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Mit Magellan: Band 1: Die Ausfahrt. Vom Hilligen Eiland nach Sevilla
Mit Magellan: Band 1: Die Ausfahrt. Vom Hilligen Eiland nach Sevilla
Mit Magellan: Band 1: Die Ausfahrt. Vom Hilligen Eiland nach Sevilla
eBook608 Seiten

Mit Magellan: Band 1: Die Ausfahrt. Vom Hilligen Eiland nach Sevilla

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Über dieses E-Book

Der junge Fischer Pay Edel Edlefsen vom Hilligen Eiland wird durch abenteuer­liche Umstände See­mann auf einem Schiff der Magellanschen Armada, die den westlichen See­ weg zu den Gewürzinseln finden soll.
Deren Ausbeutung ver­spricht unermessliche Reich­tümer. Auf dieser Reise hat Pay Edel zwei Freunde, die ihm helfen zu verstehen und zu überleben: den Seehundjäger Qivitoq aus Grönland und den gelehrten Maurenchristen al Gharb aus Sevilla.
Der solide recherchierte Roman der ersten Weltumsege­lung schildert eine faszinierende Geschichte voller Intrigen, Hass, Macht und Gewalt, Mord und Totschlag, von kosmolo­gisch-theologischen und kartografischen Irrungen und Wirrun­gen und ungeheuerlichen Leiden auf See.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum7. Dez. 2023
ISBN9783967632019
Mit Magellan: Band 1: Die Ausfahrt. Vom Hilligen Eiland nach Sevilla

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    Buchvorschau

    Mit Magellan - Reimer Boy Eilers

    Inhaltsverzeichnis

    Reimer Boy Eilers: Mit Magellan. Band 1

    Impressum

    Reihenfolge

    Motto

    Grosser Vorsatz Wie ich das Schreiben lernte

    Ein Logbuch im Sand

    Das Schreibpapier

    Über die Zuversicht

    Über das Entdecken

    Die Seekarten

    Sehnsucht und Erdwissenschaft

    Über das Lesen von Romanen auf See

    Malakka! Malakka!

    Inselträume

    Mehr über das Entdecken

    Von Thule und den Dominikanern

    Flaschenpost: Noch nicht

    Erstes Buch: Die Ausfahrt

    Der Schiffbruch

    Die Ochsenhulk

    Der blaue Krokus

    Der Galgenberg

    Der Opferstock

    Der Heuerbaas

    Rumpelbaum und Nimmersatt

    Der Geldsegen

    Der Schinkenknochen

    Falscher Pfeffer

    Das Festland

    Sinnigkeit der Insel

    Santa Maria, Polizei!

    Don Juan

    Das Badehaus

    Pinabella

    Von der Angst

    Die Heilige Ursula

    Der Walnussbaum

    Zeitungen vom Einhorn

    Der Tupilak

    Lug und Trug

    Das innere Meer

    Das Krähennest

    Die Rahe

    Das Neuntagewunder

    Ein Dominikaner

    Der Aufgehängte

    Ein kaiserlicher Komtur

    Der Magister

    Das Kosmographenlabor

    Kartenkunde und Hypnose

    Das Nervenfieber

    Die Schwarzen Schiffe

    Die schöne Warze

    Kleine Lichter

    Der Kapitänsstander

    Der Mittagshund

    Das Kunststück

    Die Abschiedsmesse

    Nachwort

    Werbung

    Reimer Boy Eilers

    Mit Magellan

    Oder wie ein FRIESISCHER FISCHER

    ein Unglück auf See hat und anschließend für

    dumm verkauft wird, so dass er in SEVILLA landet

    und gezwungen wird, sich bannig schlau

    zu machen und UM DIE WELT zu­ segeln, wenn er

    sein HILLIGES EILAND und die ­JUNGFER PEERKE

    wiedersehen will

    Ein Lied der See, der Liebe und des Wissensdurstes

    Reise um die Welt in drei Teilen

    Band 1

    Roman

    KM_Logo_Titel_CMYK_450dpi.tif

    Originalausgabe

    Oktober 2022

    Gefördert durch ein Hamburger Zukunftsstipendium

    der Behörde für Kultur und Medien in Zusammenarbeit

    mit der Hamburgischen Kulturstiftung

    Kulturmaschinen Verlag

    Ein Imprint der Kulturmaschinen Verlag UG (haftungsbeschränkt)

    Ochsenfurt

    www.kulturmaschinen.com

    Die Kulturmaschinen Verlag UG (haftungsbeschränkt) gehört

    allein dem Kulturmaschinen Autoren-Verlag e. V.

    Der Kulturmaschinen Autoren-Verlag e. V. gehört den AutorInnen.

    Und dieses Buch gehört der Phantasie, dem Wissen

    und der Literatur.

    Umschlaggestaltung: Sven j. Olsson

    Umschlagabbildung: Jörg Meyer

    Hinterlegt in BoD (Libri)

    978-3-96763-199-9(kart.)

    978-3-96763-200-2(geb.)

    978-3-96763-201-9(.epub)

    BAND 1

    Großer Vorsatz

    Erstes Buch: Die Ausfahrt

    Vom Hilligen Eiland nach Sevilla

    BAND 2

    Zweites Buch: Die Meerenge

    Vom Guadalquivir zur Magellanstraße

    BAND 3

    Drittes Buch: Das große Wasser

    Von Patagonien zu den Philippinen

    Epilog

    »Die Westküste Afrikas kann nicht weit entfernt von der Ostküste Indiens sein, denn in beiden Ländern werden Elephanten angetroffen.«

    (Compendium Cosmographiae, Kardinal Pierre d’Ailly, Manuskript von 1413, erstmals gedruckt in Louvain, Belgien, um 1480. Christopher Columbus besaß ein Exemplar, es wird – vollgepackt mit handschriftlichen Anmerkungen des Entdeckers – in Sevilla aufbewahrt und zwar in der Casa de las Antilles, dem spanischen Indienhaus. Der Kosmologe und Magister Nureddin al Gharb hat es in Vorbereitung der großen Ausfahrt mit der Armada der Molukken eingesehen.)

    »Das Pökelfleisch ist so verdorben, dass es im Dunkeln leuchtet.«

    (Der bunte Meister Roger Dupiet von den Kanonieren. Eine Klage in frischem Deutsch, mitten im Mare Pacifico und direkt vor den Ohren Pay Edel Edlefsens.)

    GROSSER VORSATZ

    Wie ich das Schreiben lernte

    Bild01.tif

    Der Strand in der Bai von San Julian,

    Patagonien. Dort schrieb ich meine ersten Worte

    in den Sand.

    Durchbeißen

    Hic haec hoc,

    da kommt er mit dem Stock.

