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Über dieses E-Book

An einem sonnigen Oktobermorgen findet ein Jogger im Vater-Rhein-Brunnen des Heidelberger Schlossparks eine männliche Leiche mit eingeschlagenem Schädel. Einige Spuren am Tatort sind völlig rätselhaft, und gegen Abend kündigt eine Computerstimme am Telefon für Mitternacht einen zweiten Mord an – in Gedichtform.
Hauptkommissar Travniczek, der gerade erst seine neue Dienststelle in Heidelberg angetreten hat, und seine Mitarbeiter suchen verzweifelt nach Wegen, den Mord zu verhindern. Vergeblich. Und am Tatort greifen sie dann ein verschüchtertes kleines Mädchen in Festtagskleidung auf.
Sie ahnen, hinter den beiden Morden verbirgt sich ein noch viel größeres Verbrechen. Es folgen achtundvierzig Stunden, die sie nie vergessen werden und in denen sie Dinge erleben, die selbst dem hartgesottensten Kriminalisten den Schlaf rauben.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum30. Dez. 2016
ISBN9783738097863
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    Buchvorschau

    Schlag auf Schlag - Christoph Wagner

    Zur Serie

    Heidelbergkrimi

    Der Chef der Mordkommission Heidelberg, Hauptkommissar Joseph Travniczek, ist ein sehr ungewöhnlicher Kriminalist. In seiner Ermittlungsarbeit geht er zusammen mit seinen Mitarbeitern Martina Lange und Michael Brombach eher wie ein Profiler vor als wie ein klassischer Kriminalkommissar. Er will die Psyche von Täter und Opfer verstehen, will wissen, wie sie ticken. Das sieht er als unabdingbare Voraussetzung, um einen Fall lösen zu können.

    Aufgewachsen ist er in einer Musikerfamilie und wollte als Jugendlicher eigentlich Konzertpianist werden, ging dann aber nach prägenden Erlebnissen als Zivildienstleistender in einer Jugendstrafanstalt zur Polizei. In der Polizeidirektion Heidelberg hat er ein elektronisches Klavier in ein kleines Zimmerchen gestellt. Dorthin verschwindet er immer, wenn die Ermittlungsarbeit besonders angreifend wird, spielt Bach, um „sein Gehirn zu reinigen".

    Das Ermittlerteam wird bei seiner Arbeit auch immer wieder zu den markanten Plätzen Heidelbergs geführt. Dabei sind die Texte so konzipiert, dass sie nicht nur für Einheimische, sondern gerade auch für Menschen interessant sind, die Heidelberg gar nicht oder nur wenig kennen. Hauptkommissar Travniczek war, bevor er seinen Dienst bei der Heidelberger Kripo antrat, noch nie in dieser Stadt. Der Leser wird Zeuge, wie er sich die Stadt allmählich aneignet und sie kennen und lieben lernt. Darüber hinaus gibt es über alle mit *) bezeichneten Orte und Sehenswürdigkeiten im Heidelberg-Glossar auf www.heidelbergkrimi.de Erläuterungen, Bilder und oft auch weiterführende Links.

    Diese Serie will nicht nur spannende und aufwühlende Kriminalgeschichten bieten, sondern ausdrücklich auch Lust auf Heidelberg machen.

    Impressum

    Alle Rechte vorbehalten

    Copyright©2012 Christoph Wagner

    Druck: Verlag Lindemann, 63075 Offenbach

    ISBN 978-3-00-040668-3

    Cover-Foto: Pulverturm, Schloss Heidelberg

    Copyright©2012 Christoph Wagner

    Christoph Wagner

    Schlag auf Schlag

    Hauptkommissar Joseph Travniczek:

    der erster Fall

    Der Autor

    Christoph Wagner wurde 1953 in Jever (Norddeutschland) geboren. Er lebte von 1959 bis 1983 in Heidelberg, besuchte dort die Grundschule, von 1964 bis 1972 das Kurfürst-Friedrich-Gymnasium und studierte danach Musik und Mathematik. Seit 1983 arbeitete er bis Ende des Schuljahrs 2015/16 als Musik- und Mathematiklehrer in Frankfurt am Main. Der Kontakt zu Heidelberg blieb immer bestehen.

    Zu der Reihe „Heidelbergkrimi" sagt er:

    Ich will hier meine Liebe zu Heidelberg, das ich für eine der schönsten und interessantesten Städte überhaupt halte, verbinden mit der Frage nach der Psychologie des Bösen. In diesem ersten Roman habe ich meine Grundfrage Hauptkommissar Joseph Travniczek in den Mund gelegt. Angesichts eines brutal erschlagenen Mannes sagt er: Wie unendlich viel muss in der Seele eines Menschen zerstört worden sein, damit er zu so einer Tat fähig wird? ... Kein Kind wird als Mörder geboren.

    Dabei interessieren mich vor allem Menschen, die nicht einfach nach den Kategorien Gut und Böse eingeordnet werden können, und Themen, die politische, gesellschaftliche oder ethische Bedeutung haben.

