperlich absolut unterlegen. Ich stehe nicht auf Schmerzen, wie du weißt.« Ein Schauer lief ihr über den Rücken, als sie das Wort »Schmerzen« aussprach.

    Er warf ihr einen kurzen Seitenblick zu und griff nach dem Kaffeepulver. »Oder du fängst dir was ein.«

    Leia richtete sich auf und schob eine Strähne zurück. »Ja. HIV. Oder Hepatitis. Ach, wär das schön, in dreißig Jahren an Aids draufzugehen. Was würde ich nicht dafür geben.«

    Er hasste es, wenn sie so redete, doch sie konnte nicht anders. Sollte er halt nicht immer wieder mit der gleichen Leier kommen.

    Die Kaffeemaschine gurgelte los.

    Mick setzte sich und starrte schweigend auf die Tischplatte. Die Falte über seiner Nase bildete ein V, dessen Spitze direkt auf seine zusammengepressten Lippen zeigte.

    Alles in ihr zog sich zusammen, wenn sie ihn so sah. Verdammter Mist, warum konnte sie nicht ihre Klappe halten? Er machte sich ja nur Sorgen … Manchmal hatte sie das Gefühl, für ihn war ihre Diagnose schlimmer als für sie selbst.

    Ihre Stimme klang brüchig in ihren Ohren, als sie erneut das Wort ergriff. »Mick? Tut mir leid. Du hast recht.«

    »Ja.« Er räusperte sich, und hob seinen Blick. »Hab ich. Die machen so große Fortschritte in der Forschung. Erst neulich hab ich was über eine Huntington-Studie gelesen, für die sie Probanden suchen, bei denen noch keine Symptome aufgetreten …«

    »Nein, danke«, fiel sie ihm ins Wort. »Dafür hab ich in diesem Leben nicht mehr genug Zeit.« Sie versuchte, den Kloß herunterzuschlucken, der sich in ihrer Kehle festsetzen wollte und ihr beinahe die Luft zum Atmen raubte.

    Das V auf Micks Stirn wurde eine Spur spitzer. »Verdammt, Leia. Bei anderen Erkrankungen, wie Mukoviszidose oder so, verlängert sich auch ständig die durchschnittliche Lebenserwartung. Ich verstehe nicht, wie du einfach aufgeben kannst.«

    Nein, das verstand er nicht. Vermutlich konnte das nur jemand verstehen, der sich in einer ähnlichen Situation befand. Dass es nämlich befreiend sein konnte, wenn man wusste, woran man sterben würde, und wann ungefähr … und wie dieses Wissen einem die Angst vor allem anderen nahm.

    »Ich will einfach nur mein Leben solange genießen, wie es geht«, presste sie durch zusammengebissene Zähne.

    Er seufzte. »Ja. Ich weiß.«

    »Ohne dauernd daran erinnert zu werden.« Sie sprach so ruhig sie konnte, auch wenn es in ihr alles andere als ruhig zuging.

    »Schon klar.« Seine Stimme wurde mit jedem Wort leiser.

    »Also, was hast du für mich?«

    Er straffte sich, vermutlich selbst froh über den Themenwechsel. »Einen neuen Auftrag. Die Mail kam heute Nacht. Soll am Dreiundzwanzigsten steigen.«

    Leia unterdrückte ein Stöhnen. »Was? Morgen? Auf keinen Fall.«

    »Nein, nicht morgen.«

    »Ach, nächsten Monat erst?«

    Das war gut. Sie konnten einen Job brauchen, in ihrer Kasse war Ebbe. Kellnern brachte bei weitem nicht genug ein, um den Lebensstil zu pflegen, den sie sich vorstellte … oder überhaupt irgendeinen Lebensstil. Micks Webdesign genauso wenig. Kein Job tat das, um ehrlich zu sein.