    (Schülerweisheit)

    Lies die drei Kreuze als Pay Edel … +++ … Das bin ich. Also, ich bin’s nicht voll und ganz in meiner hochwohlgeborenen Wenig­keit, nur in recht ärmlicher Verkleidung, die passt mir nun nicht mehr, fort damit! Denn am Anfang war das Wort und kein Kreuz, über das man erst Worte machen muss, um zu wissen, was es bedeutet. Und so kommt es mir nun vor, jawohl, der Unterschied, der zwischen den Kreuzen und den Buchstaben liegt, ist die ganze Welt. Niemand auf dem Hilligen Eiland soll sich Sorgen machen, ich bin gesund und munter genug, um alles aufzuschreiben, was sich auf meiner Reise zugetragen hat. Am Ende sitze ich heute in der Hütte auf einer kleinen Insel im Lazarus Archipel, der von einigen Seeleuten der Armada auch Philippinen genannt wurde, ein Schiffbrüchiger, aber nicht nach dem Willen der Elemente, sondern durch bösen Ratschluss der Achtergasten ausgesetzt.

    Meinen Bericht über die große Ausfahrt, die ich lieber eine Irrfahrt nennen will, vom Hilligen Eiland in der Nordsee bis zur Insul Bohol am westlichen Rande des Südmeeres, werde ich brav nach dem A und O schreiben, also den Zeitfaden ohne ­Schlingen vom Anfang bis zum Ende gesponnen. Aber mit ­diesem Vorsatz mache ich eine Ausnahme, anheben will ich zu Ehren meines Lehrmeisters Nureddin al Gharb mit der höchst abenteuerlichen Spanne der Reise, in der ich das ­Schreiben lernte, denn das konnte ich als Fischer auf der Heimatinsul noch nicht, ich tat nur manchmal so, und dann vermochte ich höchstens ­einige Zahlen zu erkennen. Doch ohne die Schreib­mächtigkeit würde mir die beste Absicht, euch etwas zu ­berichten, nichts nützen, und mein Wollen wäre bloß Wunsch und Träumerei eines ­Kindes.

    Liebe Mutter und geliebte Jungfer Peerke, begebt euch demnach mit mir in das wüste Land Patagonien, tief in den südlichen Breiten und dort in die Bucht von San Julian, die zugleich meine Schule und meine Schreibtafel war. Da sitze ich nun, stellt euch das einmal vor, am Strand und schreibe in den Sand. Mittlerweile habe ich bereits einen Satz voller bunter Worte zustande gebracht, mit allem Drum und Dran vom ersten Strich bis zum Punkt, das würde ich gern mal im Inselkrug verkünden. Schade, dass es einstweilen nicht möglich ist, wo der Äquator und ein Ozean zwischen uns liegen, und nicht einmal der Heilige Geist, der eine Taube ist, könnte die Entfernung überbrücken. Dafür bräuchte es eine seetüchtige Karavelle, die ist mir leider nicht zur Hand. Ich sehe die Nachbarn und Spießgesellen richtig vor mir, wie sie mit den Ohren schlackern täten. Schön und gut, aber es gibt einen Haken an der Sache, denn es kommt nicht allein auf die Fingerfertigkeit an, es will auch das Geschriebene einen tüchtigen Sinn ergeben, und ich kann mich an diesem patagonischen Strand darüber ärgern, was für eine Art von Abece mir mein Lehrer als Übung diktierte.

    Liebe Peerke, liebe Eltern, ihr werdet mir sogleich recht­geben – oder, wenn ich’s noch einmal bedenke, vielleicht mögt ihr mein Erstlingsstück sogar, ja, ich ändere meine Ansicht mit dem Wind und fürchte, ihr werdet es wohl lieben und in euer Herz schließen, weil es der Sorge die Tür weist und euch be­ruhigen könnte. Da ihr die wahren Zustände nicht kennt, macht so ein Satz ­meines Lehrers Hoffnung, wird schon werden. Und jetzt war ich mit den Buchstaben dran. Ruckzuck, möchte ich mal ­sagen. Hier ist mein Anfang: Es war einmal ein Junge vom ­Hilligen Eiland, der war mit einer Glückshaut geboren.

    Und geschafft … Was meint ihr? Da wundert ihr euch, warum mich die Rede vom Glück ärgert? Warum mir so ein Märchenanhub nicht zupass kommt, ein Kinderkram, wie von früher? Eine Gutenacht, wie von meiner lieben Mutter mir ins Ohr geraunt? Na klar, ich bin alt genug, da hätte ich schon zehnmal unter ­Segeln ins Unglück laufen könnten. Und ist es deshalb vielleicht ein Glück zu nennen, dass ich noch nicht ertrunken bin? Also bitte, das kann nicht jeder auf der Insel von sich behaupten, ­zumal die Ertrunkenen für gewöhnlich den Mund halten, und war’s das? Pasito, pasito, sachte, eins nach dem Andern.

    Mein Lehrer Nureddin al Gharb hatte mich dieses Es-­War-Einmal so oft wiederholen lassen, bis ich den Satz fehlerfrei hinschreiben konnte. Ah bah, meine Proteste waren zu nichts nütze! Damit verbrachten wir die Zeit im Winterlager der ­Armada, im Angesicht der kalten, windgepeitschten See und der ­Kara­vellen. Zugegeben, das Krickeln und Krakeln war nicht einfach für ­einen Fischer, die Buchstaben wanden sich und wollten ent­fliehen, schlimmer als ein Schock Aale in der Reuse. Und wenn ich in der Bucht von San Julian rote Ohren bekam, dann nicht allein von dem patagonischen Lüftchen. In Sevilla hatte ich noch mit den besagten drei Kreuzen der Armen und Unwissenden unter­zeichnet, ritsch-ratsch, kritsch-kratsch, als ich auf den Schwarzen Schiffen anmusterte.

    Nun habe ich im Lager von San Julian, das ich meine Hohe Schule nenne, fürs Lernen kein Papier zur Hand gehabt, wo­rüber ich mich aber nicht beklage. Denn welcher Seemann vor dem Mast, gleich ob er in der spanischen oder portugiesischen Flotte dient, dürfte wohl weißes Papier sein eigen nennen? Deshalb habe ich die Worte in den Sand der Bai gemalt. Mir ist es ganz gleich gewesen, dass ich bloß einen Holzkeil als Griffel benutzte. Al Gharb spottete, ich würde diesen dummen Splitter wie ein Messer halten, um endlich die eingebildeten Aale zu schlachten, statt geschwind ein armes Wort festzunageln. Er hatte gewiss recht sich zu mokieren. Trotzdem geschah das Wunder, dass ich mich in die Schrift verwandeln konnte.

