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Magierin der Liebe: Transformation sexuellen Missbrauchs, schamanisch beeinflusst
Magierin der Liebe: Transformation sexuellen Missbrauchs, schamanisch beeinflusst
Magierin der Liebe: Transformation sexuellen Missbrauchs, schamanisch beeinflusst
eBook645 Seiten8 Stunden

Magierin der Liebe: Transformation sexuellen Missbrauchs, schamanisch beeinflusst

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Über dieses E-Book

Mit diesem Buch erzählt die Autorin eine Geschichte über das schwerste und verstörendste Trauma, welches einem Menschen widerfahren kann: sexuelle und emotionale Gewalt seit frühester Kindheit. Mit diesem Buch bricht sie ein Tabu. Ein Tabu, das bis heute vorherrscht, vor allem, wenn es sich um sexuelle Gewalt an Kindern handelt. Es ist eine biographische Geschichte, ein Kampf ums Überleben diverser Traumen, wie zum Beispiel Deprivation, Ablehnung durch die Mutter und sexuelle Gewalt durch den Vater. Die Folgen des Inzest und des damit verbundenen familiären Zusammenbruchs verfolgten sie bis in ihr Erwachsenenalter hinein. Mit Mitte Dreißig kam es zu einer Wende. Am tiefsten Punkt ihres Lebens brach sich eine Kraft aus ihrem Unbewussten bahn – ihre kreativen Selbstheilungskräfte aktivierend – die ihr einen Ansatz für Wege aus ihrem Leid aufzeigten. So handelt dieses Buch auch von der Transformation einer sexuellen Missbrauchserfahrung, einer schrittweisen Ablösung vom inneren Psychodrama, hin zu einer neuen Identität. In diesem Buchwerk stellt die Autorin ihren Kampf ums Überleben eines Traumas sexueller Gewalt auch über ihre Seelen-Collagen dar, die die Dimension ihrer Erfahrungen hinter der Materialität sichtbar machen, also bevor der Gedanke zustande kommt – die Inspiration und Intuition betreffend.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum21. Juni 2019
ISBN9783748237839
Magierin der Liebe: Transformation sexuellen Missbrauchs, schamanisch beeinflusst
Autor

Monika Auer

Nach ihrem Studium zum Dipl.-Chem.Ing. vertiefte sie in sieben Jahren ihr Wissen im Bereich Produktmarketing, Marketing und Unternehmenskommunikation. Mit dem Wechsel in die Pharmaindustrie, als Spezialist für Onkologie und Hämatologie erhielt sie in 13 Jahren Einblicke in konventionelle medizinische Behandlungsmöglichkeiten. Bereits seit 2004 folgte sie dem Ruf ihres Herzens, nahm sie ihre intrinsischen Ressourcen in Besitz. Seit dem vermittelt sie für Mitmenschen zwischen dem Sichtbaren und dem Unsichtbaren. Schwerpunkte ihrer Lebensberatung sind unter anderem Psychoonkologie, Trauma und Depression.

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    Buchvorschau

    Magierin der Liebe - Monika Auer

    Vorwort von Professor Ruth Hampe

    Zur Salutogenese des Bildlichen, zu Bildern von Monika Auer

    (3) „Erinnern wir uns: Jeder Mensch zeichnetin seiner Kindheit, tanzt, denkt sich treffende Wörter aus und singt. Warum dann aber genießt er, wenn er erwachsen ist, selbst extrem ausdrucksarm geworden, nur manchmal die 'Schöpfung' eines Künstlers?"

    Bereits Joseph Beuys hat die Bedeutung von Kunst und Heilkunde hervorgehoben. Nicht nur seine visionären, eigenen Erfahrungen nach einem Flugzeugabsturz während des 2. Weltkrieges von Mongolen in Filz und Fett eingepackt worden zu sein und so eine heilsame Wirkung erlebt zu haben – was dann auch Material seiner Kunstaktionen geworden ist, bedingen seinen Ansatz von Kunst und Leben. Vielmehr hebt er eine Auseinandersetzung mit einer Realität hinter der Materialität hervor, einer Dimension, bevor der Gedanke zustande kommt – also auch Inspiration und Intuition betreffend. Sein Ausspruch: „Jeder Mensch ist ein Künstler", bezieht sich auch auf die Selbstheilungskräfte des Menschen und die kreativen Fähigkeiten sein Leben wie ein Kunstwerk bzw. eine soziale Plastik zu gestalten.

    Wie bezogen auf einen alchemistischen Umwandlungsprozess werden elementare Erfahrungen und Stofflichkeiten benutzt in der Symbolik und Metaphorik von der Geburt bis zum Tod. In der Hinsicht werden die gestalteten Objekte oder Relikte von Handlungen zu Erinnerungsstützen von Denkansätzen. Sie sind ästhetische Zeugen eines gedanklichen Prozesses, der mit der Verschmelzung von Raum und Zeit arbeitet.

    Mit seinem Ausspruch von 1984 „Kunst ist Therapie" hat Beuys eine Dimension von Kunst angesprochen, der eine Vermittlerfunktion wie in einem schamanistischen Ritual zukommen kann. Heutzutage wird von dem ‚Flow‘ – dem zum Fließen-Bringen – im kreativen Prozess gesprochen bzw. dem Erleben eines Einheitsbezuges.

    Auch Monika Auer hat in ihren ästhetischen Gestaltungen Anteile von sich neu entdeckt und ihre Lebensgeschichte anders bewältigen können. Ihre Auseinandersetzung mittels des künstlerischen Ausdrucks ist auch biographisch geprägt. Es ist die Bearbeitung traumatisch erlebter Kindheitserfahrungen von sexuellen Übergriffen in der Familie bis zum zwölften Lebensjahr, die sie über den ästhetischen Prozess neu zu integrieren versucht und die mit achtunddreissig Jahren einen Wendepunkt herbeigeführt haben mit dem Ausstieg aus ihrem Berufsleben.

    So kam diese existentielle Krise mit der Infragestellung des eigenen Selbst in der Welt einer Entscheidung zwischen Leben und Tod gleich, worüber sie einen Neuanfang zu initiieren vermochte. Es beinhaltet ein prozesshaftes bildnerisches Arbeiten über ein Jahr als Bewältigung traumatischer Kindheitserlebnisse mit den Auswirkungen auf spätere Lebensphasen hin zu einer Neugeburt. Fast schonungslos geht sie auf ihre authentischen Erfahrungen ein, die heutzutage fast jedes Mädchen und jeden achten Jungen betreffen können und thematisiert die Auswirkungen von Borderline-Erlebnissen und Depressionen. Kunst wird für sie zum Ausdrucksmittel des Unaussprechlichen, das vor der sprachlichen Erfassung im gefühlsmäßigen Erleben liegt. Immer wieder thematisieren ihre Arbeiten ein sexuelles Trauma und eine mythische Selbstvergewisserung, Teil von Mutter Erde zu sein und ihre Heilkräfte zu spüren. Selbstzerstörerische Anteile werden zum Ausdruck gebracht ähnlich wie in apotropäischer Bedeutungsgebung – also Unheil abwehrend – und damit gebannt.

    Das ästhetisch Gestaltete wird zu einem Gegenüber und aus dem diffus Beängstigenden und Belastenden geholt und wieder integrierbar. Es erscheint wie ein Hinabsteigen des Selbst in tiefe abgespaltene Erlebnishorizonte, die die Ohnmacht des verletzten Kindes hervortreten lassen und gleichzeitig in der Bewusstwerdung von Depersonalisationen die Bedeutung des eigenen Leibes als Ort des Lebens neu benennen. Elementare Wünsche nach Geborgensein, Vertrauen und Liebe werden wieder zugelassen und die eigene Sexualität neu wahrgenommen. In dem Sinne vermittelt dieser ästhetische Prozess etwas Versöhnendes in der Aufdeckung des Bedrohlichen und Abgewehrten. Der Integrationsprozess der Missbrauchserfahrungen führt zu einem gewandelten Selbst- und Weltbezug.

