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Savitri - Legende und Sinnbild
Savitri - Legende und Sinnbild
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eBook828 Seiten12 Stunden

Savitri - Legende und Sinnbild

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Über dieses E-Book

Sri Aurobindo schrieb an diesem Buch über vierzig Jahre. Er bezeichnete es als sein eigentliches „Lebenswerk“, das er erst wenige Tage vor seinem Tod vollendete. Für dieses Meisterwerk wurde er mehrfach für den Literatur-Nobelpreis vorgeschlagen. Es ist eine einzigartige poetische Suche nach dem Unendlichen, eine Reise in den Urgrund des Göttlichen Wesens! Unvergleichlich!

SpracheDeutsch
HerausgeberAquamarin Verlag
Erscheinungsdatum13. Nov. 2020
ISBN9783968612126
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    Buchvorschau

    Savitri - Legende und Sinnbild - Sri Aurobindo

    Sri Aurobindo

    Savitri

    Autorisierte Übertragung aus dem Englischen von Heinz Kappes. Redaktionelle Mitarbeit und Verantwortung: Rolf Hinder. Der vorliegenden Übersetzung lag die indische Ausgabe von „Savitri - A Legend and a Symbol", 3. Auflage 1970 (Ninth impression 1981) mit den Korrekturen und Ergänzungen letzter Hand seitens der berechtigten indischen Herausgeber (Sri Aurobindo Ashram Trust, Pondicherry 1970) zugrunde.

    Der Verfasser schreibt die universalen Begriffe im englischen Original mit großen Anfangsbuchstaben. Da die Unterscheidung für die Praxis des Integralen Yoga wichtig ist, wurden diese Anfangsbuchstaben kursiv gesetzt.

    eBook-Ausgabe (2020) der 5. unveränderten Auflage 2014

    © 1985 für die deutsche Ausgabe

    © Aquamarin Verlag GmbH · Voglherd 1 · D-85567 Grafing

    Druck: Rosch-Buch Druckerei GmbH, Scheßlitz

    ISBN 978-3-96861-212-6

    Inhalt

    Vorbemerkung: Die Legende von Satyavan und Savitri

    Erster Teil (Buch I — III)

    Buch I

    Das Buch von den Anfängen

    Canto 1

    Das Sinnbild Morgendämmerung

    Canto 2

    Der Auftrag

    Canto 3

    Der Yoga des Königs: Der Yoga von der Befreiung der Seele

    Canto 4

    Das geheime Wissen

    Canto 5

    Der Yoga des Königs: Der Yoga von der Freiheit und Erhabenheit des Geistes

    Buch II

    Das Buch vom Welten-Wanderer

    Canto 1

    Die Welten-Treppe

    Canto 2

    Das Reich der subtilen Materie

    Canto 3

    Glanz und Fall des Lebens

    Canto 4

    Die Reiche des Kleinen Lebens

    Canto 5

    Die Gottheiten des Kleinen Lebens

    Canto 6

    Die Reiche und Gottheiten des Größeren Lebens

    Canto 7

    Der Abstieg in die Nacht

    Canto 8

    Die Welt der Lüge, die Mutter des Bösen und die Söhne der Finsternis

    Canto 9

    Das Paradies der Lebensgötter

    Canto 10

    Die Reiche und Gottheiten des Kleinen Mentals

    Canto 11

    Die Reiche und Gottheiten des Größeren Mentals

    Canto 12

    Die Himmel des Ideals

    Canto 13

    Im Selbst des Mentals

    Canto 14

    Die Welt-Seele

    Canto 15

    Die Reiche des Größeren Wissens

    Buch III

    Das Buch von der Göttlichen Mutter

    Canto 1

    Das Streben nach dem Unerkennbaren

    Canto 2

    Die Anbetung der Göttlichen Mutter

    Canto 3

    Das Haus des Geistes und die Neue Schöpfung

    Canto 4

    Die Schau und die Gnadengabe

    Zweiter Teil (Buch IV — VIII)

    Buch IV

    Das Buch von der Geburt und der Suche

    Canto 1

    Geburt und Kindheit der Flamme

    Canto 2

    Das Wachsen der Flamme

    Canto 3

    Der Ruf zur Suche

    Canto 4

    Die Suche

    Buch V

    Das Buch von der Liebe

    Canto 1

    Der vorbestimmte Ort der Begegnung

    Canto 2

    Satyavan

    Canto 3

    Satyavan und Savitri

    Buch VI

    Das Buch vom Schicksal

    Canto 1

    Das Wort des Schicksals

    Canto 2

    Der Weg des Schicksals und das Problem des Leidens

    Buch VII

    Das Buch vom Yoga

    Canto 1

    Die Freude der Vereinigung Die Qual des Vorauswissens vom Tod und des Herzens Kummer

    Canto 2

    Das Gleichnis vom Suchen nach der Seele

    Canto 3

    Der Eintritt in die Inneren Lande

    Canto 4

    Die dreifachen Seelenkräfte

    Canto 5

    Das Finden der Seele

    Canto 6

    Nirvana und die Entdeckung des alles verneinenden Absoluten

    Canto 7

    Die Entdeckung des Kosmischen Geistes und das Kosmische Bewußtsein

    Buch VIII

    Das Buch vom Tod

    Canto 1

    Tod im Wald

    Dritter Teil (Buch IX — XII)

    Buch IX

    Das Buch von der Ewigen Nacht

    Canto 1

    Zur Schwarzen Leere hin

    Canto 2

    Die Reise in die Ewige Nacht

    Buch X

    Das Buch vom Doppelten Zwielicht

    Canto 1

    Das Traum-Zwielicht des Ideals

    Canto 2

    Die Botschaft vom Tod und von der Eitelkeit des Ideals

    Canto 3

    Die Debatte von Liebe und Tod

    Canto 4

    Das Traum-Zwielicht des Irdisch-Wirklichen

    Buch XI

    Das Buch vom Immerwährenden Tag

    Canto 1

    Der Ewige Tag: Der Seele Wahl und die Höchste Vollendung

    Buch XII

    Epilog

    Die Rückkehr zur Erde

    Die Legende von Satyavan und Savitri

    Die Legende von Satyavan und Savitri wird im Mahabharata erzählt als das Gleichnis von der ehelichen Liebe, die den Tod besiegt. Aber diese Legende ist einer der vielen Symbol-Mythen aus dem Umkreis der Veden, wie zahlreiche Züge dieser menschlichen Geschichte beweisen. Satyavan ist die Seele, die die göttliche Wahrheit des Seins, herabgestiegen in die Gewalt von Tod und Unwissenheit, in sich trägt. Savitri ist das Göttliche Wort, die Tochter der Sonne, die Gottheit der höchsten Wahrheit, die herabkommt und geboren wurde für das Heil. Aswapati, der Herr des Pferdes, ihr menschlicher Vater, ist der Herr von Tapasya, jener konzentrierten Energie spirituellen Bemühens, die uns hilft, uns aus den Ebenen der Sterblichkeit zum Unsterblichen zu erheben. Dyumatsena, der Herr der Heerscharen, Vater von Satyavan, ist das göttliche Bewußtsein, das hier erblindete, sein himmlisches Königtum und damit das seines Ruhmes verliert. Doch dies ist keine bloße Allegorie, die Mitwirkenden sind nicht personifizierte Eigenschaften, sondern Inkarnationen oder Emanationen lebendiger und bewußter Kräfte, mit denen wir konkret in Berührung kommen können. Sie nehmen menschliche Gestalt an, um dem Menschen zu helfen und ihm den Weg von seiner sterblichen Verfassung zu einem göttlichen Bewußtsein und unsterblichen Leben zu zeigen.