    Wahr ist also, an dieser Küste im gottverlassenen Süden der Welt, wo die christlichen Namen erst seit wenigen Tagen an den Landstrichen kleben, fühlte ich mich wie neu getauft und konfirmiert, seit der Sand von mir erzählte. Nichts wird mich daran hindern, die Griffelkunst nach meinem Willen zu gebrauchen. Wobei ich gerne den Schilderungen des Ritters Pigafetta und der Steuerleute den Vortritt lasse, was den Verlauf der Reise betrifft. Und warum das? Nun, wer bittet schon ohne Not die hässliche Wahrheit zum Tanz? Andererseits: Wer glaubt daran, das edle Federn gut genug für etwas Ungeschminktes wären?

    Der Volksmund sagt, Papier ist geduldig, der Gedanke war mir in Patagonien noch nichts nutze. Vorab konnte ich immerhin vermelden, dass zumindest der gewöhnliche Sand viel Langmut mit mir gezeigt hat. Ohne Widerspruch ließ er mir in San Julian die dümmsten Fehler durchgehen. Und dann erst al Gharbs Behauptung, ich sei mit einer Glückshaut geboren! Das setzte dem Unverstand die Krone auf! Doch der salzige Sand nahm sie hin … Was für eine schalkhafte Sicht der Dinge! Sollte man Scherze mit dem natürlichen Kleid des Menschen treiben?

    Tatsächlich war ich in jenen Tagen das wandelnde Unglück in Person und trug es am Strand offen genug zur Schau. ­Eiserne Fußfesseln brandmarkten mich als Meuterer, während der große Kosmologe al Gharb, ein lediger Kamerad, ohne Fesseln, Ketten, Schellen, seine Luftsprünge trieb und mich wieder und wieder mit dem blöden Glück als Schulaufgabe traktierte.

    Mit dem Schmuck an meinen Füßen stand ich unter dem Schiffsvolk nicht allein da. Vielmehr war Eisen bei uns sehr in Mode, dafür segelten Schmiede mit uns um die Welt. Hammer und Amboss regierten, und Essen glühten an Bord der hölzernen Schiffe, was ein schlichtes christliches Herz wohl schwerlich vermuten würde. Eine ständige Aufgabe der Schmiede lag darin, Männer in Fesseln zu schlagen, seien es verurteilte Schiffs­kinder oder widerspenstige Eingeborene gewesen, die nach ­Spanien gebracht und dem Kaiser vorgestellt werden ­sollten. Das schlimmste Kostüm war die Leibstange, die vor der Brust getragen wurde, ein starkes Eisen, das oben und unten mit ­Schellen für Hals und Hände versehen war. Sein Träger konnte sich weder bücken, um seine Notdurft zu verrichten, noch war er im Stande etwas zum Munde zu führen. Doch mich schmückte nichts an Hals und Hand, sondern nur am Fuß saß das rostige ­Menetekel. Schwein gehabt bei dem ganzen Mist, wenigstens fürs Erste. Und dafür dankte ich dem Heiligen Nikolaus, zu dem ich schon als Kind gebetet habe, unserem friesischen Sönne Kloas.

    In dieser Lage blieb mir damals eine Frist bis zum Beginn des südlichen Frühlings. Sobald die fünf Schiffe der Armada die Bai von San Julian verlassen würden, hätte das eigentliche ­Urteil an mir vollstreckt werden sollen. Der Generalkapitän Don Fernando Magellan hatte bestimmt, dass ich an diesem elenden Strand ausgesetzt werden müsste und so gemeinsam mit weiteren Meuterern mein Schicksal im wüsten, von Gott und allen guten Werken verlassenen Patagonien zu beschließen hätte. Einstweilen lernte ich Schreiben und hoffte auf ein Wunder. Denn es hat schon seine Richtigkeit mit dem, was die Heilige Schrift da­rüber sagt, die überhaupt das beste Logbuch für die Lebensreise in dieser sündigen Welt abgibt: Es hofft der Mensch, solang er lebt. Nur der Hoffnung halber haben sich fleißige Propheten auf den Hosen­boden gesetzt und im Angesicht ihres privaten Untergangs das löbliche Werk in Angriff genommen. Halleluja! Und ein Amen zum guten Abschluss.

    Mein Lehrer al Gharb und ich saßen ein gutes Stück über der Flutlinie. Was ich dem Strandgut da an Übermut hinzugefügt hatte, das würde morgen noch als Schularbeit zwischen den Miesmuscheln und Kieselsteinen, den Schnecken und pechschwarzen patagonischen Gänsefedern, dem Kot der Seewölfe und den Zweigen des Sauerdornbusches, dem abgerissenen grünen Seegras und verschlungenen Büscheln von Kelp, dem riesenhaften braunen Tang, zu lesen sein. Al Gharb lachte. Mein Griffel aus dem grob zurechtgeschnitzten Treibholz machte ­einen wütenden Krakel hinter dem Punkt und verriet dabei zu viel von meinen Gefühlen.

    Sogleich suchte ich das wett zu machen und konnte nicht anders, als gegen al Gharbs Diktat zu wettern. »Geh mir bloß an Land mit deiner Frau Fortuna! Langsam hängt es mir zum Halse heraus. Was bietet mir die hohe Dame denn an, na? Mit ihrem Zwielicht und Wankelmut habe ich nichts am Hut. Weshalb ich auch das gemeine Kartenspiel an Bord stets gemieden habe.«

    »Brav, mein Junge. Weiß Gott, brav …«

    »Wohl zu wissen, gelehrter Herr Rohrstock, wie ich das Licht der Welt in einer sehr moderaten Stunde erblickte. Das ist Geschenk genug, und mehr Fortuna braucht es nicht. Es war weder zu heiß noch zu kalt. Es war weder zu hell noch zu dunkel, wie man an der Farbe meiner Haut und Haare sehen kann.«

    Ich wartete ab, doch mein Gegenüber schwieg.