    »Übermorgen. Der Dreiundzwanzigste ist übermorgen.«

    Mist. »Auf keinen Fall.«

    Ihr Kumpel hob den Zeigefinger. »Hör dir erst mal an, was …«

    Sie schüttelte den Kopf. »Muss ich mir nicht anhören, Mick. Das ist viel zu wenig Zeit für die Vorbereitung.«

    Er nickte, als könnte er dadurch ihr Kopfschütteln aufheben. »Ich wusste, dass du das sagen würdest. Aber …«

    »Kein Aber. Ich hab gar keine Zeit, das auszukundschaften. Die Gewohnheiten des Bewohners oder Inhabers oder um was auch immer es geht.« Ihr entfuhr ein Seufzen. »Und wann soll ich den Bauplan besorgen?«

    Mick schob ihr eines der Blätter zu, eine gefaltete DIN A3 Seite. Sie entfaltete das Papier. Es zeigte den Grundriss eines Hauses, Keller, Erdgeschoss und erster Stock.

    »Aha. Trotzdem. Da gehört noch ein bisschen mehr zu, das weißt du.« Es stimmte, was sie sagte, auch wenn in ihrem Bauch bereits dieses fiese Kribbeln eingesetzt hatte, das sie immer dann befiel, wenn es auf einen Job zuging.

    Mick schien das zu spüren. »Der Bewohner ist jeden Mittwoch in irgend so einem Club. Keine Disko oder Strip-Bude, ein echter Gentlemen’s-Club, Rotarier oder so. Geht um neun und kommt nie vor Mitternacht zurück.«

    »Ich weiß nicht, Mick.« Sie stand auf, nahm zwei Tassen aus dem Schrank und füllte sie mit Kaffee. »Lieber nicht. Die werden schon einen anderen Dummen finden. Irgendeiner dieser Darknet-Idioten macht’s sicher, wenn sie genug zahlen.«

    Sie deponierte eine der Tassen vor ihm, und er gab ihr ein weiteres Blatt.

    Es war ein Auszug ihres Bitcoin-Wallets, ihres Geschäftskontos. Bis gestern hatte sich ihr Kontostand bei Bitcoins im Wert von ungefähr tausend Euro befunden, je nach Kurs. Ihre eiserne Reserve.

    Aber das war gestern gewesen.

    Leia stellte die Tasse so heftig ab, dass der Tisch wackelte. Ihr Kaffee schwappte über und hinterließ einen hässlichen Fleck auf der Tischdecke. Dann setzte sie sich. Immer noch starrte sie den Auszug an.

    »Das sind zehntausend Euro«, sagte sie schließlich.

    »Ja.« Mick nickte, und seine Mundwinkel zuckten. So ganz konnte auch er seine Aufregung nicht verbergen. »Und wir bekommen noch mal zehn in bar bei Übergabe der Sachen. Genug Kohle für Idioten wie uns?«

    »Zwanzig? Zwanzigtausend? Bar?« Sie versuchte zu schlucken, doch ihr Mund war zu trocken. Also griff sie nach dem Kaffee und verbrannte sich prompt die Zunge. »Was um alles in der Welt wollen die dafür?«

    Ihr Kumpel zuckte mit den Schultern. »Nichts Besonderes eigentlich. Sieh es als eine Art Eil-Zuschlag. Aus irgendeinem Grund soll die Sache unbedingt diese Woche steigen. In dem Haus sind Unterlagen versteckt und eine alte Kladde, wie ein Tagebuch oder so. Und eine bemalte Leinwand, vermutlich gerollt und in einem Pappbehälter. Die sollst du holen.«

    »Aber so etwas machen wir doch nicht.« Leias Stimme klang ungewohnt rau, als sie ihren Mund verließ. Die Summe geisterte durch ihren Kopf und versuchte, sich den Worten in den Weg zu stellen.

    »Was? Für Geld einbrechen?« Mick zwinkerte ihr übertrieben zu. »Natürlich nicht.«

    »Nein, ich meine, Sachen stehlen. Sachen, die denen nicht gehören.« Sie war keine Diebin, sondern eine Wiederbeschafferin. Ein feiner Unterschied, auf den sie Wert legte.

    »Sie behaupten, das Zeug gehöre ihnen. Mehr haben wir sonst auch nicht, und es geht ja nicht um Wertgegenstände wie Schmuck oder so, nur um Papiere. Die wissen sogar, wo es versteckt sein soll, irgendwo im Schlafzimmer. Hier.« Er beugte sich vor und tippte auf den Grundriss.

    Sie verzichtete auf den Einwand, dass es durchaus wertvolle Bücher und Dokumente gab, von bemalten Leinwänden mal zu schweigen.

