Ein neues Lied wir heben an: Martin Luthers Lieder und ihre Bedeutung für die Kirchenmusik
Von Gerhard Rödding
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Buchvorschau
Ein neues Lied wir heben an - Gerhard Rödding
Inhaltsverzeichnis
Impressum
Vorwort
Teil I Martin Luther – Dichter und Musikant
Luthers Sekretär
Skulpturen und Bilder
Die Musik in der Renaissancezeit
Luthers Tafelrunde
Theologische Brocken
Musik im Gottesdienst
Die Litanei und die Bitte um Frieden
Musik und Wort
Dichter und Musikant
Die Psalmdichtungen
Hymnen
Sequenzen und Leisen
Nun bitten wir den heiligen Geist
Lehr- und Katechismuslieder
Die ersten Gesangbücher
Teil II Martin Luthers Lieder im Strom der Geschichte
Frühbarock
Pietismus und Aufklärung
Heinrich Schütz und Dietrich Buxtehude
Johann Sebastian Bach
Martin Luthers Werk in neuerer Zeit
Die zweifelhafte Karriere von „Ein feste Burg ist unser Gott"
Deutschland singt
Felix Mendelssohn Bartholdy
Alte Lieder - neue Lieder
Literatur (in Auswahl)
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2015
Neukirchener Verlagsgesellschaft mbH, Neukirchen-Vluyn
Alle Rechte vorbehalten
Umschlaggestaltung: Andreas Sonnhüter, Niederkrüchten
Lektorrat: Ekkehard Starke
DTP: Breklumer Print-Service, www.breklumer-print-service.com
Gesamtherstellung: Hubert & Co., Göttingen
Printed in Germany
ISBN 978–3–7887–2917–2 (Print)
ISBN 978–3–7887–2984–4 (E-Pub)
www.neukirchener-verlage.de
Vorwort
„Es gibt nicht Neues unter der Sonne", schreibt der Prediger Salomo in der Bibel (Kap. 1,9). Das mag für die meisten Bereiche unseres Lebens zutreffen. Aber gelegentlich gibt es eine Ausnahme. Als Martin Luther in den Jahren 1523 und 1524 den Entschluss fasste, Psalmen und liturgische Überlieferungen in die Form zu gießen, die man später Volkslied nannte, bahnte sich etwas fundamental Neues an; denn fortan konnte das Volk in ganz anderer Weise am Gottesdienst teilnehmen, als das vorher der Fall war. War die Gemeinde in vorreformatorischer Zeit im wesenlichen nur Zuschauer dessen, was am Altar geschah, so konnte sie nun ihre Stimme erheben und in den Lobgesang des Volkes Gottes einstimmen. Die Lieder wurden schließlich so beliebt, dass es beim gottesdienstlichen Gebrauch nicht blieb, sondern dass sie in den Alltag hinauswanderten und bei der Arbeit im Hause und auf dem Acker, ja in den Gassen gesungen wurden.
Luthers Vorbild folgten viele nach, zunächst seine engeren Freunde, dann aber mancher Kollege, der sein Talent entdeckt hatte, und schließlich ein Heer von mehr oder auch weniger begabten Dichtern und Reimeschmieden. Man setzt die Zahl der Kirchenlieder, die geschaffen und für die Melodien gefunden wurden, auf etwa hunderttausend an, von denen die meisten dem Vergessen anheim gefallen sind. Aber die wichtigsten der siebenundreißig bekannten Lutherlieder stehen noch heute im Gesangbuch, ja, sie sind Maßstab für viele andere geworden, obwohl manche Neunmalkluge zu ihrer Zeit meinten, daran herumbasteln zu müssen.
Dieses Buch möchte den Leser ermuntern, mit ihm zusammen einen Weg durch die Geschichte zu gehen, um die kirchliche und geistesgeschichtliche Entwicklung kennenzulernen, die durch die Lutherlieder ausgelöst worden ist. Dabei ist es wichtig, die unterschiedliche Rezeption der Lieder in den Zusammenhang mit der jeweiligen musikalischen und geistesgeschichtlichen Situation zu stellen, in der sie sich behaupten mussten. In der Aufklärung des 18. wurden die Lieder eben anders gesehen als in der Romantik des 19. Jahrhunderts. In jedem Fall aber gehören sie wie Luthers Bibelübersetzung zum kulturellen und literarischen Erbe der deutschen Sprache.