    »Von gewissen Leuten ist dagegen Sonderbares zu vermelden«, setzte ich fort und fixierte al Gharb, denn niemanden Anderes meinte ich ja. »Hat sich nicht bei einem gewissen Jemand eine Sonnenfinsternis am Firmament präsentiert? Und zwar just in dem Moment, als er seinen ersten Atemzug tat? Was an allerlei derbe und verderbliche Schicksale denken lässt, mein strenger Herr. So habe ich mir dieses Fatum wenigstens von einem ­bestimmten Kosmographen selber deuten lassen.«

    »Halt die Luft an!« Al Gharb gluckste wieder. »Wir machen eine Pause, Bursche! Niemand lacht dich aus, weil die Glückshaut bloß ein Märchen ist. Verstehst du nicht, dass ich ganz hin und weg bin, zu sehen, welche Fortschritte du machst. Ja doch, du kannst Aufmunterung gebrauchen. Lachen ist eine gute ­Medizin. Es rüttelt und schüttelt dich durch, gibt tiefe Atemzüge, die das Zwerchfell spannen, und schafft Blut in das ­Becken, das vom vielen Sitzen träge wird. So profitiert selbst deine Männlichkeit vom Lachen, obwohl ich zugeben muss, dass diese Pflege zurzeit von wenig Nutzen begleitet ist.«

    Reden konnte er, o gewiss! Und Predigten schüttelte er aus dem Ärmel, Halleluja! Er sah aus wie der Herr Jesus, nur zehn Jahre älter und mit schwarzen Haaren, statt dem herrlichen Rot­blond des Menschensohnes. Sonst schienen es die gleichen Locken in Haarschopf und Bart zu sein, die edle Kopfform und der gleiche Blick voll Strenge und Güte in einem, wie ich den HERRN von zu Hause kannte. Sein holdes Bildnis hing in St. Niko­lai bei uns auf der Klippe und ebenso war es im Marien­dom zu Hamburg ausgestellt. Wahrhaftig, es hätte gut und gern al Gharbs jüngeres Konterfei sein können, das mir als Gottes­gesicht an heimischen Mauern gegenüber getreten war. Für den Freund und Lehrer war meine Ansicht eitel, er wollte kein Bildnis gelten lassen, weder von Gott, noch vom Propheten, wie er sich ausdrückte. Und den persönlichen Vergleich wies er mit beiden Händen von sich. Ich hatte aber recht, denn ich hatte die Kirchenbilder mit eigenen Augen gesehen. Und am Ende unserer Reise würden die Herren Kapitäne der Armada diesen schönen Kopf an den Mast nageln lassen, was dem Kreuzigen ziemlich nahe kommt, so dass ich später Grund genug hatte, manche Worte zu bereuen. Ich will nicht wieder klug sein und die Wahrheit in Kirchen­bildern ­suchen oder launenhaft vom Schicksal reden.

    In den höheren Dingen war der Maure mein sicherer Steuer­mann, so möchte ich mich ausdrücken, obwohl der HERR für gewöhnlich als Hirte angerufen wird. Mien Stürmann gleichwohl, denn einem Hirten auf dem Trockenen folgt ein armer Fischer nicht. Doch vor allem war der Maure mein Freund. Mit rundem Rücken hockte er auf einem Stein im Angesicht dieser patagonischen Wüstenei, die unser einziger Trost und Ankerplatz war. Als Kissen hatte er einen Sack, in dem einstmals weiße Bohnen gewesen waren, unter dem Hintern. Damit ging es ihm besser als mir. Ich saß auf dem nackten Boden. Beide trugen wir Zaragüelles, die weit geschnittenen spanischen Seemannshosen, doch al Gharbs Exemplar bestand aus Wolle, während meins aus grobem Leinen gefertigt war. Wenigstens besaß ich den Pelz eines Seewolfes, der mir um die Schultern lag, vorne mit ­einer Spange aus Eisen gehalten. Und hinter den Gürtel hatte ich mir den schwarz-weißen Balg einer hiesigen Gans gestopft, um die Nieren zu schützen. Trotzdem war es arschkalt. Meine Finger krümmten sich klamm und steif, denn ich konnte mein Schreibholz ja nicht gut in dicken Fäustlingen gebrauchen. Aber die Kälte setzte mir weniger zu als sonst. Ich war von einem Entdeckungsfieber eigener Art erfasst, seit ich die Buchstaben regierte, und meinte jeden Tag, den Gott werden ließ, auf eine neue Goldmine oder eine Pfefferinsel im Geiste zu stoßen.

    Oder auf den Mond. Punkt, Punkt, Komma, Strich – fertig ist das Mondgesicht. Das waren so Späße von Mönchen und Moham­­me­da­nern. Man musste auf dem Quivive sein. Der rasende Roland hatte seinen Verstand auf dem Mond verloren, zu blöd. Das sollte mir nicht passieren, heiliger Niklaas hilf! Natürlich geriet mir jede Menge schief, und ich malte wirklich Wörter wie Mondkälber, doch Hauptsach’ war einstweilen, dass ich alle ­Peri­oden wieder entziffern konnte, die mein Griffel ­hervorbrachte. Und natürlich war mein Lehrer bloß mit der Vernunft ein getaufter Christ, während er im Herzen ein ver­stock­ter Heide blieb. Weil dieses Herz aber, wenn man es blank und bloß und in seiner schlagenden Natürlichkeit betrachtete, die reine Liebe ausdrückte, war der Rest wiederum schietegal.

    Seine Allwissenheit Nureddin al Gharb, dem ich schon zu viel davon ausgeplaudert hatte, was es etwa über mein geringes Leben zu sagen gab, fuhr fort mir zu diktieren: Seit jeher galt das Hillige Eiland den rothaarigen Stockfischessern der umliegenden Küsten als heiliger Flecken. Der Junge trank Tag um Tag ­frisches Wasser aus der Quelle des Sankt Willibrord, in welcher der ­Apostel zu seiner Zeit die ersten friesischen Raufbolde, denen die roten Haare aus Nase und Ohren wuchsen, getauft hatte. Auf die Weise kam er, ganz ohne eigenen Verdienst, zu etwas Verstand, denn Quellwasser, das geheiligt ist, bewirkt selbst bei ausgemachten ­Barbaren auf den Inseln der nördlichen Meere viel Gutes.

    Ich machte einen weiteren Punkt. Ich wollte nicht so abgetane und schwierige Sätze fabrizieren, denen meine Fehler wie die Motten in einem alten Mantel anhängen mussten. Ich sah etwas anderes vor mir, das schon schwierig genug war, nämlich meine Zukunft.

    Ein Logbuch im Sand

    Deine Füße machen eine Spur im Sand,

    die tiefer geht als jeder Verstand.

    (Don Antonio, der Ritter Pigafetta, der mich gelegentlich beobachtet. Von mir aufgeschnappt, aufgeschrieben und gleich wieder ausgewischt.)

    Weder Hunger und Kälte noch eiserne Fußklammer, kein sonstiger Kummer und schon gar nicht die Sehnsucht nach der getreuen Jungfer Peerke hinderten mich künftig in der Bai von San Julian daran, bei Sonnenaufgang vor die Hütte zu treten, einen kurzen Blick auf die Schiffe zu werfen, die in der Bucht vor Anker lagen, und noch vor der Morgenmesse mein Logbuch auf dem leeren Strand zu führen. Diese Einträge habe ich anschließend auswendig gelernt, und zwar gründlich, bevor ich sie wieder auswischte. Wenn Moses auf dem Sinai seine Gebote als steinernes Anschreiben empfing, dann waren sie kurz genug dafür. Ich dagegen musste auf meinem patagonischen Sinai – dieser San-Bai oder Heiligenbucht – Dank sagen, dass mir ein großzügiges Schreibheft zur Verfügung stand.