    Aus der Traumaforschung ist bekannt, dass bei posttraumatischen Belastungsstörungen der Mensch auf der neuronalen Ebene in einen Ausnahmezustand versetzt wird. In dem Zusammenhang wird von der Amygdala als Alarmzentrum und emotionales Gedächtnis unseres Gehirns gesprochen. Darüber wird bei Gefahr ein Alarmsignal an den Hypocampus gesandt, um entsprechende Schutzhandlungen vorzunehmen. In einer traumatischen Situation kann dagegen eine Stresssituation nicht abgewehrt werden, und es kann zu einer Überflutung von Extremreizen kommen.

    Unter traumatischen Stress schaltet sich der Hypocampus ab und Reaktionen des ‚Freeze‘, Gefrierens, und des ‚Fragment‘, also des Fragmentierens, treten auf, wodurch das Erlebte nicht mehr zusammenhängend wahrgenommen werden kann. Durch diese Trennung der emotionalen von der faktischen Wahrnehmung geht die Verknüpfung der Erinnerung verloren. Es besteht zu den traumatischen Erlebnissen keinerlei bewusste Verknüpfung, was dazu führt, dass es bei erneuten Konfrontationen oder Sinneserlebnissen zu einem ‚Flash Back‘ der emotionalen Gefühle kommen kann – die Person wird ‚getriggert‘. Auffallend sind dissoziative Identitätsstörungen, d.h. Depersonalisierung und Derealisierung als Ausdrucksformen einhergehend mit Bindungsstörungen.

    Da das Trauma von der bewusstseinsmäßigen Spracherfassung abgespalten ist, können präverbale Medien eine Brückenfunktion in der Integration vornehmen. Allgemein wird ressourcenorientiert und mit positiven Bildern als alternative Wahrnehmungserfahrung im therapeutischen Prozess gearbeitet. Der ästhetische Ausdruck – also beispielsweise das Bildnerische; die Musik, der Tanz, das literarische Wort – kann in der Mehrdimensionalität eine Vermittlerfunktion einnehmen, die Zugänge zu abgespaltenen Erlebnishorizonten schafft und Integrationsformen über das Ästhetische bereitstellt.

    Die gestalterischen Ausdrucksformen von Monika Auer sind mit Acryl gemalt und tragen Collage-Elemente aus Zeitungen und Illustrierten. Sie zeigen ein expressives, schnelles Arbeiten, das ganz impulsiv, unreflektiert einem fließenden Prozess des Gestaltens zu unterliegen scheint.

    Die Bilder verweisen auf eine gefundene Spiritualität in der Bewältigung von erlebten Traumata. So heißt es auch zu einem ihrer Bilder „Queen I – a Birth of an Angel: „Ich bin! Ich bin in meiner Mitte! Ich bin an meinem Platz! Ich bin da! Ich bin! Bilder werden für sie zu Ausdrucksformen eines Bewältigungsprozesses und verweisen auf Erkenntnisgewinn im Metaphorischen des Bildlichen, eine Transparenz von Realitätsbezügen. In dem Sinne sind sie subjektiv geprägt, laden aber im Betrachten ein, eigene Assoziationen wahrzunehmen und eigene Zugänge zu finden.

    Sie zeigen die Kunst einer Frau, die offen ist, sich neuen Aufgaben zu stellen und die sich inspirieren lässt von dem Kommenden.

    Es ist der Vor-Schein – wie Ernst Bloch (4) dies für das Ästhetische hervorhebt – der uns in der Kunst zu berühren vermag.

    Allgemein sind Bilder Ausdruck inneren Empfindens und Verarbeitens. Sie sind nicht nur Dokument eines Zustandes, sondern verweisen zugleich auf ein Anderes, etwas Atmosphärisches, welches sie bestimmt. In dem Zusammenhang sind sie Zeugnis eines Erinnerns im spielerischen Tun, fangen Unsagbares ein und verwandeln es in Neologismen der ikonischen Sprachgebung.

    Wenn Monika Auer in ihrem Buchprojekt „Magierin der Liebe" ein Zeitzeugnis ablegt, versucht sie Geschehenes verstehend einzuordnen. Dagegen verbleiben die Bildmetaphern im Uneindeutigen, skizzieren nur, wo Schmach, Widerstand und Neuanfang sichtbar werden. Gerade dies macht sie reizvoll und transformiert das Geschehene in farbige Zeichen einer Prozessverarbeitung, die nicht der Sprache bedarf.

    Als Alice Miller (5) ihre zufällig entstandenen kleinen Klecksbilder graphisch und malerisch weiter bearbeitete, erlangten sie in den Assoziationen einen projektiven Gehalt. Sie eröffneten einen Zugang zu frühkindlichen Erfahrungen, die sprachlich nicht erfassbar waren. Sie ermöglichten ihr mittels dieser Zufallstechnik eine Wahrnehmung von Verdrängtem und Abgewehrtem, von frühkindlicher Missbrauchserfahrung, die bildsymbolisch integrierbar wurde.

    Nicht die Direktheit, sondern die Unbestimmtheit in der Aufdeckung verdrängter gefühlsbestimmter Anteile ließen das Unfassbar in der Bildgestaltung fassbar werden.

    Der Objektbezug des Gestalteten bedingt eine Handhabbarkeit, die in dem situativen Erleben verhindert war, ein Verstehen unbewusster Muster, denen eine Sinnhaftigkeit zugesprochen werden kann. Wenn Aaron Antonovsky (6) von Verstehen, Handhabbarkeit und Bedeutungsgebung in Bezug auf den Kohärenzsinn spricht, so lässt sich dies auf besondere Art und Weise in ästhetischen Gestaltungsprozessen finden.

    Dabei geht es nicht unbedingt um die Direktheit und Offenlegung des Gewesenen, sondern vielmehr um die emotionale Integration und Annahme dessen, was nicht ungeschehen gemacht werden kann. So bildet sich im bildnerischen Ausdruck eine Bildsprache heraus, die Schritte einer Verarbeitung aufzeigen, die versöhnlich wirken in der Transformation zu etwas Zukünftigen, ein Loslassen von der Beherrschung durch das Vergangene.

    So verliert sich auch in den Bildern von Monika Auer die sprachliche Festschreibung, der Verweis auf das zu Enthüllende in den Metaphern zeichnerischer Verknüpfung. In der Hinsicht sprechen die Bilder unabhängig von dem persönlichen Geprägtem das Allgemein-Menschliche an.

    Es beinhaltet eine Dekonstruktion des Erlebten, eine Überwindung von Grenzziehungen in der Vielschichtigkeit des projektiven Gehaltes im Bildnerischen.

    In einer Abhandlung zu Cy Twombly hebt Roland Barthes die Linie, den Duktus im Sinne einer Schrift hervor bzw.:

    (7) „Ob Leinwand, Papier oder Mauer: es handelt sich um einen Schauplatz, wo etwas daherkommt (…). So muss man das Bild als eine Art Theaternehmen: der Vorhang öffnet sich, wir schauen, wir warten, wir vernehmen, wir verstehen; und ist die Szene vorbei, das Bild verschwunden, dann erinnern wir uns. "

    Bei Monika Auer handelt es sich um eine Art Spurensuche von der Destruktion, Fragmentierung hin zum Finden einer Formgestalt. Sie steht in Resonanz zu ihrem inneren Erleben, der Erinnerung an Vergangenes im Kontext von neuen Erfahrungen. Das Kontextuelle bildet die Bühne, auf der die Zeichen eines Neuanfangs auftauchen. Anders als in den Schriften, wo menschliche Beziehung auf das Begehren, das Sexuelle reduziert zu sein scheint, taucht in der bildlichen Metapher eine Zartheit und atmosphärische Zugänglichkeit im Menschlichen auf, das Worte nicht zum Ausdruck zu bringen vermögen.