    Erster Teil

    Buch I — III

    Buch I

    Das Buch von den Anfängen

    Canto 1

    Das Sinnbild Morgendämmerung

    Es war die Stunde, ehe die Götter erwachen. Den Pfad des göttlichen Ereignisses versperrend lag das die Zukunft ahnende gewaltige Mental der Nacht allein in seinem unerhellten Tempel der Ewigkeit, bewegungslos am Saum des Schweigens hingestreckt. Fast fühlte man, dunkel und undurchdringlich, im finstern Zeichen seines augenlosen Sinnens den Abgrund jenes unverkörperten Unendlichen. Ein Nichts erfüllte — unergründlich — diese Welt. Im Zwischenraum des ersten und des letzten Nichtseins wach, erinnerte sich eine Macht gefallenen und grenzenlosen Selbsts an jenen dunklen Schoß, aus dem sie kam, wandte sich ab vom unauflösbaren Mysterium der Geburt und jenem langsamen Prozeß der Sterblichkeit und sehnte sich nach ihrem Ende in inhaltslosem Nichts. Gleich wie im dunklen Anfang aller Dinge umfing des Unbekannten stummes, formloses Abbild — dabei den unbewußten Akt für immer wiederholend und so für immer nicht-sehenden Willen verlängernd — die kosmische Schlaftrunkenheit der unwissenden Kraft, deren erregter schöpferischer Schlummer die Sonnen zündet, und in nachtwandlerischem Wirbel unser Leben trägt. Durch die vergebliche und ungeheuere Ekstase des Raumes, seine gestaltlose Stumpfheit ohne Leben und Mental kreiste die Erde, verlassen in den sinnlosen Wirbeln, indem sie durch die seelenlose Leere einen Schatten spann, noch einmal zurückgeworfen in undenkbare Träume, ihren Geist und ihr Geschick vergessend. Die teilnahmslosen Himmel waren unparteiisch, leer und still. Dann rührte sich ein Etwas in der rätselhaften Finsternis. Wie namenlose Regung, unersonnene Idee, beharrlich, unbefriedigt, ohne Absicht, schürte ein Etwas, das zu sein verlangte, doch nicht wußte, wie, das Unbewußte, um Unwissenheit zu wecken. Es setzte eine Wehe ein, die ihre Spuren zitternd hinterließ und einem alten, müden, unerfüllten Sehnen Raum gab, das friedlich in der mondlosen Grotte des Unterbewußten lag, daß es sein Haupt erhob und Ausschau hielt nach abwesendem Licht, indem es die geschlossnen Augen entschwundener Erinnerung berührte wie jemand, der ein längst vergangnes Selbst zu finden sucht und nur den toten Körper seiner Sehnsucht findet. Es war, als ob gerade in der Tiefe dieses Nichts, sogar im Kerne dieser äußersten Vernichtung, ein unerinnerliches Wesen lauerte, das sein Gedächtnis eingebüßt, das Überlebende der toten und begrabenen Vergangenheit, dazu verurteilt, das Ringen und die Schmerzen wieder aufzunehmen, in einer anderen getäuschten Welt erneut zu leben. Ein ungestaltetes Bewußtsein sehnte sich nach Licht, ein leeres Zukunftswissen schmachtete nach ferner Wandlung. Wie wenn der Finger eines Kindes sich auf die Wange legt und so die unachtsame Mutter dieses Universums an das unaufhörliche Bedürfnis nach den Dingen mahnt, so klammerte ein zartes Sehnen sich an die düstre Weite. Kaum fühlbar fing es irgendwo hervorzubrechen an: Eine einsame lange Linie von verhaltner Färbung, dem zagen Lächeln gleich, das ein verlassnes Herz verlockt, behelligte den fernen Saum des düstern Lebensschlafs. Von einer anderen Seite der Grenzenlosigkeit gekommen, durchdrang der Gottheit Auge diese stummen Tiefen. Ein Fährtensucher auf Erkundung von der Sonne her erschien es inmitten der lastenden kosmischen Ruhe, in der Erstarrung einer kranken, müden Welt, um nach dem Geist zu suchen, der verzweifelt war und einsam, zu tief gefallen, um der vergessnen Seligkeit sich zu erinnern. Es drang in dieses mentallose Weltall ein, und seine Botschaft kroch durch abgeneigtes Schweigen und rief zum Abenteuer des Bewußtseins und zur Freude auf. Im Siege über der Natur ernüchtertes Herz erzwang es die erneute Zustimmung, zu sehn und zu empfinden. Gesät ward ein Gedanke in die unerforschte Leere, ein Sinn wurde geboren in der Tiefe dieser Finsternis. Es zitterte Erinnerung im Herzen der Zeit, wie wenn eine längst verstorbene Seele angeregt würde zu leben: Doch hatte das Vergessen, das dem Falle folgt, die Schrift der engbeschriebnen Tafeln der Vergangenheit getilgt. Und alles, was vernichtet war, muß neu errichtet, die frühere Erfahrung muß erneut errungen werden. Das alles kann geschehen, wenn Gott die Dinge anrührt. Es stahl sich Hoffnung ein in das, was kaum noch wagte, inmitten der verlornen Gleichgültigkeit der Nacht zu sein. Wie wenn es dringend hergebeten wäre in eine fremde Welt, so kam es zaghaft, unwillkürlich wagemutig, verwaist, hinausgetrieben, sich ein Heim zu suchen, umherziehend, ein Wunderwesen ohne Wohnstatt, hinein in eine entlegene Himmelsecke als zarter Anruf einer zögernd wundersamen Geste. Die dauernde Erregung einer umgestaltenden Berührung bezwang die träge schwarze Stille, und Schönheit und Erstaunliches verwirrten die Gefilde Gottes. Es baute im Vorübergleiten eine Hand aus blassem zauberhaftem Licht, das an dem Rand von einem rasch entschwindenden Moment erglühte, ein Tor aus Träumen, halb geöffnet hin zum Bannkreis des Mysteriums, mit goldner Füllung und schimmernden Angeln. Die einzige erhellte Ecke, die ein Fenster war für die vorborgnen Dinge, sie zwang die blinde Unermeßlichkeit der Welt zum Sehen. Die Finsternis verging und glitt hinab gleich fallendem Gewand von dem zurückgelehnten Körper eines Gottes. Dann wurden durch den blassen Spalt, der anfänglich kaum groß genug schien, etwas Sonnenlicht hindurchzulassen, die Offenbarung und die Flamme ausgegossen. Von oben her erschien erneut das kurze ständige Signal. Aus unerreichten transzendenten Welten kam ein Leuchten, das von der Herrlichkeit des Ungeschauten schillerte, als Botschaft aus unsterblichem und unbekanntem Licht hell lodernd auf dem tief erregten Rand der Schöpfung. Der Morgen bildete aus wunderbaren Farben ihre Aura und senkte ihre Saat erhabner Größe in die Stunden ein. Als der Besucher eines Augenblicks erschien die Gottheit. Für eine Weile hielt sich die Vision am dünnen Rand des Lebens, gebeugt über die sinnende gewölbte Stirn der Erde. Sie übertrug die längst vergangene Schönheit und Seligkeit in Farben-Hieroglyphen einer mystischen Bedeutung und schrieb die Zeichen des bedeutungsvollen Mythos nieder, der von der Größe jener Morgendämmerung des Geistes sprach, ein Kodex, strahlend aufgezeichnet auf des Firmamentes Seiten. Fast ward an jenem Tag die göttliche Epiphanie enthüllt, von der unsre Gedanken und Erwartungen die Lichtsignale sind; fast wurde ein einsamer Glanz vom unsichtbaren Ziel hinabgeschleudert in das undurchdringlich Leere. Wieder einmal verwirrte hier ein Schritt die öden Weiten. Die Mitte der Unendlichkeit, ein Angesicht verzückter Ruhe, trennte ewige Augenlider, die den Himmel öffnen. Eine Gestalt entfernter Seligkeiten schien zu nahen. Als die Gesandte zwischen Ewigkeit und Wechsel, neigte die Gottheit sich, allwissend, über diese Breiten, die uns der Sterne schicksalhafte Bahnen verhüllen, und fand die Räume für ihre Füße zubereitet. Noch einmal sah sie sich halb um nach ihrer nun verhüllten Sonne, dann ging sie voll Gedanken an ihr unsterbliches Werk. Des Unvergänglichen Vorübergehen empfand die Erde: Ihrer Natur hellwaches Ohr vernahm die Schritte, die Weite wandte ihm ihr grenzenloses Auge zu, und auf versiegelte Abgründe ausgegossen, brachte ihr leuchtendes Lächeln nun das Schweigen dieser Welten zum Entflammen. Alles gedieh zu einer Anbetung und feierlichen Handlung. Die Luft ward zum schwingenden Bindeglied zwischen Himmel und Erde. Mit weiten Flügeln stieg der Hymnus priesterlich hehren Windes empor, um auf den Hügeln der Altäre zu verwehen. Die hohen Zweige beteten im sich offenbarenden Firmament. Wo unsre halberleuchtete Unwissenheit an jene Schlünde grenzt, am stummen Busen der vieldeutig-dunklen Erde, hier, wo man nicht einmal den nächsten Schritt erkennt, wo Wahrheit auf des Zweifels schattenhaftem Rücken thront, auf diesem Feld des Mühens voller Angst und Ungewißheit, das unter einem weiten teilnahmslosen Blick gebreitet liegt, ertrug als unbefangner Zeuge unsrer Freude, unsres Leids, unser erschöpfter Boden den erweckenden Strahl. Und hier entzündeten prophetische Erleuchtung und Vision gewöhnliche, bedeutungslose Formen zu ungewöhnlichen Ereignissen. Dann war die göttliche Inspiration verausgabt und zog sich, unerwünscht, zurück, verschwand aus dem Bereich des Sterblichen. Ein heiliges Verlangen folgte ihrer Spur als die Verehrung einer Gegenwart und Macht, die aber zu vollkommen war, als daß sie von gebundnem Herzen gehalten werden konnte; Vorahnung einer wunderbaren künftigen Geburt. Nur kurze Zeit kann dieses Gotteslicht hier bleiben. Des Geistes Schönheit, die das menschliche Blickfeld erleuchtet, umsäumt mit ihrer Leidenschaft und dem Geheimnis die Maske der Materie, und sie verschwendet Ewigkeit an den Minutentakt der Zeit. Wie wenn sich eine Seele der Geburtenschwelle nähert und so der Zeitenlosigkeit sterbliche Zeit hinzufügt, und wie ein Funke dieser Göttlichkeit verloren ging in der Materie Krypta, wobei sein Glänzen in den unbewußten Ebenen verblaßt, so ward hier diese, nur vorübergehnde Glut magischen Feuers jetzt aufgelöst in helle altgewohnte Luft. Die Botschaft ist verstummt, verschwunden ist der Bote. Der einmalige Ruf, die Macht ohne Begleitung, entrückten in die weit-entlegene geheime Welt. Farbspiel und Wunder dieses überirdischen Strahls: Sie schaute nicht mehr hin auf unsre Sterblichkeit. Das Übermaß an Schönheit, von Natur dem Gotteswesen eigen, vermochte nicht den Anspruch an die zeitgebornen Augen durchzuhalten. Weil sie zu mystisch-wirklich war, als daß der Raum sie hätte halten können, wurde ihr Leib gelöscht von Herrlichkeiten aus dem Himmel: Die wunderbare, seltene Erscheinung lebte nicht mehr. Es herrschte nur das allgemeine Licht irdischen Tags. Und freigegeben von dem Ausruhn von der Müdigkeit folgte erneut der Lärm der Lebenseile den Zyklen seines blinden Strebens. Es rannten alle hin zu ihrer unveränderlichen Alltagsarbeit; die Tausende Geschöpfe, die den Boden und den Baum bevölkern, gehorchten jenem Drängen des Augenblicks, der nichts voraussieht, und auch der Mensch, hier Führer mit dem unverläßlichen Mental, der einzige, der auf der Zukunft ihm verhülltes Antlitz starrt, er hob die Bürde seines Schicksals auf.

