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Februarmond: Roman
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eBook218 Seiten2 Stunden

Februarmond: Roman

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Über dieses E-Book

Schon lange hat Gregorio Esnal keinen Sonnenstrahl gesehen. Seit er die Nachricht bekam, dass sein Freund Milo Striga von den Machthabern ermordet wurde, verschanzt er sich in seinem Zimmer und tut, was er schon immer am liebsten getan hat: Er brütet über Geschichtsbüchern und verfolgt im Radio das Geschehen in der weiten Welt.
Eines Tages erfährt er, dass Striga gar nicht tot, sondern im Gefängnis ist. Abgemagert und mit gelber Löwenmähne verlässt er sein Zimmer, um sich um Mercedita zu kümmern, Strigas halbwüchsige Tochter. Aber wie soll er es anstellen, den Ruf der Familie zu retten, wo doch erschwerend hinzukommt, dass Merceditas Mutter mit einem Liebhaber durchgebrannt ist?
Da beschließt Esnal, in diesem verschlafenen Nest Mosquitos Vorlesungen zur Menschheitsgeschichte zu halten - und den Strigas eine Ahnenreihe anzudichten, die bis zu den Neandertalern reicht. Bald hat er seine Zuhörerschaft um den Finger gewickelt, die Hausfrauen und Honoratiorengattinnen hängen von Mal zu Mal hingebungsvoller an seinen Lippen. Erst als ihm der regimetreue Oberst Valerio auf die Schliche kommt, spitzt sich die Lage zu.
Mario Delgado Aparaín erzählt die Geschichte Gregorio Esnals, der sich gegen die Mächtigen mit Gaunertricks zur Wehr setzt, mit Empathie und hintergründigem Humor. »Februarmond« ist ein witziger und poetischer Roman über die Kunst, in schwierigen Zeiten die eigene Würde zu bewahren.

Von Mario Delgado Aparaín außerdem in der Edition diá:

Die Ballade von Johnny Sosa.Roman
Aus dem uruguayischen Spanisch von Thomas Brovot
ISBN 9-783-86034-535-1
SpracheDeutsch
HerausgeberEdition diá
Erscheinungsdatum4. Apr. 2014
ISBN9783860345368
Februarmond: Roman

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    Buchvorschau

    Februarmond - Mario Delgado Aparaín

    Über dieses Buch

    Schon lange hat Gregorio Esnal keinen Sonnenstrahl gesehen. Seit er die Nachricht bekam, dass sein Freund Milo Striga von den Machthabern ermordet wurde, verschanzt er sich in seinem Zimmer und tut, was er schon immer am liebsten getan hat: Er brütet über Geschichtsbüchern und verfolgt im Radio das Geschehen in der weiten Welt.

    Eines Tages erfährt er, dass Striga gar nicht tot, sondern im Gefängnis ist. Abgemagert und mit gelber Löwenmähne verlässt er sein Zimmer, um sich um Mercedita zu kümmern, Strigas halbwüchsige Tochter. Aber wie soll er es anstellen, den Ruf der Familie zu retten, wo doch erschwerend hinzukommt, dass Merceditas Mutter mit einem Liebhaber durchgebrannt ist?

    Da beschließt Esnal, in diesem verschlafenen Nest Mosquitos Vorlesungen zur Menschheitsgeschichte zu halten – und den Strigas eine Ahnenreihe anzudichten, die bis zu den Neandertalern reicht. Bald hat er seine Zuhörerschaft um den Finger gewickelt, die Hausfrauen und Honoratiorengattinnen hängen von Mal zu Mal hingebungsvoller an seinen Lippen. Erst als ihm der regimetreue Oberst Valerio auf die Schliche kommt, spitzt sich die Lage zu.

    Mario Delgado Aparaín erzählt die Geschichte Gregorio Esnals, der sich gegen die Mächtigen mit Gaunertricks zur Wehr setzt, mit Empathie und hintergründigem Humor. »Februarmond« ist ein witziger und poetischer Roman über die Kunst, in schwierigen Zeiten die eigene Würde zu bewahren.