    Dieses Anderssein als das geschriebene Wort macht in dem Vorschein-Charakter das Bildliche aus. Dem Unausgesprochenen umgibt eine andere Dimension als dem Wort in dem Versuch des Erfassens von Handlungsmustern, denen man zu entfliehen versucht. Das menschliche Miteinander im gefühlsbestimmten bildnerischen Ausdruck rückt in den Vordergrund und verweist auf Integrationsprozesse in der schemenhaften Andeutung. Das macht diese Bilder interessant und hilft die biographische Aufarbeitung zu transformieren.

    Es handelt sich um einen Zyklus von Bildern aus dem Zeitraum 2004 mit der existentiellen Aufarbeitung sexueller Missbrauchserfahrungen. Die Einbindung von Alltagsmaterialien, wie Zeitungspaper, von Honig, Zimt und Rotwein – in einigen der letzten Arbeiten, verweist auf eine sensorische, synästhetische Verarbeitungsform, in der die Anklage, die Depersonalisation einer Neuerfindung gewichen ist. Im ästhetischen Ausdruck verweist Monika Auer auf Resonanzbezüge zum Kosmischen, in dem das Weibliche eine überindividuelle Metapher erhält.

    Ruth Hampe

    1 - Die Wahl - Rückkehr ins Hier und Jetzt

    (8) „Ein Adlerkann siebzig Jahre alt werden. Abermit vierzig muss er eine Entscheidung treffen. Schnabel und Krallen sind so lang geworden, dass erkeine Beute mehr machen kann. Die langen schweren Federn machen das Fliegen fast unmöglich. Er hat zwei Möglichkeiten: zu sterben oder sich einer schmerzhaften Erneuerung zu unterziehen. Hoch oben zieht er sich in eine schützende Felswand zurück, reißt sich Federn und Krallen aus und schlägt sich den Schnabel ab. Nach einigen langen Monaten, wenn alles nachgewachsen ist, schwingt er sich auf - in ein neues Leben. "

    Ich bin sieben, als sich meine Eltern scheiden lassen. Seit dem muss ich alle vierzehn Tage zum Papa. Er hat trotz allem Besuchsrecht bekommen. Wenn ich dann am Sonntagabend zu Mama nach Hause komme, empfängt mich diese selten freundlich.

    „Mach, das du wegkommst. Am besten gehst du gleich auf dein Zimmer", faucht sie mich meistens an.

    Ich verstehe nicht, was sie so wütend auf mich macht. Ich habe nichts getan. Ihre abweisende Reaktion bestürzt mich. Nach diesen Wochenenden, nach dieser Sonderbehandlung vom Vater habe ich ohnehin schon keinen Boden mehr unter den Füßen. Da stößt mich die unverhoffte Aggression meiner Mutter vollends in den Abgrund. Ich bin ein Kind. Wie soll ich begreifen, warum sie regelmäßig wie eine wild gewordene Tarantel über mich herfällt? Sie tut so, als sei ich die Bedrohung in unserer Familie. Und dabei bin ich es, die vom Papa bedroht wird. Ich brauche dringend Schutz von meiner Mama. Ich sehne mich schrecklich nach ihrer Fürsorge und Liebe.

    Was bloß mache ich in ihren Augen falsch? Sogar ihre Aufsicht über meine ersten Schulaufgaben endet für mich in schlimmster Demütigung.

    „Bist du zu blöd zum Rechnen?", faucht sie mich aggressiv an.

    Dann verpasst sie mir mit ihrer harten Faust mehrere Kopfnüsse bis der Schmerz wie ein donnernder Zug durch mich hindurchfährt. Ich soll das Einmaleins lösen, aber sie fühlt sich von meiner Konzentrationsschwäche provoziert. Sie weiß nicht, dass diese ein eindeutiges Stresssymptom aufgrund des sexuellen Missbrauchs ist. Ein stummer Hilfeschrei, den meine Mama nicht hört oder hören will. Sie bleibt unbarmherzig, erhebt abermals drohend ihre Faust, während sie brüllt:

    „Noch mal. Und jetzt richtig."

    Seit meinem zweiten Lebensjahr missbraucht mich Papa sexuell. Ich habe mich nie getraut, Mama davon zu erzählen. Ich hätte sonst ins Heim zurückgemusst. Aber meine mittlere Schwester verplapperte sich eines Tages. Da war sie gerade mal 3-jährig. Er hat es auch bei ihr versucht. Angeblich war das der Grund für die Scheidung - Inzest. Trotzdem ändert sich für mich danach nichts Wesentliches. Der sexuelle Missbrauch bleibt vorerst in meinem Leben ein fester Bestandteil, da mein Vater auf sein Besuchsrecht insistiert. In diesem Fall unterstützt ihn sogar das Gesetz. Niemand unterstützt mich, schützt mich vor meinem sexuell perversen Vater. Meine Mutter schon gar nicht. Ich darf nicht mehr darüber reden. Seit der Scheidung wird alles tot geschwiegen. Dafür lässt meine Mutter ihre Unzulänglichkeit und Überforderung an mir aus. Sie bedient sich dabei der schwarzen Pädagogik. Eine Erziehungsmethode, die emotionale und körperliche Gewalt gegenüber Kindern geradezu propagiert und meine Mama regelrecht dazu verführt, sich selbst zu erhöhen.

    Ich glaube, sie rächt sich unbewusst an mir für ihr verkorkstes Leben. Ich bin ihr auserkorener Sündenbock. Ich bin Mamas Giftmüllcontainer. Mal sind es verbale Demütigungen. Mal heftige Schläge mit einem Kochlöffel, den sie auf meinem nackten Kinderpopo herabsausen lässt. Manchmal bricht er dabei. Dann greift sie zur Hundeleine.

    Egal, was ich tue. Es ist falsch. Ich ziehe mich weiter in mich zurück. Im Gegensatz zu meinen Schwestern werde ich zunehmend introvertierter.

    „Schau deine Geschwister an, die sind viel offener. Ich möchte gar nicht wissen, was du denkst. Du denkst bestimmt nur Schlechtes", wirft sie mir ständig vor.

    „Schau mich nicht so an. Du hast hässliche Augen", faucht sie oft böse, als sei ich der Teufel in Person.

    Während andere Kinder vergnügt auf ihrer Blumenwiese spielen dürfen, muss ich mich auf meiner vorsehen. Sie ist mit Tretminen verseucht. Kriegsgebiet. Mache ich eine falsche Bewegung, geht eine Bombe unter mir hoch.

    Wenn ich lebe, sterbe ich. Ich sitze in einer Existenzfalle, die mich innerlich erstarren lässt. Freeze. Weder Kampf noch Flucht sind möglich.

    Ich werde ganz still - mucksmäuschenstill. Verzweifelter Versuch eines kleinen Mädchens, sich durch einen Totstellreflex vor der Auslöschung seiner Existenz zu bewahren. Es gibt aber kein Entrinnen. Meine narzisstische Mutter ersinnt unaufhörlich Vorwände für einen Streit. Und jedes Mal verliere ich diesen ungleichen Machtkampf, wenn sie mich mit Schimpf und Schande auf mein Zimmer verbannt. Dieses liegt zwei Stockwerke über der elterlichen Wohnung, also außerhalb. Es befindet sich neben einem dunklen Dachboden, wo in meiner kindlichen Fantasie böse Geister leben.

    Meine beiden Schwestern hingegen teilen sich innerhalb der kleinen Dreizimmerwohnung das Kinderzimmer mit Balkon. Ihnen geht es gut. Sie sind integriert und werden von der Mama beschützt.