    Als Motto über die ganze Reihe diene ein Ausspruch von Robert Louis Stevenson:

    „Im Schlechtesten der Menschen steckt noch so viel Gutes

    und im Besten noch so viel Böses,

    dass keiner befugt ist zu urteilen und zu verurteilen."

    Motto:

    Das eben ist der Fluch der bösen Tat,

    daß sie, fortzeugend,

    immer Böses muß gebären.

    Friedrich Schiller, „Wallenstein"

    1. Teil: die Piccolomini: 5. Akt, 1. Auftritt

    MITTERNACHT

    1

    Er muss sterben – unbedingt sterben – schweigen muss er für immer – denn wenn er redet – ist alles verloren – gescheitert der Kampf – gegen Dämonen der Kindheit –

    die Menschen – denen das Kind vertraute – gedemütigt – erniedrigt – und um das eigene Leben betrogen – zerstörten sie seine kindliche Seele – aber sie merkten es nicht –

    lange ist das jetzt her …

    Zwar konnte ich vieles erreichen – um die Dämonen zu bannen – doch noch ist der Kampf nicht entschieden –

    Dämonen der Kindheit – sie zwingen mich immer wieder – zu handeln, wie ich nicht will – und bleibe im Ekel zurück – vor meinen ruchlosen Taten –

    Dämonen der Kindheit – sie will ich für immer besiegen –

    es wird mir gelingen – doch vorher darf niemand erfahren – wozu sie mich immer noch zwingen …

    *

    Es war kurz vor Mitternacht an einem Sonntag im Oktober. Dichte Nebelschleier hatten die Stadt eingehüllt. Es war voll­kommen windstill. Da hastete ein stattlicher Mann mit langem braunem, leicht gelocktem Haar und klassisch ebenmäßigen Züge­n auf der Hauptstraße*¹ an Heiliggeistkirche*, Rathaus*, Kornmarkt* und Karlsplatz* vorbei und bog mit schnellen, häm­mernden Schritten in den Friesenberg* ein, um noch rechtzeitig den Schlosspark zu erreichen. Seinen Blick starr auf die feucht glänzenden Pflastersteine geheftet, nahm er seine Umgebung kaum wahr und hielt krampfhaft mit der linken Hand den Griff eines kleinen schwarzen Aktenkoffers umfasst. Der Schein der wenigen Straßenlaternen an einigen Hauswänden drang kaum durch den milchigen Nebel und ließ die Häuser und hohen Stützmauern an den Seiten nur wie verschwommene dunkle Schatten erscheinen, gleich Spiegelbildern seiner düsteren Ge­danken. In den menschenleeren Straßen war der Lärm des Tages erstorben. Nur seine hämmernden Schritte hallten durch die neb­lige Nacht.

    *

    Er muss sterben – unbedingt sterben – schweigen muss er für immer –

    doch wer muss sterben? – wer muss schweigen? – wer hat herausgefunden – dass es mich doppelt gibt? – zwei Namen – zwei Personen – die nichts miteinander gemein haben – die sich hassen und die sich niemals begegnen dürfen – einer hat es durchschaut – was niemand durchschauen durfte – der Plan war perfekt – an alles gedacht – Entdeckung unmöglich – wo lag mein Fehler? – verstellt die Stimme am Telefon – ich müsste sie kennen – kommt das von den Russen? – wollen die noch mehr? – das glaube ich nicht – denn sie verdienen fantastisch durch meine schändliche Arbeit – oder haben die einen gefunden, der ihnen noch mehr bringt? – doch wenn nicht die Russen, wer dann? – kenne ich ihn überhaupt? – woher kennt er mich? – wa­rum bestellt er mich an den Brunnen im Schlosspark? – weiß er, was dort geschah? – was mich in den siebenten Himmel erhob – was später den Riss durch mein Ich noch unerträglicher machte? – vielleicht weiß er nur das – aber er will 100.000 – dann weiß er alles – es macht keinen Sinn, ihm das Geld zu geben – denn ich kann ja nicht wissen, ob er nicht immer mehr fordert – ihm zu vertrauen ist Wahnsinn – also gibt es nur eines: er muss ster­ben – unbedingt sterben – schweigen muss er für immer …

    *

    Der Mann durchschritt das Tor zum Schlossgarten. Hie leuchteten die Laternen heller als am Friesenberg, und so konnte er seine Schritte weiter beschleunigen. Der schmale und steile Anstieg durch das tief eingeschnittene Tal zwischen Scheffelter­rasse* und Ostseite des Schlosses führte ihn zwischen großen Bäumen hindurch, die im neblig fahlweißen Licht der Laternen am Wegrand Ge­spenstern glichen. Kurz leuchteten linker Hand im feurigen Orange der Scheinwerfer einige Bögen der Schef­felterrasse schemenhaft auf. Über enge Serpentinen eilte der Mann weiter, während hoch oben die hell erleuchtete Ostfassade des Schlosses mit Glockenturm*, Ottheinrichsbau* und Apotheker­turm* immer deutlicher aus dem Nebel hervortrat. Er ließ genau in dem Augenblick den Nebel unter sich und trat in die klare Nachtluft, als er den ersten Bau des Schlosses er­reichte, den Karlsturm*, der wie von der Faust eines Riesen zer­schlagen sein dunkles Inneres nach außen kehrte und ihm wie der drohende Rachen eines mächtigen Ungeheuers erschien, das gna­denlos alles verschlingt, was sich ihm nähert. Unter dem schwar­zen, sternenübersäten Himmel führte ihn der jetzt schnurgerade Weg weiter an den vollständig restaurierten unteren Befesti­gungsanlagen entlang auf die wuchtige Spitzkasematte zu, vor der sich der Weg nach links wendete und kurz den Blick freigab auf den vor mehr als dreihundert Jahren geborstenen Pulverturm*, einem Mahnmal gleich für alles, was unwiederbringlich zerstört ist. Durch eine letzte, steil ansteigende Biegung des Weges erreichte er die Scheffelterrasse.