    »Dass über schlimme Diktaturen nicht mit Witz geschrieben werden dürfe und in Lateinamerika auch nicht geschrieben werde, ist ein frommes Vorurteil.« (Frankfurter Allgemeine Zeitung)

    »Gregorio Esnal ist ein seltsamer Vogel, kein Schelm, kein Springinsfeld oder Schwejk, eher der Eigenbrötler, der dem Lauf der Welt zusieht, bis ihm der Kragen platzt, und er sich einmischt. Delgado Aparaín umgibt ihn mit lauter komischen Figuren und abstrusen Episoden. Er erzählt die Geschichte im Stil einer Legende mit starken Worten und grellen Bildern, zu denen er immer wieder ironisch auf Distanz geht, so dass aus dem Helden- ein Bänkellied wird.« (Süddeutsche Zeitung)

    Der Autor

    Mario Delgado Aparaín wurde 1949 in Florida/Uruguay geboren und arbeitete als Journalist, Universitätsdozent und Leiter des Kulturdezernats der Stadt Montevideo, wo er auch heute noch lebt. Er veröffentlichte drei Romane und mehrere Bände mit Erzählungen. Für seinen Roman »Februarmond« erhielt er den angesehenen Premio Internacional Alfaguara.

    Der Übersetzer

    Enno Petermann, geboren 1964 in Berlin, studierte Lateinamerikanistik und Germanistik. Aus dem Spanischen und Portugiesischen übersetzte er unter anderem Romane von Sylvia Iparraguirre, Eduardo Belgrano Rawson und Adriana Lisboa. Er lebt mit seiner Familie in Potsdam.

    Mario Delgado Aparaín

    Februarmond

    Roman

    Aus dem uruguayischen Spanisch von Enno Petermann

    Edition diá

    Inhalt

    1

    2

    3

    4

    5

    6

    7

    8

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    Impressum

    Sie waren es, die das Wort hatten,

    und es herrschten Trauer und Dunkelheit.

    Viel später dann, als sie verstummten,

    kam der Februarmond

    und brachte Erleichterung.

    1

    Als der Krieger Milo Striga wegen Verschwörung gegen die Putschisten das fünfte Jahr im Gefängnis saß, lag es schon eine ganze Weile zurück, dass seine Frau, in Liebe entbrannt, mit einem erfolgreichen Vertreter für landwirtschaftliche Bücher verschwunden war, einem wirklich bezaubernden Mann, den sie auf ihren Spaziergängen durch die Gerstenfelder rund um Mosquitos kennengelernt hatte.

    Wie man hörte, hatte der Fremde sie in jenen schier endlosen Zeiten an weniger als einem Wochenende erobert, indem er ihr ausführlich vom interessanten Leben der kalifornischen Regenwürmer erzählte. Mehr brauchte es nicht, um sie davon zu überzeugen, dass es auf der Welt noch ungeahnte Reize gab, aufregende Orte fernab des mühseligen Kampfes gegen den Imperialismus, der ihr in den Jahren mit Milo Striga so viel Unglück bereitet hatte.

    Bald danach zogen sie nach San Antonio, Texas.

    Doch bevor Milos Frau Mosquitos mit ihrem braunen Pappkoffer und dem wie ein Herzass zuckenden Mund verließ, brachte sie ihre Tochter Mercedita zu Großmutter Juliana, Milos Mutter, darauf vertrauend, dass die Alte aus der Kleinen schon eine unabhängige Frau machen werde, eine Löwin, die sich selbst vor den unvermeidlichen Schlägen des Schicksals würde schützen können. So wie ihr Vater es gewollt hätte, wäre er da gewesen, um es ihr zu sagen.

    Obwohl sie das Anliegen ihrer Schwiegertochter durchaus verstand, weigerte sich Großmutter Juliana doch entschieden, das Los der kleinen Mercedita nur als eine weitere tragische Konsequenz der Ereignisse anzusehen, die ursächlich mit der schmachvollen Geschichte des Landes und, wenn man es genauer nahm, sogar mit den Exzessen eines sterbenden Weltreichs verknüpft waren.

    Die Alte hatte sich von diesen Deutungen stets abgestoßen gefühlt, schon weil die Dinge sich für sie wesentlich einfacher darstellten: Der Vater war verschwunden, die Mutter hatte ein Recht auf Glück, der Vertreter für landwirtschaftliche Bücher konnte in dieser menschenleeren Gegend nicht überleben. Daher gab es in ihren Augen keine andere Möglichkeit als die, dass Milos Frau und der Buchhändler gemeinsam auswanderten. Wobei sie im Stillen hoffte, die beiden würden eines schönen Tages zurückkehren und sich von da an nie wieder von dem Mädchen trennen.

