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Andere Kinder wohnen auch bei ihren Eltern
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eBook131 Seiten

Andere Kinder wohnen auch bei ihren Eltern

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Über dieses E-Book

Kilian kommt nicht mit seinen Eltern klar Zehn Jahre lang hat Kilian bei seinen Großeltern auf dem Dorf gewohnt. Er fühlt sich wohl auf dem Land und hat viele Freunde. Doch nun soll er plötzlich in die Stadt ziehen, zurück zu seinen Eltern, die sich in der Vergangenheit kaum um ihn gekümmert haben. Tatsächlich findet er sich in seinem neuen Leben nur schwer zurecht: Seine Eltern sind ihm fremd und haben kein Verständnis für ihn. In der Schule findet er keine Freunde. Und als seine Eltern ihm den Kontakt zu Manuela verbieten, in die er sich verliebt hat, verliert er jeden Halt ...

Ein beeindruckendes Jugendbuch von Paul Maar, mit einem Nachwort vom Autor.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum1. Juni 2011
ISBN9783862745678
Andere Kinder wohnen auch bei ihren Eltern
Autor

Paul Maar

Paul Maar ist einer der beliebtesten und erfolgreichsten deutschen Kinder- und Jugendbuchautoren. Für sein Werk erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Deutschen Jugendliteraturpreis.

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    Buchvorschau

    Andere Kinder wohnen auch bei ihren Eltern - Paul Maar

    Titelseite

    1

    Die Autotür klappte zu.

    Ich wollte nicht hinausschauen. Ich hielt mich am Plastikgriff des Koffers fest, der neben mir auf dem Rücksitz stand, und starrte nach vorn.

    Links saß mein Vater. Er hielt das Steuerrad fest und trommelte mit den Daumen ungeduldig gegen die Querstreben. Die kleine kahle Stelle am Hinterkopf leuchtete hell aus den dunklen Haaren. Gewöhnlich kämmte er die Haare so von einer Kopfseite zur anderen, dass man die kleine Glatze nicht sah. Aber wenn man genau hinter ihm saß, konnte man sie sehen.

    Meine Mutter saß auf dem rechten Vordersitz. Sie trug kleine, blütenförmige Ohrringe. Ich betrachtete die dicken Schrauben auf der Innenseite des Ohrläppchens, mit denen sie am Ohr festgeschraubt waren. Mein Teddybär, den ich immer zum Einschlafen brauchte, hatte auch so einen Knopf im Ohr. Aber den Bären hatten sie dagelassen. Mein Vater hatte gesagt, ich sei jetzt zu alt für Plüschbären. Oma Josepha solle das Tier zum Andenken behalten.

    Ich starrte nach vorn.

    Ich wollte nicht hinausschauen zu Oma Josepha und Opa Rochus mit ihren Abschiedsgesichtern. Ich wollte nicht weinen.

    Mein Vater ließ den Motor an, der Wagen begann leise zu zittern. In der großen Strohtasche klirrten die beiden Einmachgläser aneinander, die uns Oma Josepha mitgegeben hatte.

    Dann schaute ich doch hinaus.

    Oma Josepha kam ganz nah ans Auto, beugte sich herunter, deutete auf das Seitenfenster und machte mit der Hand eine kurbelnde Bewegung. Ich beugte mich über den Koffer und suchte den Drehgriff an der Innenseite der Tür.

    »Hier musst du kurbeln!«, sagte mein Vater ärgerlich, fasste meinen Hemdsärmel und zog den Arm unsanft nach vorn. »Du wirst noch die Autotür aufmachen und das ganze Gepäck fliegt auf die Straße!« Er war schlecht gelaunt, weil sich der Abschied so lange hinzog. Er hatte schon vor einer Stunde fahren wollen.

    Oma Josepha schob ihren Kopf durchs Autofenster.

    »Schreib uns, wie’s dir geht, ja?«

    Ich nickte.