    *

    Er muss sterben – unbedingt sterben – schweigen muss er für immer – ich will ihn töten – er hat keine Chance – trifft ihn die Kugel nicht gleich – dann wird ihn der Sender im Koffer verraten – der wird mich zu ihm führen – wohin er auch geht – damit rechnet er nicht – das ist sein Fehler – ich will triumphieren – die heutige Nacht – nur eine Episode – denn ich will weiterkämpfen – gegen Dämonen der Kindheit – ich will sie vernichten – mit ihnen mein dunkles Ich – meine Seele heilen – und trotz meiner heutigen Taten – wird, wie einstmals für Faust, – auch für mich dann der „Chor der Engel" singen:

    ‚Wer immer strebend sich bemüht,

    den dürfen wir erlösen.‘ ²

    *

    Völlig erschöpft durch den Aufstieg spürte der Mann, wie sein Herz raste und ihm bis zum Halse schlug. Er hielt an, drehte sich um und stützte sich mit der rechten Hand auf der steinernen Balustrade der Scheffelterrasse ab. Den Kopf tief gesenkt, at­mete er mit geschlossenen Augen einige Male langsam und tief aus und ein. Allmählich öffneten sich seine Augen wieder und sein Blick fiel auf die im Nebel verschwommenen Lichter der Altstadt und die vor dem schwarzen, sternenbedeckten Nacht­himmel feurig hell erleuchtete Ostfassade des Schlosses. Doch diese grandiose Kulisse erreichte sein Inneres nicht. Mit starrer Miene ging in den Schlosspark hinein. Vor ihm standen weit ausladende, uralte Bäume, deren Blätter sich ganz leicht im kaum spürbaren Wind bewegten. Rauschen von Wasser durchzog die Luft. Es deutete auf das Ziel seines Weges, den Brunnen des Vater Rhein*, den man in der südöstlichen Ecke des Parks mehr ahnen als sehen konnte, da er vom rötlichen Scheinwerferlicht nur matt erleuchtet war.

    Auf diesen richtete sich jetzt sein Blick und blieb auf ihm haften, während er langsam die Scheffelterrasse entlangging. Die Brunnenfigur wurde immer deutlicher, während der Mann an der ersten Wegkreuzung zunächst zögerte und dann nach links einbog. Kurze Zeit später stand er dem Vater Rhein gegenüber. Umringt von den hohen Fontänen des Springbrunnens, blickte die auf Felsbrocken liegende steinerne Figur mit verträumten Augen in unendliche Fernen. Viel musste sie gesehen haben in den fast vierhundert Jahren, die sie hier bewegungslos lag.

    *

    Er muss sterben – unbedingt sterben – schweigen muss er für immer –

    Aber – darf ich ihn töten? – wenn ich ihn töte – dann ü­be­r­schreite ich eine Grenze – unwiderruflich – da wird es kein Zurück mehr geben – doch auch Faust hat getötet³

    aber – kann ich denn morden? – wird meine Hand nicht zittern, wenn ich die Waffe erhebe? – dann wird er nur höhnisch lachen – und mein Kampf ist für immer verloren – – –

    aber – muss ich denn kämpfen? – ich kann die Waffe auch gegen mich selbst richten – und alle Not hat ein Ende – die Dämonen der Kindheit gebannt – ewiger Friede in meiner Seele –

    aber – wenn ich doch Rechenschaft ablegen muss – was werde ich sagen? – kann denn ein ewiger Richter ermessen, was es bedeutet, für immer Opfer zu sein? – immer wieder zu scheitern – zwanghaft tun zu müssen, was man nicht will? – ich sollte es darauf ankommen lassen – nur eine kleine Bewegung – und es ist alles vorbei …

    *

    Plötzlich war alles still. Die Fontänen des Brunnens schwiegen. Auch das warme rötliche Scheinwerferlicht war er­loschen. Die hell strahlende Schlossfassade war nur noch eine dunkle Silhouette mit gespenstisch leeren Fensterhöhlen. Es blieb das kalte weißliche Licht der Weglaternen. Zwölf Mal durchbrachen die Glockenschläge der Uhr vom Torturm* die mitternächtliche Stille. Das Gesicht des Vater Rhein war asch­fahl geworden. Es schien, als ob er ausgeträumt hätte und ihn hellsichtig Schrecken ergriffe vor dem, was nun geschehen sollte.