    Kaum waren sie fort, begriff die Großmutter jedoch rasch, dass die Hoffnung leichter ausgelöscht werden kann als das Schlafzimmerlicht vor dem Zubettgehen. Weswegen sie eine ihrer ersten Lektionen auf Merceditas blondes Köpfchen herabrieseln ließ, und zwar an einem Abend, an dem sie, von Rührung erfüllt, in der Tür des Badezimmers auftauchte und sich zu der Kleinen hinunterbeugte, die auf dem weißen Sockel des Klosetts saß.

    Mit ihrer vom Alter brüchigen Stimme sagte sie, ab jetzt werde Mercedita die verborgensten Erinnerungen an Schmerz oder Freude dem Abschnitt des Lebens zuordnen müssen, in dem ihre Eltern jegliche Bedeutung für sie verloren hätten. Immer schon, vom Beginn der Zeiten an, sei das so gewesen, bei allen Kindern mit dem Namen Striga. Einzig das seltsame blaue Kreuz auf ihrem Rücken scheine ihnen Erlösung und Überleben zu sichern.

    »Ob man es nun für eine Lüge oder für ein Wunder hält, es ist eine Tatsache«, sagte die Großmutter, während sie Mercedita den Träger des Nachthemds herunterstreifte und mit zittriger Fingerkuppe über das eigenartige bläuliche Mal fuhr, das sich oben auf dem Schulterblatt des Mädchens befand.

    Die kleine Mercedita musterte sie mit durch die Anstrengung ihrer Därme hochrotem Gesicht und verstand kein Wort von dem, was die Großmutter redete, auch wenn sich im Halbdunkel ihres Unbewussten ein widersprüchliches Gefühl einnistete, den Gewissensbissen nach zu urteilen, die Jahre später, als sie die Vororte der väterlichen Seele zu entziffern lernte, ihren Kopf zu martern begannen.

    »Wenn dein Vater heimkommt, wird er dir sein Kreuz zeigen«, sagte die Großmutter und half ihr beim Aufstehen.

    Lange danach, als Milo Striga freigelassen wurde und nach Mosquitos zurückkehrte, wollte er die Menschen, die er liebte, jedoch keiner Gefahr mehr aussetzen und zog es vor, ein kleines Zimmer im hinteren Hofbereich des Hauses seines Freundes Gregorio Esnal zu beziehen, eines Exzentrikers, der die nutzlosen Begebenheiten der Universalgeschichte erforschte und sich für Kurzwellensendungen begeisterte. Ein unglaublich dünner Mann mit vom Lesen geröteten Augen und einem verwahrlosten Äußeren, das bei den Dorfbewohnern, die Gregorios naiver Sinn für die Harmonie der Dinge empörte, tiefe Abneigung auslöste.

    Milo Striga sagte einfach Esnal zu ihm, so als wäre es der Name eines Römers oder Karthagers, und dies verlieh ihrem Verhältnis besondere Würde. Zwischen beiden bestand erwiesenermaßen eine uralte Freundschaft, die sich auf durch keinerlei Zwist zu erschütternde Gefühle stützte und womöglich bis in die sechziger Jahre zurückreichte, als Esnal den Club »Kim Novak« gegründet und den Fans die erste Basketballmannschaft von Mosquitos vorgestellt hatte.

    War es Milo in den Verliesen der Kaserne manchmal gelungen, sich in gute Stimmung zu versetzen, dann nur, wenn er mit den Zellenkameraden Erinnerungen an die triumphalen Einmärsche auf das Spielfeld ausgetauscht hatte. An die Spieler, wie sie sich warm liefen oder Kniebeugen machten oder sich auf die Brust schlugen – genau dorthin, wo Kim Novak schief von einem Bildchen auf dem T-Shirt lächelte –, während sie fürchterlich brüllten: »Kim, Kim, hurraaa …!«