Das Buch stellt also die Lieder in den jeweiligen geistesgeschichtlichen Zusammenhang, wobei es im Einzelnen nur um eine Auswahl gehen kann, die allerdings charakteristisch ist. Vollständigkeit ist nicht angestrebt.
In der Wirkungsgeschichte der Lutherlieder begegnen uns viele Personen, deren Lebensdaten hinter ihrem Namen angegeben sind, wenn sie zum ersten Mal erscheinen. In einigen wenigen Fällen sind die Daten allerdings nicht bekannt, weswegen sie hier fehlen.
Das Buch enthält viele Originaltexte, die in ihrer originalen Schreibweise und Orthographie zitiert werden. Diese Texte werden durch kusiven Druck kenntlich gemacht. In ihnen wird deutlich, dass wir uns in einer Zeit befinden, die fast fünfhundert Jahre zurückliegt, dessen man sich beim Lesen stets bewusst sein muss. Sie sind aber verständlich, auch wenn man sie im Einzelfall am besten laut liest. Einige markante Texte sind in Latein zitiert, worauf aber unmittelbar eine Übersetzung folgt.
In Deutschland gibt es viele Christen, die sich mit Kirchenmusik befassen. Noch gibt es in fast jeder Gemeinde eine Kantorei oder einen Jugendchor und ein Bläserensemble. Viele opfern als Chorsänger oder Posaunenbläser einen guten Teil ihrer Freizeit für diese Aufgabe. Mancher tut ehrenamtlich seinen Dienst auf der Orgelbank oder als Leiter eines Chores. Sie alle leben in ihrer musikalischen Arbeit von dem Werk, das mit Martin Luther begann und sich in der Geschichte bis auf den heutigen Tag fortpflanzt. Vielleicht wird die Freude an der Musik für den größer, der die Zusammenhänge durchschaut, von denen auch die heutige Arbeit abhängt. Für alle die Chorsänger und Bläser, Kirchenmusiker und Lehrer, die sich damit näher befassen möchten, ist dieses Buch bestimmt.
Aber auch hauptberufliche Kirchenmusiker und Pfarrer sollten ihre Freude daran haben; denn der Zugang zum Verständnis mancher historischer Texte wird nur dem gelingen, der die ursprünglichen Zusammenhänge und Intentionen kennt. Hier ist viel pädagogische Arbeit zu leisten, damit das historische Erbe verständlich wird und lebendig bleibt. Auch für die musikalische Fortentwicklung können die Maßstäbe wichtig sein, die Martin Luther einst setzte.
Bei allem geht es zwar in erster Linie um den Gottesdienst, für den Martin Luthers Werk gedacht und erarbeitet ist. Aber seine Texte und Melodien gehören auch zum großen kulturellen Erbe unseres Volkes, das zu bewahren auch die Aufgabe der heutigen Generation ist. Dem soll auch dieses Buch dienen.
Bielefeld, am 1. November 2015
Gerhard Rödding
Teil I
Martin Luther – Dichter und Musikant
Luthers Sekretär
Wir schreiben das Jahr 1547. Martin Luther war vor mehr als einem Jahr gestorben; die Säulen unter den evangelischen Fürsten, Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen (1503-1554) und Landgraf Philipp von Hessen (1504-1567), waren in die Hand des Kaisers gefallen und harrten auf ihr Schicksal. Die Reformation schien verloren, Kaiser Karl triumphierte, Luthers Werk schien zerbrochen zu sein. Was würde die Zeiten überdauern von dem, was Martin Luther gesagt und getan hatte?
Martin Luthers einstiger Sekretär, Doktor der Theologie und Vertrauter des Reformators, Georg Rörer (1492-1557), der sich nach Humanistenart auch Rosarius nannte, blätterte in alten Papieren, deren Schrift kaum noch lesbar war. Vergilbte Texte galt es zu entziffern, in einer Kurzschrift flüchtig aufgeschrieben, während der Meister auf der Kanzel stand und der Wittenberger Gemeinde in der Stadtkirche Gottes Wort auslegte, oder was er bei Tisch gesagt hatte.