    Auf diese Weise habe ich behalten, was al Gharb mich über die Kosmologie und das Entdecken lehrte, selbst knifflige arabische Übersetzungen und ihre Namen für die Sterne gehören dazu. Ich werde nie mehr vergessen, dass die Cynosura, also der Hundeschwanz, und der Polarstern nur andere Bezeichnungen für das Himmelslicht im Norden sind, das man auch zum Kleinen Bären rechnen kann. Und bei den Venedigern oder Venezi­anern, so hatte es der Ritter Pigafetta meinem Kosmographen erzählt, heißt unser Stern die Transmontana. Das kommt daher, weil die venezianischen Piloten über das Alpengebirge spähen müssen, um den Polarstern zu erblicken. Sorgfältig habe ich dergleichen Weisheiten in den Sand der Julianerbucht gesetzt und nachfolgend memoriert, was mir bis dahin auf dieser Reise zugestoßen ist. Morgen für Morgen habe ich das Logbuch gefüllt, sechs Monate, solange wie das Winterlager in San Julian dauerte, und es ist mir, als ob ich eine ungeheure Sandkiste vom Strand in meinen Kopf befördert hätte. Denn dort liegen nun jene Kapitel meiner Reise aufbewahrt, um in der neuen Hütte auf Bohol niedergeschrieben zu werden.

    Hauptsache, ich komme aus dieser Erzählung wieder heraus, so wie ich für die Armada der Molukken hoffe, dass sie eines Tages wieder Kurs auf ihren Heimathafen nimmt. Denn ich möchte nicht auf ewig durch die Geschichten aller Meere und ihrer Ungeheuer irren, was man bei ihrem Überfluss durchaus zu befürchten hat. Hier vertraue ich von neuem auf den Beistand von Sönne Kloas, des Heiligen Nikolaus. Er wird zwar nicht – wie gewisse andere Heilige – in den Mannschaftslisten der ­Armada geführt und empfängt demzufolge auch keinen Sold, aber er kam uns in den schlimmsten Stürmen zur Hilfe und spendete Trost. Sobald das wunderbare Licht auf der Spitze ­unseres Hauptmastes erschien und derart seine Anwesenheit zeigte, mal eher in Gelb, mal in Violett schimmernd, haben sich Wind und Wellen noch stets beruhigt.

    Wenn der helle Schein sich auf dem Fockmast zeigt, ist es auch das St. Elmsfeuer. Gelegentlich kamen uns sogar Feuer und Heilige auf allen drei Masten zur Hilfe. Einen größeren Überblick als ich hat hier der Ritter Pigafetta bewiesen. In ­seinem Roteiro, Schiffstagebuch, verzeichnete er jede Anwesenheit der verehrungswürdigen Heiligenscheine auf den Mastspitzen mit der Befriedigung eines erzbischöflichen Erbsenzählers. Die Spanier und ihre italienischen Kumpane sind kluge Seefahrer. Sie treten mit den Heiligen in schriftlichen Kontrakt über eine Reise und werben sie auf diese Weise für ihre Besatzungen. Die ­Makle­rin dieses Vertrages, das versteht sich, ist die Römische Kirche, vertreten durch ihre Diener im Lande, wie seine überaus heilige Exzellenz, der Kardinal Juan Rodriguez de Fonseca von Burgos. Denn auch in Spanien unterzeichnen die himmlischen ­Heiligen keine Kontrakte mit eigener Hand, wenn sie rau­beinigen See­leuten gelten, die kein Latein sprechen. Sondern die Sancti ­lassen in diesen Fällen die Priester für sie handeln.

    Als Mitglieder unserer Armada sind meines Wissens drei Heilige in den Musterungslisten geführt. Al Gharb, der im Achterkastell wohnt, hat mir das erzählt, denn niemand würde einen einfachen Seemann wie mich die Listen der Flotte ein­sehen ­lassen. Da haben wir St. Antonius von Lissabon als treuen Kame­raden, er versorgt uns mit günstigen Winden. Santa Barbara beschützt uns Seit’ an Seit’ mit Niklaas in Stürmen, denn davon kann der Seemann nicht genug haben, den Schutz davor, meine ich. Und dann ist der Stadtheilige von Burgos dafür berühmt, sich um die Schiffbrüchigen zu kümmern. Diese Mit­glieder aus der Gefolgschaft Petri, die bei uns eingeschrieben sind, empfangen den gleichen Sold wie die höheren Offiziere. Darauf hat die Kirche streng geachtet, denn alles andere käme einem Affront der Heiligen gleich.

    Was al Gharb mir dazu ausführte, das hielt ich mit meinem hölzernen Griffel fest und lernte es auswendig. Ich für meine Person bin froh darüber, dass St. Nikolaus auch der Namens­patron unserer Kirche auf dem Hilligen Eiland ist. Das scheint mir eine treu sorgende Bekanntschaft zu sein. So inniglich, wie wir bi uns to Hus den guten Sönne Kloas als den Schutzherrn der Fischer und der Schiffskinder schätzen, da können sich ­andere Leute eine Scheibe von abschneiden. Für die Mitglieder der ­Armada, Soldaten, Zimmerleute, Kanoniere wie Kielgesinde, ist die Hinwendung zu den Heiligen weit nützlicher als so vieles Gerede über stolze Ritter und Romane im Mannschaftslogis. ­Jedes Schiffskind, ob es nun lesen konnte oder nicht, hatte vor der Ausfahrt die Buchhandlungen Sevillas durchstöbert und etwas gekauft. Vorgelesen wurden sie auf den Schiffen von den ­wenigen Männern, die den Büchern ihre Worte entlocken konnten. Man muss die Salznacken einmal hören, wenn sie in der Freiwache den Amadis von Gallien durchhecheln, wobei ich zugebe, es macht Spaß. Am Ende haben wir ihn gewässert, gebraten und gegessen, natürlich nur in höchster Not, gottverdorrich … Nicht den Helden, versteht sich, der leider gar nicht greifbar war, seine gewaltigen Arm­keulen und Lenden­stücke ­hätten uns besser gesättigt, sondern den ledernen Einband. Aber es heißt ja ebenso, hilf dir selbst, so hilft dir Gott. Und deshalb genug von Heiligen und großen Rittern im zähen Lederkostüm!