    Auch Savitri erwachte unter diesen Stämmen, die eilten, sich dem Ruf des hellen Boten anzuschließen, und die, verführt von der Schönheit sichtbarer Wege, begeistert ihren Anteil an der Eintagsfreude begrüßten. Der Ewigkeit verwandt, aus der sie herkam, nahm sie nicht teil an diesem kleinen Glück; auf dieses gab der Gast, im menschlichen Gefilde machtvoller Fremdling, der im Inneren verkörpert ist, nicht Antwort. Der Ruf, der sonst den Sprung im menschlichen Mental auslöst, den bunten eifrigen Antrieb zum Tätigsein, das farbig-flatterhafte Trugbild des Begehrens, besuchte ihr Herz nur wie ein süßer fremder Ton. Die Zeit-Botschaft flüchtigen Lichts war nichts für sie. In ihr war die Bedrängnis jener Götter, die gefangen sind in unserer vergänglichen Gestalt als Mensch, das Todlose, dem Tod der Dinge unterworfen. Einst war die Freude einer größeren Natur ihr eigen, doch konnte diese ihren goldnen Himmelsglanz sich nicht lange erhalten, nicht fortbestehn auf diesem spröden Fundament der Erde. Das Leben, eine enge Regung auf dem tiefen Abgrunde der Zeit, es wies in seiner Kleinheit und Gebrechlichkeit die Macht ab, jene stolze und bewußte Weite und die Seligkeit, die es einst mit sich brachte in die menschliche Gestalt, die stille Freude, die eine Seele allen anderen anvermählt, den Schlüssel zu den Flammentoren der Verzückung. Der Erde Samenkorn, das jenen Saft von Lust und Tränen braucht, wies ab die Gnadengabe unsterblicher Wonne. Der Tochter der Unendlichkeit bot es dafür die Blume der Passion der Liebe und des Untergangs. Vergeblich schien dies wunderbare Opfer nun erbracht zu sein. Verschwenderisch in ihrer reichen Göttlichkeit, hat sie ihr Selbst und alles, was sie war, den Menschen hingegeben, voll Hoffnung, diesen so ihr höheres Wesen einzupflanzen, einzugewöhnen diesem Leben ihrer Körper, damit der Himmel in den sterblichen Gefilden heimisch werde. Hart ist’s, die Erdnatur zur Wandlung zu bereden. Das Sterbliche erträgt nur schwer des Ewigen Berührung: Es fürchtet jene göttlich reine Unduldsamkeit solch eines Ansturmes von Äther und von Feuer; mit Widerreden weist es ihre kummerlosen Freuden ab und fast mit Haß stößt es das Licht zurück, das sie ihm bringt. Vor ihrer Wahrheit nackter Macht zittert es ebenso wie vor der reinen Stimme ihrer Kraft und Lieblichkeit. Den Höhen legt es leidvoll das Gesetz des Abgrunds auf, mit seinem Schmutz besudelt es des Himmels Boten: Dornen seiner gefallenen Natur sind die Verteidigung, die es der Retterhand der Gnade entgegenhält. Den Söhnen Gottes tritt es gar mit Tod und Leid entgegen. Die Erdenszene ward durchzuckt von einer Herrlichkeit von Blitzen. Doch deren sonnenhelles Denken schwand dahin, verdunkelt von unwissendem Mental; ihr Wirken ward betrogen und ihr Gutes in Böses umgewandelt. Das Kreuz war die Bezahlung für die Krone, die sie gaben. Nur einen wunderbaren Namen hinterlassen sie. Ein Feuer ist gekommen, hat der Menschen Herz berührt und ist gegangen; entflammen und erheben zu höherem Leben ließen sich nur wenige. Zu ungleich war die Welt ihr, die zu retten und zu helfen kam, und ihre Größe lastete auf deren einfältiger Brust, drum quoll aus ihren finstern Schlünden schreckliche Gegengabe auf, ein Teil von ihrem Leiden, ihrem Ringen, ihrem Fall. Zu leben mit dem Kummer, und dem Tod auf ihrem Wege zu begegnen, — dies Los der Sterblichen ward der Unsterblichen zuteil. So eingefangen in den Mechanismus irdischer Geschicke und auf die Stunde ihrer Feuerprobe wartend, harrte sie aus und nahm, aus eingeborener Glückseligkeit verbannt, das finstere Gewand irdischen Lebens an. Und sie verbarg sich selbst vor denen, die sie liebte. Die Göttlichkeit ward nur noch größer durch das menschliche Geschick. Ein dunkles Zukunftswissen trennte sie von allen, für die sie Stern und Beistand war, Zu groß, um Kummer und Gefahr laut kundzutun, behielt in gramzerrissnen Tiefen sie ihr künftiges Verhängnis. Wie einer der der Hüter blinder Menschen ist, die Last von einer ahnungslosen Menschheit auf sich nimmt und einen Feind beherbergt, den er am Herzen nähren muß, der Tat nach unbekannt, unbekannt auch das Verhängnis, das sie vor sich sah, und ohne Hilfe mußte sie nach vorne schauen, sich fürchten und wagen. Nun war der lang vorausgewußte und verhängnisvolle Morgen da, der einen Mittag brachte, der erschien wie jeder andere Mittag. Denn machtvoll schreitet die Natur auf ihrem Wege fort, nicht achtend einer Seele, eines Lebens, die sie zerbricht. Erschlagenes läßt sie zurück und schreitet weiter: Allein der Mensch und Gottes all-sehendes Auge bemerken es. Doch selbst im Augenblicke der Verzweiflung ihrer Seele, in dieser grimmigen Begegnung mit dem Tod und mit der Angst, entrang kein Schrei sich ihren Lippen und kein Ruf nach Hilfe. Sie sagte niemand das Geheimnis ihres Wehs: Ganz ruhig blieb ihr Antlitz, und ihr Mut hielt sie stumm. Es war allein ihr äußerliches Selbst, das litt und kämpfte; selbst ihre Menschlichkeit war halb vergöttlicht, ihr Geist ward offen für den Geist in allen, ihr Wesen fühlte alles Wesen als ihr eigenes. Als Abgesonderte, im Innern lebend, trug sie alle Leben in sich, erhaben barg sie in sich alle Welt. In ihrer Angst war sie geeint mit jener großen Angst des Kosmos, doch ihre Stärke war gegründet auf des Kosmos Mächte; die Liebe der allumfassenden Mutter war ihr eigen. Gegen das Übel an des Lebens angegriffnen Wurzeln, mit ihrem eignen Elend als besonderem Zeichen, schmiedete sie aus ihren Schmerzen ein mystisch-geschliffnes Schwert. Ein einsames Mental, ein weltenweites Herz erhob sie zum alleinigen, dem ungeteilten Werke des Unsterblichen. Am Anfang kümmerte das Leben sie noch nicht in ihrer sorgenschweren Brust: Noch ruhte es ihm Schoße ursprünglicher Schläfrigkeit der Erde dumpf-träge, in Vergeßlichkeit entlassen, am Rande des Mentals, noch unbewußt und lässig hingestreckt, so ruhig und abgestumpft wie Stein und Stern. In einer tiefen Kluft von Schweigen zwischen zwei Bereichen, lag sie, von Kummer weit entfernt, von Sorge nicht zerrissen, und nichts erinnerte sie an das Leiden hier. Dann regte sich langsam und schattengleich ein zaghaftes Erinnern, und seufzend legte sie die Hand auf ihren Busen und fühlte den Schmerz ganz nahe und bedrohlich, tief, ruhig, alt und heimisch an seinem Platz, doch wußte sie noch nicht, warum er da war und woher er kam. Noch war die Macht, die das Mental erhellt, zurückgezogen: Schwerfällig und unwillig waren die Bediensteten des Lebens wie Arbeiter mit einem Lohn, der keine Freude macht. Der Sinne Fackel lehnte es verdrossen ab, zu brennen, und das Gehirn fand ohne Hilfe nicht die eigene Vergangenheit. Nur eine vage Erd-Natur hielt diesen Rahmen noch zusammen. Jetzt aber regte sie sich, und ihr Leben nahm an der Last des Kosmos teil. Von ihres Körpers stimmelosem Anruf aufgefordert fand ihr machtvoller Geist auf weiten Schwingen seinen Weg zurück zum Joch von Schicksal und Einfältigkeit, zurück zur Arbeit und dem Druck sterblicher Tage, sich seinen Pfad erleuchtend durch seltsame Sinnbild-Träume, durch das Verebben jener Meere ihres Schlafs. Ihr Haus, das zur Natur gehörte, fühlte unsichtbares Wehen, des Lebens dunkle Räume wurden rasch erleuchtet, und der Erinnrung Fensterflügel öffneten sich Stunden, des Denkens müde Füße näherten sich ihren Türen. Es kamen alle wieder zu ihr: Erde, Liebe und Verhängnis, die Rechthaber aus alten Zeiten kreisten um sie wie riesige Gestalten, miteinander ringend in der Nacht: Die Gottheiten, geboren aus dem finstern Unbewußten, erwachten jetzt zum Kämpfen und zum göttlichen Erleiden, und in dem Schatten ihres hell-entflammten Herzens im dunklen Mittelpunkt der schrecklichen Debatte, sah sie ein Wächter jenes unversöhnten Abgrunds an, ein Erbe jenes langen Leidenskampfs des Erdballs. Still wie ein Stein, Verkörperung von göttlich-hohem Schmerz, starrte er in den Saum mit unbewegtem, gleichgültigem Blick, der zwar des Elends zeitenlose Tiefen sah, wohl aber nicht des Lebens Ziel. Bedrückt durch seine strenge Göttlichkeit, an seinen Thron gebunden, harrte er unversöhnt der täglich neuen Opfergabe ihrer ungeweinten Tränen. Die Frage nach dem Sinn menschlicher Stunden lebte wieder auf. Das Opfer, das die Erde an Leiden und Begehren darbringt an die unsterbliche Ekstase, begann von neuem unter der ewigen Hand. Vollwach erduldete Savitri dieser Augenblicke streng formierten Aufmarsch und blickte auf die grüne, lächelnde, gefahrenvolle Welt und hörte dem unwissenden Ruf der lebendigen Dinge zu. Inmitten dieser einfachen Klänge in der unveränderten Szenerie stieg ihre Seele empor und stellte sich Schicksal und Zeit entgegen. Im Innern war sie unbewegt und sammelte sie Kraft. Dies war der Tag, da Satyavan sterben mußte.