Als der damals gerade Dreißigjährige im Jahre 1522 in die Stadt kam, ging es dort drunter und drüber; denn Andreas von Bodenstein genannt Karlstadt (um 1486-1541) hatte die Leute aufgewiegelt: Eine neue Zeit sei gekommen, und das Alte solle endlich abgetan werden. Die Bilder müsse man aus den Kirchen entfernen, auch wenn sie der berühmte Lucas Cranach (um 1472-1553) gemalt habe, der seine Werkstatt in Wittenberg hatte und zu den reichsten und angesehensten Bürgern gehörte. Die Messe sei auszurotten mit Stumpf und Stiel, und nur einstimmig dürfe fortan in den Kirchen gesungen werden. Mönche und Priester hätten überdies die Stadt zu verlassen. Und wer nicht freiwillig gehe, solle mit Gewalt vertrieben werden. Und die Stadt folgte ihm, dem Verführer der frommen Leute, die einst den Thesen Martin Luthers wider den Ablass begeistert zugestimmt hatten.
Martin Luther hatte von den Unruhen Bericht erhalten, als er auf der Wartburg saß, wohin ihn sein Kurfürst hatte bringen lassen, um ihn vor den Häschern des Kaisers zu schützen; denn 1521 hatte der Reichstag zu Worms die Acht über ihn verhängt, nach der jeder berechtigt und sogar verpflichtet war, ihn zu fangen und auszuliefern. Nun aber war er voller Zorn und ohne Rücksicht auf seine Sicherheit zurückgekommen, um zurechtzurücken, was Karlstadt, sein einstiger Gefährte und Helfer, angerichtet hatte, stand doch sein Werk auf dem Spiel. Am Sonntag Invocavit stand Luther auf der Kanzel der Stadtkirche St. Marien und rügte das Volk mit donnernden Worten, wie Moses es getan hatte, als er vom Sinai kam und den Tanz um das goldene Kalb verdammte. Der Student Georg Rörer sah den Reformator zum ersten Mal, obwohl er doch von seiner bayrischen Heimat eigens nach Wittenberg gekommen war, um die neue Theologie bei ihm zu studieren, die auch im Süden des Deutschen Reiches Gelehrte und einfache Leute rühmten. Nun hörte er ihn predigen, und was er sagte, war ihm so wichtig, dass er mitschrieb, was er hörte.
25 Jahre später lagen die alten Papiere vor ihm, weil der Kurfürst ihm den Auftrag erteilt hatte, die Schriften Martin Luthers zu sammeln und in Druck zu geben, um festzuhalten, was dieser einst gesagt und verkündet hatte; denn den Reformator selbst konnte man nicht mehr fragen. Unter seinen zahlreichen Schülern aber entstand oftmals große Verwirrung, weil der eine behauptete, Luther habe dies gesagt und jenes so gemeint, während ein anderer darauf bestand, genau das Gegenteil sei der Fall. Jeder berief sich auf Luther.Was er gesagt hatte, das galt wie einst ein Wort des Papstes.
Hinzu kam, dass der Reformator nicht wie Philipp Melanchthon (1497-1560), der Professor für die griechische Sprache und humanistische Laientheologe, 1522 eine abgewogene, in jeder Hinsicht widerspruchsfreie Zusammenfassung der neuen Lehre geschrieben hatte, sondern lediglich Briefe beantwortet oder bei Tisch eine Meinung kundgetan, sich in manchmal recht groben Worten vom Katheder geäußert und nur bei Gelegenheit einmal eine kleine Schrift über irgendeine streitige Sache geschrieben hatte. Da war es hilfreich, vergleichen zu können und sichere Texte vor Augen zu haben. Diese zu sammeln und in eine Ordnung zu bringen, war die Aufgabe von Luthers vertrautem Gefährten, der ihn auf Reisen begleitet und mit ihm fast täglich zu Tisch gesessen hatte, wo der Reformator abends immer mehr als dreißig Gäste beköstigte, Studenten zumeist, aber auch Kollegen und Freunde oder Ratsuchende. Dabei redete er, wie ihm der Schnabel gewachsen war, antwortete auf Fragen und wies Irrtümer zurecht. Und Georg Rörer schrieb alles auf, was er nur erfassen konnte. Und einige andere taten es ihm nach, wie Luthers letzter Famulus Johannes Aurifaber (um 1519-1575), der seine Tischreden sammelte und drucken ließ. Niemand war besser geeignet, Luthers Worte zu wiederholen und die Meinung des Meisters zu vertreten, als seine Hausgenossen und Helfer, zu denen auch der Nürnberger Veit Dietrich (1506-1549) gehört.