    »Und ihr passt gut auf den Kilian auf«, sagte sie, nach vorn gewandt, zu meinen Eltern. »Ihr dürft nicht gleich so streng mit ihm sein, er ist’s nicht gewohnt.«

    »Also, hör mal, Mama! Du tust gerade, als käme er zu wildfremden Leuten«, sagte meine Mutter gekränkt. »Schließlich sind wir seine Eltern! Du brauchst uns keinen Unterricht zu geben. Wir wissen schon, wie wir mit unserem Kind umzugehen haben.«

    »Ich hab ja nur gemeint, weil er die ganzen Jahre bei uns gelebt hat …« Oma Josepha schniefte und wischte mit dem Handrücken eine Träne von ihrer Wange. »Er kennt euch ja gar nicht richtig.«

    »Eltern und Kinder verstehen sich von allein«, sagte mein Vater. Dabei trat er ungeduldig auf das Gaspedal. Der Motor dröhnte. Oma Josepha strich mir noch einmal übers Gesicht. Dann ging sie zurück zu Opa Rochus. Langsam fuhr der Wagen an. Ich winkte durch das Rückfenster. Oma Josepha und Opa Rochus standen dicht nebeneinander vor dem frisch gestrichenen Zaun. Sie winkte mit der rechten Hand, er mit der linken. Den rechten Arm hatte er um ihre Schultern gelegt.

    »Mach doch das Fenster zu, es zieht hier«, rief mein Vater nach hinten. »Aber pass auf, dass du nicht wieder an den Türgriff kommst!«

    Ich beugte mich zur Seite, griff über den Koffer und kurbelte das Fenster hoch.

    Als ich dann wieder aus dem Rückfenster winken wollte, war alles hinter einer Kurve verschwunden. Das Haus, der Zaun, die Großeltern.

    Beim Dorfende sah ich noch einmal durchs Rückfenster, um das Ortsschild zu sehen: Niklasweiler. Es würde lange dauern, bis ich es wiedersehen konnte.

    Dann schaute ich aus dem Seitenfenster und betrachtete die Getreidefelder. Wir fuhren an einem roten Mähdrescher vorbei, der sich rechts neben der Landstraße durch das Weizenfeld wühlte. Er zog eine schmutzig gelbe Staubwolke hinter sich her. Ich beugte mich ganz tief hinunter, um zu erkennen, wer oben auf dem Fahrersitz saß. Es war der Vogts-Heiner. Er hatte ganz weiße Haare und ein graues Gesicht vom Getreidestaub. Ich winkte aufgeregt. Als Heiner sich zur Seite beugte, um in unser vorüberfahrendes Auto zu schauen, sah ich, dass neben ihm noch ein Junge saß.

    »Der Lubber!«, schrie ich und rüttelte meinen Vater an der Schulter, damit er anhielt. »Der Lubber!«

    »Bist du verrückt geworden! Du willst wohl im Graben landen?« Mein Vater beugte sich während des Fahrens nach vorn, um seine Schultern aus der Reichweite meiner rüttelnden Hände zu bringen.

    »Du kannst Papa doch nicht beim Fahren anstoßen«, sagte meine Mutter und drehte ihren Kopf weit zu mir zurück, damit ich ihren strafenden Gesichtsausdruck sehen konnte. »Dabei kann das schlimmste Unglück geschehen!«

    »Das war doch der Lubber. Ich will ihm noch mal auf Wiedersehen sagen«, rief ich.

    »Lubber? Wer ist das?«, fragte mein Vater.

    »Der Lubber ist mein bester Freund.«

    Der Mähdrescher mit Heiner und Lubber blieb immer weiter zurück und wurde kleiner und kleiner. Nach einer Weile erkannte man nur noch die helle Staubwolke.

    »Lubber ist kein Name. Wie heißt er denn richtig?«, fragte mein Vater.

    »Das ist der Lubber«, sagte ich. »Der Vogts-Lubber«, setzte ich dann noch hinzu, weil ich merkte, dass er mit meiner ersten Antwort nicht zufrieden war. Ich wusste nicht, was er hören wollte.

    »Hier in der Gegend sagt man Lubber statt Ludwig«, erklärte ihm Mama.

    »Ach so, Ludwig!«, sagte mein Vater. »Das ist was anderes. Ludwig ist sein Name. Das war dann also der Ludwig Vogt, ja?«

    Ich antwortete nicht. Was hätte ich auch sagen sollen. Das war der Vogts-Lubber; ich würde doch noch wissen, wie mein Freund heißt!

    »Ging der Ludwig mit dir in die Klasse?«, fragte mein Vater weiter.

    »Der Lubber geht in meine Klasse«, antwortete ich.