    Canto 2

    Der Auftrag

    Für eine Weile in verborgene Gefilde des Denkens eingekehrt, bewegte sich ihr Mental in den Bildern der Vergangenheit, die neu auflebte, doch sie sah, daß sich ihr Ende näherte. Obwohl sie schon verging, lebte sie unvergänglich in ihr fort. Vorübergehend und den zeitgebundenen Augen entschwindend, trug die Vergangenheit unsichtbar als ein schicksalsvoller Geist des Selbsts auf ihrer Geister-Brust die Zukunft. In der Ereignisse weithin zurückflutender Spur verebbte dieser Strom beharrlich andringender Stunden, und an dem Ufer der geheimnisvollen Flut, bevölkert von Gestalten, die man liebte, aber nicht mehr sah, und von den feinen Bildern jener Dinge, die einst waren, stand jetzt ihr Geist als Zeuge und musterte die Zeit. Was alles sie erhofft einst und erträumt hatte und selbst gewesen war, das flog durch Himmel der Erinnerung an ihr vorüber wie auf Adlersflügeln. Gleich wie im innern Tagesanbruch, der in vielen Farben aufflammt, so lagen ihres Lebens breite Straßen und die holden Nebenwege vor ihrem sonnenklaren Blick verzeichnet wie auf einer Karte, von jenem hellen Lande ihrer Kindheitstage an, den blauen Bergen ihrer hochfliegenden Jugend, den Paradiesesgärten und den Pfauenfittichen der Liebe bis zu der Freude, die sie an sich riß, unter dem schweigenden Schatten von Verhängnis in einer letzten Wendung, da Himmel und Hölle um die Wette rasten. Zwölf Monate voll tiefer Leidenschaft führten zu jenem Tag des Schicksals. Es fällt mitunter eine unbedingte, übernatürliche Verfinsterung auf einen Menschen, wenn er sich Gott naht: Es tritt dann eine Stunde ein, da alle Mittel der Natur versagen; vertrieben aus der schützenden Unwissenheit, auf seine nackten Urbedürfnisse zurückgeschleudert, muß er schließlich die Oberflächen-Seele von sich werfen und unverhüllte Wesenheit im Innern sein. Jetzt schlug Savitri diese Schicksalsstunde. Sie hatte einen Punkt erreicht, an dem Leben vergeblich wird oder, im ungebornen Element erwacht, ihr Wille die Bestimmung ihres Leibs verwerfen mußte. Denn nur des ungebornen Geistes zeitlose Macht kann jenes Joch aufheben, das uns aufgezwungen wird durch Zeitgeburt. Nur jenes Selbst, das diese Selbstform baut, kann jene starr-unendliche Linie zerbrechen, die die veränderlichen Namen, unzählbaren Leben, die neuen und vergessen machenden Persönlichkeiten aneinanderfügt und die in unseren bewußten Handlungen die Spur von alten längst vergessenen Ideen und Taten noch lauernd aufbewahrt. Nur es kann das Vermächtnis unsrer begrabenen Selbste verwerfen, die Bürde erblicher Gebundenheit an unsere Gestalten, die von dem Körper und der Seele blindlings angenommen wurden. Die Episode in der längst vergessenen Geschichte, deren Anfang verloren, deren Motiv und Handlung uns verborgen sind, ein einst lebendiges Geschehen hat unser gegenwärtiges Geschick, das Kind vergangner Kräfte, vorbereitet und gestaltet. Die Starrheit der kosmischen Aufeinanderfolgen, die eng verbunden sind durch unvermeidliche, verborgne Zwischenglieder, mußt’ sie zerreißen und mit ihrer Seelenkraft zerstören. Die eigene Vergangenheit, die ihr den Weg blockiert zu dem Unsterblichen, mußte sie tilgen und ihr Schicksal neu gestalten. Gleich einem Streitgespräch der Götter des Uranfangs, die an des Unbekannten Grenzen sich jetzt trafen, mußte der Seele innrer Dialog mit dem verkörperten Nichtsein auf dem gefahrvoll dunklen Hintergründe durchgefochten werden. Ihr Wesen mußte sich seiner formlosen Ursache gegenüberstellen, sein Einzelselbst gegen das Weltall aufwiegen. Auf dem kahlen Gipfel, wo das Selbst mit dem Nichts allein ist, wo Leben keinen Sinn hat und Liebe keinen Raum, dort mußte sie am Rande der Vernichtung ihren Fall vertreten und in der Todeshöhle dieser Welt die aussichtslose Forderung des Lebens durchsetzen, ihr Recht verlangen, zu sein und lieben zu dürfen. Die unerbittliche Ökonomie der Natur mußte verwandelt werden. Sie mußte sich von ihrer Bindung an die eigene Vergangenheit lossagen, die alte Rechnung ihres Leidens tilgen, die lange angehäufte Schuld der Seele, ihre drückende Versklavung an die karmischen Gottheiten, die schleichende Rache jenes Gesetzes, das nicht vergibt, die tiefe Not allumfassenden Leidens sowie das harte Opfern und die tragischen Ergebnisse auslöschen aus derzeit. Sie mußte eine zeitenlose Barriere durchbrechen und mit ihres Denkens Tiefe die Leere schauerlichen Schweigens durchdringen, dem unsterblichen Tod in die einsamen Augen schauen, mit ihrem bloßen Geist die Nacht des Unendlichen durchmessen. Der große schmerzensvolle Augenblick war jetzt ganz nahe. Wie ein gepanzertes Bataillon in den Untergang marschiert, so schleppten sich die letzten langen Tage schwerfällig dahin, langsam, doch bald vorübergehend, nah dem Ende. Allein inmitten zahlloser geliebter Angesichte und hellbewußt im Kreise ahnungsloser froher Herzen, hielt ihr gewappneter Geist Wache über die Stunden und lauschte auf einen vorausgesehenen, schrecklichen Schritt in der umschlossenen Schönheit unmenschlicher Wildnis. Als Kämpfende auf diesem ruhigen, doch schreckensvollen Kampfplatz stand sie für diese Welt ein, ohne daß die Welt es wußte. Sie hatte keinen Helfer außer jener inneren Stärke. Es gab auch keinen Zeugen von irdischem Blick. Allein die Götter über ihr und die Natur hienieden waren die Zuschauer dieses gewaltigen Ringens. Um sie herum nur die ernsten Berge, die himmelwärts wiesen, das grüne, flüsternde Gehölz mit seinem breiten, tiefen Sinnen, das unablässig seine dumpfen Zauberworte murmelte. Ein dichtes, farbenprächtig in sein Selbst gehülltes Leben, gekleidet in der Blätter lebhafte smaragdene Eintönigkeit, besetzt mit bunten Sonnenstrahlen und freundlichen Blumen, umgab den abgeschiedenen Schauplatz ihres Geschicks. Dort war zur vollen Größe ihres Geistes sie herangewachsen: Der Genius titanenhafter Mächte tiefen Schweigens, der ihre Seele ganz in Einsamkeit versenkte, hatte die reine Wirklichkeit ihres Selbsts ihr gezeigt und sie mit ihrer Umwelt vermählt. Deren Einsamkeit erhöhte ihr die Stunden ihres Menschseins vor einem Hintergrund des Ewigen und Einzigartigen. Die Kraft zu dürftigem und kärglichem Behelf dessen, was nötig ist, verminderte das schwere Rahmenwerk der Tage, in dem der Mensch mit einer Masse äußerer Bedürfnisse sich überlastet zu ersten schmalen Streifen dessen, was das einfache Geschöpf benötigt. Drum hatte diese weite Mächtigkeit der urtümlichen Erde, die still in sich gekehrte Menge geduldiger Bäume, die saphirblaue träumende Gelassenheit des Himmels, sowie das feierliche Gewicht der langsam dahinziehenden Monde in ihr den tiefen Raum gewährt für Denken und für Gott. Dort wurde ihres Dramas strahlender Prolog gelebt. Es war ein Ort für den Wandel des Ewigen auf Erden, geschaffen in der klösterlichen Inbrunst der Wälder, bewacht vom Himmelsstreben der Gipfel, erschienen durch eine goldene Öffnung derzeit, wo Stille lauschend ungesprochnes Wort empfand, die Stunden vergaßen, zu Gram und Wechsel zu verstreichen. Hier kam ganz plötzlich, wie es göttlichen Adventen eigen ist, das Wunder der ersten Herabkunft wiederholend, den dumpfen Lauf des Irdischen in seliges Entzücken wandelnd, jene Liebe zu ihr, die den Tod, ihren Schatten, verbarg. Wie gut vermochte Liebe das vollkommne Heiligtum in ihr zu finden! Denn seit das Erdenwesen anfing, himmelwärts zu wachsen, durch all die Prüfungen der Menschenart hindurch, hat keine seltenere Kreatur den Pfeil ertragen, mit dem die Gottheit unsre Wesensseiten prüft, als Blitzstrahl aus den Höhen tief in unsern Abgrund. Alles in ihr wies hin auf edleren Charakter. Der Weite unsrer Erde nahe und dem Himmel zugetan, durchwanderte ihr junger weit-schauender Geist die Welten voller Herrlichkeit und Ruhe und überflog des Denkens Wege zu den ungebornen Dingen. Ihr Wille glühte, Selbst-gegründet, niemals strauchelnd. Ein Meer von weißer Lauterkeit war ihr Mental, im Strömen leidenschaftlich, aber ohne trübe Wogen. Wie eine Priesterin bei mystischem, von Kraft erfülltem Tanz, in ihren göttlich-lauteren Ekstasen ermutigt und gelenkt wird aus offenbarem Himmel der Wahrheit, bewegte sie in einer Prophezeiungsgrotte ihrer Götter ein Herz des Schweigens in den Händen tiefer Freude, in dem ein reicher schöpferischer Pulsschlag wohnte, in einem Körper gleich dem Gleichnis eines frühen Morgens, wie eine Nische für verhüllte Göttlichkeit oder als goldnes Tempeltor zu jenseitigen Dingen. In ihren zeitgeborenen Schritten wiegten sich Rhythmen der Unsterblichkeit. Ihr Blick, ihr Lächeln weckte himmlisches Empfinden sogar im Erdenstoff, und deren intensive Seligkeit verströmte jenseitige Schönheit in der Menschen Leben. Sich weithin selber geben war ihr angebornes Handeln. Ihr Edelmut glich dem des Meeres oder dem des Himmels, umgab mit seiner Größe alle, die da kamen, und schenkte das Gefühl von einer höheren Welt. Ihr freundliches Umsorgen war ein lieblich-milder Sonnenschein, ihr Herzens-Überschwang die Ausgeglichenheit des blauen Himmels. Wie eine Seele fliegen wird, gejagtem Vogel gleich, wenn sie mit müden Schwingen stürmischer Welt entkommt und Ruhe findet gleichsam an der Brust, an die sie sich erinnert, in einem sichern Hafen bei herrlich sanftem Ausruhen, konnte man wieder Leben trinken in Strömen von Honigfeuer und die verlorene Gewohnheit echter Freude zurückgewinnen, die wunderbare Umgebung ihres strahlenden Wesens fühlen und neue Lebensfreude schöpfen in ihrer Wärme und Farbigkeit. Die Tiefe ihres Mitgefühls, ein verschwiegenes Heiligtum, war ihre innere Hilfe und schloß ein Tor im Himmel auf. Weiter als das Universum war die Liebe in ihr, in ihrem Herzen konnte die ganze Welt Zuflucht finden. Die unbefriedigte erhabene Gottheit konnte darin wohnen. Frei von der eingesperrten Luft des zwergenhaften Ichs vermochte ihre Stimmung deren feinem Atem zu beherbergen. den geistigen, der alle Dinge göttlich machen kann. Denn selbst ihre Abgründe waren Heimlichkeiten von Licht, sie war zugleich die Stille und das Wort, Gefäß für jenen Frieden, der sich selbst verströmt, ein Meer von jungfräulichem Feuer, das nie flackert; die Stärke und das Schweigen jener Götter war ihr eigen. Er fand in ihr die ungeheure Weite wie bei sich selbst. Und seinen hohen, warmen, feinen Äther fand er wieder, bewegte sich in ihr natürlich wie im eignen Heim. Er traf in ihr zusammen mit der eignen Ewigkeit.