    Zu Hause auf der Insel konnte ich nicht schwimmen und habe es verabscheut, mich in das Meer zu tauchen, weil das nicht Menschennatur ist. Wir atmen wie die Schafe, die auch nicht ins Meer gehen, anders als die Fische, die sich mit ihren Kiemen im wässrigen Untergrund lustig am Leben erhalten. Doch ich habe mich mittlerweile umgeschaffen und bin nun auch ein wenig Fisch geworden. So werde ich mich weiter ändern in allem was erforderlich ist, damit ich diese Reise überlebe und die Jungfrau Peerke eines Tages wieder in die Arme schließen kann. Dann werde ich als einfacher Fischer gewiss ebenso stolz und glücklich sein wie der edle Recke Amadis in dem besten Roman, den wir je in die Hand bekamen.

    Das Schreibpapier

    Das Meer ist der Raum der Hoffnung

    und der Zufälle launisch’ Reich.

    Hier wird der Reiche zum Armen

    und der Ärmste dem Fürsten gleich.

    (Beim Fischhöker Hollenwedel am

    Hamburger Baumwall aufgeschnappt.)

    Als die Armada der Molukken das Winterlager in Patagonien verließ, blieben zwei Verurteilte an der Küste zurück, ein ­früherer Kapitän der Flotte und ein Priester. Beide waren verstockt und voller Hass gegen den Generalkapitän, wenngleich sie in der Stunde des Abschieds das steife Gehabe fahren ließen, am Strand auf die Knie fielen und tüchtig jammerten. Sie hatten zu den Köpfen der Meuterei gehört, während ich nicht einmal ihr Handlanger gewesen war, sondern meinen Dienst an Bord unschuldig wie eine Kirchenmaus ausgeübt hatte. Denn was ein treues und gottesfürchtiges Herz mir öffentlich zu sagen eingab, gewiss ist es ein kritisches Wort gewesen, das zugegeben, doch weh und ach!, das konnte niemals Aufruhr sein. Derart war jedenfalls meine Meinung dazu.

    Al Gharb dagegen fand, dass ich noch viel zu lernen hätte. Er nannte mir ein arabisches Sprichwort, das ich wie eine Straf­arbeit zehnmal in den Sand setzen musste. Wer die Wahrheit sagt, braucht ein schnelles Pferd. Liebste Jungfer Peerke, ich meine, das hätte er sich sparen können! Als ob wir auf dem Hilligen Eiland Pferde nötig hätten, und zudem schnelle! Die würden ja gleich im Galopp aus der Klippe fliegen. Ja doch, ich habe schon begriffen, was der Schulmeister mir einbläute. Hinterher ist man allemal klüger und weiß, wo man besser geschwiegen hätte. Das kenne ich zur Genüge von unserm heimatlichen Südstrand, sowohl von den Schnacks an der Wasserkante als auch vom Stammtisch im Roten Krug. Doch Gottlob, beim Abschied aus der Bai von San Julian brauchte ich weder mit al Gharb noch mit dem Geschick zu hadern, denn im Blick auf die himmlische Gerechtigkeit hatte sich etwas getan. Ich war vorläufig begnadigt, und die Schiffe nahmen mich wieder mit auf See. (Dank an St. Nikolaus! Auf dem Hilligen Eiland werde ich seiner Kirche ein tüchtiges Opfer bringen.)

    Wir entdeckten binnen kurzem die lang gesuchte Meeresstraße, die uns vom Atlantik zur Westküste der Neuen Welt führte, wo der Südozean Balboas beginnt. Magellan taufte seine größte Entdeckung die Meeresenge Allerheiligen, aber ich bin ­sicher, dass die Kapitäne und Kosmographen sie eines Tages nach ihm benennen werden. In einer Fahrt, die uns endlos erschien und die uns an den Rand des vollständigen Scheiterns brachte, überquerten wir den Stillen Ozean. Dann standen wir im ­Osten des Mare Pacifico wieder vor der bekannten Welt, die von Portu­gal bis nach Asien reicht. Die Erde ist demnach tatsächlich rund, wie mir als Erste eine Badefrau in Amsterdam verkündet hatte. Schon verrückt, dass ausgerechnet ich das mit meinem Hintern und meinem Paar schaukelnder Fischersfüße zu beweisen hatte.

    In meiner Hütte auf der Insula Bohol kann ich darüber mit wenigen Federstrichen hinweggehen, doch die Nachwirkungen halten an. Wohl wahr, an Land dreht sich mir alles, und ich muss mich setzen. Das kommt davon … vom Schiffsreisen, meine ich. Aber es wird vergehn, man gewöhnt sich wieder ans Erden­leben. Der Kopf reist länger als der Leib. Das scheint mir ein Bild für das Lebensende zu sein, wenn der Korpus zurückbleibt und die Seele sich gen Himmel aufmacht. Schlimm ist es am Stillen Örtchen auf dem Donnerbalken, das ganze Kabäus­chen schwankt und der Magen krampft, weil er jeden Moment wurmzer­fressenen Zwieback und faules Wasser erwartet …

    Magellans Sklave Enrique, ein Malaie von Herkommen, verstand die Sprache der Eingeborenen auf den Inseln, die wir jetzt antrafen und wofür wir Gott dankten. Denn nun waren die Überlebenden der Wasserwüste glücklich aus den Fängen des Scharbocks und vor dem Verdursten gerettet. Die Insel­gruppe nannten wir daher den Lazarus-Archipel, manche sagten Philip­pinen. Auf die Weise konnten wir sicher sein, zu guter Letzt auch die Gewürzinseln oder Molukken zu erreichen. Erst ­mussten jedoch die Schiffe überholt und neue Vorkehrungen für die Weiterfahrt getroffen werden. Dafür suchten wir wieder einmal nach einer geeigneten Bucht.

    Ein halbes Jahr nach unserem Abschied aus der kalten Bai von San Julian ankerten die Reste der Armada schließlich vor der Palmen­insel Bohol, die ein kleines Mitglied des Lazarus-­Archipels bildete. Die Mannschaften versammelten sich auf der Trinidad, dem Flaggschiff, um über das weitere Schicksal der Expedition zu entscheiden. Allerdings und höchst traurig zu vermelden, es weilte der Generalkapitän Don Fernando Magellan nicht mehr unter uns. Eingeborene einer Nachbarinsel hatten ihn bei einem Gefecht in Stücke gehauen. Von den fünf Karavellen, mit denen wir in Sevilla aufgebrochen waren, besaßen wir noch drei, das Flaggschiff, die Victoria und die Conception. Es waren jedoch zu wenige Seeleute am Leben geblieben, um alle drei Schiffe für die Rückkehr nach Spanien zu bemannen. Eins musste demnach an Ort und Stelle aufgegeben werden.