    *

    Die Fontänen verstummt – die Scheinwerfer dunkel – es ist jetzt Mitternacht – warum meldet er sich nicht? – ich will es hinter mich bringen – –

    ich darf mich nicht töten – denn ich werde gebraucht – ich muss doch noch denen helfen, die keinen Ausweg mehr sehen – ich muss ihnen zeigen, wo ihre verborgenen Wege liegen – und meine Kinder – Sebastian und Hannes – sie brauchen den Vater – ich muss ihre Unschuld bewahren – wenn der Vater sich tötet – bricht ihre Welt zusammen – dann wird auch offenbar das Tun meines dunklen Ichs – dann sind die Seelen auch dieser Kinder zerstört – und das Spiel beginnt wieder von vorn – das muss ich verhindern – sie muss ich bewahren vor einem Schicksal, das mich selber so quält ...

    *

    Sein Handy klingelte und riss ihn aus seinen Gedanken. Er hörte wieder die verstellte Stimme: „Sie gehen jetzt langsam auf das Portal der Grotte vor Ihnen zu bis zum Absperrgitter und stellen den Aktenkoffer an der linken Seitenwand ab. Dann blei­ben Sie stehen. Behalten Sie das Handy am Ohr und warten Sie auf neue Anweisungen!"

    *

    Diese Stimme – woher kenne ich sie? – es will sich nicht zeigen – aber der Platz für den Koffer kommt meinen Plänen entgegen – ich kann mich verstecken – und wenn er sich den Koffer holt, wird meine Kugel ihn treffen …

    *

    „Jetzt gehen Sie rückwärts ganz langsam wieder ins Freie, bis Sie den Beckenrand berühren."

    *

    Was soll das? – spielt er mit mir? – es liegt etwas Furcht­bares in der Luft – mir ist, als greife eine kalte Hand nach mei­nem Herzen – was will er von mir? – will er kein Geld, sondern nur Rache? – will er mich töten? – oh, auf einmal wird alles klar – es kann ...

    *

    „Du sollst jetzt wissen, wer ich bin! – – ICH BIN DER GEIST, DER STETS VERNEINT!"

    *

    Die Stimme – nicht mehr verstellt – jetzt erkenne ich sie – ich hätte sie längst schon erkennen müssen – o Gott, ihn kann ich nicht töten – nicht diesen Menschen – das wäre Verrat – was bleibt mir zu tun? – was hat er vor? – warum gibt er sich ausge­rechnet jetzt zu erkennen? – was – – –

    *

    Wie glühender Stahl durchfuhr ein nie gekannter Schmerz seinen Schädel und ließ ihn bersten. Das Dunkel der Nacht zerfetzten tausend gleißend grelle Blitze, sogleich verschlungen von vollkommenem Schwarz. Und das vollkommene Schwarz zerrann ins bodenlose, allumfassende Nichts.

    2

    Stille. Die Nebeldecke über der schlafenden Stadt ließ kein Geräusch mehr bis hier herauf dringen. Der aufge­hende Mond warf ein fahles Licht auf die Fassaden des Schlosses, während der Vater-Rhein-Brunnen noch im Schatten der Berge lag, die hinter dem Park groß und schwarz vor dem blass erhellten Nachthimmel standen. Am Boden der Tote. Vor ihm sein Mörder, reglos, die blutige Keule in der rechten Hand, seinen triumphierenden Blick auf das Opfer gerichtet.

    *

    Ich hab es getan – mich wird Mephisto jetzt loben –

    hast du tatsächlich geglaubt, ich wollte dein Geld? – mich interessiert dein Geld nicht – ich bin kein gewöhnlicher Mörder – nein, ich bin vom Schicksal ausersehen – ich muss seine Notwendigkeiten vollenden – und du hast dein Leben verwirkt – vielfach – durch dein furchtbares Tun – und mein Leben hast du dann auch noch zerstört – was mir gehörte, hast du genommen, – und mir deshalb den Weg aus der Hölle verlegt – ich kann ihn nun nie mehr finden – ich fühle das …

    *

    Es war etwas Wind aufgekommen. Die Blätter der alten Bäume des Parks rauschten in leichter Bewegung. Der Himmel wurde heller. Der Mond würde bald auch hier aufgehen.

    *

    Ich muss mich schützen – ich habe noch Pflichten zu erfüllen – mich dürfen sie noch nicht finden – ich muss sie verwirren und falsche Spuren legen – ich nehme dem Toten, was ihnen verrät, wer er ist – ich werfe ihn in den Brunnen und bedecke das Blut auf der Erde mit Kies – ich stelle den Koffer mit dem Geld auf den Brunnenrand – sie sollen sich das Hirn zermartern – warum stiehlt einer die Brieftasche, lässt aber 100.000 Euro stehen? – sie sollen sich im Kreise drehen – und ich habe Zeit – ich kann tun, was Mephisto verlangt – ich könnte es nicht ertragen, gerichtet zu werden von denen, die das normale Leben lieben – die nicht erkennen, dass all ihr Tun vergebens ist – dass es keinen Sinn geben kann – und wenn ich alles getan habe, was ich tun muss? – ich werde Mephisto sein im grandiosen Finale – eine Apotheose des Nichts ...