    Bis hierhin hatte keine Trauer-Linie diesen Strahl gehemmt. An der gefahrenreichen Erde schwacher Brust seit ihr Gesichtskreis in durch Atem eng begrenztem Haus sich öffnete in Sympathie für glücklichere Sterne, auf denen Leben nicht dem kummervollen Wechsel preisgegeben ist, blieb sie der Schönheit eingedenk, die todgeweihte Augen nie gesehen. Verwundert über diese Welt brüchiger Formen, die so wie Kinobilder hingeworfen sind auf Leinwandstreifen der verworrnen Zeit, genoß sie jene Straffreiheit der ungebornen Mächte. Und wenn sie sich auch beugte, um die Last der Menschen mitzutragen, behielt ihr Schreiten doch der Götter Maß. Der Erde Atem hatte diesen wunderbaren Spiegel nicht beflecken können. Er blieb vom Staub der Atmosphäre unsrer Sterblichkeit verschont und strahlte immer noch des Himmels Geistesfreude wider. Fast sah man jene, die in ihrem Lichte lebten, ihren Gefährten beim Spiel in den immerwährenden Sphären, wie er aus seinen unerreichbaren Bezirken niederstieg in ihrer verlockenden Ankunft leuchtender Spur, den feuerflügligen und weißen Drachenvogel unendlicher Wonne der mit brennenden Schwingen über ihren Tagen schwebte. Des Himmels stiller Schild beschützte den kindlichen Boten. Der frühe Ausdruck ihres Wesens war das Leuchten einer Umlaufbahn. Die Jahre waren wie das goldene Kleid der Götter, das vorübergeht. Auf stiller Glückseligkeit thronte ihre Jugend. Doch kann die Freude niemals bis zum Ende dauern: In den irdischen Dingen waltet jene Finsternis, die einen allzu frohen Klang nicht lange dulden will. Auch über ihr schloß unentrinnbar sich die Hand zusammen: Der Unsterbliche war bewaffnet mit der Fangschlinge der Zeit. Es nahm sich ihrer einer an, der den belasteten Großen begegnet, und der die Schicksalsprobe und den Pfad bestimmt, der in dem Holocaust der Seele den Tod, den Fall wählt und das Leiden als des Geistes Antriebskräfte, die zweideutige Gottheit, die mit der Fackel solchen Leidens den Abgrund der noch unfertigen Welt erleuchtet, und von ihr forderte, mit ihrem reichen Selbst die Kluft zu füllen. Erhaben und erbarmungslos in seinem ruhigen Betrachten verschärfte der Eine noch die fürchterliche Strategie des Ewigen und maß die Schwierigkeit entsprechend ihrer Kraft und grub die Kluft noch tiefer, die wir alle überschreiten müssen. Er griff die Göttlichsten in ihren Elementen an und machte ihr Herz verwandt mit jenen ringenden menschlichen Herzen und zwang so ihre Kraft zu dem ihr vorbestimmten Weg. Deshalb hatte sie eingewilligt in den Atem einer Sterblichen. Sie war gekommen, um mit dem Schatten zu ringen, und mußte sich dem Rätsel der Geburt des Menschen stellen sowie dem kurzen Lebenskampf in jener Nacht dumpfer Materie. Entweder Unwissenheit zu ertragen und den Tod oder die Wege auszuhauen zur Unsterblichkeit und für den Menschen dieses göttergleiche Spiel hier zu gewinnen oder zu verlieren, war ihrer Seele Auftrag, ausgemacht im Würfelspiel des Schicksals. Doch sie war nicht geboren, um nachzugeben und zu erdulden; zu führen, zu befreien war die ihr bestimmte große Rolle. Denn sie war kein Gebilde erdenhafter Art, geeignet nur für eines Tags Verwendung geschäftiger sorgloser Mächte, kein Kinobild, das auf dem Schirm des Schicksals flimmerte, nur halbbelebt für eine schnell vorübergehende Schau, oder ein weggeworfnes Treibholz auf dem Ozean des Begehrens, hineingeschleudert in die Wirbel unbändigen Wogenspiels, in Strudeln zufälliger Umstände nur hin- und hergeworfen als ein Geschöpf, geboren, um sich unter dieses Joch zu beugen, ein Sklave und ein Spielzeug für die Herrn der Zeit, oder ein Bauer mehr im Schachspiel, um gerückt zu werden, in langsamer Bewegung vorwärts auf dem unbeschränkten Brett, im Spiel der Erdenseele mit dem schrecklichen Verhängnis, — denn so wird diese menschliche Figur herumgeschoben von der Zeit. Doch hier war ein bewußter Rahmen, eine aus dem Selbst geborne Kraft. In diesem Rätsel in der Dämmerung Gottes, in diesem langsamen, befremdlich mühevollen Kompromiß eingrenzender Natur mit einer grenzenlosen Seele, wo alles im gesetzlich festgelegten Zufall sich bewegen muß und einer blinden unbekümmerten Notwendigkeit, hier darf des Geistes Feuer nicht zu hoch emporzulodern wagen. Denn würde es einst jene starke, ursprüngliche Flamme treffen, könnten als Antwort alle festgelegten Maße zerschmettert werden, und die Erde würde niedersinken unter der Last des Unendlichen. Einem Kerker gleicht die unermeßliche materielle Welt. Jede Straße blockiert ein steinäugiges Gesetz, an jedem Tore ziehen finstre Riesenwächter auf und ab. Ein graues Tribunal der Einfältigkeit, eine Inquisition der Priester der Nacht sitzt zu Gericht über die Seele, die das Abenteuer wagt. Die doppelten Gesetzestafeln und die Norm des Karmas zwingen den Titan und den Gott in uns in Schranken. Der Schmerz mit seiner Peitsche, die Lust mit ihrem silbernen Bestechungsgeld bewachen des Rades kreisende Unbeweglichkeit. Dem hoch aufsteigenden Mental ist eine Fessel angelegt, ein Siegel auf das allzu große, weit offne Herz. Der Tod hält den reisenden Entdecker Leben auf. So ist der Thron des Unbewußten wohl gesichert, während die langsame Bewegung der Äonen sich vorüberspult, das Tier in seiner heiligen Umzäunung döst, der goldne Falke nicht mehr durch die Himmel kreisen kann. Doch eine Frau stand auf und zündete die grenzenlose Flamme. Verhaftet von der finstern Macht, die jede Wonne haßt, vor jenes schreckliche Gericht gestellt, wo man für Freude mit dem Leben zahlt, verurteilt von dem Richter, der mechanisch urteilt, zu einer Strafe, die die Hoffnungen des Menschen niederschlägt, beugte sie dennoch nicht ihr Haupt vor hartem Urteilsspruch, sondern entblößte hilflos vor des Schicksals Streich ihr Herz. So beugt sich der mental-geborene Wille in dem Menschen, gehorsam den Statuten, festgelegt seit alters, und läßt ohne Berufung die niederen Götter zu. Das Übermenschliche — es säte seine Saat in sie. Unfähig, seiner Träume starken Schwung hier zu entfalten, wies es ihr Geist zurück, sich an den allgemeinen Boden zu binden oder, da er sich aller goldenen Bedeutungen des Lebens beraubt fand, sich mit der Erde zu vergleichen und aus den Sternen getilgt zu werden oder in schierer Verzweiflung das von Gott gegebene Licht selbst zu ersticken. Deshalb erbat ihr Wesen, das an das Ewige und Wahre gewöhnt und das bewußt war jener Quellen seiner Göttlichkeit, nicht Linderung des Schmerzes von der sterblichen Gebrechlichkeit und überdeckte nicht das eigene Versagen mit Schachern oder Kompromiß. Sie hatte doch ein Werk zu tun, ein Wort zu sprechen: Sie schrieb die unvollendete Geschichte ihrer Seele, geprägt in Taten und Gedanken, in das Notizbuch der Natur, sie lehnte ab, die lichte Seite abzuschließen, den Handel mit der Ewigkeit nun abzubrechen, die Unterschrift schwächlicher Zustimmung unter die grausame Bilanz des Börsenspieles dieser Welt zu setzen. Die Kraft in ihr, die sich seit der Erschaffung dieser Erde mühte, den großen Weltenplan im Leben zu vollenden und nach dem Tod die unsterblichen Ziele zu verfolgen, weigerte sich, die unfruchtbare Rolle der Enttäuschung zuzugeben, den Sinn der Zeitgeburt sich zu verscherzen, der Herrschaft zufälliger Tatbestände sich zu fügen, dem Schicksal, das vergeht, ihre erhabene Bestimmung aufzuopfern. In ihrem eignen Selbst fand sie den hohen Rückhalt. Mit ehernem Gesetz entsprach sie ihrem souveränen Recht. Ihr Einzelwille widersetzte sich kosmischer Regel. Die Räder des Verhängnisses zu stoppen, hatte sich ihre Größe aufgerichtet. Und als der Ungesehene an ihre verborgenen Tore klopfte, erwachte ihre Kraft, durch Blitzeinschlag erhöht, vom Schlummer in den innersten Bereichen ihres Herzens. Sie hielt den Schlag von Jenem aus, das tötet und errettet. Dem fürchterlichen Aufmarsch, den kein Auge sehen kann, trat sie entgegen versperrte schreckensvollen Weg, den sonst kein Wille ändern kann, begegnete mutig den Mechanismen dieses Universums. Dem Weg der anrollenden Räder stellte sich ein Herz entgegen: Deren gewaltiges Wirken hielt an vor einem menschlichen Mental, und ihre starren Regeln trafen auf die Flamme einer Seele. Ganz plötzlich wird hier eines Hebels Zauberkraft entdeckt, der den zeitlosen Willen des verhüllten Unaussprechlichen bewegt. Nur ein Gebet, ein Meister-Akt, Königsgedanke vermag des Menschen Kraft mit transzendenten Mächten zu verbinden. Dann wird das Wunder zum allüblichen Gesetz, kann eine einzig große Tat den Lauf der Dinge verändern, wird ein einsamer Gedanke allmächtig. Jetzt scheint noch alles der massierte Mechanismus der Natur zu sein; denn endlose Versklavtheit unter materielle Herrschaft, die starre Kette unverbrüchlicher Bestimmung und deren starke unveränderte Gewohnheiten, die ein Gesetz nachäffen, ihr Reich von einer unbewußten raffinierten Planung, hebt des Menschen Anspruch an den freien Menschenwillen auf. So ist der Mensch auch eine Maschine unter Maschinen; die Ventile des Gehirns pumpen die Formen seines Denkens hervor, die Schläge eines Herzens stanzen die Weisen seines Fühlens aus; empfindungslose Energie fertigt die Seele an, der Welt Gestaltung offenbart die Zeichen festgelegten Zufalls, der ihre alten Schritte wiederholt in Kreisen um die Achsen der Materie. So herrscht hier eine Zufalls-Serie unvernünftiger Ereignisse, der die Vernunft den trügerischen Sinn verleiht, oder triebhaftes Suchen des auf Erfahrung beruhenden Lebens, das gewaltige Wirken eines unermeßlichen unwissenden Mentals. Jedoch die Weisheit kommt, und in dem Innern wächst die Schau. Dann krönt das Werkzeug der Natur sich selbst als deren König; er fühlt sein Selbst, als Zeuge, und seine vollbewußte Macht; seine Seele tritt zurück und erkennt das erhabene Licht. Eine Gottheit steht hinter dem brutalen Mechanismus. Diese Wahrheit brach mit dem Triumph von Feuer herein. Für Gott war im Menschen ein Sieg errungen, die Gottheit offenbarte ihr verborgenes Angesicht. Jetzt stand in Savitri die große Welten-Mutter auf. Lebendige Entscheidung wandelte des Schicksals kalte tote Richtung um, bestätigte dem Geist, daß er die Umstände zertreten kann, drängte das sinnlos-schreckliche kreisende Rad zurück und brachte jenen stummen Lauf der unerbittlichen Notwendigkeit zum Halt. Ein leuchtender Krieger aus den ewigen Höhen mit Vollmacht, die verbotene, verschlossne Pforte aufzubrechen, riß von des Todes Antlitz dessen dumpfe Unbedingtheit und sprengte so die Fesseln des Bewußtseins und der Zeit.