    Stattdessen folgte ihr Blick seiner Geste. »Im Schlafzimmer«, wiederholte sie.

    Mick nickte. »Ganz einfache Sache.«

    Ihr entfuhr ein Grunzen. »Wenn die das alles wissen und es so einfach ist, warum machen die es dann nicht selbst?«

    »Die wollen halt die Beste für den Job.« Ein schneller Seitenblick traf sie, als wollte er ihre Reaktion darauf nicht verpassen.

    »Mit Schmeichelei erreichst du bei mir nichts, und das weißt du genau.« Leia nahm noch einen Schluck, bevor sie hinzufügte: »Mir gefällt das nicht. Warum muss es so schnell gehen? Und woher wissen die überhaupt, in welchem Raum das Zeug versteckt ist?«

    »Woher soll ich das wissen?« Mick zuckte die Schultern und zog einen Mundwinkel herab. »Ach ja, das ist noch nicht alles. Der Bewohner darf nicht merken, dass du da warst, deshalb sollst du auf keinen Fall einen anderen Raum betreten. Rein, ins Schlafzimmer, Zeug schnappen, keine Spuren hinterlassen und wieder raus, in unter drei Stunden.«

    Das trug nicht gerade zu ihrer Beruhigung bei. »Warum denn?«

    »Was weiß ich? Aber ist doch egal. Sonst begutachtest du ja auch nicht erst den Einrichtungsstil.«

    Sonst war das aber auch nicht verboten.

    »Ich weiß wirklich nicht, Mick. Ich hab ein ganz mieses Gefühl bei der Sache.« Sie presste ihre Hand gegen den Bauch, in dem sich ein schmerzhafter Knoten gebildet hatte.

    »Vielleicht solltest du erst mal etwas essen?« Er schob ihr die Packung Cornflakes herüber.

    Sie nahm ein paar Flakes und knabberte. »Ich glaube, wir haben keine Milch.«

    »Nein, haben wir nicht. Können wir uns nicht leisten.« Mick räusperte sich und fühlte sich sichtbar unwohl. Schweiß stand auf seiner unnatürlich blassen Stirn. »Hör mal, wir müssen uns bis eins entscheiden. Dann sagen wir zu, oder ich transferiere die Kohle zurück.« Er wirkte nicht glücklich darüber, den Job abzulehnen – oder ihn anzunehmen.

    Das konnte Leia gut nachfühlen. Das schöne Geld … So viel hatte noch kein Auftrag je eingebracht. Aber warum so viel für so wenig Arbeit? Was stimmte daran nicht?

    Sie zerkrümelte eine Frühstücksflocke zwischen den Fingern. Die Brösel verteilten sich auf der Tischdecke und sprenkelten den Kaffeefleck, den sie eben erst dort hinterlassen hatte. »Klingt ja alles ganz nett … wenn mich das Ganze nur nicht an einen Horrorfilm erinnern würde, in dem ich die Hauptrolle übernehmen soll.«

    Mick spielte mit dem Kontoauszug, drehte ihn im Kreis, immer rundherum. »Da wird schon kein Monster auf dich lauern.« Doch vollständig davon überzeugt wirkte er nicht.

    Die Summe in ihrem Wallet sah wirklich verführerisch aus.

    Dennoch wandte Leia den Blick davon ab. »Vielleicht kein Monster, aber ich kann mir eine Menge Sachen vorstellen, die ich lieber nicht finden würde.«

    »Was denn zum Beispiel?«, fragte Mick fast tonlos, als fürchtete er ihre Antwort. Aber er kannte ihre Fantasie schließlich seit vielen Jahren.

    »Keine Ahnung. Ein Meth-Labor vielleicht?«

    Sie erntete ein humorloses Lachen.

    Sie schob die Cornflakes wieder in seine Richtung. Es reichte jetzt mit den Krümeln. »Ich hab wirklich keine Lust, mir von so einem Gangster die Beine brechen zu lassen. Die will ich noch solange vollumfänglich nutzen können, wie es geht.«

    Mick legte seine Hand auf ihre. »Wenn es durchdringend nach Chemikalien riecht, haust du natürlich ab und rufst heldenhaft die Bullen.«

    »Ja. Wie eine verantwortungsvolle Bürgerin.« Leia verkniff sich ein zynisches Schnauben.