    Auf einem Hocker am Spielfeldrand stehend, auf dem Rücken ein riesiges, mit Stecknadeln befestigtes Foto des Stars aus Des Menschen Hörigkeit, hatte Esnal ihnen Anweisungen zugeschrien. Wie ein Besessener hatte er seine verfilzte Mähne geschüttelt und gedroht, den Mannschaftsnamen zu ändern, falls sie den beschämenden Rückstand von siebenundzwanzig zu hundertdreißig nicht sofort aufholten. Genau wie an dem Nachmittag, als die Mannschaft »Geflügel und Eier« aus Estación Migues sie mit einem zweihundertzehn zu sechsunddreißig demütigte, ohne dass es die winzigste Chance zur Ehrenrettung von Mosquitos gegeben hatte. Aber was Esnal noch schwerer hatte ertragen können, geschah immer im Anschluss an die grandiosen Niederlagen, wenn nämlich Milo und die übrigen Mitglieder des Kim Novak sich jubelnd in der Bar Euskalduna versammelten, um ihren eigenen Untergang zu feiern, und die hinzugestoßenen Gäste mit der entsetzlich dummen Losung bewirteten, es komme vor allem auf Brüderlichkeit und Verständigung zwischen den Dörfern an.

    Esnal war bei alldem übel geworden. Mit der typischen Enttäuschung des Trainers, der nichts anderes kennt als den Saure-Milch-Geschmack ausbleibender Trophäen, war er einfach nach Hause gegangen. Hatte nicht einmal die Angehörigen der gegnerischen Mannschaft gegrüßt, und sei es auch nur aus Gründen elementarer Höflichkeit. Dann hatte er sich in seinem Zimmer eingeriegelt und Biografien über die Könige der Wikinger gelesen, ohne dass seine Mutter, um die geistige Gesundheit ihres Sohns besorgt, ihn dazu hatte bringen können, die unendlichen Lektürestunden zu unterbrechen.

    Gleichwohl zeigte Esnal außer seinem gewohnten exzentrischen Benehmen bis zu dem Tag, an dem er erfuhr, dass Milo Striga in eine der heimtückischen Fallen des Militärs geraten war, keine auffälligen, gar dem Wahnsinn verwandten Verhaltensweisen.

    Als der dramatische Fischzug stattfand, fiel strömender Regen auf das Dorf, und es wehte ein nasser Wind, der das Wasser in wilden Stößen gegen die eingemummten Soldaten peitschte, die Milo auflauerten. Am nächsten Morgen, die Sonne brach zwischen Fetzen bleigrauer Wolken hervor, war der Ort wie ausgestorben, es gab nicht die leiseste Spur, dass dort während des Unwetters jemand in einen Hinterhalt gelockt worden war. Niemand hatte etwas gehört oder gesehen, so als sei das Geschehene bloß der Albtraum eines Menschen gewesen, der sich an das Geträumte nicht erinnern kann.

    Danach war es still um Milo geworden, bis eines Tages, viel später, ein fetter Kerl, allseits Provisorio genannt, ein Postbeamter, der wegen seiner furchteinflößenden Verbindungen zur Kaserne stets von Schweigen und Misstrauen umgeben war, Esnal eine Nachricht überbrachte, die dessen Seelengebäude in sich zusammenstürzen ließ.

    Es passierte eines Abends, als Esnal, der sich mit einem Bier und einem Wälzer über die Geschichte des Altertums in eine Ecke der Bar verkrochen hatte, gerade versuchte, einen Satz auf sein eigenes Dasein zu beziehen, der am Giebel eines ägyptischen Tempel von Saïs geschrieben stand und welcher da lautet: »Ich bin der, der ist, der war und der sein wird, ohne dass je ein Sterblicher meinen Schleier gelüftet hätte.«

    In diesem Augenblick verließ der Fettsack Provisorio die Theke der Bar, näherte sich mit dem unsicheren Schritt derer, die über Dünen laufen, und setzte sich Esnal gegenüber hin. Er wolle ihm seine Hochachtung erweisen, sagte er.

    Esnal stellte das Bierglas neben den Ägyptern ab, fuhr sich mit dem Handrücken über den Mund und betrachtete Provisorio wortlos. Man wusste, dass dieser monströse Dickhäuter ein Zuträger der Putschisten war. Häufig sah man ihn mit Oberst Valerios Adjutanten einen Pott heiße Schokolade frühstücken.