Skulpturen und Bilder
Da saßen nun die Wittenberger Bürger dichtgedrängt in der Stadtkirche. Und dann kam Martin Luther und stieg die Stufen zur Kanzel hinauf. Zornig sprach er: „Wie konntet ihr mich so missverstehen und einen Aufstand entfachen, den unser Herr, der Kurfürst Friedrich, nicht dulden kann! Die Messe wollt ihr abschaffen? Ja, wenn ihr abtun wollt, was nach Opfer riecht und menschlicher Werkerei Vorschub leistet, dann habt ihr mich auf eurer Seite. Aber warum sollen die Leute nicht das ,Kyrie eleison‘ singen und Gott loben mit dem ,Ehre sei Gott in der Höhe‘ und ihn anbeten beim Heiligen Mahl mit dem dreimaligen ‚Heilig‘? Es sind doch nichts anderes als Worte der Heiligen Schrift, die wir in den Mund nehmen, wenn wir nachsprechen, was die biblischen Texte vorgeben.
Sodann höre ich, dass ihr die Bilder mit Gewalt entfernt habt aus den Kirchen, Bilder, die den Menschen die Geschichte von Jesu Kreuz und Auferstehung und von seinen Wundern erzählen. Gewiss, es gibt Verführte, die die Bilder anbeten, so als seien sie göttlichen Wesens und Gott selbst, was die Heiden von ihren Götzen sagen. Wiederum habt ihr mich auf eurer Seite, wenn ihr solches verdammt und die Leute lehrt, wie sie recht gebrauchen, was Lucas Cranach in unserer Stadt und viele andere seit Jahrhunderten gemalt oder in Holz geschnitzt haben. Habt ihr denn nicht verstanden, dass die Menge der Gläubigen des Lesens kaum kundig ist und darum Bilder braucht, um zu erfahren, was Jesus getan und erlitten hat. Es war schon recht, was die Alten gesagt haben, als sie davon sprachen, dass die Bilder eine biblia pauperum seien, eine Heilige Schrift für die Armen, die des Lesens nicht kundig sind. Merkt euch doch endlich, dass es allein auf den rechten Brauch ankommt.
Ich habe nie gelehrt, man müsse um Gottes willen unbedingt Bilder in die Kirchen hängen und die Fensterhöhlen mit Figuren aus Glas und Blei schließen, so als sei es für die ewige Seligkeit notwendig, Gemaltes zu betrachten und Geschnitztes oder in Stein Gehauenes anzuschauen. Nein, darin sind wir frei, uns so oder so zu entscheiden. Mag der eine lieber auf die Bilder verzichten und der andere sich daran erfreuen, weil die Kunst doch auch Gottes Schöpfung und Gabe ist, mit der er des Menschen Herz erquickt. Mag der eine es so und der andere es anders halten, wir sind frei und haben kein Gebot in dieser Sache.
Dass unsere Widersacher die Bilder missbrauchen, ist wohlbekannt. Aber sollen wir sie deswegen auf den Kehricht werfen?
Der halben müssen wir uns wohl vorsehen / denn der Teufel sucht uns auf das allerlistigste / und spitzigste / durch seine Apostel / nun wie wohl es wahr ist / denn man kann’s nicht leugnen / dass die Bilder böse sind / von wegen ihres Mißbrauchs / noch haben wir sie nicht zu verwerfen und tadeln dass man mißbraucht. So würden wir ein feyn thant zurichtē. Gott hat geboten ... `Wir sollen unsere Augen nicht aufheben gegen die Sonne etc. Auf dass wir sie nicht anbeten / denn sie sind geschaffen zur Dienstbarkeit allen Völkern´/ nun sind viele Menschen / die Sonne und Sterne anbeten. Darum wollen wir zufahren / und wollen die Sonne und Gestirne vom Himmel werfen / wir werden’s lassen / Weiter / der Wein und Weiber bringen manchen zu Jammer / und machen ihn zu einem Narren / darum wollen wir alle Weiber töten / und allen Wein verschütten.
So sind die Bilder weder gut noch böse, wenn ihr sie nur recht gebraucht. Lasst euch doch nicht durch den Teufel auf den falschen Weg bringen und fechtet im Kampf mit Gottes Widersacher mit den richtigen Waffen. Vor allem aber hütet euch, mit Schwert und Feuer und allerlei Gewalt eine neue Herrschaft aufzurichten und zu meinen, ihr tätet Gott einen Dienst damit. Unsere Aufgabe ist es allein, das Wort Gottes zu predigen und alle Folgen Gott zu überlassen.
Darumb sol mañ das wort frey lassen vnd nit vnser werck darzu thůn / wir haben wohl das jus verbi / aber nicht executionem. Das wort sollen wir predigen / aber die volge soll got alleyn in seim gefallen sein.