    Canto 3

    Der Yoga des Königs: Der Yoga von der Befreiung der Seele

    Der Welt Verlangen erzwang Savitris sterbliche Geburt. Einer stand vorn im unvordenklichen Bestreben, ein Vorkämpfer im rätselhaften Spiel, in dem der Unbekannte sich durch Formen selbst zu finden sucht und durch die Stunden seine Ewigkeit begrenzt und wo die blinde Leere darum ringt, zu leben und zu sehen, — ein Denker und ein Schwerarbeiter in der Luft des Ideals, der ihre lichterfüllte Macht herniederbrachte in der Erde stumme Not. Ihm eigen war ein Geist, der sich aus höheren Sphären niederließ in unsere Provinz, wo man nur Eintags-Dinge überschaut, ein Anwohner aus der Unsterblichkeit. Gleich einem Scheinwerfer auf dieser Erde ungewissen Straßen, gab seine Herkunft Hinweis und Symbol. Sein menschliches Selbst umhüllte wie ein durchscheinendes Kleid jenen All-Weisen, der die blinde Welt regiert, Innigst verbunden mit Raum und Zeit des Kosmos, beglich er hier Gottes Schuld gegenüber Erde und Mensch, und höhere Sohnschaft war sein göttliches Recht. Auch wenn er sich sterblicher Unwissenheit freiwillig unterzog, hatte sein Wissen doch Anteil an dem unsagbaren Licht. Als Kraft aus der ursprünglichen Beständigkeit, die in den Augenblick verwickelt ist und in sein Fließen, verlor er nie die Schau der Weiten dahinter: In ihm war eine Vollmacht aus dem Unwissbaren. Als Archivar der Sinnbilder des Jenseits, als Schatzmeister der Träume von dem Übermenschlichen trug er das Signum mächtiger Erinnerungen und goß deren grandiosen Schein aufs menschliche Leben. Seine Tage waren ein Wachsen zum Allerhöchsten. Ein himmelwärts gerichtet Wesen, das die eigenen Wurzeln mit Nahrung aus okkulten Quellen des Geistes nährt, klomm er durch weiße Strahlen aufwärts, um eine ungesehene Sonne zu erreichen. Seine Seele lebte als Delegierter aus der Ewigkeit, und sein Mental war wie ein Feuer, das zum Himmel lodert, sein Wille war ein Jäger auf des Lichtes Fährten. Ein Antrieb einem Ozean gleich hob jeden Atemzug empor, und all sein Handeln ließ eine Fußspur Gottes hier zurück. Ein jeder Augenblick war Flügelschlag mächtiger Schwingen. Der kleine Erdenfleck unserer Sterblichkeit, berührt von diesem Einwohner aus jenen Höhen, wurde zu einem Spielplatz des lebendigen Unendlichen. Doch diese leibliche Erscheinung ist nicht alles. Die äußere Gestaltung täuscht, Person ist Maske; verborgen tief im Menschen können Himmelsmächte wohnen. Sein schwaches Lebensschiff trägt durch das Meer der Jahre ihn als Inkognito des Unvergänglichen. Ein Geist, der eine Flamme Gottes ist, verbleibt in ihm als feuriger Bestandteil jenes Wundervollen, als Künstler eigner Schönheit, eigner Wonne, unsterblich in der Armut unsrer Sterblichkeit. Und dieser Bildner der Gestalten des Unendlichen, der Innewohnende, der so verhüllt ist und so unerkannt, der Eingeweihte seiner eigenen verborgenen Mysterien, versteckt sein kosmisch-weites Denken im kleinen stummen Samenkorn. In der wortlosen Stärke der verborgenen Idee, die auserwählte Tat und Form genau vorausbestimmt, reist er von Leben zu Leben, von Stufe zu Stufe, wandelt dabei das Abbild seines Selbsts von Form zu Form, sieht die Ikone unter seinem starren Anblick wachsen, und in dem Wurm sieht er den Gott voraus, der kommt. Zuletzt gelangt der Wanderer auf den Pfaden der Zeit an die Grenzen der Ewigkeit. In das vergängliche Sinnbild des Menschseins gekleidet, empfindet er seine Substanz unsterblichen Selbsts und verliert seine Blutsverwandtschaft mit der Sterblichkeit. Es trifft ein Strahl des Ewigen sein Herz, sein Denken dehnt sich bis ins Unendliche. Alles in ihm wendet sich der Unermeßlichkeit des Geistes zu: Die Seele bricht aus ihm hervor, um sich der Überseele zu verbinden. Sein Leben wird durch jenes Über-Leben meerhaft ausgedehnt. Er hat getrunken von den Brüsten der Mutter aller Welten. Übernatur, unüberragbar, füllt den Rahmen seines Wesens. Sie nimmt den immerwährenden Grund seines Geistes als sichere Basis ihrer wechselvollen Welt an und formt so das Äußere ihrer ungeborenen Mächte. Als selbst unsterblich konzipiert sie sich in ihm und wirkt in dem Geschöpf entschleiert als die Schöpferin: Man sieht ihr Angesicht durch sein Gesicht und ihre Augen durch die seinen; durch weite volle Gleichheit ward so ihr Wesen seines. So wird im Menschen die enthüllte Gottheit offenbar. Feststehendes Geeintsein und wirksame Macht, die Siegel integraler Gottheit, kommen in ihm nieder: Sein Leib und seine Seele nehmen jene wunderbare Prägung an. Das Leben eines Menschen ist die lange trübe Vorbereitung, ein Kreislauf von Mühsal und Hoffen, Krieg und Frieden, vom Leben festgelegt auf der Materie dunklem Grund bei seinem Aufstieg hin zu einem Gipfel, den noch kein Fuß betrat. Er sucht durch den von Flammen durchzuckten Halb-Schatten nach einer halberkannten, verhüllten, stets verfehlten Wirklichkeit, ein Forschen nach dem nie gefundenen Etwas oder Jemand, Verehrung des Ideals, das niemals hier verwirklicht wurde, endlose Spirale von Aufstieg und Fall, bis schließlich jener ungeheuer große Punkt erreicht ist, an dem die Glorie dessen scheint, für den wir einst erschaffen wurden, und wir uns öffnen in die Unermeßlichkeiten Gottes. Über die Grenze unseres Wesens hinaus entkommen wir in jenen Bogen von der Übernatur lebendigem Licht. Dies wurde jetzt in jenem Sohn der Kraft bezeugt, es legte jeder hohe Übergang in ihm sein Fundament. Im ursprünglichen, jenseitigen Innewohnen, als dessen künstlerisches Handeln jeder Fortschritt der Natur geschieht, legte der kosmisch Wirkende verborgen Hand an, um diese schwache Lehm-Maschine für Himmelszwecke umzuwandeln. Es wirkte eine Gegenwart hinter dem rätselhaften Vorgang: Sie stampfte seinen Boden wegen des Gewichts eines Titanen, verfeinerte die halbfertigen Blöcke von naturgemäßer Kraft und baute seine Seele auf zu dem in Stein gehaunen Gott. Der Meister des magischen Materials des Selbsts, der an dem hohen und schwierigen Plan in ausgedehnter Werkstatt dieser wunderbaren Welt arbeitet, formte in eigentlicher Zeit die rhythmischen Partien. Dann kam ganz plötzlich dieses transzendente Wunder: Es konnte die vermummte makellose Hoheit, die im geheimen Schoß des Lebens in den Wehen liegt, die Umrisse erträumter Herrlichkeit kommender Dinge zeigen. Sie fügte jetzt als Krone der Architektur der Welten, als ein Mysterium der vermählten Erde mit dem Himmel, zu seiner sterblichen Struktur die Göttlichkeit hinzu. Ein Seher ward geboren, ein strahlend heller Gast der Zeit. Die Grenzen des mentalen Firmamentes hörten oben für ihn auf. An der hell-dunkeln Vorderseite von Macht und Tag entstand ein Spalt im Gewölbe, das alles verbarg. Die bewußten Ziele des Wesens vergingen und rollten zurück. Es fielen die Grenzsteine der winzigen Person, das Insel-Ego einte sich mit seinem Festland. Die Welt der starren eingrenzenden Formen war vergangen: Des Lebens Schranken öffneten sich hin ins Unbekannte. Die überkommenen Gesetze der Begriffswelt waren aufgehoben, und mit der Aufhebung der harten Klausel dieser Unterwerfung wurde der Seele Bündnis mit der unwissenden Art getilgt. Zerrissen wurden all die grauen hemmenden Verbote, zerbrochen ward des Intellektes harter, glänzender Verschluß. Die ungeteilte Wahrheit fand ihren grenzenlosen Himmelsraum, und eine Schau des höchsten Himmels nahm wahr und wußte. So ward das eingeschlossene Mental zum unbegrenzten Licht. Das Selbst der Endlichkeit vermählte sich mit der Unendlichkeit. Des Sehers Fortschritt schwang sich hoch in eines Adlers Flug. War er bisher der Lehrling der Einfältigkeit gewesen, so hob ihn jetzt die Weisheit hoch zu ihrer Meister-Kunst und machte ihn zum ersten Steinmetzen der Seele, zu dem Erbauer des heimlichen Hauses des Unsterblichen, zum Anwärter der überirdischen Zeitlosigkeit: Freiheit und Herrschaft riefen ihn von jener Höhe an. Über dem Zwielicht des Mentals und der sterngeführten Nacht des Lebens erglänzte nun ein heraufdämmernder spiritueller Tag.