    »Vielleicht hast du ja Glück und die drehen da nur Pornos.« Jetzt zuckte es wieder in Micks Gesicht. Es war klar, wie seine Entscheidung ausfallen würde … Aber er war auch nur derjenige, der die Aufträge an Land zog und nicht der, der vor Ort seinen Arsch riskierte.

    Leia starrte den Grundriss an. Eignete sich das Haus als Pornofilmset? Vermutlich schon.

    Rasch suchte sie den kürzesten Weg ins Schlafzimmer, dann eine Alternative dazu. Prägte sich die Anordnung der Räume ein, ihre Größe, die Anzahl der Fenster. Es schien wirklich keine große Herausforderung zu sein. »Was für ein Schloss?«

    »Normales Türschloss.«

    »Können die mir ein Foto davon organisieren?« Für den Fall, dass sie zusagte, wollte sie nicht mit zehn Schlagschlüsseln in der Tasche durch die Gegend schleichen.

    »Du willst nicht picken? Hinterlässt weniger Spuren.«

    »Nicht an der Haustür einer noblen Gegend.« Sie entzog ihm ihre Hand und legte sie auf ihren Bauch. Vielleicht rührte der Knoten in ihren Eingeweiden doch nur vom Hunger und sie beurteilte diesen Auftrag deswegen völlig falsch.

    Mick grinste. »Hast wohl Angst, du bist nicht schnell genug, Miss Landesrekord bei den unter Siebzehnjährigen.«

    »Ja, so ungefähr.« Ihr Blick fiel wieder auf die Cornflakespackung. »Der wird schon keine Spuren am Schloss finden. Nicht wenn er keinen Verdacht hat. Also, was ist jetzt mit dem Foto? Oder soll ich hinschleichen und es selber machen?«

    »Ich frag mal.« Mick sah aus, als machte er sich eine geistige Notiz.

    »Und den Alarmanlagencode«, fügte sie hinzu, damit er sich das auch gleich mit notierte.

    »Keine Alarmanlage«, kam es wie aus der Pistole geschossen zurück.

    Ihr Kopf fuhr in die Höhe. »Ha! Wer’s glaubt.«

    »Die waren sich da ziemlich sicher.«

    Ziemlich? Wie viel war ziemlich wert?

    »Altes Haus, also wahrscheinlich keine Rollläden«, murmelte sie. »Vielleicht Fensterläden, und die benutzt nie jemand.« In ihren Eingeweiden krabbelten Ameisen.

    »Du musst nicht. Wir kommen auch so klar.« Er schien ihren Widerwillen zu spüren. »Wir können uns sogar Milch kaufen. Oder dieses vegane Haferzeug, wenn du willst.«

    »Ich weiß.«

    Doch konnten sie es sich wirklich leisten, den Auftrag abzulehnen?

    Sie hatte noch so viel vor in ihrem Leben und keine Ahnung, wie viel Zeit ihr noch blieb.

    Mick stand auf und zerknüllte den Ausdruck des Wallets in den Händen. »Ach komm, ich schreib denen, dass sie sich die Kohle in den Ar…«

    »Was soll’s«, fiel sie ihm ins Wort. »Ich mach’s.«

    Kapitel 2

    Leia

    Dieser verdammte Mick!

    Leia hockte im Gebüsch und starrte die Villa an.

    Sie fröstelte, obwohl es nicht kalt war, und die Stimme in ihrem Kopf fluchte abwechselnd über ihren Kumpel, der jetzt sicher zuhause am Rechner saß, und über sich selbst, weil sie dumm genug gewesen war, sich hierauf einzulassen.

    Licht fiel durch ein Fenster im ersten Stock und malte ein Rautenmuster in den Kies vor ihr.

    Bei jeder noch so winzigen Bewegung ihres Körpers raschelten die Blätter um sie herum. Sie stieß mit dem Kopf gegen einen Ast, ein anderer pikste ihr in den Hintern.

    Wieder einmal fragte sie sich, ob es eine Maximalgröße für diesen Job gab – wie bei Jockeys. Wenn nicht, sollte es vielleicht eine geben, und wenn doch, dann überschritt sie diese Größe sicher um etliche Zentimeter.

    Sie hob den Arm und das Display ihrer geliebten Uhr, die sie von ihrem Vater geerbt hatte,

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