Denn schließlich können wir mit unseren Worten allein die Ohren der Menschen erreichen, nicht aber das Herz, das niemand zwingen kann, denn Gott allein. Darum Summa summarum predigen wil ich’s / sagē will ich’s / schreybē will ich’s. Aber zwingē dringen mit d’ gewalt will ich nyemants / dañ der glaube will willig vngenötigt / angezogen werden.
Jedoch beachtet dies: Auch wenn wir frei sind, Bilder zu gebrauchen, Messgewänder zu tragen, Glocken zu läuten, Kerzen anzuzünden, freitags Fleisch zu meiden und vieles andere mehr zu tun oder zu lassen, so habt ihr doch bei allem zu bedenken, das mein brůder den nutz vnd nit ich dauon habe. Denn in allem, was frei ist zu tun oder zu lassen, sind wir doch gebunden durch die Liebe, die Gott uns geboten hat. Darum sollt ihr des Nächsten Nutz und Vorteil achten, wenn ihr neue Ordnungen und Gesetze schafft und nicht meinen, ihr hättet ein hoch erkenntnuß der schrieft. Mercket die beyden stück ´müssen sein` / vnd ´frey sein`/ dañ ´můß sein`/ ist das / was die notturfft fordert vnd můß vnbeweglich besteen / als do ist der glaub / den laß ich mir nit nehmen / sonder můß den allezeyt in meynem hertzē haben vñ vor jederman frey bekennen / ´frey sein` aber / ist das welchs ich frey habe / vnd mag es gebraűchē oder lassen. Diese Unterscheidung müsst ihr begreifen und dürft dabei niemals versäumen, der Liebe zu eurem Nächsten zu gedenken."
Acht Predigten, auch Sermone genannt, hat Martin Luther in der ersten Fastenwoche zwischen den Sonntagen Invocavit und Reminiscere des Jahres 1522 gehalten, um in Wittenberg Ruhe und Ordnung wiederherzustellen, und die Menschen sind ihm gefolgt. Karlstadt, der Organisator und Kopf der Unruhe, musste die Stadt und schließlich das Land verlassen.
Freilich hatte Luther auch schon auf der Wartburg im Jahre 1521 Anlass, sich mit der Bilderfrage auseinanderzusetzen. Als Priester unterstand er der Jurisdiktion des für Wittenberg zuständigen Bischofs, und das war Kardinal Albrecht von Brandenburg (1490-1545), jüngerer Bruder von Kurfürst Joachim I. von Brandenburg. Im Jahre 1513 wurde er dreiundzwanzigjährig bereits Erzbischof von Magdeburg und gleichzeitig Administrator des Bistums Halberstadt, obwohl doch gerade das Fünfte Laterankonzil (1512 bis 1517) solche Ämterhäufung verboten und das Mindestalter der Bischöfe auf dreißig Jahre festgelegt hatte. Aber das alles konnte durch päpstliche Dispense, die gegen erhebliche Summen Geldes erworben werden mussten, umgangen werden. So stand am Ende auch nichts dagegen, dass Albrecht auch noch durch das Domkapitel zum Erzbischof und Kurfürsten von Mainz gewählt wurde und dadurch als Erzkanzler und Primas Germaniae zum ersten Fürsten des Reiches nach dem Kaiser aufstieg. Ihm oblag es, das Kurfürstenkollegium zur Wahl eines Königs zusammenzurufen. 1520 hat er in Aachen Karl V. (1500-1558) zum deutschen König gekrönt.
Erzbischof Albrecht war kein Theologe, aber er stand den Humanisten nahe und bewegte sich in der Gedankenwelt der kirchenreformerischen Bewegung, die man „devotio moderna" nennt, eine aus den Niederlanden stammende Geistesrichtung, der es weniger auf äußere Formen als auf innere, persönliche Frömmigkeit ankam. Außerdem war er im Vergleich zu anderen Fürstensöhnen seiner Zeit recht gebildet; denn er hatte in Frankfurt an der Oder, der Brandenburgischen Landesuniversität, seinen Horizont erweitert. Von all diesen Voraussetzungen her wäre Albrecht wie kaum ein anderer geeignet gewesen, zwischen Luther und Karl V . sowie den katholischen Fürsten zu vermitteln und dadurch die Kirchenspaltung zu verhindern. Aber dazu hätte er wohl ein studierter Theologe sein und energischer, als es seiner Natur entsprach, in das Geschehen eingreifen müssen. Immerhin war er ein Bischof, dem seelsorgerliche und kirchliche Fragen nicht fern lagen. Im Gegensatz zu vielen anderen Inhabern von Bischofspfründen war er wirklich zum Bischof geweiht worden und als Priester berechtigt, die Messe zu lesen. All das wurde auch von Martin Luther nicht infrage gestellt.
