Die Schlacht über dem Nebel
Von Friedrich Otto
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Buchvorschau
Die Schlacht über dem Nebel - Friedrich Otto
Die Schlacht über dem Nebel
und andere Erzählungen
von
Friedrich Otto
_______
Erstmals erschienen bei:
Georg Müller, München, 1917
__________
Vollständig überarbeitete Ausgabe.
Ungekürzte Fassung.
© 2017 Klarwelt-Verlag
ISBN: 978-3-96559-087-8
www.klarweltverlag.de
Inhaltsverzeichnis
Titel
Der Tod und die Panzerwalze
Der Schuss in der Neujahrsnacht
Der Wolkenfarbene
Luftschiffbeize über der Adria
Schwarze Symphonie
Die Schlacht über dem Nebel
Der Tod und die Panzerwalze
m 13. September bekam der Gewehrführer Werner Kleffel den Befehl, mit seinem Maschinengewehr den Trichter 3 zu beziehen, den erst am Tage vorher eine der neuen französischen 45 cm-Haubitzen aus der Erde herausgespritzt hatte. Von oben sah das ganze Gelände aus wie eine von tausend kleinen Kratern besetzte Mondlandschaft, wie ein von riesigen Pockennarben entstelltes Gesicht. Die Flieger flogen mit erhabenen Gruselgefühlen über dies unmögliche Land.
Der Hauptmann war der Ansicht, dass in den Trichtern noch giftiges Gas stecken könnte, jene schweren unsichtbaren Phosphordämpfe, die erst nach mehreren Tagen ihre tödliche Wirkung offenbaren. Dann fangen die Vergifteten an zu husten, ihre Lungen eitern, und der grauenvollste Tod tritt ein. Andere Gase, die grünen Chlore, zerfraßen selbst die Metalle, die Fernsprechdrähte, die Flintenläufe und die Maschinengewehre, waren aber doch wenigstens sichtbar.
Die Leute der Maschinengewehrabteilung banden sich die Giftschutzmasken um den Kopf. Wie Makaken, wie Bewohner des Mars mit einer langen Rüsselschnauze und bösen Hummerstielaugen sahen sie aus.
Werner Kleffel prüfte noch einmal die gesamten Vorräte der Mannschaften: Munition und Nahrung musste sehr reichlich mitgenommen werden, da bei dem starken Feuer der Engländer und Franzosen an eine Neuverproviantierung sicher nicht oft zu denken war.
„Herr Vizefeldwebel sind nicht der einzige. In allen Nestern stecken die Unseren, sagte ein Posten. „Da ist es noch am sichersten, besser als in den Gräben!
„Ich fürchte mich nicht", sagte Werner Kleffel.
„Trotzdem ist hier was gefällig", beharrte der Posten.
„Dazu sind wir ja da! Darauf brach das kurze Gespräch ab. „Die Hauptsache ist, dass ich überhaupt heil in das Loch hineinkomme
, dachte Kleffel und schätzte die Entfernung des Trichters vom Grabenrand 60, 70, 80 Meter. Solange es noch hell war, konnte er den Trichter unmöglich beziehen. Das wäre zweckloser Selbstmord gewesen. Die Feinde schössen auf jede Nasenspitze, die sich über den Gräben regte und selbst nachts ließen sie ununterbrochen ihre bunten Sterne emporsteigen. Die Scharfschützen hüben und drüben wussten sogar hin und wieder die Öffnungen der Sehschlitze verborgener Panzerplatten zu entdecken und schossen den Spähern die Augen in den Kopf.
Neulich erst hatten so zwei französische Generäle ihr Leben gelassen, als sie durch ein Panzerschild die deutschen Gräben beobachteten. Kurz nach 11 Uhr abends trat die Abteilung an, um die neue Wohnung aufzusuchen. Der Gewehrführer Werner Kleffel und ein Mann stiegen über die Böschung des Grabens und krochen platt und langsam wie Schildkröten auf den Trichter zu. Wenn eine Sterngranate am Himmel platzte, drückten sie ihre Gesichter in die Erde und spielten die Toten. Kleffels Begleiter rutschte zuerst in die Trichtermulde; der Vizefeldwebel hörte, wie er leise aufschrie und glitt ebenfalls in die Tiefe. Er schaltete seine Taschenlampe ein. Acht Tote füllten den Trichtergrund aus. Engländer, die beim letzten Sturm, der ihren sieben Gaswellen folgte, gefallen waren und sterbend noch nach Rettung den Trichter aufgesucht hatten. Sie waren verblutet, verhungert, verdurstet oder am eigenen Gasgift gestorben.