    Hoch oben unterm Dach sitze ich öfters des Nachts mutterseelenallein in meinem Gefühlschaos. Meine Geschwister besuchen mich selten in meinem Turmzimmer. Isolationshaft. Ich fühle mich einsam und verloren. Und da ist auch noch die harte Gipsschale, in die ich mich jede Nacht hineinlegen soll, wegen meiner krummen Wirbelsäule. Sie verstärkt das Gefühl, in einem Gefängnis zu sein und eine Zwangsjacke zu tragen.

    Ein Abgrund öffnet sich in mir, und das, obwohl ich erst sieben Jahre alt bin. „Mama, wieso hasst du mich? Du fehlst mir", schluchze ich in mein Kissen.

    Mein Herzmuskel krampft. Es tut richtig weh in meiner Brust. Schuldgefühle übermannen mich. Bestimmt hat sie einen Grund, mich abzulehnen. Ich bin das böse Kind, die Schande unserer Familie. Vielleicht verdiene ich ihre Strafe. Ich schluchze ins Kissen, bis es nass ist. Dann hebe ich mein Gesicht. Mit tränenerstickter Stimme frage ich laut in den Raum hinein, der so still ist wie ein Friedhof:

    „Mama, was soll ich machen, damit du mich wieder lieb hast?"

    Anschließend schlage ich einige Male meinen Hinterkopf so heftig an die Zimmerwand, bis ein stechender Kopfschmerz den schrillen Herzschmerz ablöst.

    (9) „Hospitalismus kommt überall dort vor, wo Menschen zu wenig oder negative emotionale Beziehungen erhalten. Es ist auch in Familien anzutreffen, in denen die Eltern mit der Pflege der Kinder überfordert sind oder diese aus irgendwelchen Gründen ablehnen und sie deshalb schwerer physischer und psychischer Vernachlässigung oder Misshandlung ausgesetzt sind. "

    Ich fange an, mich selbst zu bestrafen. Täterintrojekt.

    Wenn ich mich nicht verletze, sitze ich am Kinderschreibtisch. Dieser befindet sich direkt unterhalb des schrägen Dachfensters. Lustlos mache ich Hausaufgaben, die in der ersten Klasse eigentlich leicht sind. Doch ich leide an massiver Konzentrationsstörung. Immer wieder schweife ich mit meiner Aufmerksamkeit ab. Meist starre ich mit leeren Augen aus dem Fenster, vor dem sich ein evangelischer Kirchturm aus dunklem Sandstein aufbaut. Gleich einem Fingerzeig hebt er sich drohend gegen einen lichtgrauen Himmel ab. Seine viereckige Uhr aus goldfarbenen Ziffern springt mir mahnend ins Gesicht.

    Ich bin so jung, und bereits in Zeit und Emotion gefangen.

    Der Anblick des dunkelbraunen Kirchturms ängstigt mich. Ich öffne das schräge Dachfenster und schaue nach dem anderen Kirchturm. Der gehört einer katholischen Kirche, die sich ebenso in der Nähe unseres Mietshauses befindet. Aus hellbraunem Sandstein erbaut wirkt ihr Turm weniger bedrohlich. Ich lehne mich mit meinem kindlichen Oberkörper weit aus dem Dachfenster, um auf ihn eine bessere Sicht zu bekommen. Ich bin umzingelt von Gotteshäusern. Trotzdem fühle ich mich wie ein verlorenes Schaf. Was für eine Ironie. Noch bevor ich meinen Oberkörper ins Zimmer zurückziehe, überfluten mich Ohnmacht und Trauer. Da lösen die negativen Gefühle auch schon einen spontanen Klartraum aus.

    Ich verliere die Balance und falle aus dem Fenster. Mein Körper rollt das Dach hinunter, an der Regenrinne vorbei, die ihn nicht aufhalten kann. Ich stürze in die Tiefe. Ich spüre den Aufschlag auf dem grauen Asphalt, direkt vor der Haustür meiner Mutter. Danach fühle ich nichts mehr. Ich bin eine Wolke, die aus erhabener Distanz alles Weitere beobachtet. Ich sehe Mama herbeieilen. Besorgt beugt sie sich über meinen leblosen Körper. Als sie begreift, dass ich tot bin, weint sie. Ja sie stimmt regelrecht ein Klagelied an. So wünsche ich es mir. Dass meine Mutter endlich Gefühle für mich zeigt.

    (10) „Sich als Kind unerwünscht zu fühlen, führt dazu, dass einem als Erwachsener immer wieder das Herz gebrochen wird."

    Ich bin bereit, für die Zuneigung meiner Mutter zu sterben. Ich sehne mich wahnsinnig nach ihrer Liebe. Aber sie erfüllt sich nicht. Auch spüre ich keine Liebe durch Gott. Gibt es ihn überhaupt? Ich kann nicht aufhören, in meiner seelischen Not meine Gebete an ihn zu richten.

    „Lieber Gott, bitte hilf mir. Ich bereue meine Sünden, bete ich fleißig. „Bitte lass Mama mich lieb haben. Bitte, lass Papa mich anders lieb haben.

    Insgeheim wünsche ich mir, dass sich meine Eltern ändern. Alles ist ein Missverständnis. Ich bin ein gutes Kind.

    Doch meine Gebete verhallen. Gott hört mich nicht. Und der Terror in meinem Elternhaus geht weiter. Insbesondere die narzisstische Persönlichkeitsstörung meiner Mutter hält mich in Gefühlen der Wertlosigkeit gefangen. Immer wieder erfahre ich ihre Ablehnung, gibt sie mir das Feedback, eine hässliche und unliebsame Person zu sein. Schließlich kann ich gar nicht anders, als mich selbst abzulehnen. Selbsthass.

    Ich komme bald in die zweite Klasse. Die Gipsschale ist laut Arzt weiterhin notwendig. Wie ich die hasse! Eines Abends liege ich allein im Dachzimmer rücklings auf meinem Jugendbett, ohne Gipsschale. Die habe ich vors Bett auf meinen weißen Flokati-Teppich. Während ich selbst auf dem Bett ruhe, schaue ich ausgelaugt vom Streit mit meiner Mutter mit leeren Augen auf das Arrangement rund herum. Ich besitze ein braunes Nachttischchen mit einer roten Leselampe darauf. Am Fussende steht ein dunkelbrauner Schrank mit Glasregalen, auf denen einige Kinderbücher zu finden sind. Mein Blick kehrt zurück zum Nachttischchen. Plötzlich fallen mir seine spitzen Ecken auf, die mir durchaus gefährlich werden könnten. Ich schließe meine verheulten Augen, falle in einen Klartraum, wie so oft in letzter Zeit.

    Ich will mich umbringen. Mit aller Wucht schlage ich meine kindliche Schläfe in voller Absicht auf eine spitze Ecke meines Nachttisches. Mein dünner Schädelknochen knackt unter dem heftigen Aufschlag. Sogleich versterbe ich an einem Reflextod. Leblos liege ich mit einem Loch im Kopf vor dem Bett auf dem weißen Flokati. Der tränkt sich unaufhörlich mit meinem roten Blut. Mit jedem weiteren Blutstropfen, der aus mir herausfließt, löst sich meine Traumseele vom Körper. Dann sammelt sie sich zu einer Wolke unterhalb der Zimmerdecke.

    Von dort oben beobachte ich, wie meine Mama herbeieilt, besorgt ihre verletzte älteste Tochter in den Arm nimmt und dann zu Tode erschreckt, weil diese schon tot ist. So will ich das haben. Dass meine Mutter endlich Gefühle für mich zeigt. Ich denke, dass ich erst sterben muss, damit sie ihre Liebe für mich entdecken kann.