    *

    Wie er beschlossen hatte, nahm er dem Toten Handy und Brieftasche ab, schleifte ihn zum Brunnenrand und ließ ihn so sachte ins Wasser gleiten, als ob er die Stille der Nacht nicht stören wollte. Dass dabei etwas aus der Hosentasche des Toten fiel, bemerkte er nicht. Dann holte er den Geldkoffer und stellte ihn auf den Brunnenrand. Noch lange Zeit verharrte er vor dem Brunnen, den Blick auf sein Opfer gerichtet. Dann drehte er sich langsam um und entfernte sich mit gesenktem Kopf in Richtung der Scheffelterrasse. Dass die ganze Zeit zwei scharfe Augen das Geschehen beobachtet hatten, war ihm entgangen.

    Der Mond war inzwischen hinter den Bergen hervorgekommen. Die vom auflebenden Wind leicht gekräuselte Oberfläche des Brunnenwassers schimmerte silbrig. Vom Körper des Toten ragte in zwei schwarzen, kaum wahrnehmbaren Kreisen nur etwas vom Kopf und Rumpf aus dem Wasser. Vater Rhein thronte wie ein Wächter über der Szenerie. Stiller Friede legte sich über den Ort des schaurigen Geschehens.


    ¹ Für alle mit * gekennzeichneten Begriffe finden Sie Erklärungen, Bilder und ggf. weiterführende Links unter www.heidelbergkirmi.de

    ² „Der Mann bezieht sich hier auf die Schlussszenen von Goethes „Faust II. Faust hat in seinem Leben manche Schuld auf sich geladen und insbesondere die im christlichen Sinne schlimmste denkbare Sünde begangen, als er mit dem Teufel (Mephisto) einen Pakt schloss. Dennoch wird er nach seinem Tod in den Himmel aufgenommen. Mephisto geht leer aus. Goethe etabliert hier ein Moralgesetz, das sowohl dem katholischen Begriff der Werkgerechtigkeit (Erlösung durch die Guten Werke) wie auch dem lutherischen Begriff der Erlösung als göttlichem Gnadenakt entgegensteht. Demnach kann erlöst werden, wer sich um ein rechtes Leben bemüht, unabhängig davon, wie erfolgreich dieses Bemühen war.

    In dieser Schlussszene entwirft Goethe eine himmlische Hierarchie von Engelswesen, zu der auch die „Seligen Knaben" gehören.

    Die letzten beiden Zeilen sind wörtliches Zitat aus Faust II.

    ³ Faust hat mit Hilfe Mephistos Gretchen zur Geliebten gewonnen und sie geschwängert. Valentin, der Bruder Gretchens, will sie rächen und stellt Faust zum Zweikampf. Faust tötet ihn mit Mephistos Hilfe. Später verlässt Faust Gretchen, die ihr Kind zur Welt bringt und aus Verzweiflung tötet. Währenddessen vergnügt sich Faust in der Walpurgisnacht. Gretchen wird in den Kerker geworfen und soll hingerichtet werden. Im letzten Moment besinnt sich Faust ihrer und will sie, wieder mit Hilfe Mephistos, befreien. Gretchen, inzwischen wahnsinnig geworden, nimmt diese Hilfe nicht an und stirbt.

    ⁴ Mit diesem Satz stellt sich in Goethes Faust Mephisto (= das Böse/der Teufel) dem Faust vor.

    DER ERSTE TAG

    3

    Es war Montagmorgen kurz nach sieben Uhr. Das Büro der Mordkommission in der Polizeidirektion Heidelberg lag noch verwaist in der Wochenendruhe. Im Morgengrauen drang wenig Licht durch die Glasfront an der Längsseite des zweckmäßig eingerichteten Raumes. Gegenüber der Fensterfront waren die ganze Wand entlang mehrere Aktenschränke aus dunkelbraunem Holz und silbern glänzenden Edelstahlstützen aufgereiht. Wenn man durch die Tür in der Mitte der Stirnwand hereinkam, schaute man links vor den Aktenschränken auf den Schreibtisch der Sekretärin Frau Sie­bert, die auch für technische Recherchen zuständig war. Auf der rechten Seite stand vor der Fensterfront ein runder Tisch mit fünf Stühlen, der zu Gesprächen verschiedenster Art diente. In der Mitte des Raumes hatten Oberkommissar Michael Brombach und Oberkommissarin Martina Lange ihre Arbeitsplätze, die einander gegenüberlagen, damit man bei der Arbeit problemlos Kontakt miteinander aufnehmen konnte. Vor der Rückwand dann der groß dimensionierte Chefschreibtisch, von dem aus man leicht den ganzen Raum überblicken konnte. Er war leer geräumt, weil der langjährige Leiter der Mordkommission, Eduard Bamberger, am vergangenen Freitag in seinen wohlverdienten Ruhestand verabschiedet worden war. Heute sollte sein Nachfolger Joseph Travniczek seinen Dienst antreten. Auf die Idee, den Raum durch Zimmerpflanzen oder Bilder an den Wänden etwas freundlicher zu gestalten, war bisher wohl noch niemand gekommen.