    Als so der Seher zu dem höheren Selbst erwuchs, gestaltete sein Menschsein sein Verhalten immer weniger. Ein höheres Wesen schaute eine höhere Welt. Ein Wille nach Erkenntnis wagte furchtlos die Seile zu durchschneiden, die Vernunft zur Sicherung uns spannt und die verhindern, daß das Mental aufsteigt, die Seele untertaucht in das Unendliche. Schon seine ersten Schritte zerbrachen unsere kleinen Erden-Bindungen und wanderten in einer unermeßlicheren, freien Luft. In Händen, unterstützt von einer umformenden Macht, hob er so leicht empor wie eines Riesen Bogen, der in versiegelter, geheimer Höhle hinterlassen war, die Kräfte, die im Innern eines Menschen unverwendet schlafen. Aus dem Mirakel machte er normales Handeln und wandelte es so zu dem gewohnten Teil göttlicher Werke, wie sie auf dieser Höhe herrlich und natürlich sind, Anstrengungen, die sonst die Kraft sterblicher Herzen brechen, hier nun vollbracht in königlicher Würde und machtvoller Gelassenheit, Ziele, die zu erhaben für den Alltags-Willen der Natur sind. Des Geistes Gaben kamen dichtgedrängt zu ihm herab; sie waren seines Lebens Grund-Struktur, sein Privileg. Die reine Wahrnehmung verlieh ihm helle Freude: Denn deren innerste Vision wartete nicht darauf, zu denken: Mit einem Blick allein umfaßte sie die Ganzheit der Natur und schaute in das wahre Selbst der Dinge. Nicht mehr getäuscht durch Form, sah er die Seele. Sie wußte, was in den Wesen lauerte, diesen selbst unbekannt, und sie ergriff die mentale Idee, den Wunsch im Herzen; sie zog aus grauen Falten des Geheimnisses all die Motive hervor, die Menschen sonst vor eignem Blick verbergen. Er fühlte wie der Pulsschlag anderer Menschen mit ihrem Glück und ihrem Kummer in ihn eindrang. Ihre Liebe, ihr Zorn und ihr unausgesprochenes Hoffen kamen in Strömen oder flutendem Gewoge in jenen unbewegten Ozean seiner Stille. Er hörte seiner eigenen Gedanken inspirierten Klang, der widerhallte im Gewölbe des Mentals von anderen. Der Welt Gedankenströme drangen in sein Wissen. Sein innres Selbst wuchs näher an das Selbst von anderen, trug so die Bürde von Verwandtschaft, ein gemeines Band; doch stand es unberührt davon, ein König seiner selbst, allein. Ein magischer Akkord belebte die alten irdischen Saiten und stimmte sie ein zu ätherischen Symphonien Er rüttelte die Diener des Mentals und Lebens auf, so daß sie frohe Partner wurden im Widerklang der Seele. Zu empfindsamen Saiten wandelten sich Gewebe und Nerven zu Zeugnissen des Schmelzes der Verzückung. So wurden Mittel des Körpers in Diener des Geistes umgewandelt. Ein mehr himmlisches Wirken aus feinerer Lebensart erleuchtete mit seiner Anmut des Menschen äußerlich-irdisches Wesen. Der Seele Erfahrung von ihren tieferen Schichten schlief nun, nicht mehr betäubt von der Materie Vorherrschaft. In jener Todesmauer, die uns vom größeren Selbst abschließt, öffnete sich in die Verborgenheit scheinbaren Schlafes, zu der geheimnisvollen Gegend jenseits unserer wachen Gedanken eine Tür, die eingebaut ist dank der Materie Kraft, die die Dinge freigab, die irdischer Sinn nie begriff: Eine uns bisher unsichtbare, dem äußeren Mental noch unbekannte Welt erschien im schweigenden Bereich der Seele. Der Seher saß hier in geheimen Kammern und schaute hinaus in die lichten Länder der Ungeborenen, wo alle Dinge, die das Mental erträumt, sichtbar und wahr sind, und all das, was das Leben sich ersehnt, ganz nah herangezogen ist. Dort sah er die Vollkommenheit in ihren Sternenheimen, umkleidet mit der Herrlichkeit todloser Gestalt. Sie lagen in den Armen des Ewigen Friedens, entrückt in den Herzschlag der Gott-Ekstase. Er lebte in dem mystischen Bereich, wo Denken geboren wird und der Wille gepflegt wird von einer ätherischen Macht und genährt wird mit der weißen Milch der Kräfte des Ewigen, bis er zur Ebenbildlichkeit eines Gottes herangewachsen ist. In den okkulten Räumen des Zeugen mit den mentalerbauten Mauern öffneten sich ihm die Fenster der inneren Schau auf verborgene Innenräume und unheimliche Passagen. Er war der Eigentümer dieses Hauses der unzerteilten Zeit. Er hob des Fleisches schweren Vorhang hoch und stand auf einer Schwelle, über der die Schlange wachte, und spähte in die schimmernden endlosen Korridore und schwieg und lauschte angespannt im Schweigen seines Herzens auf die Ankunft des Neuen und des Unbekannten. Er starrte hinweg über die leeren Schweigsamkeiten und horchte auf die Schritte der Idee, der nie erträumten, auf den Alleen im fernen Jenseits. Er hörte die geheime Stimme, jenes Wort, das weiß, und sah dort das geheime Angesicht, das unser eignes ist. Die innern Ebenen enthüllten ihre Tore aus Kristall. Da rührten fremde Einflüsse und Mächte an sein Leben. Es kam ihm die Vision von höheren Bereichen als den unsrigen und ein Bewußtsein leuchtenderer Himmel und Gefilde, von Wesen, weniger begrenzt als kurzlebige Menschen, und Körpern, die viel zarter sind als die vergänglichen Gestalten, von Gegenständen, viel zu fein für unser materielles Greifen, und Taten, die von übermenschlicher Erleuchtung sprühen, Bewegungen, die von einer überbewußten Kraft getrieben sind, und Freuden, wie sie nie durch die Glieder Sterblicher strömten, von lieblicheren Szenen als den irdischen und glücklicheren Leben. Denn dort ersetzte ein Bewußtsein, erfüllt von Schönheit und Wonne, und ein Erkennen, das identisch ward mit allem, was es wahrnahm, die abgesonderten mentalen Sinne und das Herz und zog die All-Natur in seine innige Umarmung. Um den verborgnen Welten zu begegnen streckte sich das Mental aus, die Luft erglühte, sprühte von wunderbaren Farben und Gestalten, das Riechen schwelgte im Genuß himmlischer Wohlgerüche, und auf der Zunge lag der Wohlgeschmack des Honigs aus dem Paradies, Zu einem Weg universaler Harmonie, zu einem Fluten magischen Gehörs wurde das Lauschen, zum Strom okkulter Töne, die die Erde nicht vernehmen kann. Da drang aus dem geheimen Trakt des schlafbefangnen Selbsts die Stimme einer tief versunkenen und unbekannten Wahrheit, die unterhalb der Oberflächen dieses Kosmos fließt und die man nur in einem allwissenden Schweigen hört und festhält durch intuitives Herz und den geheimen Sinn. Sie nahm die Bürde der versiegelten und schweigenden Geheimnisse auf sich und ward zur Stimme jener unerfüllten Forderung der Erde und für das Lied von der Verheißung der noch ungeahnten Himmel und alles dessen, was sich verbirgt in allgewaltigem Schlaf. In diesem Drama, das nie aufhört, von der Zeit stets fortgetragen wird auf ihrer lange zuhörenden Flut, die der Welt unlösbaren schweren Zweifel hinträgt auf einer Pilgerreise ohne Ziel, schäumte und sprühte ein Gelächter schlaflosen Vergnügens auf und ein Gemurmel von Begehren, das nicht sterben kann. Ein Schrei kam aus der Seligkeit der Welt, die existieren will, und von der Herrlichkeit und Größe ihres Lebenswillens, das an der Seele Abenteuerreise in den Raum erinnerte, an jenen Wandrer durch die magischen Jahrhunderte und