    Im Prinzip war Esnal ihm nie aus dem Weg gegangen und hatte nie Angst gehabt, ihn allein zu treffen. Aber obwohl er einige zwischen den Schultern eingesunkene Nacken an der Theke sah und das Gemurmel von Bekannten hörte, spürte er seltsamerweise, wie sich ein heimlicher Schrecken in seinen Eingeweiden ausbreitete und nach oben stieg, bis es ihm die Kehle zuschnürte. Schließlich stützte Esnal die Ellbogen auf den Tisch.

    »Hochachtung wofür?«, fragte er düster und tauchte aus seinen Gedanken auf. Die gelbe Mähne regnete auf die Tempel von Saïs.

    Der Fettsack blinzelte und begann, unbeholfen etwas daherzureden, was allem Anschein nach auswendig gelernt war. Es war eine grauenhafte Nachricht. Man merkte, dass er gemäßigtere Formulierungen vorbereitet hatte. Doch angesichts der offenen Ablehnung, die er in Esnals Augen las, entschloss er sich, geradeheraus zu sagen, er wisse aus zuverlässiger Quelle, dass Esnals Freund Milo Striga schon zwei Meter unter der Erde liege und die Margeriten eines Ortes dünge, dessen Lage er nicht präzise angeben könne.

    Schweigend und seine Gesichtsmuskeln beherrschend, versuchte Esnal zu beurteilen, was er da hörte, denn in bestimmten Fällen, dachte er, wusste man intuitiv, ob jemand die Wahrheit sagte oder nicht. Und manchmal wusste man sogar, dass dieser Jemand gar keine Ahnung von dem hatte, was er eigentlich enthüllte, geschweige denn auf die Idee kam, dass er mehr enthüllte, als er gesagt hatte.

    Als er sein Kinn zittern fühlte, verschränkte er mit Nachdruck die Arme vor der Brust. Er weigerte sich, die Mitteilung hinzunehmen, und da der Wälzer zugeklappt auf dem Tisch ruhte, konnte er sich einen Moment lang nicht erinnern, ob jener Satz am Tempel von Plutarch oder von Herodot überliefert worden war.

    Ohne zwischen den Sätzen zu verschnaufen, neigte sich der fette Provisorio auf dem Stuhl zur Seite wie ein krängendes, obszönes Schiff, als beabsichtige er, die Bar mit einem seiner orkanartigen Fürze zu verheeren.

    Dann riet er ihm: Wenn Esnal sich retten und jung bleiben wolle, solange die militärische Intervention andauere, müsse er nichts weiter tun, als die Zeitschrift El Tony mit ihren kriegerischen Comics zu sammeln und schlechte Gesellschaft oder Bücher, die Märtyrer verherrlichten, zu meiden, denn das führe nur dazu, schneller zu altern.

    Mit grenzenloser Verachtung sah Esnal ihn an, hörte jedoch nicht auf zu zittern.

    »Ich bin der, der ist, der war und der sein wird …«, sagte er plötzlich und lehnte sich nach vorn. Der Haarschopf hing erneut über den Tisch.

    »Was redest du da?«, fragte der Fettsack irritiert, als habe er es mit einem Verrückten zu tun.

    »Weder Plutarch noch Herodot. Porphyrios hat davon berichtet …«, antwortete Esnal, von der kurzen Flucht ins Altertum erwachend.

    »Was hat er gesagt?« Der andere ließ nicht locker.

    »Er hat gesagt, du sollst dich verdammt noch mal zum Teufel scheren …«

    Der fette Provisorio reagierte, als habe ihn ein Piranha in einen wertvollen Bereich der unermesslichen Fläche seines Hinterns gebissen. Ruckartig erhob er sich, wobei er den Stuhl umwarf, machte eine Kehrtwendung und steuerte auf die Tür zu. Mit den Armen schlenkernd, schritt er zügig aus; weit schienen die Dünen jetzt hinter ihm zu liegen.

    Im Kreis der anderen Gäste meinte Esnal vereinzeltes Gekicher zu hören. Er nahm an, dass der Fettsack es ebenfalls gehört hatte, bevor er verschwand.

    Wortlos stellte der Baske

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