    „Siehst du Mutter, ich bin bereit, für dich zu sterben."

    Todessehnsucht. Mein Selbstmord bleibt ein Todeswunsch. Er drückt sich lediglich in einem Klartraum aus. Ich unternehme keinen aktiven Versuch, mich umzubringen, obwohl die Liebe meiner Mutter eine ewige unerfüllte Sehnsucht bleibt und es keinen spürbaren Schutz für mich gibt. So gehen meine Kindheitsjahre dahin, in denen für mich ihre Ablehnung eine unbarmherzige Realität bleibt.

    Ich weiß nicht mehr weiter. Wie soll ich den Hass meiner Mutter aushalten? Ich will ihm entfliehen. Doch wohin?

    Unbewusst manifestiert sich eine schizoide Abwehr. Ich muss mich aufspalten. Und da ich jeden Tag seelischer und körperlicher Folter ausgesetzt bin, begehe ich ständig Seelenflucht. Leaving the Body. Mein Körper wird zu einem Schreckensort, dem ich vor allem nachts entkommen will. Dann träume ich mich weg.

    Eines Abends erscheint in meinem Dachzimmer eine Eule. Sie sitzt hoch oben auf meinem braunen Schrank am Fußende vom Jugendbett. Das Vogelvieh ist nicht physisch präsent. Dennoch sehe ich sie klar und deutlich, als wäre es so. Ich beobachte sie dabei, wie sie mich beobachtet. Dabei wendet sie mir, die ich ausgestreckt auf meinem Bett liege, ihren Kopf zu. Sie blinzelt mit ihren großen Eulenaugen, was auf mich eine hypnotische und beruhigende Wirkung hat. Von etwas in meinem Schmerz gesehen zu werden, tröstet mich. Die Anwesenheit der Eule gibt mir zudem ein Gefühl der Sicherheit. Ich bin nicht mehr allein.

    Langsam trocknet es meine Kullertränen, besänftigt es mein flatterndes Kinderherz. Unter der Aufsicht der Eule schlafe ich ein, noch bevor ich mir über ihre Erscheinung Gedanken machen kann.

    Von da an soll es dreissig Jahre dauern, bis ich die Bedeutung meiner Eulenvision verstehe. Sie ist eine Tierahnin, eine wachsame Hüterin der Nacht, eine Seelenbegleiterin. Sie wacht über unruhige Seelen, wie die meine, beschützt Grenzgänger, die zwischen der alltäglichen und nichtalltäglichen Wirklichkeit hin und her wandern.

    Inzwischen bin ich in der dritten Klasse. Immer noch werde ich von Mama erniedrigt und gekränkt, oft schlägt sie mich. Auch Papa kann seine Finger nicht von mir lassen, muss ich seine Geliebte sein. Ich bin im familiären Terror gefangen. All die überwältigenden Erfahrungen lassen sich kaum noch von der Amygdala verarbeiten. Oft genug bin ich über meine Gefühle und Gedanken verwirrt. Todesangst kriecht in meine Zellen. Ich spüre, dass etwas in mir erstarrt. Die Vision mit der Eule ist weg. Dafür träume ich von anderen Dingen. Es überflutet mich aus meinem Unbewussten gleich einer Druckwelle, die einem Unterwasserlabyrinth entspringt. Neben den sich wiederkehrenden Albträumen mit dem schwarzen Panther und der Inquisition einer jungen Frau, quält mich ein anderer Horror. Ich fürchte mich so sehr vor Spinnen. Diese Krabbelmonster, allen voran Taranteln und Schwarze Witwen, lassen mich instant erstarren. Arachnophobie.

    Einmal, da bin ich auf dem Bauch eingeschlafen, seilt sich ein ganzes Geschwader Schwarzer Witwen von der Zimmerdecke ab. An seidenen Fäden schwingen sie in Richtung meines Rückens, wollen sich dort absetzen. Auf meine kindliche Psyche wirkt das wie ein alienhafter Angriff. Ich greife in den Traum ein, werde also luzide, um das Schlimmste zu verhindern, nämlich dass all diese Spinnen auf meinem Körper landen. Ich kann mir nichts Entsetzlicheres vorstellen. Das ist wie sterben.

    Leaving The Body, 2004, Mischtechnik (Acryl, Kreide, Bleistift) auf Papier, 70 x50 cm

    „Mein Körper ist ein wunderbarer Ort zu sein. Er ist mein Besitz, ein wesentlicher Bestandteil meines irdischen Seins. Und ich bin der alleinige Besitzer."

    Ich erwache mit rasendem Herzen. Zu meinem Entsetzen spüre ich die Spinnen aus dem Traum auf meinem Rücken. Wie haben sie es bloß geschafft, mich trotz meiner geistigen Abwehr zu berühren? Freeze.

    Ich weißt nicht, was schlimmer ist: zu sterben oder vor Angst zu erstarren.

    Unzählige Male flehe ich in meiner Kindheit zu Gott oder rufe Engel an, sie sollen mich vom Albdruck erlösen. Ich bin noch ein Kind. Ich verstehe nichts von Traumdeutung, geschweige denn, dass es wichtige Botschaften einer inneren Heilerin sein könnten. Niemand lehrt mich, meine Träume als wichtige intrinsische Ressourcen anzunehmen, aus denen ich geistig-psychische Kraft schöpfen kann. Sie machen mir große Angst und versetzen mich in Dauerstress. Meine verzweifelten Gebete, die ich in meiner Hilflosigkeit weiterhin an Gott und Engel richte, werden nicht erhört. Ich fühle mich endlos verloren und allein.

    „Wieso geschieht mir dies alles?", weine ich bitterlich in mein Kissen.

    Ich denke so oft an Suizid, dass es für mich normal wird. Dieser Gedanke steht mir inzwischen näher als das Leben. Also verlasse ich meinen Körper, um zu den Sternen zurückzukehren. Dorthin, jenseits, wo ich mein wahres Zuhause vermute. Leaving the Body. Ich spalte mich auf. Depersonalisation.

    Bald bin ich ein Teenager, noch ein Jahr. Es muss sich endlich etwas ändern. Leider stecke ich nach wie vor im Sumpf aus Gewalt, Intrigen und Missbrauch fest. Inzwischen entwickelt sich mein Körper, bekomme ich Brüste und Schamhaare. Vor den Augen meiner Mutter wachse ich zu einem hübschen Mädchen heran.

    Ich bin wie eine Lolita. Und prompt reagiert sie darauf mit schlimmsten Demütigungen. Sie schimpft mich einen männerfressenden Vamp. Wenn sie ganz besonders böse auf mich ist, sogar eine Hure. In ihren Augen bin ich die Femme fatale, die um jeden Preis vernichtet werden muss. Damit stürzt sie mich in eine Identitätskrise meiner Frauwerdung. Meine Mutter möchte unbedingt verhindern, dass ich weibliche Intelligenz entfalte, geschweige denn zu einer erotischen Frau heranwachse, die sexuelle Begehrlichkeiten der Männer weckt.

    Mein Vater indessen reagiert mit gesteigertem sexuellen Interesse auf meine Pubertät. Seine abartigen Fantasien führen den sexuellen Missbrauch auf die nächste Stufe seiner Perversion. Er sichert sich das Recht, mich zu entjungfern, möchte mein erster Liebhaber sein. Mein Papa erkennt in seinen perversen sexuellen Bedürfnissen nichts Kriminelles. Er tut so, als sei alles normal.

    Inzwischen verstehe ich den Unterschied zwischen einvernehmlichen Sex und Vergewaltigung. Ab und zu werden solche Dinge in der Schule im Sexualkunde-Unterricht thematisiert. Was mein Vater mit mir vorhat, ist eine Schändung. Was er für selbstverständlich hält, ist für mich schierer Horror. Inzest.