an des Wesens mühevolle Arbeit im Universum der Materie, an seine Suche nach der mystischen Bedeutung eigener Geburt und an die Freude über eine hochgeistige Antwort, an Seufzer der Erfüllung und Zufriedenheit und all die Lieblichkeit der Gaben dieses Lebens, an seinen tiefen Atem und an den Pulsschlag, die Erregung einer Hoffnung, einer Furcht, an den Geschmack der Schmerzen und der Tränen der Verzückung, an der Begeisterung bitteren Hieb von jäher Wonne, an das Geschluchze seiner Leidenschaft und seines Leidens ohne Ende. Das Murmeln und das Flüstern all der ungehörten Klänge, die sich um unsre Herzen drängen, doch kein Fenster finden, um bei uns einzudringen, sie schwollen an zu einem Klagelied von allem, was darunter leidet, noch unbekannt zu sein, von allem, das vergebens sich bemüht, daß es geboren wird, von all der Lieblichkeit, die niemand je genießen wird und all der Schönheit, die sich nie ereignet. Unhörbar unsern sterblichen und tauben Ohren webten die weiten Welten-Rhythmen ihren erstaunlichen Gesang, dem unser Leben hier sich müht, den eignen Rhythmus anzupassen, wobei wir unsre Grenzen einschmelzen in das Unbegrenzbare und dieses Endliche einstimmen in Unendlichkeit. Ein leises Flüstern entstieg den unbewußten Höhien, das Stammeln jener urtümlichen Unkenntnis. Als Antwort auf undeutlich ausgesprochne Fragen neigte sich herab mit blitzendem Genick und Donnerschwingen ein strahlender Hymnus an das Unausdrückbare, Jubelgesang überbewußten Lichts. Alles wurde enthüllt, was niemand hier auszudrücken vermag. Vision und Traum wurden zu Fabeln, von einer Wahrheit erzählt, oder zu Sinnbildern, die aufrichtiger sind als Tatsachen, oder Wahrheiten, bekräftigt durch übernatürliche Siegel. Die Augen der Unsterblichen nahten sich und blickten in seine, und Wesen kamen aus vielen Bereichen und sprachen: Die Ewiglebenden, die wir die Toten nennen, konnten ihre Herrlichkeit jenseits von Tod und von Geburt verlassen, um jene Weisheit zu verkünden, die viel tiefer ist als jede Rede. Die Könige des Bösen und die Könige des Guten, Berufungskläger vor dem Richterstuhle der Vernunft, verkündeten das Evangelium ihrer Gegensätzlichkeiten, und alle glaubten, daß sie selbst die Sprecher Gottes seien: Mit den Titanen aus der Finsternis rangen die Götter des Lichts um seine Seele wie um einen kostbaren Preis. In jeder Stunde, die sich aus dem Köcher der Zeit löste, erhob sich ein Gesang zum Lobe einer neuen Offenbarung, des Bogenschusses Schwirren von dem jungen Versuch. So ward ihm jeder Tag zu einer geistigen Romanze, als ob er schon in eine lichte neue Welt geboren wäre. Das Abenteuer sprang ihn unerwartet an als Freund, und die Gefahr erbrachte ihm den beißend süßen Schmerz von Freude: So wurde jegliches Ereignis zur eindringlichen Erfahrung. Dort gab es wichtige Begegnungen und epische Gespräche. Es kamen Ratschläge, in himmlische Reden gekleidet, und honigsüße Fürsprache, von übersinnlichen Lippen gehaucht, dem Herzen zu helfen, daß es dem Anruf der Verzückung folgt, und aus dem Reich der Schönheit drängten liebliche Verlockungen zu ihm, und plötzliche Ekstasen, die aus einer Welt der Wonne stammten. Das war ein Reich von wunderbaren Dingen und von tiefer Freude! Jetzt konnte seine strahlende Hellhörigkeit all dies empfangen: Ein Kontakt, der von mächtigen und unbekannten Dingen durchschauert war. Erwacht zu einem neuen und unirdischen Bewußtsein großer Nähe, war die Berührung Antwort auf zarte Unendlichkeiten, und bei dem Silberklang von aufspringenden Toren schossen die Blitze seines Schauens weit ins Unsichtbare. Und stetig wuchsen ihm Bewußtsein und Vision. Sie schweiften immer weiter aus und flogen höher. Er überschritt die Grenze, die die Herrschaft der Materie absteckt, und kam durch das Gebiet, wo Denken zum Ersatz für Leben wird. Aus dieser Welt der Zeichen trat er plötzlich in ein verschwiegnes Selbst, wo keine Welt mehr war, und schaute weit ins Jenseits namenloser ungeheurer Weite. Die früheren Symbol-Gestaltungen verloren hier ihr Lebensrecht, und alle Zeichen, die unsre Sinne gewahren können, fielen weg. Dort schlug das Herz nicht mehr, wenn es der Leib berührte. Dort blickten seine Augen nicht mehr nach der Schönheit Form. In seltenen leuchtenden Zwischenzeiten von geheimnisvoller Stille konnte er sich emporschwingen in eine zeichenlose Region, die vollgepackt war mit den Inhalten der Formenlosigkeit, wo diese Welt gerafft war zu dem einen Wesen, alles erkennbar war im Lichte der Identität und wo der Geist sein eignes Selbstverständnis war. Dort schaute des Erhabnen Blick durch Menschenaugen, sah alle Dinge und Geschöpfe als sich selbst, erkannte alles Denken, alles Wort als seine eigne Stimme. Dort ist die Einheit viel zu nah, als daß man nach ihr sucht und sie ergreift, und Liebe ist dort Sehnen dieses Einen nach dem Einen, und Schönheit ist die süße Unterschiedlichkeit des Gleichen, und das Geeintsein ist die Seele einer großen Menge. In einer Wahrheit einen sich dort alle Wahrheiten, und alle die Gedanken kommen wieder zu der Wirklichkeit zusammen. Dort saß, sich selbst erkennend durch ihr unbegrenztes Selbst, die Weisheit hoch erhaben, wortlos, unbedingt, ohne Gefährten in ewiger Stille, all dieses überschauend, souverän und ganz allein. Dort braucht Erkenntnis keine Worte, um den Gedanken zu verkörpern, und die Idee, die sich ein Heim sucht in der Grenzenlosigkeit, weil ohne Heimat sie ihrer Unsterblichkeit müde ist, verlangt nicht, auszuruhen in der Gedanken brillant gemeißelter Zelle, aus deren einem Fenster eng begrenzter Ausblick auf die Dinge nur einen kleinen Bogen von Gottes ungeheuer weitem Himmel überschaut. Hier ist vermählt das Grenzenlose mit dem Grenzenlosen; und weilt man dort, dann kann man ausgedehnter sein als diese Welt, dann ist man seine eigene Unendlichkeit. So lag sein Mittelpunkt nicht mehr im irdischen Mental. Es füllte eine Macht schauenden Schweigens seine Glieder: Von einer stimmelosen weißen Offenbarung eingefangen in eine hohe Schau, die alle Formen überragt, in eine Lebensweise, die das Leben übertrifft, kam er dem ruhigen Bewußtsein nahe, das alles trägt. Hier ward die Stimme, die sonst durch Sprache das Mental bewegen kann, zu einer schweigenden Erkenntnis in der Seele. Die Kraft, die nur im Handeln ihre Wahrheit fühlt, war jetzt beheimatet in einem stummen, allmächtigen Frieden. Freizeit in all dem Mühen dieser Welten, die Pause in der Freude und der Angst des Suchens, stellte die Ruhe Gottes wieder her und heilte vom Druck der Natur. Umfassende Einmütigkeit beendete das Streitgespräch des Lebens. Der Krieg in den Gedanken, Vater dieses Universums, kam zur Ruhe, und der Zusammenprall der Kräfte, die um Vormacht ringen im ungeheuren Stoß, der einen Stern erleuchtet, wie bei dem Aufbau eines Körnchens Staub, die Furchen, die im Raume ihre schweigende Ellipse drehen, tief eingepflügt durch Sehnsucht im Begehren dieser Welt, die langen

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