    Als der Entschluss gefasst war, die Conception am Strand von Bohol zu verbrennen, sagte der Ritter Antonio Pigafetta auf dem Achterdeck der Trinidad: »Ich bin überzeugt, dass eine solche Fahrt nie wieder unternommen wird.«

    Es stand außer Frage, dass ich Pigafetta schätzte. Er wiederum hatte den Generalkapitän wie einen Vater geliebt. Von mir aus sollte er Magellans Genie preisen und dessen Nachruhm ­fördern. Gewiss, die Fahrt war ohne Vergleich gewesen. Aber es gab da noch etwas zu sagen. Wir waren beide vom Scharbock verschont geblieben und besaßen noch alle Zähne, oder doch beinahe. Mein Bart hatte dem Salzwasser und der unbarmherzigen Sonne getrotzt und seine Farbe bewahrt, er war rot wie das Leben, und ich war größer und stärker als der Ritter Pigafetta, denn ich war ein Friese. Anderen ging es gottserbärmlich, trotz frischer Kokosnüsse, Schweinen und grünem Gemüse, und von nicht wenigen Männern hatten Dämonen Besitz ergriffen.

    Ich schaute dem Ritter Pigafetta ins Gesicht und sagte: »Mit allem Respekt vor Eurer Meinung, Señor. Doch wenn die Welt nur aus Inseln bestünde, wäre eine solche Fahrt wie die unsere gar nicht nötig. Denn kein Insulaner will so hoch hinaus und die Welt beherrschen. Er hat ja schon seinen Strand und sein eigenes Reich, und ansonsten auf gute Nachbarschaft mit dem nächsten Eiland hinter dem Horizont. Wenn ihr versteht, was ich meine, Señor.«

    So geriet mir meine Antwort an den Ritter Pigafetta als Wider­rede. Etwas, das mir als einfachem Mann vor dem Mast gegen einen Herrn vom Achterdeck gar nicht zustand. Doch wie man so sagt, es machte den Kohl auch nicht mehr fett. Am Ende der Versammlung wandte sich der neu gewählte Generalkapitän ­Duarte Barbosa, Magellans Schwager, zusammen mit dem Schwarzen Mönch Judas de Burgos an den Profoss des Flaggschiffes und gab den Befehl, mich festzunehmen. Neben so vielen wirklich wichtigen Dingen, die zu tun waren, sollte nach dem Willen Barbosas nun Magellans vermeintlichem Willen genüge getan werden, und es würde endlich jenes ominöse Urteil aus San Julian an mir vollstreckt werden, dessen Exekution ich weiß Gott nicht mehr erwartet hatte.

    Der Profoss oder Schiffsbüttel winkte zwei Steckenknechten, die mich zum Hauptmast der Trinidad führten, wo sie meine Handgelenke in eiserne Schellen fassten. Alles Schiffsvolk schaute zu, doch niemand an Deck machte ein Auf­heben davon, geradeso als ob ich nie Kameraden gehabt hätte. Vielmehr sollte ich schon an Bord die Einsamkeit kosten. Ich schickte ein kurzes Gebet zum Senhor dos Amarrados, dem ­gesegneten Herrn der Gefesselten. Wenigstens konnte ich die Hände noch ein wenig gebrauchen, um mich auf dem schwankenden Schiff festzuhalten, da die Knechte mir die Handschellen vor dem Bauch angelegt hatten und nicht auf den Rücken. Der Heilige Senhor, den ich anrief, war kein Spanier, er war ein Portugiese wie Magellan. Doch hatte ich gerade in der Versammlung gegen die Wahl des Schwagers Barbosa zum Anführer gestimmt. Ich schätze, das wird seinem Gedächtnis auf die Sprünge geholfen haben, was meine Person und ihre ­Geschichte betraf.

    Hilflos und untätig sah ich den Mannschaften und Offizieren zu, die sich wieder auf die drei Schiffe verteilten und daran gingen, die Beschlüsse des Flottenrates in die Tat umzusetzen. Rasch wurden die Langboote aller Karavellen zu Wasser gelassen, und die Besatzungen richteten einen lebhaften Frachtverkehr ein, um die Güter aus dem Bauch der Conception auf die beiden restlichen Schiffe der Armada umzuladen. Mit der nächsten Flut wurde die leer geräumte Conception schließlich hoch auf den Strand gesegelt.

    Gegen Abend erlösten mich die Seesoldaten von den Eisen und meiner einsamen Stellung am Mast der Trinidad. Zusammen mit meinen Bewachern bestieg ich eines der Boote. Dann erschien der Profoss an der Reling und erteilte von oben herab seine Befehle an Bootsmann und Ruderer.

    Die Bai, vor der die Karavellen ankerten, war groß und an den meisten Stellen unzugänglich, bewaldete Felsen erhoben sich direkt aus dem Meer. Unser Strand bestand aus dem Schutt von Korallen, auch lagen scharfkantige Felsblöcke unterschiedlicher Größe herum, so dass es galt, mit den Booten gut Obacht zu geben. Hundert Schritt landeinwärts ging der Schutt in eine Fläche feinen Sandes über, teilweise auch mit hartem, niedrig wüchsigem Rasen bedeckt wie ein grüner Teppich. Hier lagerten die Mannschaften alle Güter aus dem Bauch der Conception, bevor sie auf die verbliebenen Schiffe umgeschlagen wurden. Schließlich traf auch dieser Teil der Bucht auf den felsigen Hang, der vollständig mit tropischem Wald bewachsen war.

    Vom Ankerplatz bis zum Strand waren es ungefähr zwei Kabel­längen oder zweihundert Faden, was an Land beinahe vierhundert Schritten entspricht. Viel Schiffsgesinde war um den Rumpf der Conception versammelt. Die Offiziere und weitere Standespersonen besetzten einen Felsen, der wie ein Achterdeck aus dem grünen Abhang herausragte, um den Fortgang des traurigen Schauspiels zu verfolgen. Damit war das Schicksal des Schiffes gemeint, nicht etwa meines. Diesen Felsen, auf dem ich später selber stehen sollte, um oft genug auf das Meer hinaus zu spähen, benannte ich als Punta Santa Cruz, aber das ist jetzt zu weit vorgegriffen. Mich führten die Soldaten zum Fuß einer mächtigen Palme am Ende des Rasens und abseits von allem Volk, hohem oder niederem. Sie gaben mir zu verstehen, dass ich hier bis zur Abfahrt der Armada ausharren müsste.