    Was stimmt nicht mit der Seele meines Vaters? Wo ist seine Empathie? Er kommt nicht mal im Ansatz auf die Idee, ich könne ein Recht auf sexuelle Selbstbestimmung haben. Dafür heißt es allzu oft: „Stell dich nicht so an."

    Da ist immer noch keiner, dem ich mich anvertrauen könnte. Überhaupt ist es schwer, über etwas zu sprechen, das für andere nicht existiert. Sexueller Missbrauch ist ein Tabu, sowohl in meiner Familie als auch in der Gesellschaft. Außerdem glaubt mir eh keiner. Und so bleibe ich mit der Aussicht auf eine bevorstehende Vergewaltigung durch meinen Vater allein. Ohnmacht.

    In meiner Verzweiflung weiß ich keinen anderen Rat. Ich muss die Liebe zu meinem Vater töten, damit er sie nicht mehr gegen mich verwenden kann.

    „Geh weg. Du bist ein Sexmonster. Ich will deine perverse Liebe nicht", denke ich wiederholt. Bindungstrauma.

    Unbewusst reiße ich mir mit diesen negativen Gedanken jene ätherische Nabelschnur aus meinem Nabel-Zentrum, die mich mit ihm verbindet.

    (11) „In jeder Beziehung zwischen zwei Menschen entstehen Bänderzwischen ihren Nabel-Zentren."

    Im Alter von dreizehn erkenne ich die Schreckensherrschaft meiner Mutter das erste Mal mit voller Wucht. Wahrscheinlich liegt es an meiner zweiten besten Freundin, die ich erst kürzlich kennenlernte, und an ihrer tollen Mutter, dass ich zu differenzieren beginne. Zwar hatte ich mit neun Jahren bereits durch meine erste beste Freundin einen Vergleich zu meiner Familie. Doch jetzt, als angehender Teenager, habe ich mehr Klarheit über die Verhältnisse zuhause.

    Ich liebe meine Mutter. Aber ich hasse sie für all das, was sie mir antut.

    Ich kann ihr nicht entfliehen, da ich eine Schülerin bin, die per Gesetz unter der Obhut ihrer Eltern stehen sollte. Ich bin weiterhin abhängig von der Mutter, die das Sorgerecht hat. Bindungstrauma.

    Ich muss die Zähne zusammenbeißen und mich unterordnen. Unbewusst vermeide ich eh alles, was ihren Unmut auf mich ziehen könnte. Ich ziehe mich nicht nur äußerlich von Mama zurück. Die innere Distanz ist bald eine unüberwindbare Kluft in meinem Herzen. Lieber öffne ich mich für meine Ersatzfamilie. Bei meiner zweiten besten Freundin und ihrer Mutter bin ich stets willkommen. Da keift mich niemand ohne Grund an.

    Längst lehne ich meine Mutter als Vorbild ab. Ich misstraue ihr in allen Punkten. Unter keinen Umständen möchte ich wie sie werden, eine Emotionstäterin. Meine Mutter ist ein Hausdrachen, der ständig Feuer nach mir spukt und versucht mich zu verschlingen. So jemand verdient meine Liebe nicht.

    „Ich hasse dich. Ich hasse dich. Du bist ein Gefühlsmonster", versuche ich mit diesen Gedanken die mentale Abnabelung zu meiner Mutter voranzutreiben.

    Unbewusst reiße ich mir dabei die ätherische Nabelschnur aus meinem Nabel-Zentrum, die mich mit ihr verbindet.

    Ich bin eine Jugendliche und muss ein zweites Mal in den Bindungsbruch gehen, um mich und meine Individuation vor Monstern zu schützen. Wiederholt flüchte ich aus einer Beziehung zu einem Menschen, den ich brauche.

    Wieso bloß tut Liebe so weh?

    Einmal überlege ich mir, freiwillig in ein Heim zu gehen.

    „Ob das nicht besser für mein Seelenheil wäre?", frage ich meine Freundin.

    „Da kommst du vom Regen in die Traufe. Besser du kommst zu mir, so oft du kannst", warnt sie mich vor einer möglichen Fehlentscheidung.

    Was meine zweite beste Freundin sagt, leuchtet mir ein. In drei Jahren werde ich volljährig, dann haue ich sowieso ab. Das ist mein heimlicher Plan. Bis dahin sitze ich den Psychoterror zu Hause aus, nicht ohne eine dicke Schutzmauer, um mein Herz zu bauen. Ich schotte mich innerlich gegen den täglichen Zoff ab, in den meine Mutter oft meine mittlere Schwester mit hineinzieht, als bräuchte sie Verstärkung. Längst hat sie ihre zweite Tochter zu ihrer Verbündeten erkoren. Mit ihr fühle sie sich seelenverwandt, muss ich mir oft anhören. Meine mittlere Schwester hingegen lechzt seit ihrer frühen Kindheit, spätestens seit der Scheidung, nach ihrer Zuwendung als Kompensation für einen ablehnenden Vater. Damit bleibe ich innerhalb meines Familiensystems in emotionaler Isolation gefangen. Ich sterbe. Laufend sterbe ich. Dabei bin ich gerade Mal fünfzehn.

    Meine Gefühle sind mittlerweile zu Eis erfroren, meine Traumfähigkeit verdampft wie ein kochendes Meer. Zurück bleibt pechschwarzer, zähflüssiger Teer, der meine Lebensenergie lähmt. Funkstille. Zwischen meinem Herzen und meinem Verstand stellt sich eine Disbalance ein, die sich ausgesprochen negativ auf mein körperliches Befinden auswirkt. Erste psychosomatische Beschwerden plagen mich. Inzwischen schlägt mir alles auf den Magen und die empfindliche Magenschleimhaut brennt wie Feuer. Ständig ist mir übel. Ich muss mich oft übergeben.

    Zu allem Unglück bekomme ich einen brennenden, dunkelroten Hautausschlag, der wie eine Feuermaske mein ganzes Gesicht bedeckt. Es juckt wie tausend Ameisenbisse. Autoaggression. Ich konsultiere Ärzte. Aber die sind ratlos. Einer glaubt zu wissen, es könne eine gereizte Bauchspeicheldrüse vorliegen. In der Tat stellt sich nach jeder Mahlzeit ein schmerzhaftes Völlegefühl ein, einhergehend mit starken Blähungen. Doch die Medikamente der Schulmedizin bringen keine Linderung.

    Nun plage ich mich mit dem Ekzem schon drei Wochen herum, als meine zweite beste Freundin ein zweites Mal Rat weiß. Da sie sich für Alternativmedizin interessiert besitzt sie ein großes Lexikon der Naturheilkunde. Gemeinsam stöbern wir darin nach einer geeigneten Therapie, und werden fündig. Ein Lösungsansatz lautet, mich einer dreiwöchigen Fastenkur mit Brennnesselblättertee zu unterziehen bei gleichzeitiger Anwendung einer Calendula-Wundsalbe. Genauso mache ich es. Und es wirkt. Die Feuermaske verschwindet nach cirka sechs Wochen. Gerade noch rechtzeitig, bevor ich meiner ersten großen Liebe begegne. Ich treffe ihn in einer Disco, die ich ohne das Wissen und die Erlaubnis meiner Mutter aufsuche. Er ist attraktiv, hochgewachsen und Postbeamter der mittleren Laufbahn.

    Doch unser Glück wird von meiner eifersüchtigen Mutter überschattet. Eifrig kontrolliert sie unser Zusammensein oder besser gesagt, will sie unsere Liebe stören, in dem sie mir aus unfairen Gründen Hausarrest erteilt.