    »Mein lieber Kilian, du bist ganz schön störrisch. Du wirst dir einiges abgewöhnen müssen bei uns. Bei aller Liebe: So wie bei deiner Oma geht’s nicht weiter«, sagte mein Vater ärgerlich. »Wenn ich sage, er ging in deine Klasse, so hat das seinen Grund und du brauchst nicht zu sagen, er geht in deine Klasse. Ich sag das doch nicht einfach so. Du weißt ganz genau, dass du jetzt in die Realschule kommst. Schließlich holen wir dich ja deswegen.«

    »So kannst du es aber nicht sagen, Gernot«, unterbrach Mama. »Wir holen ihn, weil er unser Kind ist und weil wir ihn bei uns haben wollen.«

    Mein Vater ließ sich nicht ablenken.

    »In Niklasweiler kannst du nur auf die Hauptschule gehen. Da gibt es keine Realschule. Dann hast du später nur den Grundschulabschluss und musst Lehrling werden. Oder Bauer wie dein Freund Ludwig.«

    »Ich möcht gern Bauer werden«, sagte ich. »Bauer is’ gut.«

    »Widersprich nicht!«, sagte mein Vater sehr laut. Er fuhr rechts an den Randstreifen und hielt, um sich besser zu mir herumdrehen zu können. »Widersprich nicht immer! Und dann fang möglichst gleich damit an, Hochdeutsch zu sprechen. Deinen Dialekt musst du dir so schnell wie möglich abgewöhnen. Lubber und so was. Damit wirst du nur ausgelacht auf der Realschule. Mal gleich zur Übung: Wie heißt dein ehemaliger Freund?«

    Ich sagte nichts.

    Er schaute mich auffordernd an. »Na?«

    »Ludwig«, sagte ich leise.

    »Sehr schön. Du wirst es schon lernen. Du musst nur selber ein bisschen mithelfen und darfst nicht so störrisch sein.«

    Er legte den Gang ein und fuhr wieder los.

    Ich schaute aus dem Seitenfenster, hinter dem die Landschaft immer schneller vorbeiraste.

    »Lubber«, flüsterte ich. »Er heißt Lubber. Lubber, Lubber, Lubber!«

    »Magst du einen Keks?«, fragte Mama nach einer Weile und hielt eine geöffnete Keksschachtel zu mir nach hinten. Mit der freien Hand wischte sie sich Kekskrümel vom Ärmel ihrer grünen Kostümjacke.

    »Nein«, sagte ich und schüttelte den Kopf. Ich hatte keinen Appetit.

    »Nein danke«, verbesserte mein Vater von vorn. »Nein danke!«

    Ich legte die Arme über den Koffer, der neben mir stand. Dann legte ich den Kopf auf den Unterarm, schloss die Augen und tat so, als ob ich schliefe.

    Es wird bestimmt nicht so schlimm bleiben, dachte ich. Zweimal war es schon fast so schlimm gewesen wie jetzt, aber jedes Mal war es doch irgendwie gut ausgegangen.

    Das erste Mal war, als ich wegen der Blinddarmentzündung ins Krankenhaus kam. Das zweite Mal, als Oma Josepha sagte, sie würde mich zu meinen Eltern zurückschicken.

    Im Krankenhaus war ich in einem fremden Zimmer in einem fremden Bett aus der Narkose aufgewacht, inmitten von fünf fremden Kindern. Die anderen Kinder waren schon länger da und kannten sich beim Namen. Ich war fremd. Ich hatte eine solche Wut auf Oma Josepha und Opa Rochus, die mich hier einfach allein gelassen hatten, dass ich nicht die geringste Lust verspürte, von irgendeinem dieser fremden Kinder angesprochen zu werden. Ich drehte meinen Kopf zur Wand und betrachtete den ganzen Tag die verschlungenen weißen Linien auf der blassgrünen Tapete.

    Gegen Abend kam Oma Josepha und brachte ein Glas eingemachte Sauerkirschen mit. Aber die Schwester sagte, ich dürfe erst in zwei Tagen essen. Darauf drehte ich wieder den Kopf zur Wand und antwortete kaum, wenn Oma Josepha etwas fragte.

    Oma Josepha sprach leise mit der Schwester, bevor sie ging. Wahrscheinlich sagte sie ihr, die anderen Kinder sollten mit mir spielen. Denn gleich nachdem meine Oma gegangen war, befahl die Schwester einem der anderen Jungen, er solle

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