    Wie fast jeden Tag kam auch heute die Sekretärin Melissa Siebert schon deutlich vor dem eigentlichen Dienstbeginn ins Büro. Die etwas rundliche, recht klein gewachsene Endfünfzigerin konnte sich nur mühsam fortbewegen, denn sie hatte drei große Blumensträuße und mehrere Plastiktüten voll mit Backwerk mitgebracht. Für den Einstand des neuen Chefs wollte sie das sonst eher sterile Büro freundlicher, lebendiger und wärmer erscheinen lassen. Sie nahm aus dem untersten Fach eines Aktenschranks drei Vasen, füllte sie mit Wasser, stellte die Sträuße hinein und arrangierte sie sorgfältig. Dann ließ sie ihre stets freundlichen hellblauen Augen durch den großen Büroraum schweifen, um zu entscheiden, wo die Blumen ihre größte Wirkung entfalten könnten. Sie stellte dann einen Strauß von zwanzig roten Rosen auf den Besprechungstisch, Sonnenblumen vor den Arbeitsplatz von Brombach und Frau Lange und einen bunten Herbstblumenstrauß direkt auf den Chefschreibtisch.

    Sie hielt nochmals inne, um sich mit prüfendem Blick davon zu überzeugen, dass ihre Wahl gut war, und wandte sich dann der Kaffeemaschine zu. Es war ein tägliches Morgenritual. Mindestens zwei Löffel Kaffeepulver mehr als normal musste sie in den Filter schütten, weil sie wusste, dass das Team ohne ständigen Nachschub an starkem Kaffee nicht wirklich arbeitsfähig war und deshalb sämtliche Mörder im Großraum Heidelberg weiter unbehelligt frei herumlaufen würden. Als das Wasser durch die Maschine zu laufen begann, öffnete sich schwungvoll die Tür und Kommissar Michael Brombach trat ein, Enddreißiger, groß gewachsen, forscher Blick, erkennbar stolz auf seine durchtrainierte sportliche Figur, seine fast schwarzen Haare und die sonnengebräunte Haut. Er trug sehr enge schwarze Jeans, ein ebenso eng anliegendes, schwarz-weiß gestreiftes, oben offenes Hemd und graue Sportschuhe.

    „Guten Morgen, Herr Kommissar!", begrüßte ihn Melissa Siebert.

    „Morgen!, entgegnete Brombach und nahm mit spöttischem Lächeln den Blumenschmuck zur Kenntnis. „Der gute Melissengeist hat mal wieder für Leben in der tristen Bude hier gesorgt. Schlechte Zeiten für Heidelbergs Mörder. Die fangen wir jetzt doppelt so schnell.

    „Ach, Brombach, wenn du meinst, ich hätte die Blumen für euch Ignoranten besorgt, so irrst du gewaltig. Hast du vergessen, dass heute ein besonderer Tag ist?"

    „Das fällt mir jetzt grad nicht ein."

    „Aber heute kommt doch unser neuer Chef! Und der soll doch gleich einen guten Eindruck von uns bekommen. Du weißt doch: Der erste Eindruck ist immer der wichtigste."

    „Ach, jetzt versteh ich. Du willst dich bei dem Neuen, Tawizik, oder wie der heißt, einschleimen!"

    „Jetzt red doch keinen Quatsch! Wir haben hier eine Reihe von Jahren gut zusammengearbeitet und …"

    „Eben", unterbrach Brombach.

    „Was heißt ‚eben‘?"

    „Eben heißt eben! Wir haben hier in der Tat seit fast zehn Jahren mit dem alten Bamberger blendend zusammengearbeitet, haben anerkanntermaßen sehr gute Arbeit geleistet. Wir hatten mehrere Jahre hintereinander landesweit die höchste Aufklärungsrate. Dann verabschiedet sich Bamberger in den Ruhestand. Zur Abschiedsfeier kommt sogar der Innenminister, labert herum, überschüttet uns, die Heidelberger Mordkommission, mit Lobeshymnen und was dann? Sie setzen uns diesen Tschechen oder Slowaken vor die Nase!"

    „Also, Kommissar Brombach, bitte keine fremdenfeindlichen Ressentiments! Du hast wohl im Geschichtsunterricht geschlafen. Es gab vor dem Zweiten Weltkrieg das Sudetenland, aus dem nach Kriegsende über drei Millionen Deutsche vertrieben worden sind, von denen viele tschechisch klingende Namen hatten. Und übrigens, der Mann heißt Travniczek."

    „Das mag ja alles sein und ich hab gegen den Mann auch nichts persönlich. Ich bin nur sauer auf diese hochherrschaftlichen Verwaltungsfuzzis. Nach dem, was wir hier geleistet haben, hätte ich, oder meinetwegen auch Martina, die Leitung der Mordkommission übernehmen müssen."

    „Da geb ich dir natürlich recht. Aber du weißt ja …"

    Da klingelte das Telefon.