    Ich bin sechzehneinhalb und beginne eine vierjährige Ausbildung, deren erstes Jahr schulischer Natur ist. Zu meinem Glück liegt die Berufsschule nahe der Wohnung meines Liebsten. Ich schwänze also werktags oft den Unterricht, habe Mut zur Lücke, um mit ihm Zeit zu verbringen. Damit wische ich meiner Mutter eins aus.

    Da ich bei meiner ersten großen Liebe nicht übernachten darf, flüchte ich an den Wochenenden zu meiner zweiten besten Freundin in ihr großräumiges Dachstudio, so oft ich eben darf. Wir stricken Pullover, stöbern in dem Lexikon für Naturheilkunde oder philosophieren über Gott und die Welt. Mit ihr zu sein, öffnet mir mentale Räume, denn sie entwickelt sich zu einer Intellektuellen. Im Gegensatz zu mir macht sie Abitur und wird danach studieren. Ich bin nicht eifersüchtig auf sie. Vielmehr freut es mich, von ihr als beste Freundin respektiert zu werden.

    Vielleicht mag sie mich auch deshalb, weil ihre Mutter sie darin ermutigt. Letztere unterstützt unsere Freundschaft, und insbesondere stärkt sie mein Ich.

    „Du bist ein tapferes Mädchen", sagt diese Mutter viele Male zu mir.

    Sie sieht etwas in mir, worüber ich noch kein Selbstbewusstsein habe: die Kämpferin. Inzwischen haben die familiären, überwältigenden Erfahrungen aus mir eine starke Persönlichkeit gemacht. Ganz egal, was passiert: Ich überlebe. Ich bin nicht mehr länger wie ein schutzloses Löwenbaby, sondern wie eine kräftige Raubkatze.

    Und noch etwas verändert sich in meinem Leben. Ich beginne, meine sozialen Kontakte auszuweiten. Zum Beispiel gesellt sich bald ein weiterer junger Mann dazu. Er ist sieben Jahre älter und wirkt vielleicht deshalb wie eine väterlich-fürsorgliche Instanz auf mich. Insgeheim taufe ich ihn Psychopompos. Da ich bereits einen Liebhaber habe, gebe ich ihm den Platz eines Seelenbegleiters. Er übernimmt die Rolle des Lebensberaters, wird meine Quelle für Naturwissenschaftliches sowie mein Lehrer für paranormale Phänomene. Letzteres ist sein Steckenpferd.

    Mit ihm spreche ich über meinen Mutterkonflikt, den er übrigens mit seiner eigenen Mama hat. Ich erzähle Psychopompos sogar von meinen Albträumen, von denen der Postbeamte nichts weiß.

    Mit Verstärkung an meiner Seite starte ich in das zweite Jahr meiner beruflichen Ausbildung. Es ist ein Praktikum, das ich halbjährig einmal im Altersheim und einmal im Krankenhaus ableiste. Die Arbeit im Kreise erwachsener Kollegen fördert gleichfalls mein Selbstbewusstsein. Es tut mir gut von Fremden reflektiert zu werden, und zwar positiv. Sie sehen in mir einen guten Menschen, ein hübsches Mädchen, das ein glückliches Leben verdient. Es hilft mir, mich stärker von der Mutter zu differenzieren. Bald stelle ich mich ihren Kränkungen frontal entgegen. Ich versuche, die emotionalen Machtverhältnisse umzukehren. Ich erkläre meiner Mutter nun offen den Krieg. Sie legt auf meiner Blumenwiese keine Tretminen mehr aus!

    „Du kriegst mich nicht klein. Was immer ich dafür tun muss. Du sollst keine Macht mehr über mich haben", schreie ich sie an, wenn wir uns mal wieder zoffen.

    Leider gehe ich mir mit diesem Kriegseifer in die Falle. Ein naiver Teenager, der ich noch bin, ahnt nicht, dass er wie sie geworden ist.

    Ich habe eine böse Zunge entwickelt. Ich nutze jede Gelegenheit, meine Mutter zu kränken. Ich will Gleiches mit Gleichem vergelten, darum übergieße ich sie mit beißendem Zynismus. Ich will mit meinen Worten Wunden in ihr Herz schlagen.

    Und so wird aus mir eine emotionale Furie, ganz die Mama.

    Die psychosomatischen Beschwerden häufen sich. Seit einiger Zeit plagt mich eine starke Migräne. Ich könnte meiner Skoliose oder meiner angeborenen Hüftdysplasie die Schuld dafür in die Schuhe schieben. Doch genau weiß ich es nicht. Vielleicht traumatisierte ich etwas in meinem Kopf, damals, als ich ihn im Schulalter unter dem Einfluss des Hospitalismus an die Wand schlug.

    Die Kopfschmerzen bessern sich nicht, unter dem täglichen Psychoterror zuhause. Immer noch zermartert mich die Frage, was ihre wahre Motivation ist, derart auf mich loszugehen. In Wahrheit tue ich weder meiner Mutter noch den Schwestern etwas. Ich habe mich stark aus den familiären Aktivitäten zurückgezogen, gehe ihnen aus dem Weg und will meine Ruhe haben. Aber genau dieser Entzug meiner Anwesenheit, meiner Energie, scheint sie zu provozieren.

    Meine krankhaft narzisstische Mutter will mit aller Gewalt das Zentrum meiner Wahrnehmung sein. Ständig fordert sie meine Aufmerksamkeit ein. Ich soll ihr demütig meine Liebe zeigen, sie aufwerten. Tue ich es, überhäuft sie mich mit ihrer ganzen Verachtung, wird unfassbar bösartig, erniedrigt mich. Ich fühle mich jedes Mal wie eine emotionale Prostituierte.

    Meine mittlere Schwester verbirgt ihre Eifersucht erst gar nicht mehr. Sie zeigt mir ihre ganze Wut, versucht mir so of es geht zu schaden. Zum Beispiel klaut sie meine Wertsachen. In ihren Augen bin ich dafür verantwortlich, dass der Papa an ihr kein Interesse hat und sie vernachlässigt. Ihre Inzesterfahrung, die sie einmal als 3-Jährige erleben musste, ist längst verdrängt. Sie ahnt nicht, dass ich all die Jahre für sie ins Opfer gegangen war. Für sie und meine jüngste Schwester. Unbewusst wollte ich sie unter allen Umständen vor dem sexuellen Missbrauch bewahren.

    Bald bin ich volljährig. Auch die Berufsausbildung ist fast geschafft. Sogar zuhause gibt es Momente von Normalität. Als ungewöhnlicherweise Frieden zwischen uns vier weiblichen Familienmitgliedern herrscht, traue ich mich, einen Schritt zu machen. Ich möchte ihnen meine erste große Liebe vorstellen. In Absprache mit meiner Mutter lade ich ihn zu uns nach Hause zu einem Kaffeekränzchen ein.

    Wir sitzen also beisammen, bis auf die Jüngste, die ist außer Haus. Alles verläuft zunächst normal. Nach dem Kaffee bittet uns meine Mutter sogar ins Wohnzimmer, um die Unterhaltung fortzusetzen. Da verleitet es meine 15-jährige mittlere Schwester zu einer irrationalen Handlung.

    Sie setzt sich meinem 19-jährigen Freund auf den Schoß, legt ihre Arme um seinen Hals und schaut ihm fest in die Augen.

    „Ich bin viel hübscher. Nimm mich. Ich bin besser als meine Schwester", sagt sie betörend und kuschelt sich stärker an ihn.

    Ich bin geschockt. Mir bleibt der Atem weg. Aber meine Mutter lacht blöde. Sie greift nicht ein, sondern starrt hypnotisiert auf diese skurrile Szene.

    Zum Glück reagiert mein Freund in meinem Sinne. Er lacht verlegen, schubst dabei meine freche Schwester von seinem Schoß und sagt ausdrücklich:

    „Ich liebe deine Schwester und für mich ist sie die Schönste."