Es dauerte über eine halbe Stunde, ehe die Toten ins Gelände hinausgestoßen waren. Alles musste so langsam und lautlos geschehen, als ob Tote einander mit unsichtbaren Bewegungen begrüben.
Während Kleffel die Leichen in die Höhe schob, rollte sie sein Begleiter Höffer einige Schritte vom Trichter weg, wobei er sich stets im Schutz hielt, um nicht beschossen zu werden, falls der Feind etwas merkte.
Dann schippte er etwas Erde über die kalten Körper und kroch, durchschwitzt und von Erregung gepeinigt, in den Trichter zurück.
„Der Soldat muss viel durchmachen", so tröstete ihn der Vizefeldwebel.
„Man darf sich nichts daraus machen", antwortete Höffer.
Diese beiden Redensarten waren richtige Sprichwörter geworden, die beinahe auf jede Lage eines Kriegers passten: ausgeschwitzte und wieder gefrorene Wahrheiten. „Ich ging vor zwei Jahren noch zur Schule, meinte Kleffel, „und habe mir das auch nicht träumen lassen. — Doch, wo bleiben die anderen?
Er spähte zum deutschen Schützengraben hinüber und gab zum zweiten Male die Blinkzeichen mit seiner Taschenlampe.
Langsam krochen vier Schatten heran. Sie brachten das Maschinengewehr mit sich, das ein erdfarbener Lappen zudeckte.
Dann wurde der Trichter wohnlich gemacht. Bretter und Dielen wurden im kümmerlichen Licht der wie Glühwürmer glitzernden Taschenlampen zurechtgelegt, und Vizefeldwebel Kleffel übernahm die erste Wache.
Er drückte wiederholt an der „Klapperschlange", dem Maschinengewehr, herum, ob es genügend feststand und auch gut geschützt war. Trotz der Finsternis war die Arbeit gelungen, und es lag vollkommen fest.
Um drei Uhr morgens weckte er Rubach, einen früheren Forstgehilfen aus Westpreußen, und wollte sich schlafen legen.
Aber das ferne, zornige Knurren eines Flugzeuges hielt ihn auf den Beinen. Ein leiser Warnungsruf aus dem Graben ertönte.
Der fliegende Feind war noch nicht zu sehen, der Lärm der Maschine lag ziemlich tief, und wenn die Gegend nicht wie ein Land der Hölle völlig zerfleischt gewesen wäre, hätte man annehmen können, ein Automobil knarre auf einer Landstraße entlang.
Das Flugzeug kam näher, und Rubach entdeckte ein kleines Licht, das in nur fünfzig Metern über der Erde blinkte. Das war der feindliche Flieger.
Er zog in Zickzacklinien über dem Leichenfeld, und Kleffel war nicht mehr im Zweifel, dass der Flieger den gefährlichen Flug nicht aus Vergnügen machte.
Plötzlich spritzte der Ton der Schnellfeuerwaffe des Fliegers auf, erst kurzschütternd, dann scharfknarrend und zuletzt wie ein helltönendes, langgezogenes, kollerndes Papapapa.
Kleffel glaubte seinen Augen nicht zu trauen, als er eine Kette von Feuerperlen in die Tiefe schießen sah. Alle Sekunden flammte ein magnesiumhelles Geschoss auf. Kein Zweifel, jeder zehnte oder mindestens zwölfte Schuss des fliegenden Maschinengewehrs war eine kleine Leuchtkugel.
Der unheimliche Todesvogel suchte wie eine Nachtmar, wie eine Riesenfledermaus, eine schauerliche schwarze Großroche das Gelände nach Opfern ab.
„Hyäne", zischte Kleffel. Er bebte, weil es gegen diesen durch die Luft schießenden Feind keine Wehr und Waffe gab. Der Flieger flog die einzelnen Trichter ab und beschoss sie, wenn er im Licht seiner Magnesiumkugelspritze Menschen entdeckte, von oben her.
„Rubach, wenn er zu uns kommt, werfen wir uns auf die Fresse", sagte Kleffel.
Die fliegende Hyäne fand aber an anderen Stellen genügende Arbeit. Ein Scheinwerfer überfiel sie plötzlich, tief aus der Finsternis bellte ein deutsches Maschinengewehr, und der Flieger verschwand.
Kleffel legte sich schlafen und träumte unruhig. Jemand schlug ihn im Traum auf die Schulter, und er wachte auf.
„Herr Vizefeldwebel! Schon wieder was Neues", sagte der Posten, der ihn aus dem Schlaf gerissen hatte.
Trotz seiner großen Jugend war Kleffel sofort wach.
„Wie spät ist's", flüsterte er.
„Fünf Uhr. Es wird schon ein bisschen schummerig."
„Hören Sie nichts, Herr Vizefeldwebel?"
„Wieder ein