    „Aha, die Arbeit ruft!", meinte Brombach wenig erfreut, während die Sekretärin den Hörer abnahm und dem Anrufer eine Weile zuhörte. Melissa Siebert verdeckte das Mikro des Hörers mit der Hand und wandte sich an Brombach.

    „Kommissar, die Pforte ruft an. Sie hätten dort einen Herrn Meyer-Hampel oder so ähnlich, der unbedingt mit jemandem von der Mordkommission sprechen will. Er wollte auch keine Andeutungen machen, um was es geht."

    „Dann sollen die uns diesen Hampelmann hochschicken. Wahrscheinlich wieder so ein üblicher Wichtigtuer, dem angeblich zwei Mörder durch den Vorgarten gelaufen sind. Und wenn man das nachprüft, dann waren’s nur zwei Katzen. In der Regel Zeitverschwendung."

    Das Gespräch zwischen Brombach und der Sekretärin über den neuen Chef und die Ungerechtigkeit dieser Personalentscheidung wurde bald durch leises Klopfen an der Tür unterbrochen.

    „Ja, bitte!", rief Brombach in barschem Ton. Die Tür öffnete sich zögerlich zunächst nur einen Spalt. Es erschien ein ziemlich großer Kopf, der aber einem recht kleinen Mann gehören musste. Zwei verschmitzt lächelnde, recht weit auseinander stehende blaue Augen überflogen prüfend den Raum. Über buschigen Augenbrauen erhob sich eine leicht fliehende Stirn mit tiefen Geheimratsecken. Das hellbraune, schon etwas schüttere Haar war nach hinten gekämmt. Die Backenknochen standen leicht vor, der Mund war breit mit dicken Lippen und einem etwas struppigen Oberlippenbart. Im Zentrum prangte, gleich einem Leuchtturm auf einer Insel, eine große Adlernase.

    „Hm, Entschuldigung, wenn ich störe. Bin ich hier richtig bei der Mordkommission?"

    „Da sind Sie goldrichtig, erwiderte Kommissar Brombach etwas ungeduldig. „Treten Sie bitte näher!

    Die Tür öffnete sich und gab den Blick frei auf die ganze Gestalt. Der große Kopf saß auf einem kurzen dicken Hals und einem im Verhältnis zum Kopf zu klein geratenen, aber doch sehr kräftigen Körper. Er trug eine hellbraune Lederjacke, ziemlich abgewetzt und wohl schon lange in Gebrauch, über einem lila Hemd, dessen zwei obere Knöpfe offen waren und den Blick auf eine dichtbehaarte Brust freigaben. Dazu trug er graue Leinenhosen, deren Bügelfalten ihren Namen nicht mehr verdienten, und dunkelbraune Schuhe, die offenbar schon länger mit keiner Schuhbürste mehr in Berührung gekommen waren.

    „Darf ich Platz nehmen?", fragte der Besucher.

    „Aber gewiss doch", antwortete Brombach und zeigte auf einen der Stühle an dem Tisch neben dem Eingang, auf dem Melissa Siebert den Rosenstrauß platziert hatte.

    „Rote Rosen bei der Polizei! Damit hätte ich nicht gerechnet."

    „Sehen Sie, gab Brombach lächelnd zurück, „die Polizei ist gar nicht so schlimm wie ihr Ruf. Aber zunächst einmal: Mit wem habe ich das Vergnügen?

    „O je, wie ungeschickt von mir! Ich hätte mich gleich vorstellen müssen. Das gehört sich ja eigentlich so. Aber Sie müssen entschuldigen, ich bin etwas nervös, Sie müssen nämlich wissen, ich hatte mein Lebtag noch nie mit der Polizei zu tun, und da ist man beim ersten Mal schon, ja, Sie wissen sicher …"

    „Also, da machen Sie sich mal keine Sorgen. Angst haben müssen vor uns nur die Spitzbuben, und die richtig, aber für alle anderen sind wir – Sie kennen den Spruch – Freund und Helfer. – Aber jetzt zur Sache. Sie sind?"

    „Meyer-Hampel, Wilfried."

    „Wohnhaft?"

    „In München, Schwanenthalerstraße 14."

    „Sie wollen uns etwas mitteilen? Also, bitte."

    „Ja, entschuldigen Sie, aber das ist nicht so einfach, ich weiß nicht so recht, wo ich anfangen soll."

    „Vorne am besten."

    „Ich will Ihnen natürlich nicht Ihre sicher sehr kostbare Zeit rauben. Aber um mich verständlich zu machen, muss ich etwas weiter ausholen."

    Während des Gesprächs war Melissa Siebert an den Tisch getreten, sah den Besucher freundlich lächelnd an und fragte: „Darf ich Ihnen eine Tasse Kaffee anbieten?"

    „Ach, ganz herzlichen Dank."

    „Aber ich warne Sie. Bei der Polizei trinkt man sehr starken Kaffee."

    „Dann vielleicht doch nicht. Wissen Sie, das Herz … ist nicht mehr ganz so, wie es sein sollte. Aber vielleicht ein Glas Wasser?"

    „Aber selbstverständlich. Einen Augenblick."