    In der Gesellschaft meiner Bewacher erlebte ich, wie die Segel der Conception am Strand abgeschlagen und auf den Lang­booten versorgt wurden. Desgleichen wählten die Schiffs­zimmer­leute nützliche Hölzer aus, Spieren, Planken und Gelenkstücke aus den Spanten. Dann stopften die Mannschaften Bündel von Palmstroh in die leeren Laderäume und verstreuten Schwarzpulver unter und über Deck, um die Conception auf gründliche Weise für die Vernichtung vorzubereiten. Die Mannschaften, sogar etliche Offiziere hatten Tränen in den Augen. Bitte, es sei ihnen nachgesehen. Kein Schicksal rührt den Seemann der­maßen an, wie das eines Schiffes. Unversehens stieg Pigafetta von dem felsigen Achterdeck der Punta Santa Cruz herunter, stapfte über den Strand, trat auf mich zu und reichte mir ein Bündel, eingeschlagen in Wachstuch. »Hier, nimm das, mein Protestant aus Thule! Und viel Glück!«

    Pigafetta tat mir Unrecht. Ich war ja ein braver Christenmensch und Sohn meiner Mutter, das hatte mit Protest und Meuterei nichts zu tun. Dann Thule, das kannte ich außerdem gar nicht. Doch ich begriff augenblicklich, was ich da in der Hand hielt. Papier und Tintenpulver! Meinen Dank konnte ich dem Ritter Pigafetta nur in dürrer Manier hinterher rufen, denn er hatte nicht innegehalten, sondern kehrte gleich zur Gesellschaft des Achterdecks zurück. Kurz darauf erklangen Trommelwirbel und die klagende Melodie der Sackpfeifen, dann bestieg jener bunt geschmückte Haufen, in Samt und Eisen gehüllt, befiedert (an Hüten und Helmen) und geschniegelt wie er war, eines der Langboote. Dem finalen Akt des Dramas, dem feurigen Ende der Conception, wohnten die letzten Herrschaften der Armada wieder von See aus bei. Jetzt hatte ich also aus der Ladung des ­armen Schiffes einen genügend dicken Packen Papier erhalten, um dessen Geduld so gründlich zu erproben wie den Sand von San Julian im Jahr zuvor. Und meine Geduld, die eines Ausgesetzten, von Gott und dem Christenvolk Verlassenen, dazu.

    Auf den Umschlag hatte Pigafetta geschrieben: »Vertreibe den Nebel der terra borealis aus deinem Kopf. Im Ernst, mach was draus!« Dank al Gharbs Unterricht konnte ich diesem Gruß die Stirn bieten. Der Herr Ritter hätte einfach nördliche ­Länder ­sagen können. Oder sie (mit gebührender Herablassung) als deine heimatlichen Nebel ansprechen. Aber es musste etwas ­Bessres sein. Was hätte ich dem Ritter Pigafetta – wäre er lange genug bei mir stehen geblieben – wohl darauf erwidern mögen? Jener andere, der Kosmograph und Maure, der mein Freund geworden war, und den das Schiffsgericht am Ende den Haien zum Fraß vorgeworfen hatte, nicht weit von hier, in diesen Gewässern des Lazarus-Archipels war es geschehen, – al Gharb hatte ­gewiss den Ehrgeiz in mir entfacht, den Dingen auf den Grund zu ­gehen und den Unwissenheitsnebel zu vertreiben.

    Sobald die Conception in hellen Flammen stand, holten die Trinidad und die Victoria ihre Boote ein. Auch meine Bewacher gingen mit den letzten Männern an Bord. Die Schiffe setzten Segel und drehten ab, mit südwestlichem Kurs auf die Gewürzinseln, die einige Seetage entfernt waren. Bei diesem Anblick sank ich auf die Knie, nicht anders als jene Unglücklichen von San Julian, mein Innerstes war jedoch unfähig zu beten. Statt­dessen verwünschte ich die Bai und den Strand und sah den Segeln nach, bis sie hinter dem Horizont verschwanden.

    Was geschah meiner unsterblichen Seele? Wieso gehörte sie nicht zu den wertvollen Dingen, die Platz auf den verbliebenen Schiffen gefunden hatten? Ich war verzagt bis auf die Knochen, das will ich zugeben. Dieser Zustand dauerte mehrere Wochen an, in denen mich die heidnischen Inselbewohner am Leben hielten, nach meiner Rechnung – ein Strichkalender im Sand, man hat so seine Gewohnheiten – bis Pfingsten im Jahr des Herrn Eintausend Fünfhundert und Einundzwanzig. MDXXI. Eines Morgens, die Sonne stieg eben über die Palmenwipfel am östlichen Ende der Bucht, setzte sich eine weiße Taube auf den Dachfirst meiner Hütte. Ich betrachtete sie gründlich, La Paloma, dann nahm ich das erste Blatt Papier aus Pigafettas Geschenk, um dem stummen Medium das Geschehen anzuvertrauen, damit es anfing selber zu reden.

    So jedenfalls möchte ich das vorläufige Ende meiner Reise verstanden wissen. Aber, dass ich’s nur gleich gestehe, ganz so ist es nicht gewesen. Wer glaubt schon alles, was Geschrieben steht? Natürlich möchte ich der Wahrheit dienen. Aber auch das Dienen will gelernt und klug wie ein Fischzug auf der Nordsee vollführt sein. Wer einmal eine Langleine mit zweihundert Vor­fächern ausgebracht hat, versteht, worum es geht. Es ist eben nicht nur ein Haken an der Sache. Und an jedem sitzt ein Wurm als Köder. Doch wie viele Schellfische beißen an? War es ein schrecklicheres oder ein günstigeres Geschick, das den Verlauf der Reise bestimmte? Im Moment will ich nicht dran rühren …

    Unterdes hause ich am Rande eines Dorfes mit Namen Mari­bojoc in ­einer Hütte aus geflochtenen Palmwedeln. Den ­Boden habe ich mit rußigen Ballaststeinen aus den Trümmern der Conception ausgelegt und Sand darüber gestreut. Ich schlafe auf einer Matte aus den gleichen Palmwedeln und einem Polster aus Balili­gras, komfortabel genug. Eine Schnur aus Kokosfasern hängt an einem Pfosten der Hütte, und für jeden Tag knüpfe ich jetzt einen Knoten hinein. Das ist verlässlicher als mein Sand­kalender, der doch leicht einmal ausgewischt werden könnte. Sei es von mir, dem Meer oder dem Wind.

    Mir bleibt nichts übrig als zu warten, bis wiederum Christen die Insel ansteuern, von mir aus auch Portugiesen. Tief im Herzen glaube ich allerdings, dass die Armada zurückkehrt um mich wieder aufzunehmen. Sollten dagegen malaiische Händler vorbeischauen, will es gut überlegt sein, ob ich mich zu erkennen gebe. Ich möchte nicht als weißer Sklave an Bord gebracht und an einen ungläubigen Pfeffersack in Malakka oder sonstwo verkauft werden. In jedem Fall ist dies ein milderes Gestade als die patagonische Küste von San Julian, wo kein Europäer überleben kann.

    Warum helfen mir die Insulaner? Weil sie gute Menschen sind?

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