    Ich bringe meine erste große Liebe noch an die Tür, wo ich mich für das Verhalten meiner Schwester entschuldige. Wir spielen es herunter, wollen es nicht allzu ernst nehmen. Schließlich ist sie erst fünfzehn. Ein törichter Teenager, der verzweifelt nach Selbstbestätigung sucht.

    Doch als ich ins Wohnzimmer zurückkehre eskaliert die Lage.

    „Dein Freund ist aber hässlich. Doch so eine Hure wie du, hat nichts Besseres verdient", keift die mittlere Schwester nach ihrer Abfuhr los.

    Das Gelächter meiner Mutter ist ihr Beifall. Sie wird nicht in ihrem Fehlverhalten korrigiert, muss sich nicht bei mir für ihren Aussetzer entschuldigen. Stattdessen weidet sich meine Mutter darin, wie ihre Verbündete meine Beziehung zum Postbeamten in den Dreck zieht.

    „Der will doch bloß Sex. Danach lässt er dich wie eine heiße Kartoffel fallen", wertet meine Mutter ebenso seine Liebe zu mir ab.

    Ich ertrage ihre Irrationalität nicht mehr. Verletzt ziehe ich mich von ihnen zurück. Trotz meiner verzweifelten Abwehrstrategien trifft mich dieser Nachmittag mitten ins Herz. Aus Frieden wurde zum xten Mal Krieg.

    Und zum xten Mal versöhne ich mich mit meiner Mutter.

    „Ach komm her. Du bist doch meine Große. Lass uns Frieden schließen, lockt sie mich aus der Reserve. „Ich habe doch bloß Angst, dass du das Gleiche erleben musst, wie ich mit deinem Vater. Sei nicht so dumm und naiv, wie ich es war. Ich wünschte, ich hätte jemanden gehabt, der mich vor allem bewahrt hätte.

    „Dann wärst du kinderlos, antworte ich, „bist du nicht froh, uns zu haben?

    „Gerade du, meine Große, warst immer mein Wunschkind", sagt sie.

    Ihre Behauptung straft sie Lügen durch ihr abwehrendes Verhalten.

    „Das stimmt nicht Mama. Dein Lieblingskind ist deine zweite Tochter."

    In meiner Naivität, unsere Mutter-Tochter-Bindung könne sich einmal zum Guten wenden, tappe ich erneut in ihre gemeine emotionale Falle.

    Seit Tagen stellt mir die Mama bohrende Fragen zur Verhütung.

    „Brauchst du die Pille?, will sie wissen. „Wenn du die Pille brauchst, vertraue dich mir an. Ich will nicht, dass du zu früh schwanger wirst. Du sollst erst deine Ausbildung fertigmachen und von keinem Mann abhängig sein. Mach es anders als ich.

    Zugern möchte ich meiner Mama vertrauen und ihr es abkaufen, dass sie das Beste für meine Zukunft will. Wie sehr wünsche ich mir eine Mutter, die wie eine Freundin ist, und mit der ich über ein so prekäres Thema wie Sexualität und Verhütung sprechen kann.

    „Ja Mama, ich bräuchte die Pille. Wir benutzen zwar Kondome, aber diese könnten platzen, oder?", vertraue ich mich ihr an.

    Kaum habe ich es gesagt, läuft das Gesicht meiner Mutter dunkelrot an. Und da wird sie auch schon zu einer Atombombe, ohne jede Vorwarnung ist wieder Krieg.

    „Du Hure. Hab‘ ich‘s doch gewusst, dass du eine Schlampe bist", schreit sie mit bebenden Lippen.

    „Du machst auf der Stelle Schluss mit diesem Kerl, sonst sperre ich dich so lange ein, bis er sich aus Frust trennt", droht sie mir gleich darauf mit Strafe.

    Freeze. Mir bleibt das Herz stehen. Ich weiß gar nicht, wie mir geschieht. Ständig diese Vertrauensbrüche, diese Kränkungen. Wie lange kann ein Mensch so was aushalten? Ich spüre mich kaum, höre alles Weitere wie durch Watte. Dissoziation.

    „Sei doch nicht so blöd und binde dich gleich an den erstbesten Kerl. Mach‘ nicht die gleichen Fehler. Genieße deine Jugend. Lass‘ dich von vielen Männern ausführen", muss ich mir ihren irrationalen Tipp anhören.

    In mir zerbirst etwas in tausend Stücke. Ich verlasse meinen Körper. Black out.

    Als ich wieder bei klarem Bewusstsein bin, liegt meine Mutter mit dem Rücken auf dem Küchentisch. Sie starrt mich mit weit aufgerissenen Augen an. Sie hat Angst vor mir. Und noch etwas sehe ich in ihrem Blick: Respekt. Erst dann realisiere ich, dass ich bäuchlings auf ihr liege, meine Hände an ihrem Hals. Affekthandlung. Ich muss im Blackout wie eine Raubkatze auf sie draufgesprungen sein.

    Das macht mir Angst. Schnell steige ich vom Körper meiner Mutter ab. Der Gedanke, ich könnte noch einmal derart die Kontrolle über meine Gefühle verlieren, erschüttert mich. Das Letzte, was ich brauche, ist, ihretwegen zur Mörderin zu werden. Es wird Zeit zu gehen. Einen Tag später verlasse ich dieses zuhause.

    Ich bin noch keine achtzehn Jahre alt und obdachlos. Seit der furchtbaren Eskalation stolpere ich wie ein Zombie durch Raum und Zeit.

    Warum ich nicht mit meiner ersten großen Liebe zusammenziehe, wo er doch stets tapfer zu mir hielt und mich gegen meine böse Mutter, diese schwarze Tarantel, beschützte, verstehe ich selbst nicht. Seit einigen Wochen bin ich sexuell blockiert, was mich unter starken psychischen Druck setzt. Dass die Blockade eine posttraumatische Belastungsstörung sein könnte, ahne ich nicht im Mindesten. Ich trenne mich von meiner ersten großen Liebe, weil ich denke, die Liebe sei verglüht.

    Ich fliehe also vor Bindung. Ich bin innerlich ohne Halt. In meinem Bauch schmerzt es arg. Ich kotze viel. Ich nehme erst einmal ein Angebot einer Bekannten an, bei ihr auf dem Sofa zu schlafen, bis ich eine neue Unterkunft finde. Inzwischen bin ich im dritten Jahr meiner Berufsausbildung, die abermals schulischer Natur ist. Ich brauche Geld. Deshalb nehme ich einen Nebenjob als Bedienung in einem Szenecafé an. Unmittelbar darauf bricht Beziehungsanarchie aus.

    Und es geschieht so, wie meine Mutter es wollte. Ich lasse mich von vielen jungen Männern ausführen. Es ist ganz einfach, denn sie laufen mir nach. Ich bin oft am Wochenende in einem Klub, wo ich mir stundenlang die Seele aus dem Leib tanze. Deshalb kommen die Jungs zu mir auf die Tanzfläche, um mir dort einen Drink zu überreichen.

    Eines Abends wird der 38-jährige Klubbesitzer auf mich aufmerksam. In meiner hoffnungslosen Lage, immer noch ohne festen Wohnsitz, wirkt sein Interesse an mir 18-jährigen schmeichelhaft. Ich beginne mit ihm einen Flirt. Fast täglich holt er mich mit seinem weißen Porsche ab, zeigt er mir die besten Lokale.

    „Wohne bei mir in der Villa. Ich hab genug Platz, schlägt er bald vor. „Außerdem kannst du bei mir gutes Geld verdienen. Im Café suche ich eine Servicekraft.

    Sein Angebot sollte mich freuen, doch etwas macht mich misstrauisch. Inzwischen zeigt der 38-jährige Klubbesitzer selbstbewusst, was er von mir erwartet. Er verkündet

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