    Brombach sah sie strafend an wegen ihrer, wie er fand, völlig überflüssigen Freundlichkeit und weil sie ihm keinen Kaffee angeboten hatte. Zu Meyer-Hampel gewandt: „Das ist hier unsere gute Seele. Ohne sie wäre es hier gar nicht auszuhalten. Aber jetzt endlich zur Sache. Was haben Sie zu sagen?"

    „Entschuldigen Sie, aber eine Frage noch: Sind Sie hier der Chef?"

    „Das nicht. Der hat gerade woanders zu tun. Aber Sie können sich ruhig mir anvertrauen. Also, jetzt endlich, schießen Sie los!"

    „Na so was, bei der Polizei schießt man gleich! Aber Spaß beiseite. Also, das ist so. Ich habe vor Jahrzehnten hier in Heidelberg gelebt und habe neun Jahre im altehrwürdigen Kurfürst-Friedrich-Gymnasium* verbracht und da 1974 Abitur gemacht. Dann ging ich nach München zum Studieren und habe dann dort eine Familie gegründet und mich beruflich etabliert. Meine Eltern starben früh, und so ist mein Kontakt zu Heidelberg abgerissen, da ich keine anderen Verwandten hier hatte."

    „Sie sind doch sicher nicht hergekommen, um uns das zu erzählen", warf Brombach mit zunehmender Ungeduld ein.

    „Natürlich nicht! Natürlich nicht! Aber Sie müssen entschuldigen, die Sache ist sonst nicht zu verstehen. Also – jetzt habe ich den Faden verloren – wo war ich stehengeblieben? Ach ja! Ich hatte, wie gesagt, den Kontakt zu Heidelberg verloren, es kamen Kinder, drei Mädchen, hinreißend süß waren sie, als sie klein waren. Ich müsste noch irgendwo Bilder aus dieser frühen Zeit haben. Aber das brauchen wir vielleicht wirklich nicht. Sie sind übrigens mittlerweile alle drei aus dem Haus, zwei sind verheiratet und haben selbst Kinder, ja die Enkelchen, das ist wirklich wunderschön mit ihnen. Aber entschuldigen Sie, ich schweife jetzt doch etwas ab. Also, um es kurz zu machen, es ist jetzt ungefähr ein halbes Jahr her, da traf ich am Viktualienmarkt – Sie kennen den Viktualienmarkt? Einer der schönsten Plätze auf der Welt, wie ich finde ..."

    „Nein, kenne ich nicht, hatte noch nicht das Vergnügen, in München zu lustwandeln."

    „Das ist aber ein Fehler! Wissen Sie, München ist eine der schönsten Städte der Welt, die muss man gesehen haben!"

    „Da haben Sie sicher recht, aber wir haben eben hier eine ganze Menge zu tun, und deswegen wäre ich Ihnen jetzt wirklich sehr dankbar, wenn Sie endlich zur Sache kämen."

    Inzwischen hatte auch Kommissarin Martina Lange das Büro betreten und Melissa Siebert zu verstehen gegeben, dass sie wieder einmal auf der Ziegelhäuser Landstraße im Stau gestanden hatte. Sie setzte sich neben Brombach an den Tisch.

    „Darf ich vorstellen: meine Kollegin Lange."

    „Oh, sehr erfreut, sehr erfreut, aber mir fällt gerade auf, ich habe wohl Ihren Namen vergessen, oder – haben Sie ihn gar nicht genannt?"

    „Jetzt muss ich mich entschuldigen: Kommissar Brombach."

    „Oh, sehr erfreut, Herr Kommissar. Ach, wo war ich denn stehengeblieben? Ach ja, bei den Enkelchen, aber ich wollte ja die Sache abkürzen, nein, richtig, ich war ja schon einen Schritt weiter, am Viktualienmarkt. Wirklich wunderschön dort, das müssen Sie mir glauben. Also, dort traf ich, wie gesagt, vor etwa einem halben Jahr ganz zufällig einen alten Klassenkameraden. Wir kamen ins Gespräch über die vergangenen Zeiten, über die vielfältigen Schönheiten von Heidelberg. Natürlich auch die Mädchen, ja, damals waren wir noch jung. Das waren Zeiten. Wir erinnerten uns, dass wir gerne miteinander Schach gespielt hatten. Kurz und gut, nachdem wir unsere Adressen ausgetauscht hatten und ich merkte, dass er gar nicht …"

    „Zur Sache bitte, unsere Zeit ist begrenzt und unsere Geduld nicht unendlich."

    „Ja, entschuldigen Sie, die Sache ist eben doch kompliziert und das Problem nicht so leicht zu verstehen. Also, wo war ich noch mal stehengeblieben? Ach ja, also, wir trafen uns, froh, uns wiedergefunden zu haben, seitdem regelmäßig zum Schach und zum Erzählen über alte Zeiten, und dann hatte mein Schulkamerad schließlich die wirklich hervorragende Idee, unsere Erinnerungen an Ort und Stelle aufzufrischen und eine gemeinsame Reise nach Heidelberg zu unternehmen, ohne Familien, nur wir

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