Lausanne: Erzählung
Von Sherzad Hassan
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Über dieses E-Book
Im Anhang enthalten sind ein Interview mit dem Autor, ein kontextualisierender Beitrag von Prof. Sherko Kirmanj (»Der Vertrag von Lausanne und das Los der Kurden«) und der Vortrag »Zu Sprache und Person eines Autors« von Sherzad Hassan.
Sherzad Hassan
Sherzad Hassan wurde 1951 in Erbil im kurdischen Teil des Irak geboren. Der Schriftsteller, Dichter und Übersetzer ist einer der bedeutendsten Vertreter zeitgenössischer Literatur in Kurdistan. Hassans erster Kurzgeschichtenband »Einsamkeit« erschien 1983; große Bekanntheit im kurdischsprachigen Raum erlangte er 1988 mit dem Erzählband »Die schwarze Rose«. Gemeinsam mit anderen Autoren gründete er 1991 die Gruppe »Rahand« (»Dimension«) und schuf damit bislang unbekannte Artikulationsmöglichkeiten. Aufgrund seiner kritischen Haltung gegenüber illiberalen gesellschaftlichen Dogmen und dem politischen Islam wurde 1997 eine Fatwa gegen ihn ausgesprochen, die ihn zur Flucht nach Finnland veranlasste. Im Exil begann er, an dem Roman »Die Nacht, in der Jesus herabstieg« zu arbeiten, der 2012 in kurdischer Sprache erschien. Der Autor ist ein angesehener Intellektueller in Kurdistan: Er kritisiert das kurdische Bildungssystem, setzt sich entschieden für die Rechte der Frauen ein und ist eine wichtige Stimme im Kampf gegen Unterdrückung, Korruption und Gewalt.
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Buchvorschau
Lausanne - Sherzad Hassan
Lausanne
Fragen an Sherzad Hassan
Sherko Kirmanj: Der Vertrag von Lausanne und das Los der Kurden
Sherzad Hassan: Zu Sprache und Person eines Autors
Über den Autor
Impressum
Lausanne
Lausanne hob den Kopf und schwang ihr dattelfarbenes Haar mit einer majestätischen Bewegung zur Seite. Sie herrschte mich an, ich solle sie doch endlich in Ruhe lassen mit meinem ewigen Gerede über die Spaltung Kurdistans. Sie wollte nichts mehr darüber hören, schon gar nicht in dieser schummrigen, abgelegenen Bar, denn die Geschichte der Kreuzigung meines Landes sei abscheulich und unerträglich!
Es war schmerzhaft, wie sie mit mir sprach und mich warnte, wieder mit etwas anzufangen, das sie als abstoßend empfand. Obwohl sie doch wusste, dass es das Wichtigste für mich war, über unsere tragische Geschichte zu sprechen. Es ist meine persönliche Geschichte, aber auch die meiner Nation – bedeutsam für mich und andere.
Ein Schatten legte sich über meine Augen. Schüchtern sah ich sie an, als ob sie in dicken Nebel gehüllt wäre; Wut und schlechte Laune entstellten die zarten Züge ihres himmlischen Gesichts.
Das Licht der rot und gelb glimmenden Lampen reichte nicht aus, um mich ihre Anmut und zauberhafte Schönheit erkennen zu lassen, aber ihre glänzenden Honigaugen berauschten mich, obwohl ich vermutete, dass sie noch nie Tränen für irgendjemanden oder irgendetwas vergossen hatten – aber wer weiß? Vielleicht täuschte ich mich. Einmal sagte ich ihr, sie sei wie ein weiblicher Engel, der niemals weint und im Paradies keine Trauer kennt.
Sie runzelte die Stirn über meinen Argwohn; ich beobachtete, wie sie sich mit ihren zarten Fingern das Haar zurechtzupfte, doch sobald sie den Kopf senkte, fiel es wieder fließend herunter und verbarg ihr Gesicht und Dekolleté.
Ich bemerkte die laszive Art und Weise, wie sie die Tasse hob und an ihren Mund führte, dabei schien sie nicht einmal einen Schluck davon nehmen zu wollen. Diese weibliche Geste war genug, um mich um den Verstand zu bringen. Ihr heimliches Verlangen erfüllte wie ein Zwitschern den ganzen Raum. Ein Tropfen des schwarzen arabischen Kaffees blieb in den feinen Rillen ihrer roten Lippen haften, was mich an jenen dämmernden Abend auf der Spitze des Eiffelturms zurückversetzte, wo ich diese fülligen Lippen genießen durfte – es war, als würde uns eine duftende Brise sanft schaukeln. Ich musste an den Moment denken, als ich sie in einer Menschenmenge, umgeben von tausenden Pariser Lichtern, umarmte. Ihre trügerischen Augen forderten mich auf:
– Nimm meine Hand, umarme mich, küss mich …
Zwei Augen, zwei Seelen: Ihr linkes war mit Zuneigung und Zärtlichkeit erfüllt, das rechte mit Verlangen. Letzteres war am heutigen Abend dominant – eine schummrige Ecke suchend, in der sie ihre unausgesprochene Begierde ausleben konnte. Plötzlich weckte sie mich aus meinen Träumereien und brachte mich zurück zu etwas, das im Gegensatz zu dem stand, was ich erwartet und mir vorgestellt hatte.
– Kawa, du hast bereits vier oder fünf Teile von Kurdistan in mich hineingestopft. Jetzt weiß ich beinahe mehr als du über diesen verfluchten Teil der Welt und die verdammte zerrissene Landkarte! Du hast mich mit all dem beladen, kannst du mich heute Abend mit diesem überdramatischen Unsinn bitte verschonen?
Erschöpft hob ich mein Glas und sah mir Lausanne durch das goldfarbene Bier an. Dann breitete sich ein scheues Lächeln über mein Gesicht.
– Warum grinst du?
– Dein Gesicht sieht hinter dem Glas befremdlich aus.
– Entstellt?
– Ja, aber trotzdem bezaubernd!
– Einmal hast du mir gesagt, du seist dermaßen erschöpft und betrübt, dass du die Schönheit nicht mehr genießen könntest. Wir saßen genau hier, kannst du dich erinnern?
Für eine Weile hatte ich nichts zu entgegnen, sie hatte das Recht, mir Vorwürfe zu