Trotzdem lagen seine Interessen an anderer Stelle. Er war ein großer Liebhaber der Kunst und auch repräsentativem Prunk nicht abgeneigt, was ihn am Ende in immense Schulden verstrickte. Seine Lieblingsresidenz war Halle an der Saale, deren Kirchen er durch Lucas Cranach den Älteren, den sächsischen Hofmaler aus Wittenberg, mit beachtlichen Gemälden ausstatten ließ. Albrecht selbst ist von Lucas Cranach (um 1472-1553) und Albrecht Dürer (1471-1528) mehrfach porträtiert worden, so dass wir seine äußere Erscheinung und seine Gesichtszüge gut kennen, im Gegensatz zu vielen anderen Persönlichkeiten des 16. Jahrhunderts.
Kardinal Albrecht hatte von seinem Vorgänger, Erzbischof Ernst von Sachsen, Bruder von Luthers Landesherrn Friedrich dem Weisen (1463-1525), eine beachtliche Reliquiensammlung übernommen, das „Haller Heiltum" genannt, die der Erzbischof beträchtlich ausbauen konnte. Es fanden sich dort am Ende mehr als 350 Reliquiare, kostbar aus Gold und Silber geschmiedet, mit Edelsteinen besetzt. Durch die Wallfahrt zum Haller Heiltum konnte man für viele Millionen Jahre Ablass erlangen und dem Fegefeuer entrinnen. Besonders wichtig und berühmt war die Feier des Himmelfahrtstages, in der eine wertvolle silberne Christusfigur, ein Geschenk von Kaiser Maximilian, aus dem Schiff der neuen Stiftskirche in das Gewölbe hinaufgezogen wurde. Die Teilnahme an dieser Feier erbrachte einen gewaltigen Ablass. Das Heiltum selbst wurde bei dieser Gelegenheit dem Kirchenvolk präsentiert, was wiederum Ablass einbrachte und nicht zuletzt Geld in die Kasse des hochverschuldeten Kardinals.
All das eregte Martin Luthers Zorn über die Maßen. Zwei mal schon hatte er zuvor seinem Bischof geschrieben und ihn auf das Unwesen hingewiesen, das der Ablassprediger Tetzel im Kurfürstentum Sachsen von Ort zu Ort anrichte. Die Antwort sei hart, unartig, unbischöflich und unchristlich gewesen, schreibt er, und nun saß er 1521 auf der Wartburg und hörte von dem Reliquienunwesen in Halle, von der Präsentation des Heiltums und der Anbetung einer hochgezogenen silbernen Christusfigur am Himmelfahrtstag. Er schrieb erneut an den Kardinal. Eigentlich habe er das Haus Brandenburg verschonen und vor dem Sturm bewahren wollen, der durch Deutschland fege, nachdem er seine Thesen in Umlauf gebracht habe. Er habe gemeint, dass seine Kurfürstliche Gnaden solchs aus Unverstand und Unerfahrung, durch andere falsche Ohrenbläser verführet geduldet habe. Aber er habe nichts als Hohn und Spott geerntet. Und was höre er nun?
Es hat itzt E.K.F.G. (Eure Kurfürstliche Gnaden) zu Halle wieder aufgericht den Abgott, der die armen, einfältigen Christen umb Geld und Seele bringet, damit frei und offentlich bekannt, wie alle ungeschickte Taddel, durch den Tetzel geschehen, nicht sein allein, sondern des Bischoffs von Mainz Mutwill gewesen sind. ... Ist derhalb an E.K.F.G. mein untertänige Bitte, E.K.F.G. wollte das arme Volk unverführet und unberaubet lassen, sich einen Bischoff, nicht einen Wolf erzeigen. ...
Darumb sei E.K.F.G. endlich und schriftlich angesaget: wo nicht der Abgott wird abgetan, muss ich göttlicher Lehre und christlicher Seligkeit zugut mir das lassen eine nötige, dringende und unvermeidliche Ursach sein, E.K.F.G., wie den Papst, offentlich anzutasten, solchem Fürnehmen fröhlich einzureden, allen vorigen Greuel des Tetzels auf den Bischoff von Mainz treiben